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Kapitel 12: Nachbarschaft

Ein dumpfes Wummern aus dem Untergeschoss schien den Boden und ihr Bettgestell zum Schwingen zu bringen und rüttelte sie unsanft aus dem Schlaf. Cara drehte sich stöhnend auf den Bauch, griff nach ihrem Holzpantoffel rechts neben dem Bett und hämmerte mit dem Absatz dreimal wütend auf den Parkettboden. Das Geräusch aus dem vierten Stock wurde spürbar leiser, was sie dankbar zur Kenntnis nahm. Sie fiel zurück in die Kissen, drehte sich auf die linke Seite und stopfte ihre zwei Bettdecken wieder um sich fest. Augen zu und nochmal einschlafen – sie war noch längst nicht bereit für einen neuen Tag.

Doch im nächsten Moment schreckte sie auf und war vollends wach. An der Tür klingelt jemand Sturm.

„Oh, Jakob! Das kann doch wohl nicht wahr sein!“, schimpfte sie vor sich hin, während sie sich aus dem Bettzeug schälte und schnell aus dem eiskalten Schafzimmer hinüber ins warme Badezimmer humpelte, um sich etwas überzuziehen. In ihren weißen Frotteemantel gehüllt lief sie zur Tür und warf einen überflüssigen Blick durch den Spion. Die Klingel rasselte unaufhörlich und jetzt schien auch noch jemand mit der flachen Hand gegen die Tür zu bollern. Ein blonder Schopf, etwa auf der gleichen Höhe wie der ihre, bestätigte ihren Verdacht.

Sie riss die Tür auf.

„Sag mal, geht’s no–?!“, begann sie ihre Schimpftirade, kam aber nicht weit damit. Vor ihr stand, sichtlich aufgebracht, ihr jugendlicher Nachbar vom Stockwerk unter ihrer Dachgeschosswohnung. Waren das Tränen in den blauen Teenageraugen?

„Das hätte ich nie von dir gedacht!“, brüllte es in ihre Richtung. „Ich dachte, du bist auf unserer Seite! Dabei tust du nur so und schnüffelst dann hinter uns her!!“

Der Junge vor ihrer Eingangstür hatte rote Wangen vor Wut. Er haute mit der rechten Faust gegen die Wand neben der Tür und verzog das Gesicht.

„Was–?! Pass auf, das ist doch Rauputz. Hast du dich verletzt?“, stotterte Cara verwirrt und ging zur Seite, um den rätselhaften Beschwerdeführer in die Wohnung zu lassen. Der drehte sich jedoch um und stampfte die Treppe hinunter. Auf dem Absatz angekommen, trat er gegen das Metallgeländer, dass es nur so schepperte.

„Jetzt warte doch mal, Jakob!“, rief sie ihm hinterher. „Ich weiß echt nicht, was du meinst, ehrlich! Komm wieder hoch und ich mach uns einen Cappuccino.“ Das war Bestechung und illegal, denn die Eltern erlaubten dem 15-Jährigen immer noch keinen Kaffee zum Frühstück, wie sie genau wusste. Cappuccino könnte also in dieser merkwürdigen Beziehungskrise funktionieren. Sie wartete fröstelnd vor ihrer Eingangstür, mit einem Sockenfuß im Flur, mit dem anderen draußen auf der Fußmatte. Stille von unten – zumindest auch keine Tür, die zornig zuschlug.

Sie musste grinsen. Da schlurfte es wieder die erste halbe Treppe hinauf und um die Ecke bog ein schlaksiger, blonder Junge mit den üblichen löchrigen Jeans, riesigen Sneakers und einem überdimensionierten Karohemd, das um den dünnen Oberkörper schlabberte. Jakob schlängelte sich blicklos an ihr vorbei und verschwand rechter Hand in der Tür zur Wohnküche. Ein Stuhl wurde lauthals quietschend über gefliesten Boden geschleift. Cara seufzte, halb erleichtert, halb entnervt, schloss die Tür und gesellte sich zu ihrem langjährigen, jungen Freund, der mit verschränkten Armen und hängendem Kopf am runden Küchentisch saß.

Sie wandte sich ihrer Espressomaschine zu, schaltete auf Heizen und kramte Kaffeebohnen aus dem Küchenschrank.

„Was weckst du mich denn mit deinem Dauerklingeln so früh am Morgen auf? Hatten wir das Thema nicht schon mal?“, fragte sie in Richtung blonden Hinterkopf. Der drehte sich zumindest halbwegs um und nahm so etwas wie Blickkontakt auf.

„Du hast doch geklopft. Ich hatte ja gewartet, dass du endlich aufstehst“, murrte er. „Außerdem ist es schon fast halb zwölf!“, kam es empört aus seinem Langschläfermund. Erwachsene hatten wach und zu Diensten zu sein, wenn er geruhte, das Tageslicht zu erblicken.

Cara ließ heißen Dampf in die Becher mit kalter Milch zischen und goss dann zwei großzügige Portionen Espresso auf die zwei Berge aus Schaum. Schön sah das aus – wie im Café, dachte sie stolz. Die Maschine war teuer gewesen, aber so eine Verbesserung der Lebensqualität! Gut, dass sie ihren üblichen Geiz sich selbst gegenüber einmal überwunden hatte. Sie schob Jakob einen Becher hin und setzte sich mit ihrem Cappuccino an den Tisch zu ihrem Überraschungsgast.

