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6. Kapitel: Es tagt der Diwan

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Husayn al-Choraisch, der Emir von Saragossa, nahezu uneingeschränkter Herrscher im Wilayat, hatte zur Ratssitzung befohlen. Nicht dass er eines Rates bedurft hätte. Dieser Gedanke wäre im nie gekommen. Die Wahrnehmung der einfachen Geschäfte der laufenden Verwaltung hatte er längst dem Hadjib, seinem Kanzler, alleinverantwortlich übertragen. Aber zu besonderen Anlässen befahl er immer seine Wesire zur Ratssitzung in seinen Palast. Mehr eine Informations-veranstaltung, damit sein Diwan gemeinsam über außergewöhnliche Vorkommnisse, und seine Entscheidungen dazu in Kenntnis gesetzt wurde. Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass dies am einfachsten Reibungen und Missverständnisse zwischen den verschiedenen Verwaltungszweigen verhinderte.

Der Herrscher zu Saragossa hatte nicht als Erbe eines Emirs das Licht der Welt erblickt. Sein Vater war ein gewöhnlicher Krieger. Zwar aus dem Stamm des Propheten, aber nicht von Herrscher Adel. Dazu zählten nur die leiblichen Verwandten Mohammeds. Von einem Leben in Mekka hatte er nicht viel zu erwarten. Der Islam und das Abenteuer lockten ihn aus Allahs Stadt ins Zweistrom Land Mesopotamien, das man heute Irak nennt. Im Militär des Kalifen hatte er sich nach oben gedient. Vor allem, weil er sich in den endlosen Kämpfen mit den Romäern in Byzanz nicht erschlagen ließ, wie so viele seiner Glaubensbrüder. So blieb er allmählich übrig. Als das fruchtbare Land am Euphrat und Tigris endgültig erobert war, und dessen christliche Bewohner, jene Fellachen, die überlebt hatten, allesamt versklavt waren, brauchte der Kalif tatkräftige Provinz Gouverneure, die für ihn Byzanz auf Distanz halten konnten. Emin al-Choraisch übergab er die Verwaltung und Verteidigung der Provinz ostwärts des Tigris. Der Knabe, den er dann Husayn nannte, wurde ihm als 17. Sohn geboren. Die Töchter zählte er nicht. Was kann man mit einem 17. Sohn in der Erbfolge anfangen? Sein Vater gab ihn in seinem siebten Sommer in die Hofschule des Kalifen. Bürokratie sollte er studieren, und sich später in der Verwaltung des Kalifen ein Plätzchen sichern.

Für den Sohn eines bewährten Kriegers aus dem Stamm des Propheten eine ziemlich dumme Entscheidung. Der musste zwar gehorchen und brav lernen, was ihm an Wissenschaften angedient wurde. Seine Bewährung fand er in der parallelen Ausbildung zum streitbaren Reiter und Kämpfer, die ja ebenso zum Werdegang eines höheren Verwaltungsbeamten gehörte. Wo immer der seine Bürokratie am Zügel führte, war immer auch ein Feldzug oder eine Razzia im Gang. Krieg gegen die Ungläubigen war ein Dauerzustand. Frieden nannte man am Hof des Kalifen zu Bagdad die wenigen Tage zwischen zwei Feldzügen. Und wer eine Provinz verwaltete, musste auch als Feldherr bestehen können.

Zunächst aber kam der Knirps aus Kirkuk, der fernen Provinz, in die Weltmetropole des Kalifen al-Walid II. Fassungslos bestaunte er die Prachtbauten der Residenz, nun seine neue Heimat und zugleich seine Schule Aus seiner vertrauten Umgebung, dem Harim seiner Mutter entrissen, fühlte er sich einsam und verlassen. Er fand rasch Trost in zwei Freunden, alle drei vom selben Jahrgang, die sich ihm dicht anschlossen.

Habib al-Saqlabi war gleich ihm als nachgeborener Sohn eines Kaids der Provinz Euphrat in die Hofschule entsorgt worden. In seinem Fall von seinen großen Brüdern. Ihn hatte es schlimmer erwischt. Er war ein Waisenjunge. Erst war seine Mutter gestorben. Er hatte in großer Liebe an ihr gehangen und betrauerte den schmerzlichen Verlust zutiefst. Wenig später verwechselte sein Vater des Nachts im Dunkel die helle Bahn der Straße mit der des Flusses. Voll des süßen Weins war er zusammen mit seinem besten Pferd, das sich beim Sturz die Vorderbeine gebrochen hatte, im Euphrat ertrunken. Das beweinte er noch mehr. Diesmal war er untröstlich. Er hatte so an dem Pferd gehangen! Der Dritte im Bunde war der Sohn vom Hadjib des Kalifen. Zwar auch unter „ferner liefen“ einzuordnen, aber immerhin ein Sohn des Kanzlers, also des zweitmächtigsten Mannes im Kalifat.

Im Schatten von Hisham ibn Battuta ließ es sich gemütlicher Leben. Die drei wurden untrennbar. Nur dass Hisham für Kriegsspiele nicht viel übrig hatte. Ausbildung und Waffengang blieben ihm nicht erspart. Seine Liebe galt der Verwaltung. In seinen Adern floss Tinte. Seine Abschluss Diplomarbeit an der Wirtschafts- und Verwaltungsakademie des Kalifen wurde mit „summa cum laude“ bewertet – obwohl er jedes Wort selbst geschrieben, und jeden niedergelegten Gedanken selbst entwickelt hatte.

Die beiden andern glänzten eher durch reiterliches Können, durch Fechten und im Kampfsport. Während Hisham sich in die Bürokratie einarbeitete, wechselten sie in den Dauerkrieg mit den Romäern. Den gewannen sie ebenso wenig wie andere in den kommenden 700 Jahren. Doch sie erlangten Ansehen, gewannen Routine und Erfahrung. Bald führte jeder von ihnen als Kais eine Hundertschaft in die Kämpfe. Zwischendurch in „Friedenszeiten“ trieb das Trio in Bagdad das, was junge Männer so tun. Sie zogen nächtelang durch die Altstadtkneipen, stellten dem Wein und den Schankmädchen nach und waren für jeden Unfug zu haben. Die Wende kam unversehens über sie.

