Читать книгу Tödliche Geschwister - Jo Caminos - Страница 8

4. Kapitel

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Als Sheila langsam durch die nur spärlich besetzte Reihe zurückging, bemerkte sie sofort, dass etwas nicht stimmte. Zuerst hatte sie sich gefragt, warum sich ihre Erregung so plötzlich gelegt hatte, das war atypisch. Normalerweise hielt sie die Spannung, bis es vorbei war. Sandra saß mit nach vorne geneigtem Kopf in ihrem Sitz, doch ihr Körper wirkte irgendwie lasch, fast so, als würden nur noch die Armlehnen verhindern, dass sie zu Boden glitt.

Wie durch Zufall sah Sheila kurz zu Trish und Eugene. Trish schien sie überhaupt nicht wahrzunehmen. Sie saß wie gebannt in ihrem Sessel und sah mit schreckgeweiteten Augen zur Leinwand. Eugene dagegen grinste in Sheilas Richtung. Er wirkte geradewegs so, als wollte er sagen: „Pech gehabt, ich war schneller, Schätzchen!“

Sheila blieb neben Sandra stehen. Selbst im Halbdunkel des Kinosaals war der sauber gesetzte Schnitt zu erkennen, der ihr die Kehle durchtrennt hatte. Das Herz schlug Sheila plötzlich bis zum Hals. Das war Eugene! Er hat Sandra die Kehle durchgeschnitten, während ich auf dem Klo war! So ein Dreckskerl! Ich habe es gewusst! Sie wandte sich etwas zur Seite und blickte erneut zu Trish und Eugene. Er grinste breit und warf Sheila im Halbdunkel einen Kuss zu.

Dieser elende Hundesohn! Hat mich um meinen ganzen Spaß gebracht. Was sollte sie jetzt tun? Schreien? Heulen? Einen Aufstand provozieren? Sie sah erneut zu Eugene, der sich erhoben hatte und offenbar nach draußen gehen wollte. Musste er aufs Klo? Trish saß noch immer mit schreckgeweiteten Augen in ihrem Sitz und schien nichts um sich herum mitzubekommen. Was war da mit ihrer Körperhaltung? Mit einer schnellen Kopfbewegung gab Eugene Sheila Zeichen, ihr zu folgen. Sheila schluckte. Sie griff nach ihrer Handtasche, in der sich das Messer befand, und presste sie sich gegen den üppigen Busen. So ein Schlamassel. Der Kerl hatte ihr den schönen Abend versaut! Was heißt schön?, giftete eine Stimme in ihr. Hätte schön werden können, dumme Nuss! Eugene hatte den Kinosaal mittlerweile verlassen. Sheila zögerte für einen Moment, dann ging ein Ruck durch sie - und sie folgte ihm nach draußen. Außer Eugene hielt sich niemand im Gang auf. Dämmerlicht aus einigen indirekten Lichtquellen erhellte den leicht ansteigenden Korridor. Aus einem der Nachbarsäle war das Gewummere der Lautsprecher bis vor die Tür zu hören. Offensichtlich spielte man dort irgendeinen Action-Streifen.

„Das warst du!“, stieß Sheila hervor, die ganz nahe an Eugene herangetreten war. Diese Augen, diese verdammten Augen, das kannte sie doch …

Eugene nickte begeistert. „Schneller Schnitt, war ganz einfach. Es hat flutsch gemacht, dann hat sie kurz geröchelt - und das war´s dann … Sandra war wirklich eine selten dämliche Kuh. Sie hat mich bei Trish angeschwärzt und gemeint, ich hätte es nur auf Trishs Kohle abgesehen. Sei mir bitte nicht böse, ja?“

Er sah sie an wie ein kleiner Junge. Für einen Moment schien es, dass seine Augen eine noch dunklere Tönung angenommen hatten.

„Ach, und deshalb schneidest du ihr so einfach die Kehle durch?“, zischte Sheila.

„Klar. Und sag jetzt bloß nicht, dass du etwas dagegen einzuwenden hast! Ich erkenne Menschen mit unserem Blick. Ich kann sie förmlich riechen.“

„Wie meinst du das?“ Sheila konnte sich die Antwort denken, trotzdem wollte sie es von ihm hören. Erkennen, erkennen, erkennen!, echoten die Stimmen in ihr.

