Читать книгу Planet Mars sehen und sterben - 3 Romane Großband - Jo Zybell - Страница 15
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Оглавление»… wurde in dem Kometenkrater kurzzeitig erhebliche Radioaktivität gemessen, vor allem Neutronen- und Gammastrahlung.« Maya Joy Tsuyoshi beschränkte sich auf das Wesentliche. Die Mitglieder des Rates hingen an ihren Lippen oder betrachteten ungläubig die Aufnahmen im 3-D-Feld. »Schätzungsweise sind einige hundert Nuklearbomben auf der Erde detoniert.« Ein Raunen ging durch die Runde.
»Der dadurch freigesetzte Elektromagnetische Impuls war ungewöhnlich stark und ließ sämtliches technische Gerät auf der Erde, das auf elektronischer Basis funktionierte, ausfallen.«
Maya wies auf die Diagramme und Tabellen im Hologramm.
»Unsere Messungen bestätigten auch diesen Teil von Commander Lennox‘ Aussagen.« Das 3-D-Feld flimmerte in der Mitte der Tafelrunde. »Auch seine Behauptung, dass der EMP weiterhin ausgestrahlt würde, hat sich als richtig, wenngleich physikalisch völlig unmöglich erwiesen. Dass außerirdische Intelligenzen die Bomben gezündet hätten, ließ sich natürlich nicht belegen. Ausgeschlossen, die PHOBOS auf der Erde zu landen. Vom EMP einmal abgesehen – dort unten hätte uns ein Inferno erwartet.«
Die Darstellung im 3-D-Feld wechselte. »Hier sind einige Aufnahmen, die wir beim Vorbeiflug an der Erde machen konnten«, fuhr Maya Joy fort. »Beachten Sie bitte die vielen Rauchpilze und Brandherde auf der Oberfläche. Wir müssen leider von einer großen Anzahl Erdbeben und Vulkanausbrüchen in Folge der Nuklearexplosionen ausgehen. Eine vollständige Bilddokumentation finden Sie in der Dateiversion meines Berichts.«
Im Bildkubus sah man jetzt schwarze Rauchschwaden zwischen Wolkenfetzen, Rauchpilze über Meeren und Kontinenten, und zahllose ausgedehnte Brandherde. Die Räte schüttelten die Köpfe, schlugen die Hände vors Gesicht oder wurden einfach nur blass. Carter Loy Tsuyoshi, der Berater der Ratspräsidentin, beugte sich zu ihr hinüber und flüsterte ihr ins Ohr, während seine Schielaugen nicht von Maya lassen wollten.
»Dieser Teil seiner Geschichte entspricht also den objektiv erhobenen Befunden, verehrte Damen und Herren Räte«, fuhr Maya fort. »Gestatten Sie mir die Frage in den Raum zu stellen, ob unter diesen Voraussetzungen nicht auch den anderen Darstellungen des Erdmannes eine gewisse Wahrhaftigkeit zukommen könnte.« Die Kommandantin der PHOBOS formulierte bewusst vorsichtig, dennoch beobachtete sie einige Sitzungsteilnehmer, die unruhig in ihren Sesseln hin und her rutschten. »Nach meinem persönlichen Eindruck ist Commander Lennox ein durchaus vertrauenswürdiger, wenn nicht gar ernst zu nehmender Mann.«
Wieder kam eine gewisse Unruhe auf. Die Ratspräsidentin schlug sogar mit der flachen Hand auf den Konferenztisch.
