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10. Kapitel: Tag des Gerichtes
ОглавлениеTrutzig und abschreckend reckte sich am Ebro, oberhalb der Stadt, der Qal´a oder Alkazar von Saragossa. Dem ausgedehnten Geviert, fünf Meter hohen Mauern, und aus mächtigen Stein Quadern geschichtet, sah man an, dass dies Römerwerk gewesen. Einer ganzen Legion, ihren Kasernen, den Offiziershäusern, den Vorratsspeichern und Lagerhallen, hatte diese Festung durch vier Jahrhunderte als geschützte Heimstatt gedient. Die waren nun allesamt verschwunden. Weggespült nicht vom Rio Gallego oder dem Rio Huerva, die sich hier in Form eines Wasserkreuzes mit dem Rio Ebro vereinigen, sondern vom Laufe der Zeit.
Die Mauren hatten daraus ihren Alkazar gemacht. Der Innenraum der Festung war zum Schlosspark geworden. An der nördlichen, der Stadtseite lehnte nun der maurische Palast des Emirs. Die Außenmauer im Norden war jetzt die Rückwand seines Wohn- und seines Regierungssitzes. Das Stockwerk darüber bewohnten die Damen seines Harims. Der moderne Neubau sah mit der vornehmen Frontfassade auf den ausgedehnten Vorplatz für öffentliche Anlässe, und auf die dahinter wild wuchernde Kasba, die City dieser Araberstadt. Der Palast nahm die gesamte Front ein, denn zum Ebro hin schlossen sich der Küchentrakt, und dann der Tiraz an. Die Werkstätten des Palastes lagen praktische Weise direkt am Ebro, der ja einer der Verkehrswege war. Vom Ostflügel ging es hinunter in den Hafen und zu dessen lang ausgedehntem Kai.
An der Außenmauer der Westwand reihten sich die wesentlich kleineren Paläste der Wesire aneinander. Ihnen gegenüber lag das Viertel mit den etwas weniger prunkvollen Häusern der Reichen und nachrangig Mächtigen der Stadt. Die lagen an durchgehenden Straßenzügen von zusammenhängend gebauten kleinen Festungen, wie die arabische Welt sie liebt. Jede war ein kleines Abbild der großen Festung zur Römerzeit. Nach außen verlief jeweils eine Steinmauer, nur durch die massiven Holzbalkentore der Hofeinfahrten unterbrochen. Dahinter, abgeriegelt in den Höfen, wohnten und lebten die Wohlhabenden, umgeben von Bedienteten, Wächtern und Sklaven beiderlei Geschlechts, in ihrem Eigentum.
Nicht so die Wesire. Deren nach außen offenen Paläste waren Eigentum einer selbständigen Stiftung nach islamischem Recht, so wie die Moscheen und die Bewässerungsanlagen. Alles unterlag aber der Oberaufsicht des Diwans, also letztlich des Emirs, der sie ihnen nur für die jeweilige Amtsdauer zur Verfügung stelle. Daher lag der Palast des Kriegs-Wesirs als letzter. Um die Ecke herum, an der Südwand waren die Kasernen, und das Arsenal mit seinen Werkstätten angebaut. Denen gegenüber folgte das offene Übungsgelände des Militärs, weit im Hintergrund von der eigentlichen Stadtmauer eingegrenzt Auch die war ein massives Relikt der Römerzeit.
Nur die Ostwand hatte noch ihre alte Funktion. Sie war nur hier zugleich die Stadtmauer. Nackt und kahl ragte sie über dem Ebro in die Höhe, und verkündete weit ins Land hinaus ihre Unbezwingbarkeit. Eine ähnlich gewaltige Römermauer umschloss in weitem Umkreis zusätzlich Stadt, Paläste und Burganlage. Die bezog auch die Kasba mit ein und den Basar. Ebenso die Wohnviertel der Mauren und Juden, der Händler und Handwerker, die in der Mehrzahl nach wie vor noch Christen waren.
An diesem herrlichen Spätsommermorgen blickte die fröhlich blinzelnde Sonne auf ein ungewöhnliches Schauspiel. Vor dem Palast erhob sich eine künstlich errichtete Holzempore um einen Meter in die Höhe. Auf der mit feinen Orientteppichen ausgelegten Fläche saß der Emir in seinem Thronsessel, umgeben von allem, was in Saragossa Rang und Namen hatte. Sie kauerten im mehr oder weniger gelungenen Schneidersitz, weiche Sitzpolster unter dem Allerwertesten. Fein abgestuft nach Rang und Wert: Der Hofrat der Wesire nächst dem Thron. Es folgten die höheren Ränge des Militärs und der Polizei, dann die Ratsherren der Juden, die Räte der Stadt, die Patriziersenioren der Zünfte. Und im äußersten Winkel der Bischof der Katholiken mit seinem Domkapitel.
