Читать книгу Teamermittlung - Jill Waldhofer - Страница 16
ОглавлениеKapitel 10: Kompetenzen
Der drahtigschlanke Erlinger, dem Naschwerk ebenso zugetan wie der kräftige Witzig, kramte gerade im Küchenschrank nach Keksen, als Bella mit Jimmie und Cara geräuschvoll ins Haus zurückkehrten. Witzig beschloss, dass er nicht weiter um den heißen Brei herumreden durfte.
Als alle vier Menschen wieder um den Tisch versammelt saßen und Jimmie mit ihrem zuvor verschmähten Mittagessen beschäftigt war, sah er ernst in die Runde, atmete tief durch und erklärte: „So, dann mache ich mich mal wieder auf den Weg und gebe die Meldung in der Dienststelle durch. Das Foto muss ich natürlich mitnehmen, damit es auf Echtheit untersucht wird.“ Es blickte Cara streng an. „Ich überlege mir im Auto eine plausible Erklärung, wie Sie an das Beweisstück gelangt sind. Sie haben es in dem Imbiss ja wohl versehentlich eingesteckt.“
Cara kochte innerlich, hielt sich aber zurück. Da wollte er sie doch wieder ausbooten, und sie konnte nichts dagegen tun! Als schnöde Privatdetektivin hatte sie natürlich kein Recht gehabt, das Foto sicherzustellen. Bella und Erlinger sahen Witzig verblüfft an.
„Aber wir müssen doch besprechen, wie wir weiter vorgehen!“, protestierte Bella.
Witzig hievte seinen massigen Körper vom Küchenstuhl und schüttelte bedauernd den Kopf.
„Bella, das liegt leider nicht allein in deiner Hand. Wenn Hansen noch lebt, muss die Staatsanwaltschaft Bescheid bekommen und wir müssen wieder nach ihm fahnden.” Er warf einen besorgten Blick in die Runde der unternehmungslustigen Freunde. „Wenn ihr Informationen zusammentragen und euch die Sache gemeinsam durch den Kopf gehen lassen wollt, ist es etwas anderes und wäre mir sogar eine große Hilfe. Aber den professionellen Teil, sozusagen, müsst ihr uns überlassen.
Das ist keine Schnitzeljagd für Laien“, fügte er noch in Caras Richtung hinzu. „Dafür ist Hansen zu gefährlich und zu gerissen obendrein.
Cara gab ein unschönes Schnauben von sich und blickte mit rotem Kopf zu Witzig hoch.
„Na, das hat man ja auch gemerkt! Toll, wie ihr Experten ihn das erste Mal gefasst habt! Ach nein, habt ihr ja gar nicht, fällt mir wieder ein. Und dann konnten Sie noch nicht mal eindeutig feststellen, ob er wirklich der im Hafen war und haben sich mit 90 Prozent zufriedengegeben und ihn für tot erklärt, damit Ruhe ist. Fantastische Leistung!“ Sie stampfte wütend aus dem Zimmer und die Treppe hoch. Eine Tür schlug krachend ins Schloss.
Witzig stand etwas betreten herum, überlegte, ob er noch etwas sagen soll, um sich dann umzudrehen und mit einem flüchtigen Gruß zu verschwinden.
Als Witzig abgefahren war, stand Bella einige Minuten still am Küchenfenster und dachte nach. Entschlossen drehte sie sich zu Erlinger auf seiner Küchenbank.
„Wenn Witzig Jost alleine jagen will, dann soll er das tun. Umso besser! Aber die Behörde ist mein altes Revier. Da kenne ich mich besser aus als er! Wenn ich auch nicht mehr da arbeite und lange nichts mehr mit allem zu tun haben wollte, jetzt werden wir wieder anfangen zu schnüffeln und aufdecken, wer sich wie die Taschen vollstopft!“
Erlinger nickte zustimmend und aß noch einen Keks. Bella setzte sich zu ihm.
„Außerdem habe ich mich entschlossen, jetzt wirklich zur Hypnose zu gehen. Ich wollte das eine lange Zeitlang nicht, ich weiß. Aber dieser Traum, den ich immer wieder habe, in dem ich Jost sehe, wie er an einer Tür lauscht und jemandem beim Telefonieren zuhört… Das muss etwas bedeuten und ich will mich endlich wieder daran erinnern, was es war.“
Erlinger beugte sich zu ihr rüber und legte seine Hand auf ihre Hand und meinte eindringlich: „Bella, überleg dir das gut. Ich verstehe dich und finde es auch richtig, dass endlich diese ganze Geschichte aufgeklärt wird und du dann hoffentlich deine Ruhe finden kannst. Aber das Ganze ist nicht ungefährlich, du bist schon einmal schwer verletzt worden, und ich möchte dich nicht verlieren. Du weißt, ich möchte mit dir alt werden, auch wenn es keine Eile hat.“
Das war ein gängiger Scherz zwischen ihnen und eine entsprechende Ansichtskarte hing, mit einem Magnet versehen, zur gefälligen Erinnerung an ihrem Küchenschrank.
Bella grinste flüchtig, reagierte aber auch ernst auf diese Vorhaltung: „Ja, ich weiß, was du meinst. Aber irgendwie nagt diese ganze ungeklärte Geschichte immer noch an mir. Auch wenn man weiß, dass an den Gerüchten damals nichts dran war, trotzdem habe ich immer noch das Gefühl, damals geflüchtet zu sein, die Sache nicht zu Ende gebracht zu haben. Und irgendwie kommt es mir so vor, als wäre das hier wie ein Fingerzeig, alles nochmal vorzuholen. Und wenn ich mit Cara und dir in dieser Sache zusammenarbeite, dann kann doch eigentlich gar nichts schiefgehen, oder?“
Erlinger wiegte bedenklich seinen Kopf und machte deutlich, dass er sich Sorgen machte. Und Bella hatte im Laufe ihrer Beziehung mit ihm gelernt, dass seine Bedenken, auch wenn sie oft gereizt und abwehrend darauf reagierte, doch meistens ihre Berechtigung hatten.