732 n.Chr. hatte Karl Martell die Mauren bei Tours und Poitiers zurückgeschlagen. Der Islam hatte das kaum zur Kenntnis genommen. Als Karl aber 737 n.Chr. die Provence endgültig säuberte und den Islam nach Al-Andalus zurück jagte, bekam es in Cordoba der Gouverneur des Kalifen mit der Angst zu tun. Die Franken hatten ein weiteres Mal bewiesen, dass sie die größte und unschlagbare Militärmacht der Zeit waren. Zwischen ihnen und Cordoba gab es nur einen dünne Oberschicht des Islam und jede Menge unzuverlässige Goten Grafschaften. Was, wenn Karl nun nach Spanien vordringt? Das tat der nicht, aber er hätte es gekonnt. Abd al-Lahmi sandte einen Hilferuf an seinen Oberherren nach Bagdad. Einige tausend Berittene von der syrischen Kavallerie des Kalifen erbat er sich.

Kalif al-Walid II. regierte noch immer in Bagdad. Einige Tausendschaften konnte er nicht entbehren. Er hatte schon zu viele davon vor den Mauern von Konstantinopel/Byzanz verheizt. Im Wortsinn, denn die Romäer besaßen eine Geheimwaffe. Im Strahl ihrer Flammenwerfer verglühten Tausende Krieger der islamischen Mordbanden. Was er noch hatte, brauchte er zu seiner Verteidigung selbst. Andererseits mochte er seinen Gouverneur in Cordoba nicht völlig enttäuschen.

Er beriet sich mit seinem Hadjib, und der hatte eine Idee. Das Trio mit seinem Sohn war ihm aus diversen Zwischenfällen hinlänglich als ungestüme Plagegeister bekannt. Es konnte Bagdad und ihnen nur gut tun, wenn sie sich die Hörner wo anders abstießen. Er empfahl, die drei mit einigen Dutzend Syrern nach Al-Andalus zu entsorgen. Ein Geleitbrief an den Gouverneur von Ifriqiya zu Karthago würde den Rest besorgen. Der bekam den Befehl, den Burschen einige hundert berittene Berber Krieger mitzugeben.

Dergleichen brauchte man weder Husayn noch Habib zu befehlen. Und für Hisham kam die Trennung von seinen Freuden nicht in Betracht. Er wurde sogar für das Unternehmen benötigt. Jeder Kriegshaufe braucht seinen Bürokraten. Er ging als Quartiermeister und Intendant mit auf die Reise. Knapp 50 Freiwillige ihrer beiden Kriegerscharen hatten sich ihnen angeschlossen. Sie erreichten in schnellem Ritt Karthago. Probleme zeigten sich nicht. 500 Berber setzten mit ihnen nach Al-Andalus über. An einem wunderschönen Frühsommerabend ritten sie am rauschenden Guadalquivir entlang in Cordoba ein.

Gouverneur al-Lahmi war begeistert. Karl Martell kam nicht. Dafür hatte er jetzt eine schlagkräftige Truppe zu Hand. Einige aufmüpfige Goten Grafen mussten schon lange mal wieder an die herrschende Ordnung gemahnt werden. Damit beauftragte er das Trio. Das änderte nicht sehr viel für die. Statt mit Byzantinern schlugen sie sich jetzt mit Goten. Gewöhnlich genügte ihr Aufmarsch vor dem Sitz des Gau Grafen. Der zahlte zähneknirschend doppelt den überfälligen Tribut, erneuerte flugs den Treueid, und hielt den gewöhnlich getreulich ein, bis die Truppe des Gouverneurs nicht mehr in Sicht war. Dadurch ging ihnen die Arbeit zwei Jahre lang nicht aus. Und Husayn wuchs unmerklich in die Führungsrolle des Trios. Er war nun der Amir des Gouverneurs.

Zwischen den Unternehmungen machten sie Cordobas Kneipenwelt unsicher. Auch nichts Neues. Den Wirten der Tavernen und Bodegas wurde das Trio bald so gut bekannt wie ihre dienstbereiten Mädchen. Von allen hoch geschätzt, zumal die Drei immer gut bei Kasse waren.

Plötzlich, gänzlich unerwartet kam die nächste Wende in ihr bis dahin so sorgloses Leben. Fern am westlichen Meer regierte Graf Eusebio als Wali der Herrschaft Lisboa. Zur Abwechslung mal ein Suebe. Sie hatten ihn schon vor einem Jahr besuchen müssen und kannten ihn daher. Und dennoch hatte Graf Eusebio schon wieder mal vergessen, den fälligen Tribut zu schicken. Zusätzlich hatte er die Heerfolge verweigert, als ihn der Gouverneur zum Feldzug gegen die Christen im Norden und ihren König Alfons von Asturien aufforderte. Schlechte Beispiele verderben gute Sitten! Abd al-Lahmi rief Husayn zu sich. Er befahl ihm, mit dem Trio und dem Dschund erneut nach Lisboa zu reiten, dort tabula rasa zu machen und die Herrschaft des Walis zu beenden. Das war leichter befohlen als getan. Die Burg des Grafen lag hinter den Mauern der Stadt, auf einer Halbinsel in den Rio Tejo hinein, und galt als unbezwingbar. Beim letzten Besuch hatte er die unerbetenen Gäste eingelassen, bewirtet und seine Rückstände bezahlt. Das durften sie diesmal kaum erwarten.

Es kam dann so, wie sie vermutet hatten. Die Städter zogen es vor, die Tore zu öffnen. Sie entzogen sich damit der sonst zu befürchtenden Abstrafung. Der Graf aber hockte in seiner Burg hinter verschossenem Tor und hochgezogener Fallbrücke. Als das Trio im Namen des Gouverneurs von Cordoba Einlass forderte, erschien der Graf über ihnen auf der Mauer und verhöhnte Mauren, Berber und Gouverneur.

