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9. Kapitel: Die Beute schlief

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Alles verlief nach Plan. Nachts wurden die Dörfer umstellt. Im ersten Tageslicht schlugen die Muslime zu. Die im Schlaf überraschten Dörfer fielen ohne Widerstand. Niemand entkam. Einige Basken leisteten Widerstand. Andere versuchten zu flüchten. Die einen wurden niedergemacht, die anderen eingefangen. Die Kleinkinder wurden allesamt gekeult. Nur wenige Erwachsene kamen zu schaden. Der Amir hatte jede Tötung ohne Anlass rigoros verboten. Er ließ sämtliche Gefangenen im Hauptdorf in den Dorfpferch treiben. Sie wurden wie Vieh nach Geschlecht und Alter sortiert und gezählt. Apathisch ergeben kauerten sie auf dem Rasen. Knapp 200, das waren weniger als erwartet.

Sämtliche Häuser wurden gründlich nach Beute durchstöbert. Alle möglichen Verstecke aufgespürt und geleert. Was des Mitnehmens wert war, türmte sich neben dem Brunnen im Zentrum. Dorthin rief der Amir seine Unterführer zum Kriegsrat. Abdallah und Lauro wurden dazubefohlen.

Eine Weile starrte der Amir stumm sie alle an. Dann brach der Sturm los:

„Das war zu einfach! Da stimmt was nicht! Das stinkt!“ brüllte er. „Nicht ein Silber-Dirham in drei Dörfern! Genau 17 Kupferlinge das einzige Geld. Wenn ich damit dem Emir komme, schenkt der mir die Seidenschnur!

Kein Vieh weit und breit! Die Kornkästen fast leer! Das Getreide noch grün auf dem Halm! Wenn unser gnädiger Emir nicht unfehlbar wäre, würde ich sagen, er hat uns in den April geschickt! Der Herbst ist die Zeit für eine Razzia. Erst nach der Ernte kommt unsere Erntezeit, wenn was zu holen ist! Nicht im Spätsommer, wenn selbst die Basken darben! Kein Wunder, dass diese Sadaba überfielen! Die hatten ja selbst nicht mehr viel zu beißen!“ Puterrot im Gesicht, ging ihm die Luft für eine weitere Tirade aus. Eine Minute des Schweigens folgte, dann hatte er nicht nur wieder Luft, er hatte auch seine Fassung wiedergewonnen. Mit mehr Mäßigung fuhr er fort:

„Ich weiß sehr wohl, dass es unserem gnädigen Emir in erster Linie um die Bestrafung unserer Gefangenen geht. Auch da Fehlanzeige. Kein Kriegshäuptling dazwischen. Mindestens die Hälfte ihrer Krieger ist nicht hier. Grad mal 24 Alte und 27 alte Weiber. Ich bekomme noch nicht mal die vom Emir befohlene Quote zusammen. Nun, dann wird die eben mit jüngerer Handelsware aufgefüllt, die eigentlich verkauft werden sollte.

„Die einzige wertvolle Beute sind nach bisheriger Zählung 87 Schweine. Wenn wir alle gründlich einsammeln, kommen wir bestimmt über 100. Grins ja nicht, Ibrahim! Dumm dass die immer noch in den Ställen der anderen Dörfer hocken. Wir verfahren wie folgt, und wage ja keinen Widerspruch, Amin. Du schickst sofort je 15 deiner Männer mit den bereits hier in den Pferchen stehenden Maultieren und Eseln der Basken in die Nebendörfer. Sie sollen je fünf kräftige Gefangene mitnehmen. Die laden alle Schweine in den Außendörfern in die dort herumstehenden einachsigen Kastenwagen der Basken. Mit je einem Maultier oder Esel davor, bringt ihr alles herüber. Morgen früh fahren die Gefangenen das zu Tal. Zusammen mit dem Ergebnis derselben Aktion im Hauptdorf.

