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St. Peter-Ording, Montag, 2. August 2010.

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Wenn ich aus meinem Fenster blicke, in die gewaltige Weite aus Wolken und Meer, in der der Horizont heute nur als schmale hellgraue Linie auszumachen ist, dann gefällt es mir zu sagen: „Am Beginn dieser Geschichte stand der Regen.“ Diese unzähmbare, immer wiederkehrende Kraftmeierei der Natur.

Hatte es nicht auch geregnet, als Sie mich - wie soll ich sagen? - gefunden haben oder …aufgegriffen? Oder haben Sie mich sogar gerettet? Ich erinnere mich daran, dass ihr Gesicht ganz feucht war, als sie es so nah vor meins geschoben haben. Als wären Sie, wie ich, über Nacht draußen gewesen und Tau hätte sich auf Ihre Wangen gelegt. Oder wie beim ersten Gang in die Sauna - überall diese kleinen Tröpfchen. Und dazu diese überdeutliche Stimme - als sei ich vielleicht schwerhörig oder weggetreten. Oder bescheuert. „KÖN-NEN SIE MICH HÖ-REN?“ Ich habe zwar nicht reagiert, ich weiß, aber hätten Sie mir nur etwas genauer in die Augen gesehen, dann wäre Ihnen vermutlich aufgefallen, dass ich Sie sehr wohl wahrgenommen habe.

Dass ich auch dann noch keinen Ton von mir gegeben oder mich bewegt habe, als die Sanitäter mich auf diese Trage gehoben haben, liegt einzig daran, dass ich das nicht wollte. Ich war beschäftigt. Ich habe nachgedacht. Ich musste Ordnung schaffen in meinem Kopf. Und als Sie kamen, war ich noch nicht fertig.

Wenn ich Ihre Fragen so lese, könnte dieser Bericht auch sehr kurz werden. „Schildern Sie die Vorkommnisse aus Ihrer Sicht“ steht hier. „Was haben Sie gefühlt? Woran haben Sie gedacht?“ Die Vorkommnisse sahen so aus: Ich saß auf dieser Bank auf dem Deich und habe rausgeschaut aufs Meer. Ob ich tatsächlich drei Tage da gehockt habe, halte ich für unwichtig. Und wenn schon? Ist das nicht meine Sache? Was ich gefühlt habe, waren die Kälte in den frühen Morgenstunden, die Sonne am Mittag, der Wind am Abend und einen stetig wachsenden Druck in der Blasengegend. Gedacht habe ich an ziemlich viel gleichzeitig. Aber vor allem: „Liv“.

Verstehen sie mich nicht falsch. Wie ich schon gesagt habe - mir ist klar, dass es auf Außenstehende merkwürdig wirkt, wenn ein Typ mehrere Tage hintereinander auf einer Bank sitzt und nichts tut. Wenn ich ein Buch gelesen hätte - das wäre etwas anderes gewesen. Oder hätte ich die Möwen gefüttert. Wahrscheinlich hätte es schon gereicht, wenn ich eine alte Angelrute ein paar Meter vor mir in den Deich gerammt hätte. Auch wenn gar keine Schnur dran gewesen wäre und das Wasser unerreichbar weit weg - ich wette, ich wäre Ihnen dann nicht aufgefallen. Aber so ohne alles dasitzen und starren. Das ist natürlich nicht normal.

Und auch wenn ich sicher bin, trotz meines Schweigens geistig gesund zu sein, ich denke, ich brauche Ihren Rat. Eine unabhängige Meinung zu all dem. Von einem Experten. Und wenn ich jetzt versuche zu rekonstruieren, womit alles anfing, dann fällt mir die Sache mit dem Regen ein. Das liegt sechzehn Jahre zurück, aber es war wahrscheinlich das erste Mal, dass ich den Regen wirklich beachtet habe. Und mir gefällt die Vorstellung, dass es eine tiefe, ursprüngliche Kraft war, die meinem Leben einen Schubs gab und in Gang setzte, was passieren würde.

Ohne den Regen hätte ich nicht an diesem Wettbewerb teilgenommen, wäre nicht nach St.Peter gefahren, hätte niemals Liv getroffen und den Schwur und seine Folgen hätte es nie gegeben. Aber es hatte nun mal geregnet.

Zwei Sommer

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