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Kapitel 7

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Benjamin Krause hatte trotz anfänglichen Zögerns doch die Polizei gerufen und den Einbruch in seiner Wohnung zur Anzeige gebracht.

Nachdem Krüger die Beamten nach einigem Hin und Her davon überzeugt hatte, seine Wohnung in Augenschein zu nehmen, folgte eine ärgerliche Prozedur. Ein latexbehandschuhter Assistent fotografierte hier, pinselte dort ein wenig herum und rümpfte gelegentlich die Nase. Der untersuchende Kommissar stellte Fragen, betrachtete alle Zimmer, fingerte an einer Schublade herum, betastete die Fenster in Küche und Wohnzimmer, stellte abermals Fragen und machte sich Notizen. Zwischendurch wurde der eine oder andere Witz gerissen und diese oder jene Bemerkung über seine Wohnung gemacht. Ansonsten wirkten alle maßlos gelangweilt. Nach zwei Stunden war der Spuk vorüber. Zum Schluss erklärte der Kommissar, dass Krause sich am nächsten Tag noch einmal auf der Polizeidienstelle in Zittau einfinden müsste, um die Anzeige zu Protokoll zu geben und fügte dann achselzuckend hinzu, dass er persönlich nicht davon ausginge, dass die Täter jemals gefasst werden würden.

Als Benjamin Krause die Tür hinter den Beamten geschlossen hatte, verfluchte er sich dafür, niemals eine Hausratsversicherung abgeschlossen zu haben.

„Ich brauche Geld!“, sagte er verzweifelt zu der Stelle, wo gestern noch sein Fernseher gestanden hatte. Kraft dieser unumstößlichen Einsicht und einer plötzlichen Eingebung folgend, griff er in seine Hosentasche und zog sein Handy hervor. Er scrollte eine Weile im Adressbuch des Handys und fand schließlich die Nummer, nach der er gesucht hatte.

Wenn du mal Geld brauchst, hatte ihm vor nicht allzu langer Zeit ein Bekannter seines Freundes Bernd geraten, dann wähle diese Nummer. Leichter Job, gut bezahlt. Damals hatte Krause lachend die Telefonnummer in sein Handy getippt, jetzt hätte er den Bekannten von Bernd, dessen Namen er vergessen hatte, knutschen können.

Benjamin starrte die Zahlen an, die seine Probleme lösen sollten, holte mehrmals tief Luft und drückte die Wähltaste. Nach dem ersten Läuten sprang eine Mailbox an.

Herzlich willkommen bei O2, Sie sind mit der Mailbox der Nummer… Benjamin legte auf.

Verdammt, dachte er. Bullshit.

Dann torkelte er durch sein geplündertes Wohnzimmer mit nun kleinen verstreuten Talkumflecken und ging wieder und wieder die Sätze durch, die er auf der fremden Mailbox hinterlassen wollte. Er verwarf die Idee, kratzte sich am Kopf und wälzte im nächsten Moment jeden möglichen Satz abermals in seinem Gehirn hin und her.

Sein Handy vibrierte. Die Nummer des Anrufers war unterdrückt.

„Ja? Hier ist Benjamin Krause.“

„Sie haben mich gerade versucht anzurufen. Haben Sie Interesse?“

„Ich? Wofür? Äh, ich meine natürlich. Ja.“

„Gut.“

Dann nannte der Anrufer Tag, Zeit, Ort und Honorar. „Haben Sie alles verstanden?“

Statt einer Antwort brachte Benjamin nur ein Glucksen zustande.

„Hallo! Haben Sie alles verstanden?

„Natürlich.“

Der unbekannte Anrufer legte auf, und Benjamin jubelte. Fünftausend Euro, wiederholte er immer wieder, als hielte er das Geld bereits in Händen. Fünftausend Euro. Das ist ja Wahnsinn. Das ist großartig! Und dann ging er sofort all die Dinge in Gedanken durch, die er sich von dem Geld kaufen würde.