Warnt noch einmal nachdrücklich eure Krieger! Keine Misshandlungen, keine Tötungen. In den Serpentinen das Tal hinunter, werden wir für die Karren jede Hand benötigen. Wir brauchen jede und jeden willig für diesen Einsatz, wenn das Ganze gelingen soll. Alles: Schweine, Kastenwagen, Zugtiere und Geschirre wird der Dorfälteste auf dem Markt in Pamplona verhökern. Danach haben wir schon mal einen Beutel Gold für den Emir.“

Er wandte sich an seinen Stellvertreter:

„Ali ibn Assad, du übernimmst Selim, Amin und ihre Männer. Ihr treibt morgen in aller Frühe mit euren 100 die Beute zu Tal. Am Abend geht ihr am Talausgang, unten am Bach und von dessen Bäumen gedeckt, ins Nachtlager. Übermorgen müssen dann 20 Mann als Bedeckung bis Sabada reichen. Je 40 Krieger nehmt ihr zu beiden Seiten des Talendes. Da bleibt ihr als Flankenschutz, bis die letzte der Herden durchgezogen ist. Ihr bleibt auf euren Posten, bis ich eintreffe. Danach erst marschieren wir allesamt als Nachhut aus der Ischibanya!

Ich schätze, dass die Herden der Dörfler, mindestens 500 Schafe und 100 Rinder, oberhalb der Baumgrenze auf den Grasalmen weiden. Da werden auch die fehlenden Krieger der Basken sein. Es braucht um die 20 davon, um das Vieh am Tage und in der Nacht vor den Großgeiern und Riesenadlern zu schützen. Nachts sind die Bären und Wölfe von der Herde fern zu halten. Darüber hinaus müssen ca. 20 knusprige junge Weiber da oben sein. Die Tiere wollen gemolken und der Käse muss getrimmt werden. Ich weiß, dass ich ein hohes Risiko laufe. Aber ohne diese Beute kehre ich nicht zurück. Die Aufgabe geht an dich, Ibrahim. Sondere 10 deiner Kerle aus, die sich den Arsch wund geritten haben. Die bleiben mit mir im Hauptdorf.

Reite mit den übrigen zur Baumgrenze. Dort übernimmt Abdallah die eine Hälfte und reitet am linken Tal Hang nach Norden, du mit dem Rest am rechten. Wir haben Vollmond und einen sternklaren Nachthimmel. Wegen der Nachtgefahren müssen sie die Herden nach dem abendlichen Abmelken eng zusammen bei der Melkerei und Käserei behalten. Wenn ihr sie umrundet habt, tretet ihr zu einer Linie, in einem Halbkreis aneinander. Im ersten Morgenlicht reitet ihr an und treibt die Herden zu Tal. Diese Basken werden euch Widerstand leisten. Ihre hochgefährliche Waffe ist die Steinschleuder. Lauro, was weist du darüber? Dort jenes Huhn, fast 40 Schritte entfernt, würdest du es treffen, wenn du eine Schleuder hättest?“

„Mit dem ersten Stein!“ war die überzeugend selbstsicher vorgetragene Antwort.

„Und wohin würdest du als Baskenkrieger im Kampf zielen?

„Mitten ins Gesicht meines Gegners! Nur so ist er sofort ausgeschaltet“, kam die ebenso prompte Antwort.

„Genau, daher sagt euren Männern eindringlich, ihre Schilde zum Schutze des Kopfes einzusetzen! Ihr müsst geräuschlos, unerwartet und überraschend über sie herfallen. Die Basken sind im Galopp niederzureiten, mit dem Schild niederzustoßen oder mit dem flachen Säbel niederzuschlagen. Keine unnötige Tötung! Der Emir will Gefangene haben! Ich will die möglichst alle lebend hier unten sehen. Durchsucht die Häuser hier im Dorf. Nehmt genug Stricke mit. Eine Schlinge um jeden Hals. Das andere Ende an den Sattelknopf. Helft mit der Peitsche nach, und ihr habt Viehtreiber.

Erst die Schafsherde zu Tal treiben. Dazu nehmt ihr die männlichen Gefangenen. Fünf Stunden später folgt eure zweite Rotte mit den Rindern und den Weibern. Haltet diesen Sicherheitsabstand ein! Ich will keine Panik. Die Rinder würden die Schafe zertrampeln und mindestens die Hälfte die Hänge hinunterkegeln. Ich will die gesamte Beute lebend im Dorf sehen. Die fertigen Käse nicht vergessen. Schnallt sie notfalls den Weibern auf den Rücken.

„Ibrahim und Lauro, ihr verdeckt eure Baskisch Kenntnisse. Horcht auf die Unterhaltung der Gefangenen. Lasst sie frei untereinander reden. Ich will die Anführer haben, und alle Aufrührer. Die kommen zu den 30.