Unschlüssig saßen die Drei am Abend in einer Bodega am Ufer des Tejo. Ihre Krieger streiften durch die vielen anderen Kneipen der Hafenstadt. Die Fischplatte der Wirtin hatte exzellent gemundet. Der Wein, süß und schwer, nicht minder. Dennoch war die Stimmung mies. Habib sprach es aus:

„Hat einer von euch eine Vorstellung, wie man in die Burg gelangen kann?“ Der Ton war unverkennbar verzagt.

„Du meinst, es müsse einen geheimen Zugang geben?“ Hisham klang eher ungläubig.

„Mit Sicherheit!“ wehrte sich Habib. „Eine Burg am Fluss, im Übersee Hafen und fast schon am Meer, hat garantiert einen Hintereingang!“

Husayn mischte sich stark zweifelnd ein:

„Und wie willst du den finden?“

„Wir könnten nachts im Dunkeln mit Booten die Seeseite absuchen lassen. Die Mauern der Burg sitzen dort tief im Wasser. Dort muss es einfach einen Zugang geben!“

Husayn wiegte seinen Kopf hin und her.

„Wenn uns nichts Besseres einfällt werden wir das tun!“

„Besseres habe ich nicht zu bieten, aber ergänzendes“, schlug Hisham vor. Wir setzen eine Belohnung aus für den, der uns den Zugang verrät!“ Kurzes Nachdenken, dann Zustimmung von Husayn:

„ Gute Idee, Hisham, müssen wir machen. Die setzen wir sofort in Umlauf. Wir sitzen doch an der Quelle der Gerüchte. He! Wirt, komm mal rüber!“ Der empfing einen Wink und blieb an der Theke. Statt seiner erhob sich ein einfach, aber erkennbar gut gekleideter Mann am Nebentisch und trat zu ihnen. Schlank, 7 Fuß hoch, ein hübsches längliches Gesicht, gekrönt von einem rotblonden Haarwuschel. Erkennbar ein Germane. Scheinbar etwas über 20 Sommer als, also gleichauf mit dem Trio. Ohne Umwege kam er direkt zum Thema:

„Diese Belohnung könnt ihr euch ersparen. Der Mann, der euch in die Burg helfen wird, steht vor euch!“ Selbstsicher und überzeugend vorgetragen. Die drei musterten ihn dennoch zunächst skeptisch bis kritisch. Husayn hakte nach:

„Du kannst uns also den geheimen Zugang verraten? Und: Wie viel verlangst du dafür?“ Hisham, der Buchhalter, wollte erst mal den Preis hören.

„Nichts!“ Denn der Zugang ist nicht geheim. Auf der Wasserseite ist eine Pforte für Anlieferungen in der Mauer. Jeder, der mit einem Boot vorbeikam, kennt die. Euch nützt dieses Wissen nichts! Der Zugang hinter der Tür ist schmal und in Zeiten der Nichtnutzung unüberwindlich blockiert!“

„Du kennst also einen besseren Weg. Erklär uns, wie du uns in die Burg bringen willst, und nenn uns endlich deine Lohnforderung!“ Habib wurde ungeduldig. Ungestüm verlangte er nach Information.

„Ich bring euch nicht hinein. Ich zeig euch nur, wie ihr hineingelangen könnt. Den Rest müsst ihr besorgen!“ Gelassen und solide in Wort und Ton. Das machte Husayn stutzig:

„Dann musst du enge Beziehungen zur Burg haben. Wer garantiert uns, dass du nicht ein Lockvogel des Burg Grafen bist, der uns in eine Falle locken will?“

„Letzteres wäre ziemlich blöd. Es würde euch ein paar Krieger kosten, mehr nicht. Für beide Seiten ein nutzloser Nadelstich. Wenn ihr mir folgt, seid ihr morgen früh die Herren der Burg!“

„Wie also soll das vor sich gehen? Habibs Ungeduld wurde gehört:

„Morgen früh ab vier Uhr ist die Westmauer ohne Wachen. Ein paar Seile hängen außen zu euch herunter. Besorgt euch noch einige Leitern, steigt hinauf und besetzt die Burg!“

Verdutzt sah Habib ihn an:

„Wenn du das so einrichten kannst, musst du zur Burg gehören. Wer bist du?“

„Man nennt mich Graf Harald. Ich bin der jüngere Halbbruder des Walis. Ich helfe euch unter zwei Bedingungen: Ich will Eusebio selbst erschlagen oder erschlagen sehen!“

„Cherchez la Femme?“ Von Husayn kam die Andeutung in Form der Frage.

„Richtig. Ich wollte vor vier Wochen heiraten. Meine Braut gilt als das schönste Mädchen in Lisboa. Eusebio nahm sie mir weg. Als sie sich weigerte, ihn zu heiraten, nahm er sie als seine Lust Sklavin in Besitz. Dafür wird er sterben!“ Hart und gnadenlos knirschte er das in die Runde.

„Nun vertraue ich dir!“, verkündete Husayn, „aber du willst noch eine Belohnung?“

„Ja! Ihr braucht einen neuen Wali. Er steht vor euch! Wenn ihr beides zusagt, ist die Burg in wenigen Stunden euer.“

Husayn blickte seine beiden Kumpane an. Der Blickkontakt genügte. Zwei Fliegen mit einer Klappe für ein Versprechen, dass sich sogar halten ließ? Ohne Zögern:

„Wir garantieren dir beides. Nun erklär du uns bitte, wie das gelingen soll!“ Seine Worte waren entschieden aufrichtig. Harald gab sich überzeugt:

„Ab vier Uhr ist meine Wache dran. Die zieht auf und sofort lautlos wieder ab. Schwingt euch über die Mauer und tötet niemand, den ihr dort findet. Das sind meine Männer, die euch führen werden. Denn ich bin dann mit anderen im Schlafgemach meines Bruders, um dessen Schlummer für immer zu vertiefen!“ Schweigendes Überlegen und Nachdenken. Dann Husayn entschiedene Anordnung:

„So machen wir das. Ihr zwei holt mir einige Dutzend unserer Krieger, mehr nicht, und besorgt Leitern bei den Bürgern. Lautlos und wortlos hierher. Ich bleib hier mit den drei von unseren Syrern da an der Bar. Wir sorgen dafür, dass niemand mehr die Bodega verlässt. Und du, Wali Harald, leistest mir jetzt unauffällig den Treueid auf unseren heiligmäßigen Kalifen in Bagdad. Dann geh ans Werk!“

Als die Sonne aufging knabberten die ersten Fische an der Wasserleiche im Rio Tejo. Ihr fehlte der Kopf. Den legte Husayn zusammen mit der Schatzung 14 Tage später dem Gouverneur in Gegenwart des Hadjibs zu Füssen. Die Beigabe hielt er für unerlässlich. So rasch wie sie wiederkehrten hätte Misstrauen aufkommen können. Zum Beispiel ob sie gescheitert seien und das vertuschen wollten. Graf Eusebios Kopf räumte jeden Zweifel aus. Begeistert sahen sie den neuerlichen Erfolg des Trios.

Dann kam der Gouverneur ins Grübeln. Minuten zuvor hatte er den Boten entlassen. Der hatte ihn vom Bett Tod des alten Emirs in Saragossa unterrichtet. Ein neuer Emir musste her. Einer der einen zuverlässigen Schutzblock zwischen Cordoba und die Franken legte. Karl Martell war 741 n.Chr. ebenso verstorben. Sein Nachfolger Pippin hatte jedoch inzwischen hinlänglich bewiesen, dass er die Franken noch besser im Griff hatte. Den letzten Merowinger König Hilderich hatte er abgesetzt, scheren lassen und ins Kloster abgeschoben. Die Krone des Königs hatte er sich aufgesetzt. Liebend gern hätte der Herrscher zu Cordoba das Trio behalten. Es half nichts. Ihm fiel nichts Besseres ein. Waren die Drei die Herren im Pyrenäen Wilayat, konnte man in Cordoba endlich wieder ruhig schlafen. Nachdenklich sah er seinen Hadjib an. Der zog den richtigen Schluss, dann sein Gesicht in Trauerfalten und nickte leicht. Das entschied.

„Was meinst du, Husayn al-Choraisch, traust du dir zu, mein und des Kalifen Emir im Wilayat Saragossa zu sein?“ Husayn zwinkerte zwar überrascht mit Wimpern, reagierte aber kühl:

„Ganz ohne Zweifel. Ich bin die Beste Wahl dafür!“ Das entlockte dem Gouverneur doch ein Schmunzeln:

„Gut, du bist jetzt ein Emir! Der Hadjib stellt dir die Urkunden aus. Du reitest morgen. Die Berber behalte ich. Von deinen Syrer nimm mit, wer dir folgen möchte. Die anderen behalte ich auch. Möge Allah dir Klugheit und Weitsicht für deine Aufgaben verleihen. Und halt mir die Franken vom Leib!“

Weiter 14 Tage später trabten 50 Reiter durch Saragossa zur Burg. Husayn hatte sich angemeldet. Im Saal des Palastes erwarteten ihn die Wesire des Diwans und die Honoratioren der Stadt. Der Finanz Wesir führte ihn in sein Amt ein, denn der Hadjib hatte sich altershalber vom Amt zurückgezogen. Husayn zögerte keine Sekunde. Seine erste Amtshandlung erhob Hisham zum neuen Hadjib. Seine zweite verpflichtete die Wesire zur Weiterarbeit. Ohne ihre Kenntnisse wäre er ohnehin verloren gewesen. Habib ernannte er zum Amir des Dschund und Stellvertreter des Kriegs Wesirs. Die Machtübernahme war abgesichert.

Idris al-Mamun führte ihn danach Stolz erfüllt durch „seine“ Schatzkammer. Husayn staunte nur noch. Über Nacht hatte er sich vom Habenichts zum reichen Fürsten entwickelt. Noch mehr verblüfft übernahm er mit dem Palast Eunuchen den Harim seines Vorgängers. Plötzlich hatte er 5 „Ehe“Frauen! Zumeist schon im vorgezogenen Ruhestand, in dem er sie beließ. Eine junge fiel ihm auf, Sklavin und letzte Dienerin im Harim. Schlank, Sanduhr Figur, knackig, braune Farbe, pechschwarzes dichtes Haar. Sie hielt sich wie eine Fürstin. Ihr Blick war ihm Herausforderung. Er befahl sie in sein Bett. Am Morgen danach wusste er, dass sie auch noch Intelligenz besaß und selbständig dachte, und Humor hatte. Keine Prinzessin und keine Muslimin, sonst wäre sie ja nicht versklavt worden. Eines Römer Patriziers Tochter, geraubt bei einer Razzia in der Provence. Nur wenige Nächte später fand er sie unwiderstehlich. Sie gebar ihm später nur Töchter. Unwichtig, sie erhob er zur Umm.

Am heutigen Tage war er knapp 45 Sommer alt. Seit fast 20 Jahren beherrscht er das Wilayat. Ein kleines Königreich, wie ihm inzwischen bewusst war. Im Osten am Meer begann es. Der Wali von Barcelona verwaltete jene Region für ihn. Daran schloss sich Huesca an, wo jetzt Abu Taur Wali war. Es folgte sein Bezirk mit Saragossa und im Westen regierte Graf Theuderich in Pamplona als sein Wali. Die Nordgrenze stellte die Natur in Form der Fast unzugänglichen Pyrenäen Wipfel Erst weit im Westen, kurz vor dem Weltmeer, lag mit dem Königreich Asturien ein feindliches christliches Gebiet.