»Beherrschen Sie sich, Dame Maya Joy! Ihre Aufgabe ist es Fakten zu berichten, und nicht Fakten zu interpretieren!«
»Das sehe ich anders.« Nicht einen Wimpernschlag lang wich Maya dem Blick ihrer Cousine aus. »Möglicherweise sind Sie mit den Herausforderungen und Risiken einer interplanetaren Expedition nicht genügend vertraut, Dame Ratspräsidentin.«
Scharf und eiskalt setzte sie Wort für Wort. Das half, die Wut im Bauch zu bändigen. »Ein solches Kommando erfordert es, unablässig Entscheidungen zu treffen, Entscheidungen, die Tod oder Leben bedeuten können. Grundlage solcher Entscheidungsfähigkeit wiederum ist die Fähigkeit, Fakten so scharf wie möglich analysieren und so realistisch wie möglich interpretieren zu können.«
Zustimmendes Nicken und Tuscheln von allen Seiten.
Cansu Alison Tsuyoshi aber ballte die Fäuste. Ihre Lippen schwiegen, ihre Augen sagten: Widersprich mir nicht. Zum tausendsten Mal fragte sich Maya Joy, wo die Wurzeln der Abneigung zwischen ihr und ihrer jüngeren Cousine liegen mochten. Vielleicht in der bloßen Möglichkeit, sie hätte die Nachfolge ihrer Mutter im Amt der Präsidentin angetreten, wenn das All nicht mit solch unwiderstehlicher Kraft nach ihr gerufen hätte.
»Und wo war diese Ihre angebliche Fähigkeit, als Sie zustimmten, die Daten des fremden Speicherkristalls auf den Primärrechner zu laden?« Die Ratspräsidentin hatte ihre Sprache wiedergefunden. »Diese Entscheidung hat drei Besatzungsmitglieder das Leben gekostet.« Aus schmalen Augen belauerte Cansu Alison Tsuyoshi die Kommandantin.
»Ein schwerwiegender Fehler, verehrte Ratsmitglieder.«
Maya Joy wandte sich ans Plenum, und sie tat gut daran. »Die Entscheidung war falsch, ohne Zweifel. Mir lagen einfach nicht genügend Informationen vor, um ihre Tragweite einschätzen zu können. Aber nur wer keine Entscheidungen trifft, vermeidet Fehler.« Jetzt erst sah sie Cansu Alison wieder ins Gesicht.
»Und macht zugleich den größten Fehler.« Einige Räte nickten zustimmend.
»Gut gebrüllt, Löwin!«, raunte Fedor Lux ihr von rechts zu.
Der Berater und Städtebauer hatte nicht nur irdische Architektur, sondern auch alte Sprachen und irdische Zoologie studiert. Wobei sämtliche verfügbaren Lernstoffe aus den Lexika und Datenbanken der BRADBURY und den Erkenntnissen der Mondbesatzung stammten.
»Wohl wahr«, sagte die alt gewordene Merú Viveca Sandoval so laut, dass auch die Präsidentin es hören konnte.
Sie trug einen anthrazitfarbenen Anzug und einen kleinen roten Hut mit einer schwarzen Feder daran. Obwohl ihre Gattin nun schon einige Jahre tot war, trauerte sie noch immer um sie.
»Bedenken Sie bitte, wo wir den Speicherkristall fanden, verehrte Damen und Herren Räte.« Zum ersten Mal ergriff Leto Damarr das Wort. »Im persönlichen Besitz einer Urahnin des Hauses Tsuyoshi! Wir mussten davon ausgehen, dass er unschätzbare Daten enthält. Und im Grunde genommen tat er das ja auch – oder ist das Jahrhunderte alte Bewusstsein eines Tsuyoshis etwa kein Wert an sich? Es waren Missverständnisse, die zur Katastrophe führten. Missverständnisse und ein Mordversuch …«
»Auch das ist leider wahr«, bestätigte Maya Joy in das aufkommende Getuschel hinein. »Wäre Naoki Tsuyoshi nicht gestorben, hätte das Bewusstsein ihres Sohnes, Kaio Tsuyoshi, gewiss mit uns zusammengearbeitet.« In diesem Punkt war sie keineswegs sicher, doch jetzt ging es darum, sich mit guten Argumenten zu verteidigen. »So aber wollte er den Tod seiner Mutter rächen. Ohne Commander Lennox‘ Hilfe übrigens wäre es uns nicht gelungen, den Wahnsinnigen abzuschalten. Ohne ihn wäre die PHOBOS samt ihrer gesamten Besatzung verloren gegangen.«
Geraune und Stimmengewirr gerieten außer Rand und Band.
