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2. Kapitel

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„Sheila, Sandra, huhu!“

Die dicke Frau, zu der die Stimme gehörte, schmiegte sich an einen hageren Mann und winkte begeistert. Sie hieß Trish Mulligan, trug ein Designerkostüm, das ihre Rundungen nicht unbedingt vorteilhaft zur Geltung brachte, und war Inhaberin einer gut gehenden Werbeagentur und darüber hinaus eines der geschwätzigsten Weiber der Stadt. Zumindest dachte Sheila so über die Unternehmerin. Sie mochte Trish nicht. Vielleicht lag es daran, dass Sandra ständig bei Trish herumhing und um einen Job bettelte. Sandra hatte irgendwann einmal Grafikdesign studiert - behauptete sie zumindest, allerdings hatte Sheila noch nie ihr Diplom zu Gesicht bekommen.

„Oh Gott, komm, verschwinden wir ins Kino, das ist Trish Mulligan“, drängte Sheila. Sie zog an Sandras Ärmel, doch es war bereits zu spät. Zielstrebig kam die ziemlich rundliche Trish auf sie zu, den hochgewachsenen, etwas knochig wirkenden Mann im Schlepptau.

„Schaut ihr euch auch Lunatics on Highway 61 an?“ Trish wirkte etwas außer Atem. Sie legte die Hand auf die Brust und seufzte. „Immer diese Rennerei. Ich dachte schon, wir wären zu spät. Ich hasse es, mich durch die Reihen zwängen zu müssen, wenn der Film schon läuft.“ Sie sah mit glänzenden Augen zu dem Mann an ihrer Seite.

„Das ist Eugene. Meine neueste Eroberung - seit einigen Monaten. Sag schön Guten Abend, Eugene!“

Der Mann nickte Sheila und Sandra kurz zu. „Hi …“

Sheila fiel auf, dass Sandra etwas indigniert die Brauen hob.

Die beiden erwiderten den Gruß, kamen aber nicht dazu, weitere Höflichkeitsfloskeln auszutauschen, da Trish wie ein Wasserfall weiterredete. „Also die Kritiken für Lunatics on Highway 61 sind ja megageil. Ich hätte ja nicht gedacht, dass Earl Goldstein noch einmal eine Hauptrolle an Land ziehen würde, nach dem intellektuellen Quatsch, den er da mit den anderen Filmen abgeliefert hat.“ Wieder rang sie nach Atem. „Aber bei Lunatics hatte er wohl den richtigen Riecher. Na ja, er soll ja seinen Agenten gewechselt haben. Was so etwas doch ausmachen kann … Die haben sogar eine Warnung für den Film herausgegeben! Denkt nur! Fast wie damals beim Exorzist. Wer unter Herzproblemen leidet, sollte sich den Film keinesfalls anschauen. Und um die Story gibt es einen Hype wie seinerzeit bei Psycho. Alle Kinobesucher werden gebeten, nichts über die Handlung zu verraten …“ Trish atmete kräftig durch. Ihr Begleiter legte ihr den Arm um die Schulter und lächelte sie an.

„Psycho?“, fragte Sandra.

„Der Film mit der berühmten Duschszene. Bates Motel. Janet Leigh. Hitchcock … Klingelt es jetzt?“, hakte Trish nach, die nicht glauben konnte, dass es jemanden gab, der den Film nicht kannte.

„Ach den alten Schwarzweißschinken meinst du“, begriff Sandra schließlich. „Ich fand den gar nicht so schlimm.“

„Wo habt ihr Plätze?“, fragte Trish übergangslos. Sie schmiegte sich an Eugene, der sie kurz auf das linke Ohr küsste.

„Drittletzte Reihe“, erwiderte Sheila etwas mürrisch. Sie konnte diese blöde Trish nicht leiden. Es war Zeit, hier den Abgang zu machen. Nachher käme Trish noch auf die Idee, vorzuschlagen, nach dem Film etwas gemeinsam unternehmen zu wollen. Das passte ihr überhaupt nicht ins Konzept. Immerhin wollte sie Sandra nachher noch die Kehle durchschneiden. Und dafür brauchte sie keine Zuschauer, zumindest nicht, wenn es geschah. Später, das war etwas anderes …

„Wir sitzen ganz hinten“, meinte Trish. „Da fällt es nicht auf, wenn wir fummeln. Nicht wahr, Eugene, Schätzchen?“ Sie kicherte wie ein Teenager.

Eugene - Schätzchen - erwiderte nichts.

Für einen Moment erschien es Sheila, als hätte sie in seinen Augen etwas all zu Vertrautes bemerkt, ein gewisses Funkeln.