Zur Eröffnung der Sitzung des Rates saß als einziger auf einem Stuhl, nahe der Rückwand, im kleinen Ratssaal des Palastes. Gemäß seiner Stellung als Provinzfürst, war er neben ca. 20 anderen Wilayat-Herrschern Spaniens wohl einer der dritthöchsten Männer im Staate der Mauren. Aber sein Sitzgerät war dennoch mehr als nur ein Stuhl. Prunkvoll geschnitzt und gepolstert, glich er mehr einem Thronsessel. Ein verschwiegener Hinweis darauf, dass er sich zu Höherem berufen glaubte. Laut würde er so etwa nie äußern. Aufstände und Verrat waren das tägliche Brot im Lande des Herrschers über Spanien, oder, genauer gesagt, dessen Kriegs-Wesirs in Cordoba. Das wurde als ganz normal hingenommen. Wie sollte es unter Individualisten wie Beduinen, Arabern und Berbern auch anders sein. Aber solche Ideen durfte man nie seinem Kopf entweichen lassen. Es sei denn, man wolle den Boten des Herrschers mit jener seidenen Schnur herbeirufen. Jene, mit der man sich dann ebenso friedlich wie eigenhändig zu seinen Ahnen zu begeben hatte. Befolgte man diesen guten Rat nicht, würde es der Dschund, der Heerbann aus Cordoba gewaltsam besorgen.

Vor ihm saßen seine Räte in lockerem Halbkreis am Boden. In ihrer Mitte der Hadjib. Zu seinen beiden Seiten die Wesire. Idris al-Mamun verwaltete die Finanzen; er war der Wesir des Diwans al-Charadsch und der letzte der alten Garde aus der Zeit von des Emirs Vorgänger. Das Militär befehligte des Emirs Jugendfreund Habib al-Saqlabi, Wesir des Diwans al-Dschund. Das Post- und Nachrichtenwesen kommandierte Malik ibn Anas, Wesir des Diwans al-Rasa´il. Die Palastwache und die Schurta, die Polizei, unterstanden dem Wesir Ismail al-Malik.

Da saß aber auch noch Maslama ibn Abdallah, der oberste Imam (Geistliche) und zugleich oberster Kadi des Wilayats Saragossa. Neben ihm Ali ibn Chaldun, der Hausmeier des Emirs, und auch noch Nasr al-Farabi, der Wasser-Kaid. Von der technischen Befähigung dieses Ingenieurs hing aller Wohlergehen ab. Im oblag die Erhaltung der umfangreichen Bewässerungsanlagen des Wilayats. Nur diese römischen Stauseen, Aquädukte und Kanäle, garantierten die Ernten in dem ansonsten trockenen, in manchen Regionen sogar wüstenähnlichen Landstrich.

Sie kauerten im Schneidersitz, auf untergeschobenen weichen Sitzpolstern, und wurden von ihren Leibsklaven umringt, die hinter ihnen knieten. Die hielten kleine Erfrischungen bereit, Früchte, Mandeln, Nüsse. Auch alkoholfreie Getränke, obwohl ansonsten nicht jeder von ihnen auf den Genuss von Wein verzichtete. Doch im Rat saß auch der Kadi, nicht nur oberster Richter sondern auch oberster Imam der Hauptmoschee. Da tat man besser so, wie der Koran dem Gläubigen befiehlt, und traf sich mit Bacchus nur heimlich, fern und hinter dem Rücken des Geistlichen.

Die rechte Seitenwand des Saales bestand aus einer Maqsura, jenem kunstvoll verschnörkelten, aus Holzleisten geschnitzten und geflochtenen Gitterwerk, hinter dem die Haremsdamen dem Vorgang lauschen durften. Alle Anwesenden wussten, dass der Rat seiner Umm, der älteren und erfahrenen Ehefrau und Herrscherin des Harims, beim Emir oftmals schwerer wog, als der ihrige. In weiten Bereichen der Umma, der Gemeinschaft aller Gläubigen, hatte so manche Lieblings-, oder auch nur respektierte Ehefrau der Herrscher einen beträchtlichen politischen Einfluss.

Einige, nur scheinbar wichtige Punkte der Tagsordnung, wurden kurz besprochen und abgehakt. Dann fragte der Emir nach eigenen Anliegen der Ratsmitglieder. Bevor ein anderer auch nur das Wort ergreifen konnte, platzte der Kadi/Imam mit seinem Lieblingsanliegen heraus:

„Oh Herrscher über die Ungläubigen, und ruhmreicher Beschützer aller Gläubigen, Allah befiehlt uns im Koran die Bekehrung aller Heiden, Juden und Christen zum wahren Glauben. Das haben wir bisher leider zu sehr versäumt. Das zeigt wieder einmal mehr dieser schlimme Zwischenfall von Sadaba. Lass mich alle deine Untertanen zu Allah bekehren, und lass mich Missionare zu den Bergvölkern entsenden. So wie es einst mit den Berbern geschah: Sind sie erst einmal Allah zugewandt, sind Überfälle auf uns nicht mehr zulässig. Der Zorn Allahs würde sie für einen solchen Frevel treffen. Ich bitte euch und alle Ratsmitglieder: Schaut auf unsere Brüder und Mitkämpfer. Einst wilde und feindliche Berber – und heute unsere wichtigsten Bundesgenossen im Djihad gegen die Ungläubigen! Was für eine wichtige Kriegsarmee wären die Basken für Allah und uns?“

Zur heimlichen Zufriedenheit des Emirs war damit das eigentlich von ihm angesteuerte Problem in die Runde gerückt worden. Nicht die Bekehrung der Basken sondern der Zwischenfall von Sadaba sollte auf die Tagesordnung. Aber erst musste der Imam nun in seine Schranken verwiesen werden. Ein heikles Thema, aber politisch notwendig Die Geistlichkeit stand im Rang auf gleicher Höhe, und vor allem war sie seiner Macht nicht unterworfen. Der Imam musste höflich und ohne Schaden für seine Würde abgeschmettert werden. Das überließ er lieber seinem Finanz-Wesir, dessen Reaktion vorhersehbar war. Auch ohne einen diesbezüglichen Wink nahm der prompt den Imam an, wie ein Stier den Matador. Schnaubend vor Entrüstung fertigte er diesen ab:

„Unsinn! Um Allahs Djihad zu führen braucht es Kämpfer! Die und ihr Kampf müssen bezahlt werden. Daher, und keinesfalls zuletzt, beruht unser aller Wohlergehen auf den Staatsein-nahmen. Allah hat befohlen, dass Gläubige keine Abgaben bezahlen. Wir benötigen also Steuer- und Abgabenzahler, und Feinde, die wir ausplündern und versklaven können. Dafür schuf Allah die Ungläubigen. Die müssen uns erhalten bleiben! Wenigstens so lange, wie der Djihad währt, brauchen wir unsere Melkkühe!“

Dann wechselte der gewiefte Rhetoriker zu Hohn und Spott:

“Oder möchte der ehrwürdige Kadi und Imam fortan unsere Staatskasse mit den Spenden füttern, die er in der Moschee beim Freitagsgebet mit dem Klingelbeutel einsammelt?“

Lastendes Schweigen folgte dem temperamentvollen Ausbruch. Der Imam schluckte mehrmals im Leerlauf, aber er nahm seine Lektion eingeschüchtert hin. Und der Emir hatte endlich sein Anliegen auf dem Tisch. Doch umsichtige Herrscherschläue gebot, dem Imam gleich erst mal mit einer kleinen Streicheleinheit das Gefieder zu glätten.

„Unser gelehrter Ulema hat in seiner Weisheit ein wesentliches Problem angesprochen. Er hat ja so Recht! Der unerträgliche Übermut der Bergmenschen nimmt von Jahr zu Jahr zu! Immer frecher werden ihre Übergriffe auf unsere Siedlungen. Die Verluste waren zwar nicht sehr hoch, aber wir können und dürfen diesem Treiben nicht länger zusehen. Wir müssen uns wieder mehr Respekt bei denen verschaffen Wehret den Anfängen! Ich will diese Bande bestraft sehen! Und diese Strafe wird Furcht verbreiten! Kriegs-Wesir, erkläre uns, wie es in deinem Diwan überhaupt dazu kommen konnte!“

Der kannte seinen Herrn nur zu gut. Er hatte dies erwartet und war bestens präpariert, sich und seine Krieger mit Wirkung zu verteidigen:

„Nun, ehrwürdiger Emir,“ und hier neigte er würdig sein Haupt, eine kleine aber sehr clevere Geste der Demut, „der Zwischenfall ereignete sich im Befehlsbereich von Amir Abderrahman, und da der, wie uns allen bekannt, unser fähigster und eifrigster Amir im Felde ist, trifft ihn wohl keine Schuld. Er kann ja auch nicht in jeder Qal´a seines Befehlsbereiches zugleich sein. Ali ibn Assad, der Kaid des Trupps in Sadaba, hat nicht die volle Besatzung von 50 Saqaliban. Schon vor zwei Ratssitzungen habe ich darauf hingewiesen, dass er mit gerade mal 27 Männern zu unser aller Schaden weder den Schutz von Sadaba garantieren noch eine einträgliche Razzia unternehmen kann. Darüber hinaus hat er Umsicht und Verstand bewiesen. Er ließ sich nicht mit seinen schwachen Kräften in eine nächtliche Verfolgung verlocken, die nur zu einem Desaster geführt hätte. Wir haben keinen einzigen Sklaven-Krieger verloren, nur etwas Vieh und Korn. Die Revanche hat er klug mir überlassen, und ich werde sie gründlich vorbereiten und mit Wucht exerzieren. Dazu müssen wir vor allem zunächst mehr Kriegsslawen kaufen, um die Garnisonen aufzufüllen!“

„Was das alles kostet! Was so was alles kostet! Wer soll das alles bezahlen?“ stöhnte der Finanz-Wesir lauthals in die Runde, und wackelte mit seinem völlig kahlen Haupte mehrfach von links nach rechts und wieder zurück.

Grinsen und Lächeln huschte durch den erlauchten Kreis. Diesen Klageruf kannten sie. Der erscholl zu jeder Sitzung. Der Greis stand nur noch einen Fuß weit vom Grabe entfernt. Als der älteste in der Runde des Rates, war er aber auch der meist respektierte. Er hatte sich sein Leben lang als absolut vertrauenswürdig und loyal erwiesen, hatte schon dem Vorgänger gedient, und besaß, trotz oder auch wegen vieler Schrullen, das unbegrenzte Vertrauen des Emirs, auch wenn der sich heimlich köstlich über ihn amüsierte.

Der Kriegs-Wesir entsann sich der Grundregeln seiner Profession. „Angriff ist die beste Verteidigung!“, und „Ablenkungsangriffe entlasten!“ hatte er während der Lehrzeit zum Befehlshaber in sein Gedächtnis gespeichert.

„Ehrwürdiger Emir, ich beantrage, 200 Kriegssklaven aufzukaufen. Ich weiß, diese sind zufällig im Basar unserer Kasba im Angebot. Pauschal gekauft, bekommen wir die zum Sonderpreis. Damit können wir dann die Garnisonen an unserer von den Bergmenschen gefährdeten Nordostfront auf Sollstärke bringen, und zugleich die Kräfte für einen nachhaltigen Vergeltungsschlag gegen die Basken freistellen. Ich denke so: Wir stecken die Neulinge in die Grenzfestungen, und ziehen die Hälfte der dortigen erfahrenen Besatzungen ab. Zusammen mit der halben Truppe aus der Palastkaserne können wir ein Kommando von etwa 150 Mann für die Razzia einsetzen. Als Kaid schlage ich Amir Abd al-Rahman, als seinen Unterführer Ali ibn Assad vor. Die beiden brennen darauf, ihre Niederlage auszuwetzen.“