Den Ehrenrang nahm heute der Amir Abderrrahman ein. Er saß auf einem niederen Hocker zu Rechten des dankbaren Emirs. Der hatte ihm schon gnädig eine Handvoll Gold-Dinare und Silber-Dirham Münzen aus der kleinen, bis zum Rand gefüllten Holztruhe überreichen lassen. Die hatte ihm der Amir bei seiner Rückmeldung zu Füßen gelegt. Noch ehe der Finanz-Wesir die unerwartet hohe Beute gierig einsacken konnte, hatte der Emir schon den Amir beglückt. Sehr zum Ärger des Finanz-Wesirs. Diese in seinen Augen sinnlose Verschwendung amüsierte ihn wieder einmal gar nicht.
Rechts vom Podium standen, hockten oder lagen die von der Haft entkräfteten 60 alten Gefangenen, umringt von Schurta-Polizisten des Wesirs Ismail al-Malik. Die trugen heute ihre Feiertagsuniform, weiße Bundhosen, darüber ein weißer, nur hüftlanger Kaftan, und auf dem Kopf den blauen Turban ihres Amtes. Am Gürtelschal baumelte neben dem Säbel die Peitsche, der Shambok aus Nilpferdleder. Je nach Situation sorgten sie mit dem einen oder der anderen Belehrungs- und Überzeugungssmittel für Ordnung. Gut die Hälfte der Polizisten bekannte sich zum jüdischen Glauben. Die Mauren warben mit guter Bezahlung bevorzugt jüdische Polizeirekruten an. Von den Mauren aus der brutalen Unterdrückung durch die Goten befreit, erwiesen sie sich dankbar für Gleichstellung und gleiche Rechte mit den Katholiken. Sie waren so auch in der Lage, beides selbst zu wahren. Und sie hatten vielfach den Beweis für Mut, Durchsetzungsfähigkeit und Unbestechlichkeit geliefert. Kurz: Sie waren die idealen Ordnungskräfte in diesem Völkergemisch.
Die Söhne und Töchter der 60 bildeten rechts vom Podium eine weitere Gruppierung. Nicht nur ebenso bewacht. Den völlig Nackten waren Füße und Hände gebunden. Sie mussten erst der Veranstaltung beiwohnen, ehe sie im Basar gegenüber auf dem Sklavenmarkt versteigert wurden.
Dem allem gegenüber drängten hinter der Polizeiabsperrung einige Tausend Schaulustige aus der Stadt. Auch von den umliegenden Dörfern waren sie herbeigeströmt. Dicht gedrängt stand die Masse bis in die Gassen des Basars hinein. Sie sahen direkt auf den Palast. Die hinter den verschleiernden Vorhängen der Fenster im oberen Stockwerk zusehenden Damen des Harims und dessen Eunuchen konnten sie jedoch nicht erspähen.
Tagelang hatten Ali ibn Chaldun, der Hausmeier des Emirs, und Ismail al-Malik, der Palastwachen und Polizei kommandierte, die Schau beraten, vorbereitet und organisiert. Mühsam hatten sie dabei den Emir von dessen Idee abbringen müssen, die Veranstaltung im alten Amphitheater der Römer abzuhalten. Das mehr als 700 Jahre alte Bauwerk war nicht mehr sicher. In Teilen war es beim Bau der Maurischen Paläste als Steinbruch genutzt worden. Keinesfalls konnte man es riskieren, viele Tausende in das baufällige Gemäuer zu bringen.
Auf einen Wink des Emirs begann nun die Schau. Drei Herolde traten vor das Podium. Nacheinander bliesen sie ihre Hörner, um sich Ruhe zu verschaffen. Einer nach dem anderen verkündete mit weit tragender Stimme, die ihre Berufsvoraussetzung war, in je einer anderen Sprache das Urteil des Emirs. Und jedes Mal erhob sich aus einer anderen Ecke der Menge ein Raunen. Rufe des Entsetzens wie der begeisterten sadistischen Vorfreude auf das Kommende waren zu hören.
Die beiden gleichermaßen völlig nackten Gruppen der gefangenen ?asken heulten entsetzt auf, als der Baskisch rufende Herold ihr Schicksal ankündigte. Ihre Frauen kreischten und weinten. Andere schrien ihre ohnmächtige Wut hinaus. Die Peitschen der Wachen brachten sie schnell zum Verstummen.
