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Kapitel 1

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Stellen Sie sich zwei geistig behinderte Männer vor. Beide sind circa sechzig Jahre alt, ein bisschen schwerfällig auf den Beinen, aber gut genährt. Bei Herrn Blumentritt erkennt man leicht den Gendefekt Trisomie 21 – das Down-Syndrom. Herr Urban hat eine frühkindliche Hirnschädigung unklarer Genese.

Die beiden stapfen durch die mongolische Steppe, etwa 90 Kilometer südlich von Ulaanbaatar, beschimpfen sich und lachen dabei. Der eine trägt einen Aluminiumkoffer mit 1,5 Millionen Euro, der andere einen ähnlichen Koffer mit brisantem Material.

Das ist absurd, denken Sie.

Ist es!

Erstens haben zwei alte Männer mit derartigen Behinderungen nichts in einer einsamen Steppe zu suchen, und zweitens würden sie wohl niemals freiwillig dorthin reisen.

Richtig!

Wären sie auch nicht, gäbe es da nicht den Blinden. Oder besser gesagt: den Geblendeten. Das ist Benjamin Krause, ihr einstiger Betreuer.

Die Augen von Krause sind hinter einem blutverschmierten Lappen verborgen und sein Interesse gilt eigentlich beidem – dem Koffer mit dem Geld und dem Koffer mit dem brisanten Material.

Im Moment allerdings schlägt er der Länge nach im groben Sand hin, rappelt sich wieder hoch und ruft: „Herr Urban…? Herr Blumentritt…?“

Er ist ebenso hilflos, wie sich beispielsweise Herr Blumentritt oder Herr Urban fühlen, wenn sie einen Supermarkt betreten. Streng genommen sollte er schleunigst die beiden Aluminiumkoffer vergessen und sich lieber an die Hand nehmen lassen.

Hinter den Dreien läuft der kastrierte Kamelbulle Tuya-Khan her – was so viel heißt wie: Strahlender Fürst. Tuya-Khan macht ab und an Töne, die Kamele von sich geben, wenn sie mit etwas unzufrieden sind. Dabei ist Tuya-Khan ein ziemlich kluger und sanfter Kamelbulle, der an die Nähe von Menschen gewöhnt ist, Futter und Befehle von ihnen erwartet. Vielleicht brüllt er deshalb so unzufrieden, weil beides auf sich warten lässt. Möglicherweise ist es sogar ein wohlwollendes Brüllen, denn beides klingt ganz ähnlich.

Nein, das ist kein Werbespot der Aktion Mensch. Das ist die Realität. Keine schöne. Aber so ist es nun einmal. Wenn man das Ganze als ein Foto betrachten würde, besäße dieses durchaus seinen eigenen Reiz, wäre da nicht diese vermaledeite Situation, bei der es schlicht ums nackte Überleben geht!

Doch dazu später...


Wotans Schatten oder Herr Urban und Herr Blumentritt beschimpfen sich

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