Und nun zum Essen. Wir haben kaum genug dazu erbeutet. Das übernimmst du jetzt mit deiner Horde, Selim. Teil die Gefangenen ein. Lasse fünf Kühe schlachten, dazu alles, was in den Dörfern sonst noch an Kleinvieh zu finden ist. Die Weiber sollen alles kochen und braten. Stell die anderen an ihre Handmühlen. Alles Korn muss zu Mehl werden. Andere sollen den Brotteig kneten, die Steinöfen anheizen, und die gesamte Nacht hindurch Brote backen. Und haltet mir die Reittiere aus dem grünen Korn! Lasst sie ein wenig naschen, aber nicht mehr. Sich Morgen in Koliken wälzende Maultiere, das ist das letzte, was ich ertragen könnte.“

Der Amir neigte sich zum Wasserstrahl des Brunnens. Das war eine lange Rede gewesen. Während er seine Kehle an-feuchtete, verfolgte er mit klammheimlichem Vergnügen, wie urplötzlich hektische Beschäftigung ausbrach. Er hatte die Ziele abgesteckt. Seine gut ausgebildeten Murabitun stürzten sich auf die ihnen zugewiesenen Aufgaben. Wenig später ritt Ibrahim mit Abdallah, Lauro und zwei Dutzend Murabitun, nach Norden in die Berge.

Am nächsten Morgen rollten zuerst die Wagen mit der lebenden Beute, den Schweinen zu Tal. Die führten einen lautstarken Spektakel auf. Ihnen folgten einige Karren mit den Töpfen, Pfannen und Küchengeräten. Dann schloss sich Karren um Karren, beladen mit Ackergeräten und Futtervorräten, im Gänsemarsch an. Jedes Gefährt geleitet von einem alten erfahrenen Basken, und seitlich begleitet von den Frauen. Jede hatte einen Strick um den Hals, das andere Ende am Karren festgezurrt. Ihre Aufgabe: Bei Bedarf Bremsknüppel in die Radspeichen pressen. Neben jedem Wagen trabten einige Murtabitun. Die einsatzbereite Peitsche, ersatzweise biegsame Haselnuss Stöcke, zauberten willige Helfer und Helferinnen. Es dauerte fast bis Mittag. Dann erst rollte der letzte Karren davon. Ihm folgte die Nachhut.

Totenstille sank ins Dorf. Es begann das nerventötende tatenlose Warten. Die Stunden dieses Tages wollten nicht verrinnen. Die mit dem Amir verbliebenen Krieger vertrieben sich die Zeit aktiv. Nochmals durchstöberten sie alle Häuser. Sie klopften Wände und Böden nach möglichen Verstecken ab. Mittags versammelte er die 10. Er befahl ihnen, alle geeigneten Behälter entlang der Dorfstraße aufzustellen, und mit Wasser aus Fluss und Brunnen zu füllen. Viehtränke, damit die Herden unverzüglich weitergetrieben werden konnten.

Reglos und stumm saß der Amir beim Brunnen. Immer mal wieder richtete sich sein Blick zu den fernen Schnee- und Eisgipfeln im Norden. Zu deren Füßen, in den mittleren Grashöhen, mussten die Viehherden der Dörfer zu finden sein. Sein kleiner Trost war das Wetter. Der Mondwechsel hatte keine Änderung gebracht. Dies war der 6. Sonnentag in Reihe. Jeder Tag kam und verging bei wolkenlosem Himmel. Der Abtrieb der Herden musste einfach gelingen.

Am späten Nachmittag wurde er erlöst. Leise und von fern erscholl vielstimmiges Blöken. Dann ergoss sich die Schafsherde ins Dorf. Ibrahim ritt ihr voraus. Sein rechtes Auge war zugeschwollen, sein linkes glänzte in Regenbogenfarben. Ein rotbrauner frischer Schmiss zog sich vom rechten Auge zum Mund Winkel hin.

Seine Meldung war wie immer bei ihm kurz und bündig.

„Die Basken wurden voll überrascht. Dennoch kämpften sie wie die Löwen. Die Hälfte meiner Männer trägt ähnliche Blessuren, und Faruk ist einem Schleuderstein begegnet. Wir haben ihn gleich oben bei der Sennerei vergraben.

Wie immer hat Jan den Kampf entschieden. Wie ein Berserker hat sich der Wende in die Gruppe der Basken gestürzt. Seine Fäuste flogen wie Windmühlen. Sie fällten in sekundenschnelle 8 Basken, alle durch k.o. Er selbst erhielt nicht einen Kratzer Er muss mit dem Sheitan der Slawen im Bunde sein. Allah wird diesem ungläubigen Heiden wohl kaum geholfen haben.

