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Schwimmen
ОглавлениеDie kommenden Wochen gehörten eindeutig zu den besten meiner gesamten Schulzeit. In Mathe kam ich immer noch nicht mit, in Latein musste ich seit neustem sogar die Förderstunden besuchen und einer der Schul-Rambos hatte Spaß daran gefunden, mir ständig ein Bein zu stellen - aber das spielte alles keine Rolle. Wichtiger war: ich verbrachte regelmäßig Zeit mit Katrin Morgentaler. Sie stieg zwar nur an zwei oder drei Tagen pro Woche in unseren Keller herab, aber das genügte mir. Anfangs sprachen wir nur wenig und ausschließlich über Eulen, aber nach und nach gewöhnten wir uns aneinander. Ich hatte zwar immer noch Mühe nicht ständig auf die Wölbung ihrer Brust zu starren, aber immer öfter hielt ich ihrem Blick beim Sprechen stand. Irgendwann stellte sie mir dann tatsächlich eine Frage, die gar nichts mit Forschung oder Schule zu tun hatte.
„Basti hat erzählt, du schwimmst auch beim KSK?“
Ich nickte.
„Welche Lage?“
„Delphin.“
„Er ist sogar Jahrgangsbester“, warf Basti ein.
Katrin zog skeptisch die linke Augenbraue hoch.
„Tatsächlich? Aber Basti ist doch bestimmt nen Kopf größer als Du?“
„Du solltest ihn mal im Wasser sehen“, machte Basti weiter. „Pete hat eine unglaubliche Technik. Unser Trainer nennt ihn den Wasserfloh.“
Katrin lachte laut auf und mein stolzes Lächeln rutschte leicht erdwärts. Aber dennoch schien sie ein wenig beeindruckt.
„OK, Wasserfloh. Vielleicht musst Du mir diese Technik mal zeigen.“
Und dabei hob sie die Augenbraue gleich noch mal. Ich war völlig gebannt von der Leichtigkeit dieser Bewegung. Wie in Trance antwortete ich: „Klar. Komm gerne mal mit zum Training.“
„Ist das nicht nur für Jungs?“
An dieser Stelle wusste selbst Basti nichts mehr zu meiner Verteidigung hervorzubringen.
„Doch. Nur für Jungs. Die Mädchen trainieren eine Stunde früher.“
„Na das mein’ ich doch“, versuchte ich die Situation zu retten. „Zum Mädels-Training. Du bleibst einfach nen Moment länger und ich zeige Dir, wie es geht.“
Katrin lächelte entschuldigend. „Das würde ich wirklich gerne sehen. Aber ich kann nicht auch noch in den Schwimmverein. Ich geh schon viermal die Woche zum Volleyball - dazu jetzt noch das hier.“
Das verstand ich natürlich. Außerdem spielte Katrin ja noch Geige im Schulorchester. Und sie hatte sicher auch sonst noch einige Termine. Doch anstatt es gut sein zu lassen, hörte ich mich zu meiner eigenen Überraschung sagen: „Dann gehen wir am Samstag. Da ist zwar Spaßbaden, aber wir finden schon ne Bahn.“ Und zu meiner noch größeren Überraschung war Katrin einverstanden.
Meiner Mutter war irritiert, dass ich Samstags trainieren wollte, denn eigentlich begleitete ich sie an diesem Tag immer auf den Markt. „Ich dachte wir gehen ins Café Schwonke?“, versuchte sie es. „Vera kommt auch mit den Zwillingen.“ Aber ich war unnachgiebig. Und da im Juli die Vereinsmeisterschaften anstanden und selbst meine Mutter ahnte, dass es spannenderes für einen Sechzehnjährigen gab als zwei Muttis und zwei Achtjährige, war es ausnahmsweise sie, die nachgab.
Basti kam um Punkt dreizehn Uhr. Wir waren erst um zwei verabredet und der Bus brauchte keine zehn Minuten zum Bad. Dennoch hatte er auf den frühen Treffpunkt bestanden. Dass die Verabredung für uns beide galt, hatte für keinen von uns auch nur einen Moment in Zweifel gestanden. Zu meiner Verwunderung trug er Sporthosen, T-Shirt und Laufschuhe. Verschwörerisch blinzelte er mich an.
„Bereit Katrin Morgentaler im Bikini zu sehen?“
Ich versuchte mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen.