Und nach taktisch kluger kurzer Denkpause, mit der er seinen Vortrag wirksam unterstrich, fügte er noch an: “Auch Abdallah ibn Hisham, der Sohn des Hadjib, wird als Unterführer dabei sein wollen. Er bestürmt mich schon lange, ihm zu erlauben Erfahrung zu sammeln, und seinen Rang als Chassa zu bekräftigen.“

„Was für ein schlauer Schachzug, was für ein ausgebufftes Schlitzohr, dieser Kriegs-Wesir“ – aber das dachte der Emir nur still für sich selbst. „Gleich wird der Hadjib ihm den Gefallen tun, und ihn wegen der seinem Sohn gebotenen Chance unterstützen.“

Da erhob dieser schon seine Stimme: “Sehr gut, genau so sollten wir vorgehen.“

„Oh Allah helfe uns!“ krähte sofort der alte Finanz-Wesir, „was das alles kosten wird! Was das alles kosten wird! Wer soll das alles wohl bezahlen? Ich hab kein Geld, ich hab doch kein Geld!“ zerschmettert sank er auf seinem Sitzkissen in sich zusammen. Ein bemitleidenswertes Bild des Jammers. Statt Mitleidsäußerungen nur leises Kichern in der Runde. Selbst der Emir hätte gern laut aufgelacht. Er beherrschte sich. Er wählte die Höflichkeitsfloskel: „Lieber Onkel, du vergisst, dass dies nicht dein Geld sondern das des Emirates ist, für das wir alle gemeinsam verantwortlich sind. Ich bin sicher, wenn du noch einmal nachzählst, findest du den notwendigen Betrag in deinen Geldtruhen.

Und der seine Würde vergessende Hadjib kicherte hinterher:

„Und wenn du dort nicht fündig werden solltest, nimm einfach den notwendigen Betrag aus jener Kiste mit deinen schwarzen Rücklagen für besondere Notfälle.“

Völlig am Boden zerstört sank der überlistete Alte in sich zusammen. Wieder einmal mehr musste er, wie schon so oft hinnehmen, dass er von dieser Räuberbande, wie er seine Miträte in solchen Augenblicken heimlich bei sich nannte, beraubt wurde. Jedes Mal, wenn er seine Schatztruhen vor dem Überfließen sah, wurde ihm dieser heimliche lebenslange Wunschtraum unsanft zertrümmert.

Noch einmal griff der Hadjib das Thema Sadaba auf: „Ich bin zwar kein Kriegsgeneral, aber die Lage an der Frontera bereitet mir Kopfschmerzen. Amir Abd al-Rahman ist unzweifelhaft einer unserer besten Anführer. Wieso hat er seinen Amtssitz in Olite? Am äußersten linken Flügel, wo sich drei Festungen auf engstem Raum drängen: Olite, Urix und Tafalla. Sollte er nicht besser irgendwo in der Mitte, in Sadaba oder Unca residieren? Dann könnte er doch wesentlich rascher eingreifen, wenn es irgendwo auf der 200 km langen Frontlinie brennt!“

Dem widersprach der Kriegs-Wesir, höflich, aber bestimmt:

„Die gegenwärtige Lage entspricht den Notwendigkeiten. Die Festungslinie ist eine bloße Verteidigungseinrichtung. Der Kommandeur einer solchen gehört nie in die vordere Linie. Er muss aus der Hinterhand reagieren können, wenn es erforderlich wird. Er muss eine eigene Eingreifreserve haben. All das bietet nur Olite, die alte Römerfestung, unsere stärkste überhaupt. Die liegt als einzige in der 2. Reihe. Genau dort will ich ihn auch haben. Links von ihm sitzt Graf Theuderich im Vorfeld und in Pamplona. Welchen Wert gotische Treueide haben, hat deren König Roderich erfahren, als er von seinen Grafen verraten in der Entscheidungsschlacht mit uns an der Laguna Janda unterging!

Rechts von unserer Festungslinie regiert Abu Taur als Wali in Huesca. Einer von uns, ein Abbaside. Er und unser Ober-Emir von Al-Andalus in Cordoba stehen zueinander wie Katz und Hund. Mir macht daher gelegentlich unsere rechte Position Kopfschmerzen. Bailo und Larues liegen nördlich von Huesca, zwischen den Basken und dem Wali. Wenn letzterer von Cordoba abfällt, wovon immer wieder Gerüchte umgehen, sind die beiden Festungen isoliert. Deshalb sitz dort Halef ibn Gossara als Kaid beider Qal´as. Die liegen knapp einen Farsach auseinander. Wir, der Wesir al Rasa´il und ich haben ihn gemeinsam dafür ausgesucht. Er ist der einzige politische und diplomatische Kopf unter unseren jüngeren Kaids. Eigentlich zu schade für seinen Posten, aber unentbehrlich für die dortige Aufgabe. Er ist mit Jussuf ibn Tashfin verwandt, dem Hadjib des Walis Den besucht er monatlich mindestens einmal, um Kundschaft einzuholen. Das ist unsere einzige Absicherung im Osten. Dort liegt unser Schwachpunkt. Eigentlich müssten wir die beiden Festungen stärker ausbauen. Das würde aber den Wali misstrauisch machen und ihn in Argwohn stürzen. Selbst Kaid Halef rät daher davon ab.“

Als er schwieg, warf der Emir dem Hadjib einen anerkennenden Blick zu. Der zollte umgehend dem Kriegs Wesir Beifall für dessen Aufklärung. Genau darum war es ihm auch nur gegangen. Er hatte auf den Busch geklopft. Er wollte sich und dem Emir Klarheit verschaffen, wie die Lage nach Sadaba tatsächlich zu beurteilen war.