In diesem Moment kam Cara wieder zur Tür herein, schaute sich argwöhnisch um und fragte: „Ist der Blödmann weg? Der hatte mir heute gerade noch gefehlt! Der immer mit seinen Vorschriften und Gesetzen und Verfahrensregeln. Der geht mir sowas von auf die Nerven.“
Darauf meinte Erlinger zu Bella: „Siehst du, genau das meine ich! Ihr beide, ihr seid so ein Bündel von Energie und Übermut, und oft vergesst ihr, euren Verstand einzuschalten. Natürlich hat Witzig recht damit, dass Jost wegen Mordversuchs verfolgt werden muss und dass die Staatsanwaltschaft davon in Kenntnis gesetzt werden muss. Wir sind doch hier nicht im Wilden Westen, wo jeder nach Lust und Laune seine eigene Rechtsauffassung durchsetzen kann und Ermittlungen in Strafsachen auf eigene Faust durchführen kann.“
Cara und Bella schauten einander an, und es war nicht klar auszumachen, was in ihren Köpfen ablief.
Erlinger beobachtete die beiden und meinte: „Ich schlage vor, wir lassen den heutigen Tag mal vergehen, denken alle über mögliche Optionen nach und treffen uns dann heute Abend zu einem Brainstorming. Was meint ihr? Ist das ein Vorschlag zur Güte?“
Bella und Cara nickten zögernd, ganz offensichtlich mit widerstreitenden Gefühlen kämpfend. Cara meinte, dass sie gern nach Hause fahren wollte, um sich umzuziehen und sich noch etwas auszuruhen, aber jemand müsse sie fahren, denn ihr Auto sei ja nicht fahrtüchtig.
Erlinger erbot sich, das Taxi zu spielen, setzte dann aber hinzu: „Besser, du nimmst unser kleines Auto und fährst damit heim, damit du heute Abend wieder herkommen kannst. Oder siehst du dich nicht in der Lage zu fahren? Dann kann ich dich auch bringen und heute Abend wieder abholen.“
Cara überlegte einen Moment, fasste nach ihrer Beule und meinte: „Nein, das geht schon. Danke für das Angebot, ich hoffe, ihr braucht heute nicht beide Autos. Ich komme dann heute Abend so gegen 7 Uhr zurück. Ist das okay für euch? Ich muss mir ja auch noch überlegen, weshalb ich die Überwachung unterbrochen habe. Was sage ich diesem Kerl bloß? Aber das können wir auch heute Abend überlegen. Ich hätte schon ganz gern ein bisschen Zeit für mich. Muss mich erstmal sortieren.“
Voller Mitgefühl sah Bella ihre Freundin an, stellte aber fest, dass die jetzt Zeit für sich brauchte. Jede von ihnen hatte sehr oft das Bedürfnis nach Abstand, um sich wieder für die Auseinandersetzung oder Kommunikation mit den Mitmenschen fit zu machen. Ohne diese Auszeiten kamen sie sehr schnell an ihre Grenzen, denn beide waren mit Sensoren ausgestattet, die sehr intensiv unterschwellige Kommunikationsströmungen wahrnahmen und darauf reagierten. Umso unverständlicher eigentlich ihre lange Blindheit gegenüber Josts Verrat. Erlinger schloss daraus, dass eine einmal gefasste Sympathie für einen Menschen alle entgegenstehenden Informationen verdrängte – eine Art Schutzfunktion.
Bella beobachtete ihre Freundin, die ihre Siebensachen zusammensuchte, ihre Handtasche, den Mantel, dreckverkrustet, an sich nahm und sich dann niederkniete, um sich von Jimmie zu verabschieden. Dabei fiel das Sonnenlicht auf ihre blonden Haare, die ihr ins Gesicht fielen. Sie leuchteten auf eine ganz bestimmte Art und Weise, die einen Raum heller zu machen schien, wenn Cara eintrat. Ihre große und schlanke Gestalt, ihr hübsches Gesicht, dessen hervorstechendste Eigenschaft eine große Freundlichkeit und Zugewandtheit, ein wohlwollendes Interesse an der Welt und seinen Bewohnern ausdrückte, waren Bella sehr ans Herz gewachsen. Wenn sie dies jedoch Cara versuchte zu erklären, dann reagierte diese ein bisschen schnoddrig und abwehrend. Gefühle, vor allem, wenn diese sie selbst betrafen, waren nicht gerade ihre Stärke. Dabei konnte sie sich spielend in alles hineinfühlen. Sie war kompliziert…
Erlinger gab Cara die Autoschlüssel, nahm sie in den Arm und meinte tröstend: „Wir kriegen das schon alles wieder hin. Keine Sorge! Aber ihr beide solltet heil aus dieser Sache herauskommen. Das bedeutet nicht, dass ihr euch ganz raushalten sollt, aber mit Sinn und Verstand und einer Prise Vorsicht sollten die weiteren Ermittlungen laufen. Okay?“
Cara nickte etwas versöhnt, streichelte nochmal Jimmie, umarmte Bella und ging zur Tür hinaus. Bella fing an, den Tisch abzuräumen und abzuwischen, denn die Kekskrümel von Erlinger und Witzig hatten sich auf dem ganzen Tisch ausgebreitet.