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Kapitel 4: Kopfschmerzen

Sie wachte auf zu einem merkwürdigen, monotonen Tuckern – von draußen? – und Sonnenschein, der rechts von ihr durch einen Spalt zwischen dicken geblümten Vorhängen blitzte und einen schmalen vertikalen Streifen auf die Wand gegenüber ihrem Bett warf. Mit einem zufriedenen Seufzer ließ sie sich zurück in ihr weiches Daunenkissen sinken, betrachtete mit Wohlgefallen das zarte Rosenmuster des Bettbezugs und schloss noch einmal kurz die Augen. Gleich würde sie aufstehen und sich für die Arbeit fertigmachen. Nur noch fünf Minuten dös–. Moment mal!! Das war nicht ihr Bett und schon gar nicht ihr Schlafzimmer! Statt romantisch tuckernden Traktoren und krähenden Hähnen gab es für sie morgens die lieblichen Laute von Güterzügen oder Presslufthammern, wie es sich für Bewohnerinnen der Innenstadt gehörte. Und zur Arbeit brauchte sie auch nicht, denn so etwas wie einen festen Job hatte sie ebenso wenig wie geblümte Vorhänge oder rosenbesteckte Daunendecken.

Sie ließ den Blick durch das Zimmer wandern und allmählich erkannte sie, wo sie sich befand. Offenbar hatte Bella sie doch nicht ins Krankenhaus gefahren, sondern in ihrem Gästezimmer ins Bett verfrachtet. Cara konnte sich an gar nichts mehr erinnern, nicht wie sie aus dem Auto gekommen war, noch wie sie die Treppe hoch und in diesem Bett gelandet war. Die Kollision mit dem Lenkrad musste doch eine ganz schöne Wirkung gehabt haben.

Doch so langsam kam die Erinnerung wieder - an diesen furchtbaren gestrigen Tag, der mit dem Blick auf das Foto und dem Zusammenstoß mit dem Müllwagen für sie nach ihrer Erinnerung geendet hatte.

Wie spät mochte es sein? Die Sonne schien schon recht hoch am Himmel zu sein, also musste der Vormittag schon weiter fortgeschritten sein. Ob Bella wohl zuhause war und auf sie wartete?

Vorsichtig brachte sie ihre Beine aus dem Bett und richtete sich auf. Sie wartete auf Schwindel oder eventuelle Übelkeit. Nichts? Also weiter! Sie stemmte sich langsam hoch, hielt sich an der Wand fest, um dann mit vorsichtigen Schritten zur Tür zu gehen. Sie trat hinaus auf den Flur und ins Badezimmer, wo sie langsam versuchte, mit Hilfe von Wasser und Bellas Kosmetik wieder einen (weiblichen) Menschen aus sich zu machen.

Währenddessen flogen ihr nur so die Gedanken durch den Kopf. Das Foto zeigte eindeutig Jost, den früheren hochgeschätzten Kollegen und späteren Gegner von Bella bei der Steuerfahndung. Und es war ein recht aktuelles Bild von ihm. Es war eindeutig keins, das vor seinem „Tod“ vor einigen Jahren geschossen worden war. Das war gut zu erkennen, denn das Ambiente, das ihn zeigte, offenbarte ihr das Kasino, das sie mit Bella einmal besucht hatte. Dieses Kasino hatte einen ganz eigenen Stil, und das Foto zeigte eindeutig den berühmten vor Kurzem renovierten Spielsaal. Es gab also keinen Zweifel: Jost war am Leben und zu allem Überfluss auch noch ganz in der Nähe!

Ihr war zutiefst unbehaglich zu Mute. Erstens generell, weil ihr Kopf immer noch schmerzte, und dann, weil ihr nicht klar war, was das alles für Bella bedeutete. Fing die ganze Katastrophe wieder von vorn an? Wie würde Bella damit umgehen? Würde das sonderbare Ereignis alles wieder aufrühren, was gerade begann zu heilen?

Die Beule auf der Stirn sah eigentlich gar nicht mehr so dramatisch aus – nur ein bisschen zu braun von der Schminke. Sie trank ein paar Schlucke kaltes Wasser aus dem Hahn, trocknete sich die Hände an Bellas flauschigem Handtuch, ging barfuß hinaus in den Flur und stieg die Holztreppe hinunter ins Erdgeschoss. Ihre Sachen waren im Gästezimmer nicht zu sehen gewesen, also hatte sie über ihre Unterwäsche den seidigen himbeerfarbenen Morgenmantel angezogen, der im Bad am Haken hing.

„Bella!“, rief sie, unten ankommend. „Bella, bist du da?“

Die Küchentür war offen und ein köstlicher Duft von Espresso stieg ihr in die Nase. In dem Raum war niemand, aber durch eins der beiden Küchenfenster konnte sie Bella sehen, die draußen am Zaun stand und hinter einem abfahrenden Pick-Up herwinkte. Im nächsten Moment stand Bella in der Tür.