„Vielleicht trägt sie ja auch nen Badeanzug.“
Basti schloss für einen Moment theatralisch die Augen. „Was auch immer sie trägt - heute bekommt mein Leben endlich einen Sinn.“
„Was ist mit Sandra?“, fragte ich.
„Was soll sein?“ fragte er betont gut gelaunt. „Wir gehen miteinander. Aber Katrin Morgentaler im Bikini, ist Katrin Morgentaler im Bikini. Und außerdem steht sie ja wohl eher auf Dich, Wasserfloh.“
Ich wurde rot. „Badeanzug - nicht Bikini“, stammelte ich, „ich denke, es wird Katrin Morgentaler im Badeanzug. Schließlich wollen wir schwimmen.“
Bastis gute Laune steigerte sich noch.
„Ja. Das sagtest Du bereits. Egal was sie trägt - ich hoffe, du bist vorbereitet?“ Er zwinkerte mir zu.
Ich verstand nicht.
Basti rollte theatralisch die Augen.
„Na vorbereitet. Du hast hoffentlich dafür gesorgt, dass in deiner Badehose niemand einen spontanen Zeltausflug unternimmt.“
Ich sagte gar nichts und Basti wurde noch theatralischer.
„Pete, also wirklich. Ich fass` es nicht. Das ist unprofessionell. Na los, ab mit Dir ins Bad.“
Dazu öffnete er die Badezimmertür und macht eine tiefe Verbeugung. Ich begriff zwar mittlerweile, bewegte mich aber kein Stück.
„Oh. Nein Danke. Ich kann doch nicht… während Du hier hockst“
„Ich kann so lange fernsehen. Aber beeil dich.“
Ich schüttelte den Kopf.
„Vergiss es. Ich hab das schon im Griff“
Basti pfiff mit gespielter Anerkennung durch die Zähne. „OK, OK. Aber versteck dich nicht hinter meinem breiten Rücken, wenn Du nachher die Kontrolle verlierst.“ Dann zeigte er auf mein Zimmer. „Los - Sportsachen an. Schwimmsachen in den Rucksack. Wir laufen zum Bad.“
„Wir laufen zum Bad? Warum das denn?“
„Du kapierst aber auch gar nichts. Das ist auch Vorbereitung, Mann. Wir wollen doch jeden einzelnen unserer mühsam herangezüchteten Muskeln in Bestform bringen.“
Ich wollte widersprechen, denn eigentlich ging es wohl vor allem um Bastis Muskeln. Aber er hatte recht. Neben ihm sah ich zwar aus wie ein Kind, aber immerhin war ich ein Schwimmer. Und in letzter Zeit hatte ich im Spiegel immer mal wieder neue Muskeln entdeckt. Es konnte sicher nicht schaden, diese ein wenig in Form zu bringen.
In der Umkleidekabine vom Schwimmbad verordnete Basti mir dann noch eine Trainingseinheit von fünf mal zwanzig Liegestütze. Zwei Rentner lachten herzlich, als sie uns auf dem Kabinenboden japsen sahen. Als wir das Bad betraten war ich überall am Körper rot und immer noch kurzatmig, aber tatsächlich wirkte ich etwas größer als sonst. Basti lief wie Adonis vor mir her. Katrin zeigte sich jedoch in keiner Weise beeindruckt. Oder vielleicht habe ich auch nur nichts davon mitbekommen, denn ich habe kaum auf ihr Gesicht geachtet. Sie trug tatsächlich einen Bikini. Er war weiß mit schwarzen Nähten, betonte die gesunde Bräune ihrer Haut und verriet deutlich, dass ihre körperliche Entwicklung zur erwachsenen Frau mehr als abgeschlossen war. Ich konnte nicht anders, als einen Moment lang gedankenverloren zu starren und bereute sofort, nicht auf Basti gehört zu haben. Also dachte ich intensiv an exponentielle Funktionen und hoffte auf den Vertuschungseffekt meiner dunklen Badehose.
„Die Herren Forscher“, begrüßte uns Katrin mit einem koketten Blick, bei dem sie wieder die Augenbraue hochzog.