Eugene grinste breiter. „Du bist wie ich. Wir brauchen den Kick, das meine ich. Oder stimmt das etwa nicht?“

Sheila schluckte. Bisher hatte sie immer gedacht, einzigartig zu sein - einzigartig mit diesem Verlangen, jemanden ins Jenseits befördern zu müssen. War wohl ein Irrtum gewesen …

Okay, sagte sie sich. Spiel mit! Irgendwie spürte sie da tatsächlich eine Art Seelenverwandtschaft. Sie konnte es in Eugenes dunklen Augen sehen. Da war etwas Abgrundtiefes und Unergründliches. Ja, das war es. Die Tiefenessenz des Seins. Das Raubtier in ihr, das hin und wieder freigesetzt werden musste. Sie hatte es zum ersten Mal in sich verspürt, als sie ihre Mutter ins Jenseits befördert hatte. Ach ja, da war ja noch Jason von der Highschool. Obwohl - bei ihm war es ja fast ein Versehen gewesen. Er hatte fummeln wollen - sie nicht. Er hatte nicht hören wollen - und was konnte sie dafür, dass ihr dann die Hand mit dem Messer ausgerutscht war? Selber Schuld, dieser Schwachkopf.

Für Momente sahen Eugene und sie sich tief in die Augen. Dann zeigte Eugene auf ihre Handtasche. „Hast du das Messer da drin - oder etwa im Vorführraum gelassen?“

Sheila schenkte ihm einen nachdenklichen Blick. „Für wie blöd hältst du mich? Natürlich in der Handtasche.“

„Gut. Dann wird es Zeit, dass wir hier verschwinden. Trish habe ich als Erste abgefertigt. Die blöde Kuh hat überhaupt nichts mitgekommen. Oh, ist dieser Goldstein süß! Eugene, Schätzchen, komm küss mich, schnell. Küss mich!, waren ihre letzten Worte. Ratz, das erste schnelle Schnittchen - und dann war Ruhe.“

„Du hast Trish auch …?“ Sheila riss die Augen auf. Langsam wurde sie sauer. Der Kerl wollte wirklich den ganzen Spaß für sich alleine haben. Wenn er ihr schon Sandra vor der Nase weggeschnappt hatte, hätte er ihr doch zumindest Trish überlassen können. Mein Gott, wie gerne hätte sie Trish mit dem Messer bearbeitet, dieses blöde Marketing-Weib. Ein köstliches Schnittchen nach dem Nächsten. Ach, was hätte sie geschrien, die blöde Trish …

„Was dachtest du denn? Dass ich auf diese dumme Nuss stehe? Herzchen, Trish wurde langsam zu einem Problem. Sie wollte mir kein Geld mehr geben. Hat einige Schecks von mir platzen lassen. So etwas mag ich nicht. Sandra und Trish haben nur das bekommen, was sie verdient haben. Also, was ist? Machen wir den Abgang …?“

„Hat sie gequiekt?“, fragte Sheila mit großen Augen. Sie konnte noch immer nicht glauben, dass sie leer ausgegangen war. Was ärgerte sie sich, dass er ihr nicht auf nur ein Stückchen des Spaßes übrig gelassen hatte. In letzter Zeit lief in ihrem Leben wirklich alles aus dem Ruder. Alles ging schief.

„Wer? Sandra oder Trish?“

„Na beide.“

„Nö.“

„Nicht ein bisschen?“

„Nö.“

„Schade …“

„Was willst du machen? Es musste schnell gehen. Waren ja zu viele Zeugen da!“

Sheila war es, als erwache sie aus einer Art Trance. Was war hier los? Ach ja, die beiden dummen Tussis hingen mit durchschnittener Kehle in ihren Sitzen.

„Wir sollten jetzt gehen“, meinte Eugene. „Oder willst du warten, bis da drinnen das Gekreische losgeht? Wenn die mitbekommen, dass da zwei ausgeblutete Leichen in den Sitzen hängen, ist hier die Hölle los!“ Er grinste.

„Würde ich schon gerne miterleben“, meinte Sheila. „Verdammt, ich hatte nicht viel Spaß in letzter Zeit, du Arschloch! Hättest mir ja zumindest Trish übrig lassen können. Das Miststück hätte ich zu gerne in Scheiben geschnitten. Also drängel jetzt nicht! Warten wir noch ein paar Minuten …“

„Dich macht so was scharf, was?“

„Mach mich bloß nicht an, ich stehe nicht auf Jungs!“

„Weiß ich doch längst. Aber so meinte ich das auch nicht - und das weißt du ganz genau. Wir beide kommen uns bestimmt nicht in die Quere.“

„Arschloch. Und was machen wir nach dem Gekreische? Abhauen?“

Eugene nickte. „Wäre nicht verkehrt. Bin sowieso schon viel zu lange in der Stadt. Wird langsam langweilig. Wie wär´s, wenn wir uns zusammen absetzen? Ich denke, wir beide ergänzen uns gut. Gehen wir doch ein bisschen wildern - dort draußen. Die Welt ist voller Beute.“

Das hast du schön gesagt!, meldete sich eine allzu bekannte Stimme in Eugene. Das war Black. Da waren auch noch Cynthia und Finch, aber die beiden schwiegen zur Zeit. Früher gab es auch noch Murdoch, aber der hatte schon lange nichts mehr von sich hören lassen. Cynthia mochte Sheila nicht, das wusste Eugene. Cynthia sollte die Klappe halten. Sie war eh viel zu weinerlich, diese depressive Tante.