Der Emir gratulierte sich wieder einmal selbst zu seinen beiden wichtigsten Wesiren. Sie hatten wieder einmal mehr bewiesen, dass sie ihren Diwan im Griff hatten. Voll zufrieden mit dem von ihm erwarteten Verlauf der „Beratung“, ordnete weiter an:

„Kriegs-Wesir, bei dieser Razzia wird das „Köpferollen“ ausnahmsweise einmal eingeschränkt. Ich will je 30 alte und respektierte Dorfhäuptlinge, Dorfälteste, und je 30 ihrer Eheweiber, oder alten Priesterinnen und Zauberfrauen vor meinem Gericht sehen, und das wird furchtbar sein!“

Er wandte sich an den hinter seinem Sessel knienden Schriftführer, einem jungen Alim (Geistlicher des Islam), der zugleich Lehrer der Adelssprösslinge war, und fasste diese Beschlüsse in Befehlsform zusammen. Den Wesiren befahl er die sofortige gemeinsame Ausführung seiner Anordnungen. Dann hob er die Sitzung auf.

Während die anderen sich mehr oder weniger gelenkig erhoben, wurde der alte Finanz-Wesir von zwei der Leibsklaven unter den Armen erfasst und in die Senkrechte gewuchtet. Sich vor dem Emir tief verneigend, krebsten sie dann alle rückwärts aus dem Saal.

Draußen im abgeschlossenen Vorraum jammerte der Finanz-Wesir ein ums andere Mal halblaut vor sich hin:„Oh Allah, was das alles kosten wird! Was das alles kosten wird! Was das alles wieder kosten wird!“

Da neigte sich der Kriegs-Wesir zum Ohr des Halbtauben und wisperte, aber den anderen voll verständlich, nachäffend hinein:

„Und was das alles einbringen wird! Und was das alles wieder einbringen wird!“

Der Alte war gar nicht amüsiert. Den Spott überhörte er geflissentlich. Aus langjähriger böser Erfahrung gab er nur sehr wenig auf in der Zukunft versprochene Gewinne.

In Erwartung einer unterhaltsamen Kabbelei zwischen einem der Wesire und dem alten Finanzminister, scharten sich die anderen in engem Kreis um die beiden. Er war auch unter ihnen hoch angesehen, und wegen seiner Redlichkeit sehr respektiert. Doppelt so alt wie sie, bestand eine Art von Onkel-Neffen Verhältnis zwischen ihnen. Gutmütiger Spott auf Seiten der Jüngeren beantwortete der Alte meist mürrisch, teilte aber mit erkennbar verhaltener Zuneigung aus.

Die Leibsklaven umringten ihre Herren so nah, wie es der Respekt erlaubte. Keiner wollte sich ein Wort entgehen lassen. Sie versprachen sich unterhaltsames Material für das Palastgeschwätz der nächsten Tage. Sie wurden auch diesmal nicht enttäuscht.

„Habib al-Saqlabi, willst du mich vergackeiern? Beim weißen Schwanze der Lieblingsstute des Propheten: Wahrhaftig! Du bist noch immer der kleine Lausbub, der früher an meinem Bart gezupft hat“, raunzte er mürrisch. Mit abgespreiztem Daumen und Zeigefinger seiner rechen Hand deutete er gleichzeitig an, dass der schlank aufragende Würdenträger damals nur ein Däumling, nur eine Spanne hoch gewesen war. So winzig konnte auch die allerfrüheste Frühgeburt eines Berberbuben nicht ausfallen.

„Willst du gütigst deinem alten und dummen Onkel mal erklären, welcher Profit aus diesem Unternehmen für die Staatskasse herausspringen wird?“

„Onkel, hast du schon vergessen, wie viele Silber-Dirham du nach dem letzten unserer Raubzüge aus den Kirchengeräten der Christen in deiner Münze schlagen konntest?“ erwiderte der.

„Oh ja“, kicherte der Alte, nun Hohn triefend, „fürwahr. Aber damals wart ihr jenseits der Berge, im Lande der Franken aktiv. Sollten deine famosen Kundschafter und Spione, die Rastreros und Murabitun, noch nicht entdeckt haben, dass diese Bergmenschen Heiden sind? Zwischen unserer Nordostgrenze, die unser tapferer Amir Abd al-Rahman als Kaid so „wirkungsvoll“ verteidigt hat, und den Gipfeln der Pyrenäen gibt es keine einzige mit Gold- und Silbergerätschaften gefüllte Kirche. Du solltest die Basken erst mal zum Christentum bekehren lassen, damit sich eine Razzia bei denen auch auszahlt. Was du und deine Raufburschen wollen, ist, sich mal wieder tüchtig mit den Bergmenschen zu prügeln. Ihr wollt nur immer eurem Lieblingssport frönen. „Köpferollen“ nennt ihr den! Davon kommt kein einziger Kupferling in meine Kisten!“ Erstmals an diesem Tage grinste er zufrieden in die erlauchte Runde. Den Jungs hatte er mal wieder eine Lehre zukommen lassen.

Noch bevor der düpierte Kriegs-Wesir zu einer möglichst schlagfertigen Erwiderung fand, machte der Hadjib dem Nachspiel ein Ende. „Vergiss nicht, ehrwürdiger Verwalter unserer Geldtruhen, dass unsere Krieger durch echten Einsatz geübt werden müssen. Trockenübungen auf unserem Kasernenhof genügen nicht, um unserem mächtigen Emir, dir, und uns allen Sicherheit zu garantieren. Das erste Ziel einer Razzia ist praktisches Training. Und die zu erwartende Sklavenbeute wird nach ihrem Verkauf zumindest auch diesmal die Ausgaben, über die du zu unserer stetigen Freude immer so bemerkbar trauerst, wieder einbringen!“

Damit beendet er mit seiner üblichen Gewandtheit die Diskussion, und wandte sich, zuerst gefolgt von seinem Leibsklaven, zum Ausgang des Palastes. Dort schlossen sich die bisher wartenden Leibwächter an, und geleiteten ihn sicher zu seinem eigenen Palast im Regierungsviertel der Qal´a. Fast wie die kopierte Nachahmung strebten die anderen ebenso davon. Nur der vom Zipperlein und der Gicht geplagte Finanz-Wesir erkletterte eine Sänfte und wurde, von seiner Leibgarde umgeben, von vier bärenstarken Sänftensklaven weggetragen.

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Euskal Herria

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