Erregung machte sich breit, einige Räte und Berater begannen heftig miteinander zu diskutieren. Die Präsidentin erhob ihre Stimme. »Unbestritten bleibt: In dieser Sache haben Sie versagt, Dame Maya Joy Tsuyoshi!« Cansu Alison wurde so laut, dass sofort wieder Ruhe einkehrte. »Und ich fürchte leider, Ihre Einschätzung des Erdmannes könnte erneut zu einer Katastrophe führen! Wir werden unser eigenes Urteil fällen, sobald wir den Halbbarbaren vernommen haben!«
Maya presste die Lippen zusammen. Vorbei. Das Schicksal des Commanders aus der Vergangenheit war so gut wie besiegelt. In der Miene ihrer jüngeren Cousine las sie es.
Neben ihr sprach der zierliche Fedor Lux leise in seinen Armbandrechner. »Ich für meinen Teil bin am Ende meines Berichts«, sagte die Kommandantin der PHOBOS. »Sollten Sie noch Fragen haben – Herr Damarr, Herr Sandoval und ich stehen Ihnen zur Verfügung.« Sie lehnte sich in ihren Sessel zurück. Das 3-D-Feld im Zentrum der Tafelrunde erlosch.
Nach einigen Sekunden des Schweigens eröffnete Ettondo Lupos de Villa den Fragereigen. Er interessierte sich in erster Linie für das Shuttle, mit dem der Erdmann und die Tsuyoshi-Urahnin von der Erde zur Raumstation und von dort zum Mond gelangt waren. Leto Damarr beschrieb die Queen Victoria mit knappen Sätzen und verwies auf den zu erwartenden Bericht von den Laboratorien der Phoboswerft.
Die alte Dame des Rates, Merú Viveca Sandoval, erkundigte sich nach den Umständen, unter denen das Bewusstsein Kaio Tsuyoshis auf einem Datenkristall gespeichert werden konnte. Maya Joy erklärte es, so gut sie konnte. Im Wesentlichen gab sie wieder, was sie von Timothy Lennox gehört hatte. Auch dass das Kaio-Wissen bereits zwei Erdjahre alt war.
Ettondo Lupos‘ Beraterin, eine Albina namens Isbell Antara de Villa, wollte mehr über die tote Tsuyoshi wissen. Der Bordarzt Palun Sandoval stand ihr Rede und Antwort. Er hatte Naoki untersucht und konnte einige Details ihres durch Implantate funktionsfähig gehaltenen Körpers beschreiben und erläutern.
Das nun war den Vertretern des Hauses Paxton Anlass genug, endlich gegen die Festnahme von Meta Khalem Paxton zu protestieren. »Bis jetzt habe ich Vermutungen, Behauptungen und Gerüchte gehört!«, rief Meta Khalems Nachfolgerin, die Neurätin Kyra Jolana Paxton ins Plenum. »Wo aber bleiben die Beweise? Im Namen des Hauses de Villa fordere ich hieb- und stichfeste Beweise!«
Auch ihr Berater, ihr Sohn Hendrix Peter Paxton, hatte keinerlei Hemmungen, sich lautstark zu Wort zu melden, dabei saß er zum ersten Mal am Kabinettstisch. Ein Cyborg, der zu über fünfzig Prozent aus elektronischen Relais und Prothesen bestehe, sei eben zu über fünfzig Prozent kein wirklicher Mensch, und seine Neutralisierung – genauso drückte er sich aus: »Neutralisierung« – sei folglich auch kein Mord im Sinne der auf dem Mars gültigen Gesetze. Außerdem habe noch kein Jurist geklärt, inwieweit die auf dem Mars gültigen Gesetze auf neutralem Territorium in Kraft seien, sprich: in einem Raumschiff. Kurz: Die Ratsdame Meta Khalem sei unverzüglich freizulassen.