Sheila überlegte. Geld war nicht das Problem. Sie hatte mehr als genug davon. Und Schreiben konnte sie überall. Ihre Horrorgeschichten verkauften sich gut, na ja, zumindest hin und wieder - dabei fand sie selbst, dass die Geschichten ziemlich ausgelutscht waren. Immer dasselbe: Vampire, Dämonen, Bekloppte, noch mehr Bekloppte und so weiter … Na ja, es gab ja auch noch ihre Hardcore-Edition, und die hatte es in sich, oh ja …

„Und wo sollen wir hin?“, fragte sie schließlich.

„Vegas. Dann sehen wir weiter. Vorher machen wir noch einen Zwischenstopp in Barstow. Ich habe dort ein Apartment. Viel mitzunehmen habe ich nicht, nur einen Koffer mit Klamotten. Und wir sollten uns die Frühnachrichten ansehen. Ich mag keine Überraschungen. Ich nehme zwar nicht an, dass die Cops uns bis dahin schon auf der Spur sind, aber man weiß ja nie …“

Sheila erwiderte nichts. Sie musste an das vergangene halbe Jahr denken. Langweile pur. Mit Sandra war nichts mehr anzufangen gewesen. Und rangelassen hatte sie sie auch nicht. Nein, Eugene hatte vollkommen recht. Sie wollte hier weg. Diese Stadt widerte sie nur noch an. Alles war anders gekommen, als sie gedacht hatte. Verflucht, warum musste Eugene aber auf noch Trish über die Klinge springen lassen …? Weil ihm danach war, beantwortete sie sich selbst die Frage. Wir sind uns unglaublich ähnlich …

Sheila tauchte aus ihren Gedanken auf und sah Eugene tief in die Augen. „Okay. Hast du einen Wagen?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, Trish, die Geizkröte hat sich quer gestellt. Sie wollte mir keinen Wagen kaufen. Aber du hast doch diese tolle neue Kiste. Dein SUV, war bestimmt nicht billig. Verdienst du eigentlich viel mit dem Schreiben? Oder wie kannst du dir so eine Karre leisten?“

Teste sie!, drängte Black in seinem Inneren. Eugene schüttelte irritiert den Kopf. Black wurde immer stärker in letzter Zeit. Wie damals … Wann war das? Was war damals passiert?

„Kann davon leben“, erwiderte sie einsilbig. Nicht, dass der Kerl noch auf dumme Gedanken kam. Aber sie würde sich schon zu wehren wissen - das hatte sie immer gekonnt.

Ein Aufschrei aus dem Vorführraum, wo Lunatics on Highway 61 lief, war bis ins Foyer zu hören.

„Sie haben es mitbekommen!“ Eugene schnalzte mit der Zunge. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Ich liebe so was …“

Ein brüllendes Lachen echote in seinem Innern: Black. Cynthia heulte depressiv. Finch schien verstimmt.

Immer mehr Schreie erklangen. Eine Frau kreischte hysterisch. Jemand rief: „Polizei! Ruft doch die Polizei! Und eine Ambulanz. Schnell! Oh Gott, das ganze Blut …“

„Wir müssten eigentlich Tantiemen verlangen.“ Eugene schüttelte sinnierend den Kopf. „Ist doch die beste Werbung, die ein Kino bekommen kann. Wir sollten diesen idiotischen Goldstein anrufen - der müsste uns an seinen Einnahmen beteiligen.“

Sheila erwiderte nichts, doch sie konnte ihm auch nicht widersprechen. „Lass uns abhauen. Wir fahren noch kurz bei mir zu Hause vorbei. Viel zu packen habe ich nicht, aber ich möchte auch nichts zurücklassen.“

„Gut. Machen wir, dass wir hier wegkommen!“ Eugene wollte ihr den Arm um die Schulter legen, doch das ging ihr einen Schritt zu weit.

„Wir können gerne zusammen irgendwelche Idioten über die Klinge springen lassen, aber mach das nicht! Leg mir niemals den Arm um die Schulter, ja? Ich ertrage so was nicht …“

„Kein Problem“, erwiderte Eugene. „Gar kein Problem. Gehen wir …“

Sei vorsichtig mit Sheila, sie ist fast so gefährlich wie du. Wenn nicht noch gefährlicher, meinte Black. Erneut lachte er gellend auf …

Tödliche Geschwister

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