Nichts davon sollte er jemals in seinen Händen halten. Aber von dieser Erkenntnis war Benjamin Krause natürlich weit entfernt. Stattdessen begutachtete er den Zettel mit den Notizen vor ihm.

25. Juni, 16.00 Uhr, Milmersdorf in Brandenburg, Ortseingangsschild. Das war in drei Tagen.

Corinna und ihr absurder Dienstplan wurden ebenso aus seinem geistigen Terminplaner gestrichen, wie der geplante Ausflug mit seinem Freund Bernd nach Zgorzelec, der Schwesternstadt von Görlitz am anderen Ufer der Neiße.

Die Probeaufnahmen, die er und sein Freund Bernd einem sehr speziellen Publikum präsentieren wollten, waren, Gott sei Dank, nicht gestohlen worden. Erst als Benjamin die DVD gefunden und an sich genommen hatte, hatte er den Einbruch bei der Polizei angezeigt.

Aber dieses Projekt musste jetzt warten.

Fünftausend Euro, dachte er noch einmal. Wow, wie leicht es doch manchmal war, in dieser verkackten Welt die schnelle Kohle zu machen, vorausgesetzt man kannte die richtigen Leute. Wenn er das Ganze dreimal durchzog, war seine Wohnung danach sozusagen komplett neu eingerichtet und mehr.

Viel früher hätte ich das machen sollen, überlegte Benjamin auf dem Weg in die Küche, wo er sich ein Glas Apfelschorle mixen wollte. Benjamin Krause prüfte vor dem Kühlschrank in Gedanken die ein, zwei moralischen Bedenken, die ihn bislang von jener Tour abgehalten hatten, und der eine Gedanke boxte den anderen erfolgreich nieder. Dann goss er in den Apfelsaft ein wenig Mineralwasser von Evian und nahm einen kräftigen Schluck.

Benjamin fühlte sich gut. Gut und frei. Das Einzige was ihm noch fehlte, war ein Krankenschein, um seinen Auftrag erledigen zu können. Sein Hausarzt, Doktor Garschke, hatte heute noch zwei Stunden Sprechzeit, wie ihm ein schneller Blick auf die Visitenkarte an der Pinnwand neben dem Kühlschrank verriet. Keine Gastritis, entschied Benjamin Krause, als er die Möglichkeiten einer längerfristigen Krankschreibung erwog.

Ich bin traumatisiert, dachte er. Das ist es. Ich bin traumatisiert wegen des Einbruchs. Ein Schock. Natürlich. Schlafstörung und ein permanentes Ziehen in der Magengegend. Plötzliches Herzrasen. Jawohl.

Vier Wochen müssten reichen. Vorerst. Und danach wäre er ausreichend gerüstet, endlich das Herz von Anja zu erobern. Die Fusion mit Thomas würde sie schnell vergessen. Er hatte viel mehr zu bieten. Und wenn sich die Sache mit den Probeaufnahmen auch noch zu Geld machen ließe, könnte er bald seinen Job in der Behinderteneinrichtung aufgeben. Er würde das Büro von Jungmann betreten, und ihm genussvoll die Kündigung vor die Füße werfen. Was für eine Genugtuung.

Benjamin blickte aus dem Küchenfenster, das Glas Apfelschorle in der Hand. Von seiner Wohnung aus hatte er einen unverstellten Blick auf die bewaldeten Hügel des Zittauer Gebirges. So sollte es werden. Mit Anja an seiner Seite würden er etwas schaffen, was Neidern wie Jungmann oder Corinna den Sabber tropfen ließen. Schön würde es werden, in Benjamin Krauses Wunschwelt, wunderbar.

Nichts dergleichen würde geschehen. Längst bewegte er sich in Richtung mongolischer Steppe. Und mit ihm, obwohl sie vollkommen anderes im Sinn hatten, Herr Urban und Herr Blumentritt.

Wotans Schatten oder Herr Urban und Herr Blumentritt beschimpfen sich

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