„Hallo Katrin. Wartest Du schon lange?“, hörte ich Basti sagen. Ob er ihr zur Begrüßung die Hand gab oder sie gar umarmte, sah ich gar nicht mehr. So schnell es ging, trat ich an den Beckenrand und ließ mich kommentarlos ins Schwimmerbecken fallen. Ein älterer Herr ohne Schwimmbrille konnte gerade noch ausweichen und bedachte mich mit einer kleinen Schimpftirade. Ich tauchte zurück an den Beckenrand. Katrin lachte. „Uuups. Und da kommt auch schon der Bademeister.“
Tatsächlich bewegte sich ein junger Mann in weißen Shorts und blauem Polo-Shirt auf uns zu. Aber er lächelte. Es war Ben, unser Schwimmtrainer.
„Dass ich dir noch mal die Baderegeln erklären muss, hätte ich nicht gedacht.“ Er half mir mit einer Hand aus dem Wasser, begrüßte Basti und schließlich Katrin.
„Was macht ihr hier, Jungs? Trainieren am Wochenende.“
„Klar“, lächelte ich.
„Peter wollte mir zeigen, wie man richtig Delphin schwimmt“, ergänzte Katrin mit einem Blick, den ich bisher noch nicht an ihr kannte. Ihre Stimme wurde ziemlich sanft. Sie schnurrte beinahe.
Ben setzte ein breites Grinsen auf.
„Oh. Da hast du dir unseren Spezialisten ausgesucht. Er hat wirklich eine einzigartige Technik. Los ab mit Dir. Zeig uns wie’s geht.“
Ich schlurfte brav zum Startblock und sprang ins Wasser. Beim ersten Zug war ich tatsächlich so etwas wie aufgeregt. Die vertrauten Bewegungen brachten mich aber schnell zur Ruhe. Mein Körper ging in den Schwimmmodus. Beinschlag, gleiten, Beinschlag, Arme. Ich fixierte den Beckenboden schräg vor mir und hörte auf zu denken. Bevor ich es richtig merkte, hatte ich schon gewendet und war auf dem Weg zurück. Ben war neben Katrin stehen geblieben und erklärte ihr irgendwas. Sie beobachteten mich. Ich richtete meinen Blick wieder in die Tiefe. Als ich am Beginn der Bahn ankam, war mir blöderweise noch nicht eingefallen, was ich jetzt sagen könnte. Also wendete ich und hängte zwei weitere Bahnen dran. Diesmal gab mir Basti mit einem Patsch auf die Schulter zu verstehen, dass ich aufhören sollte.
„Ich bin dran“, raunte er mir zu. Dann sprang er über mich und zog mit schnellen Kraulschlägen davon. Ich stieg aus dem Wasser.
„Bei Freistil spielt die Spannweite eine größere Rolle. Da schwimmt Basti allen weg. Aber Delphin ist neben Kraft vor allem Technik. Körperbeherrschung. Koordination.“ Ben grinste stolz zu mir rüber. Katrin lachte übers ganze Gesicht.
„Nicht schlecht, Wasserfloh“, rief sie. Sie lächelte anerkennend und ein prickelndes, warmes Etwas breitete sich überall in meinem Körper aus. Ein wenig wie Fieber, nur fühlte es sich verdammt gut an. Das war ein Anfang, eindeutig. Und besser als Eis essen. Aber da mir immer noch kein kluger Satz einfiel, stürzte ich mich einfach wieder ins Wasser.
Hinterher war ich unsicher, wie Katrin den Schwimmbadbesuch wirklich fand. Erst dachte ich, sie langweilt sich. Denn während Basti und ich alleine durchs Wasser pflügten, stand Katrin nur draußen bei Ben und hörte ihm zu. Aber dann war sie auch reingesprungen und ließ sich von mir die Arm- und Beinbewegungen beim Delphinschwimmen zeigen. Ich machte es vor und sie machte es nach. Ben kam auch noch mal dazu und korrigierte ihre Haltung von außen. Katrin brauchte ungefähr vier Versuche, dann hatte sie die Bewegung drauf. Sie forderte sofort ein Wettrennen. Ich musste schwören, ich würde Vollgas geben und gewann mit einer halben Bahn Vorsprung. Aber das schien ihr zu gefallen. Sie gab mir einen kleinen, anerkennenden Klaps auf die Schulter und lachte aus vollem Hals. „Nicht schlecht“, sagte sie wieder. „Wirklich nicht schlecht.“ Aber als ich ihr dann die Bewegung nochmal vormachen wollte, musste sie schon nach Hause. Sie war richtig erschrocken, als sie sah, wie spät es war und verschwand mit einer kurzen Verabschiedung aus Becken, Bad und meinen Wochenendplänen.