„Cara! Du bist ja schon auf! Wie geht’s dir denn? Komm, lass dich mal drücken, du Arme!“ Mit rechts umarmte sie die lädierte Detektivin, mit der linken Hand goss sie Kaffee in einen großen Becher. „Setz dich doch. Ich schäume dir noch Milch auf, ja?“

Mit einem dankbaren „Oh, ja, gern!“ setzte Cara sich an den großen Küchentisch, auf einen der schönen alten Holzstühle, die so gut in dieses ländliche Ambiente passten.

„Mit geht’s wieder gut. Danke, danke, danke für all deine Hilfe gestern! Und das, nachdem ich mit Jimmie so schusselig war. Ich habe überhaupt nicht mitbekommen, dass wir zu euch gefahren sind. Und ich weiß auch gar nicht, wie ich ins Bett gekommen bin.“

Bella löffelte eine Portion schaumiger Milch in einen Kaffeebecher und stellte ihn vor Cara ab. Sie schenkte sich selbst eine kleine Espressotasse ein und setzte sich zu ihr.

„Bist du sicher, dass es schon wieder geht, Liebe?“ Sie sah ihr prüfend ins Gesicht. „Du warst gestern richtig benommen. Aber keine Angst“, kicherte sie. „Erlinger musste dich nicht raufschleppen. Du bist aus dem Auto, ins Haus und nach oben getorkelt, hast deine Klamotten von dir gerissen und bist ins Bett gefallen. Ich glaube aber nicht, dass du dabei irgendwann richtig wach warst.“ Bella warf einen Blick in Richtung Küchenfenster.

„Er ist mit Jimmie auf dem Weg zu einem Bekannten, der eine Autowerkstatt hat. Die beiden wollen sich den Golf vornehmen.“

Cara blickte Bella erstaunt an. „Wie–?“

Bella lachte amüsiert auf. „Erlinger hat gestern Abend noch Hennes – seinen Mechanikerfreund – angerufen, damit er deinen Wagen abschleppt. Und die beiden fanden, das ginge am Einfachsten sofort, solange der Parkplatz schön leer ist.“

Cara musste den Kaffeebecher wieder absetzen und erst einmal den dicken Kloß hinunterschlucken, der plötzlich in ihrer Kehle steckte. Nun kamen ihr schon wieder die Tränen.

„Ach, Bella! Das ist so toll von euch. Es ist mir ja alles so unangenehm. Ihr – du hast schon genug um die Ohren ohne mich und meine Sperenzien.“ Sie wischte sich mit dem Handrücken über die nassen Augen und sah Bella genauer an. Was sie sah gefiel ihr gar nicht. Bella wirkte so müde, als hätte sie keine erholsame Nacht in weichen Federn verbracht. Und bildete sie es sich ein, oder war da ein ängstlicher Zug um die Mundwinkel.

„Bella! Schluss mit Geplauder und Tacheles, oder?“ fragte sie etwas unsicher. Sie hatte eine ziemlich verschwommene Erinnerung an den genauen Ablauf der gestrigen Ereignisse, aber Bellas unerklärliches Leugnen, was die Person auf dem Foto betraf, war ihr noch sehr präsent.

Bella setzte sich noch gerader hin als sie es ohnehin immer tat. Sie hatte eine elegante Haltung die ihre Freundin stets bewunderte. Sie zog den Umschlag unter einem Teil der Süddeutschen hervor, die zerpflückt auf dem Küchentisch verstreut lag. Bella nahm das Foto heraus und legte es zwischen die Kaffeetassen. Sie seufzte und blickte Cara an.

„Ja, Tacheles. Natürlich hast du Recht. Ich war gestern nicht ganz bei Trost, fürchte ich. Keine Ahnung warum, aber ich wollte es nicht wahrhaben. Oder doch, natürlich habe ich eine Ahnung. Ich war so froh, dass er weg und alles vorbei war. Aber da haben wir es also wieder zurück, das Schwein!“

Sie machte eine Faust und ließ sie auf das Foto donnern. Der Tisch wackelte und der Schaum des kaum angerührten Cappuccinos schwappte über und rann den Becher herunter auf die Tischplatte. Cara sprang auf, holte einen Lappen von der Spüle und wischte die Milchpfütze auf.

„Bella, wir werden das alles aufklären! Glaub mir, es geht nicht noch einmal alles vor vorne los. Du hast doch mich und du hast Erlinger! Keiner glaubt mehr, was Jost damals verbreitet hat. Es ist jetzt eine ganz andere Situation. Jetzt werden sie hinter ihm her sein und er bekommt seine gerechte Strafe!“ Bella sah sie nicht an, sondern starrte gegen die Wand. Sie legte ihre Hand auf Bellas.

„Jetzt machen wir ihn fertig. Glaube mir, das wird schon. Und dann ist es viel besser, als wenn er sich einfach als Wasserleiche davongemacht hätte. Wenn er geschnappt wird, muss er endlich erklären, was das damals alles sollte.“

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