23 Baskenkrieger führen meine Männer am Seil. Darunter den Kriegshäuptling und zwei Unterführer. Diese drei haben den Überfall auf Sadaba kommandiert. Zwei weitere Basken mussten erschlagen werden. Sie waren nicht zu bändigen. 24 junge Frauen und drei alte Weiber folgen mit 143 Rindern und Kälbern. Ein Trupp aus dem Dorf war mit zwei Karren und Maultieren bei der Melkerei, um den fertigen Käse der ersten Weideperiode abzuholen. Daher waren so viele Dörfler da oben. Mehr als wir erwartet hatten. Ohne Jan und seine Fäuste hätte das schief gehen könne. Beide Karren, mit Käserädern gefüllt, folgten der Rinderherde zu Tal.“

Der Amir nickte nur. Niemand merkte ihm an, wie froh er über den Sachstand war. Seine Besorgnis war nur zum Teil behoben. Die Beute war noch nicht in Sadaba. Jeden Augenblick konnte ein entschlossener Trupp Basken aus den Nachbartälern hervorbrechen, und den Rückzug zum Desaster machen. Daher befahl er Ibrahim, die Schafe sofort in das Tal weiter zu treiben, bis zum vorbereiten Lager des gestrigen Sklavenzuges. Am Brunnen stehend nahm er die Parade der Schafe ab, und die der sie antreibenden menschlichen Beute. Dann begann das Warten auf die zweite Kolonne.

Erst im Dunklen strömte diese ins Dorf. Die Rinder soffen die Tränke leer. Dann kamen sie in einem Pferch. Die menschliche Beute wurde in die größte Scheune gesperrt. Die jüngeren Frauen und Mädchen dienten die Nacht hindurch der verdienten Entspannung der erfolgreichen Muslime. So verbrachten die weiblichen Gefangenen ihre letzte Nacht in der Heimat. Für Abdallah, Lauro und ihre Männer gab es dadurch nur eine kurze Erholung. Sie schliefen in dem großen Bauernhof, jenem, zu dem die Scheune gehörte. Das verlangte die Situation. So hatte jeder ein Mädchen neben sich, das ihn warm halten musste. Des Amirs ausgeruhte Krieger übernahmen die Nachtwache, und die körperliche Betreuung der anderen.

Und wieder im ersten Morgenlicht erfolgte der letzte Auf-bruch. Die nächtens intensiv benutzten Frauen, alle mit dem Halsstrick, trieben schwerfällig schreitend die Herde ins Tal. Dort schlossen sich Ali ibn Assads Krieger des Flankenschutzes an. Mit deren Hilfe gelang es, noch im Abendlicht die Rinderherde bis Sadaba zu treiben. Erst als er hinter ihr als Letzter in den Alkazar einritt, atmete der Amir auf. Niemand konnte das Abderrahman anmerken. Seine kühle Mine, sein regloses Gesicht gaben den Aufruhr nicht preis, unter dem er gelitten. Seine scheinbar gleichmütige Gelassenheit täuschte selbst Ali ibn Assad, den Burg-Kaid von Sadaba, der ja als zweiter Kommandeur die Razzia begleitet hatte. Als sie endlich nach einem späten Abendmahl im Burgfried saßen, und sich heimlich von Bacchus bewirten ließen, hatte Ali den Eindruck, der völlig gelöst dasitzende und seinen Wein genießende Amir sei gar nicht auf einem Raubzug gewesen.

Der Folgetag verging mit einer endlosen Reihe von Aufträgen und Erledigungen. Die Sklavenkarawane wankte nach Saragossa. Streng bewacht und eilig trabend. Für beides sorgten die muslimische Wachmannschaft und ihre Peitschen. Die Viehherden folgten mit einigem Abstand, wesentlich langsamer, um die Tiere zu schonen, und von sachversändigen Murabitun getrieben.

Alle männlichen Dorfbewohner der Grenzburg Sadaba, und ein Dutzend Frauen dazu, fuhren und trieben die Schweineherde zum Markt nach Pamplona. Die Karren mit der übrigen Beute gingen denselben Weg. Erst als am späten Nachmittag Ruhe in den Alkazar von Sadaba fiel, bestieg der Amir sein Reittier und ritt in seine Festung Olite zurück. Im erleichterten Herzen den dankbaren Seufzer „Es ist vollbracht“. Des Emirs Anerkennung war ihm sicher.

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