„Was ist denn los? Was meintest du mit ‚hinter euch herschnüffeln‘? Ich spioniere euch doch nicht aus. Wen denn überhaupt? Dich, Anne und Jo?“ Sie konnte sich keinen Reim aus dem Vorwurf am frühen Morgen – na ja, Mittag – machen. Was ihre Freunde und Nachbarn unten im vierten Stock trieben, wusste sie entweder nach all den Jahren sowieso oder fand es nicht besonders interessant.

Ihre Verblüffung musste wohl überzeugend sein, denn Jakob blickte sie etwas friedlicher wirkend an und erklärte: „Nein, die doch nicht! Was sollst du da denn rauskriegen wollen?“ Er fand seine Professoreneltern wohl auch nicht so spannend. „Ich meine doch uns von Robin Food! Du hast gestern hinterm Denner’s rumgestanden, als wir gerade aus der Deckung kommen und loslegen wollten.“ Cara rollte innerlich mit den Augen, hatte aber nun eine Ahnung, was hinter dem Sturm der Empörung steckte.

„Fooood! Ich habe euch doch schon mal erklärt, dass ihr euch umbenennen müsst. Ihr könnt doch nicht unter ‚Robin Fuß‘ in die Annalen eingehen!“ Jakob wischte den Einwand wie üblich mit einer ungeduldigen Handbewegung weg. Englischnachhilfe konnte er noch nie leiden und bei Fremdwörtern hörte er gerade auch weg. Die nervten bei den Eltern unten schon genug.

Er brauste wieder auf.

„Was wolltest du da denn sonst, als uns beim Containern erwischen und dann verpfeifen? Hat der alte Heuchler Denner dich etwa nicht engagiert? Das kannst du mir doch nicht erzählen! Der macht im Stadtrat einen auf Grün, ist aber total der Kapitalist!“

Cara trank zur Beruhigung einen Schluck Cappuccino und schob auch Jakobs Becher näher an den Ritter der Enterbten. Sie musste innerlich kichern. „Robin Food“ mit fälschlich kurzem „u“ – das waren Jakob und zwei seiner Schulfreunde, die sich vor Kurzem der Rettung von essbaren, aber entsorgten Lebensmitteln aus Supermarktcontainern verschrieben hatten. Sie wusste davon, denn eigentlich vertraute der Junge ihr so Einiges an – oft mehr als seinen besorgten Eltern. Außerdem mussten die Esswaren ja auch irgendwo hin, und so quoll ihr Kühlschrank in letzter Zeit meistens über vor abgelaufenen Joghurts, Butterpäckchen und Eiern. Auch die Kaffeebohnen und Milchtüten in ihrem Küchenschrank stammten aus den „Raubzügen“. Die sparsame Cara musste fast nichts mehr für Einkäufe ausgeben…

Endlich trank Jakob von seinem sonst heißgeliebten, aber verbotenen Cappuccino. Cara grinste ihn gerührt an. Ein weißer Schnurrbart zierte das hübsche und selten so mürrische Gesicht.

„Ich war nicht euretwegen da, sondern wegen eines Falls. Ich wollte mir nur in Ruhe etwas ansehen und habe deshalb hinter dem Denner’s geparkt. Die machen ja immer schon um sechs zu.“ Jakob sah sie nun eher neugierig als verärgert an. Er leerte genießerisch seinen Becher und schob ihn in ihre Richtung.

„Noch einen?“ Cara stand auf und schaltete die Maschine wieder ein. „Ach, deswegen war auch abends schon die Müllabfuhr da. Ich habe mich schon gewundert, weil die doch sonst eher früh morgens kommen.“ Theo Denner, eine der Honoratioren der Stadt, war offenbar doch nicht so altruistisch wie er immer tat. „Ich mach dir noch einen. Aber ich kriege Ärger, wenn du dich verplapperst. Verstanden?“

„Jaaha, ist doch klar. Mit viel Milch, bitte.“ Er war eigentlich ein sehr wohlerzogener kleiner Kerl, das musste sie Anne und Jo lassen.

„Was denn für ein Fall, Cara?“ fragte er wissbegierig. Sein ödes Leben aus Schule und Hausaufgaben konnte etwas Pfiff gebrauchen. Da setzte er eher auf Cara als auf die Alten. Aber seine jugendliche Neugier musste warten, denn Caras Festnetztelefon fing an zu klingeln und gleichzeitig vibrierte ihr Smartphone in der Bademanteltasche. Sie blickte aufs Display – Bella! – und sprang hoch.

„Sorry, Kumpel. Ich habe gerade gar keine Zeit für Erklärungen“, rief sie Jakob auf dem Weg ins Badezimmer zu. (Als ob sie vorhätte, ihn einzuweihen. Gott behüte, dass der Junge da reingezogen würde.) „Mach dir selbst noch einen Cappu und dann muss ich dich rausschmeißen. Ich mach mich nur schnell fertig und muss dann weg.“

Sie schloss sich im Bad ein und schickte Bella eine schnelle WhatsApp: „Bin in 50 Minuten da! Klein bisschen verschlafen.“

Beim Zähneputzen hörte sie eine Stimme auf den Anrufbeantworter im Flur sprechen. Ach so, die Entsorgungsbetriebe wegen des Unfalls. Das konnte warten. Die Eingangstür klackte zu. Ihren neugierigen Plagegeist war sie erst einmal los. Zehn Minuten später rannte sie die fünf Treppen hinunter, sprang in Bellas und Erlingers Kleinwagen und machte sich auf zu einer neuen Lage-Besprechung auf dem Lande.

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