Stimmen, Gewisper. Dunkle Augen, tief und unergründlich.

Aber das musste ein Irrtum sein. Er schien sie nachdenklich anzusehen. Sheila runzelte die Stirn. Ein seltsames Gefühl stieg in ihr hoch. Das kann nicht sein!, durchfuhr es sie, ergriff Sandra bei der Hand und wollte sie mit sich ziehen, als Sandra meinte - natürlich musste sie immer so einen Mist sagen - man könne sich nach dem Film ja vielleicht noch auf ein Bier zusammensetzen. Sheila schluckte, doch ihr Gesicht blieb ausdruckslos. Gerne hätte sie Sandra jetzt schon in die Mangel genommen. Ein Fäustchen aufs Äuglein - und dann eine fette Rechte voll in den Magen, damit die blöde Schlampe so richtig zum Kotzen kam. Ja, ja, das wäre gut, das wäre schön! Eine Stimme in Sheila frohlockte vor Erregung. Sie konzentrierte sich, musste im Hier und Jetzt bleiben - vorläufig. Noch war es nicht so weit. Aber bald. Oh, mein Messerchen, oh du, mein geliebtes Messerchen …

„Gute Idee. Das wollte ich eben auch vorschlagen. Ach, Sandra - wir müssen uns auch noch über deinen Job unterhalten. Ich glaube, ich habe da was Passendes für dich“, meinte Trish, die Eugene einen verliebten Blick schenkte. Im gleichen Augenblick schien sie ihren Vorschlag schon zu bedauern. „Aber Eugene und ich haben nachher noch etwas anderes vor. Wenn ihr wisst, was …“

„Wissen wir“, entgegnete Sheila schnell. „Also dann, viel Spaß und guten Grusel. Man sieht sich …“ Sie zog Sandra von Trish und Eugene weg.

Nur wenige Leute standen vor dem Eingang des Kinos. Obwohl es Freitagabend war, herrschte nur geringer Publikumsverkehr. Auch im Foyer waren nur wenige Kinobesucher zu sehen.

„Das war vorhin nicht nett von dir“, meinte Sandra etwas pikiert, als Sheila ihr kurze Zeit später die Kinokarte reichte. Sie orientierten sich nach rechts. Lunatics on Highway 61 lief in einem der kleineren Kinosäle, offensichtlich war der Film doch nicht der große Erfolg. Sheila grinste innerlich. Vielleicht gab es auch zu viele Menschen mit Herzproblemen … Wäre doch cool, wenn am Ende der Vorstellung lauter Leichen in den Sesseln hängen würden. Sie musste sich eine Notiz machen, nicht, dass sie diese Idee vergaß - das war Stoff für eine der nächsten Kurzgeschichten - oder ein Roman? Man würde sehen. Sie kicherte. Sandra schenkte ihr einen skeptischen Blick. Ich weiß auch nicht, Sheila wird immer seltsamer. Es wird wirklich Zeit, dass ich ausziehe. Langsam wird sie mir unheimlich. Ein ungefähr achtzehnjähriger Hispano kontrollierte die Karten. Er lächelte Sandra zu, doch als er Sheila erblickte, entglitten ihm förmlich die Gesichtszüge. Fette Tonne, konnte Sheila ihn fast denken hören. Ach, Bubi, dir würde ich auch gerne mit dem Messer helfen. Hier ein feiner Schnitt, da noch einer. Vielleicht klappt´s dann mit der Höflichkeit … Was soll´s? Sie würde heute Abend schon noch auf ihre Kosten kommen. Obwohl - Trish und Eugene saßen in der letzten Reihe … Sheila grollte innerlich. Verdammt, vielleicht würde es heute Abend doch nichts damit werden, Sandra ins Jenseits zu befördern.

Nein, nein, nein - du musst sie loswerden, verdammt! Sheilas Blick ging für einen Moment ins Leere. Sie musste an die Augen des hageren Mannes denken, den Trish im Schlepptau hatte: Eugene, Schätzchen …

„Hast du gehört?“, setzte Sandra nach. „Musst du denn immer so garstig sein? Trishs Werbeagentur läuft wie geschmiert. Ich will es mir mit ihr nicht verderben. Du hast es doch mitbekommen! Bei Trish ist ein Job für mich drin. Dann wäre ich wenigstens nicht mehr ständig pleite. Du hältst mich ja an der kurzen Leine …“

„Sicher, ein gut bezahlter Job wäre was Feines für dich, Herzchen …“, entgegnete Sheila lächelnd. Sie war hier, sie war jetzt, sie war klar. Die Stimmen waren verstummt. Sie strich Sandra sanft über die Wange. Aber nicht mehr in diesem Leben …

Tödliche Geschwister

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