Augenblicklich brach ein Sturm der Entrüstung los. Vor allem die Ratsmitglieder aus den Häusern de Villa und Damarr stimmten der Argumentation von Hendrix Peter Paxton und seiner Mutter zu. Maya hatte den Eindruck, dass es deren Fantasie überforderte, sich eine Ratsdame als Mörderin vorzustellen. Die Präsidentin, ihr Berater und die Vertreterinnen des Hauses Sandoval verteidigten die Verhaftung vehement.
So ging es eine Zeitlang hin und her. Bis die Ratspräsidentin erneut ein Machtwort sprach: »Dieser Punkt ist zu heikel, um in einem Streitgespräch wie diesem geklärt zu werden«, sagte sie. »Wir vertagen ihn also auf eine spätere Sitzung. Zu ihr werden wir Vertreter des hohen Gerichts einladen und gemeinsam mit ihnen die vorliegenden Beweise begutachten und die Beklagte sowie die Zeugen anhören.« Niemand widersprach.
»Zwei Punkte sind jetzt zu klären.« Cansu Alison Tsuyoshis schielender Berater ergriff das Wort. »Erstens: Was geschieht mit dem infizierten Bordrechner der PHOBOS, und wie will der Rat mit dem Datenträger verfahren, auf dem das Bewusstsein jenes Tsuyoshi gespeichert ist?«
Carter Loy war relativ kräftig gebaut und hatte überdurchschnittlich dunkle Haut mit unglaublich vielen Pigmentstreifen. Das lag wohl daran, dass er jede freie Minute in Wäldern und Bergen verbrachte. Er war Extrembergsteiger und Marsmeister im Rundlauf um den Elysium Mons.
»Und zweitens: Was geschieht mit dem Mann von der Erde? Dies scheint mir im Moment die brennendste Frage zu sein.«
Carter Loy Tsuyoshi sah erst in die Runde, dann nach links zur Präsidentin. Hartnäckigen Gerüchten zufolge diente er ihr nicht nur als Berater, sondern auch als Geliebter.
»Wir werden diesen Erdmann noch heute in unserer Abendsitzung vernehmen.« Auch die Präsidentin musterte jetzt der Reihe nach die Räte und Berater. »Darauf sollten wir uns jetzt vorbereiten.« Als ihr Blick sich mit dem Maya Joys traf, zögerte sie einen Moment. Maya glaubte zu wissen, was hinter der energischen Stirn ihrer Cousine vorging: Sie suchte nach Argumenten, um ihr die weitere Teilnahme an der Konferenz zu verwehren. Doch mit ihr hätte sie auch Leto und Palun aus dem Kabinettsraum schicken müssen. Und sie brauchte alle drei; als Erdmann-Experten gewissermaßen.
Die Präsidentin lehnte sich also zurück und ließ ihren Blick wieder über die Gesichter der anderen schweifen. »Ich will, dass wir uns möglichst konkrete Vorstellungen darüber bilden, welche Behandlung wir ihm nach dem Verhör angedeihen lassen. Denn langwierige Diskussionen können wir uns dann nicht mehr leisten.«
Maya lief es eiskalt den Rücken hinunter.
Fedor Lux beugte sich zu ihr. »Ich habe ihnen eine dringende Nachricht auf den PAC geschickt«, flüsterte er.
»Ich persönlich halte diesen Erdburschen für eine große Gefahr.« Cansu Alison Tsuyoshi war noch nicht zu Ende.
Eindringlich, fast beschwörend klang ihre Stimme jetzt. »Ich hoffe sehr, niemandem in dieser Runde ist es entgangen, welche verhängnisvolle Kettenreaktion des Chaos und der Gewalt allein seine Anwesenheit an Bord der PHOBOS in Gang gesetzt hat.«