Ein Wink des Polizei-Wesirs, und weitere Polizisten führten eine große Herde abgerissener und in Lumpen gehüllter Männer herbei. Dies war der Bodensatz der Stadtbevölkerung: Krüppel, Alte, allesamt obdachlose Bettler und zugleich Muslime. Nicht wenige humpelten auf primitiven Gehhilfen und Krücken. Sie warfen sich vor dem Podium auf die Knie. Der Emir wandte sich zu Maslam ibn Abdallah, der links neben ihm kauerte:
„Nun, weiser Kadi und würdiger Imam unserer Hauptmoschee, walte deines Amtes!“ Der erhob sich und hielt eine kurze Ansprache an das Lumpenproletariat:
„Brüder, ihr wisst, dass Allah, unser aller oberster Herr und Lenker, nur jene in seinen siebenten Himmel aufnimmt, die sich im Djihad gegen die Ungläubigen bewährt haben. Dort warten 72 der schönsten Huris auf jeden von euch. Allesamt sind sie Jungfrau, und nach jedem Gebrauch, den ihr ihnen zukommen lasst, kehrt ihre Jungfernschaft zurück. In ihrer Mitte dürft ihr nach eurem Hinscheiden bis in alle Ewigkeit diesen und vielen anderen Genüssen des Paradieses frönen.
Ihr hattet, als für euch nicht mehr erreichbar, die Hoffnung auf Zutritt zu diesen überirdischen Freuden schon aufgegeben! Allahu akbar, Allah ist groß, und unser fast ebenso allmächtiger Emir hat in seiner unendlichen Güte beschlossen, euch den Zugang zu diesem Paradies zu öffnen! Werft euch auf den Bauch und singt euren Dank zu Allah. Verkündet fortan unseres großmütigen Emirs Lob und preist seine Güte!“
Diese Empfehlung wurde zum heimlichen Vergnügen des Emirs, und unter dem laut geklatschten Beifall seines Harims, sofort umgesetzt.
„So, ihr hattet Befehl, jeder müsse sein Küchenmesser mitbringen. Zeigt es mir!“
Etwa 100 Gestalten, stumm und überwältigt, reckten irgend ein verrostetes oder schartiges Schneidegerät in die Höhe. Der Kadi nickte befriedigt. Ein Blick und ein weiteres Nicken. Der Kaid der Polizisten raunzte einige harsche Befehle. Die knapp hundert erhoben sich und schlurften zur Seite, zu den 60 Alten, und ließen sich bei denen nieder. 15 von ihnen aber stürzten sich auf die vordere Reihe der Gefangenen. Sie packten zu zweit und dritt einige davon. Sie schleiften die verzweifelt kreischenden und sich wehrenden vor das Podium und in die Mitte des freien Raumes. Da lagen sie, ausgestreckt und festgehalten, mal auf dem Rücken, mal auf dem Bauch. Die Messer wurden angesetzt, und es begann das Gesäbel. Schriller wurden die Schreie. Dann brach einer nach dem anderen mit einem Blutschwall ab. Weiter und weiter wurde geschnitten und gesägt. Es erwies sich als gar nicht so einfach, einen Kopf mit einem Küchenmesser ganz vom Rumpf zu trennen. Schwierig ist es dem Laien, eine der Fugen zwischen den Halswirbeln zu finden. Endlich war das Werk vollbracht. Sieben Köpfe bilden den Grundstein einer Pyramide. Ihre toten Augen stierten in die Menge.
Entzückte Rufe, Kichern und Beifall klangen vom Harim herab. Raunen und Stimmengewirr, Beifall und auch Gelächter kamen aus der Zuschauermenge. Regelrechte Lachstürme kamen auf, als sich ein altes nacktes Weib erfolgreich wehrte, einem seiner Peiniger die Hoden zertrat, und dem anderen das Gesicht zerkratzte. Endlich mal eines der Opfer, das zum Gelingen der Unterhaltungsveranstaltung einen eigenen Beitrag leistete. Hohnrufe erklangen, wenn ein Schächter so total ungeschickt scheiterte, dass ein anderer das Werk vollenden musste.
Nicht wenige in der Menge beneideten die Bettler. So einfach hätten sie auch gern den Zugang zum Paradies mit jenen 72 Huris erworben.
Nach und nach kam jeder der knapp 100 Bettler-Muslime zu seinem Rechtsanspruch auf seine Schar der himmlischen Jungfrauen. Zwei Stunden hatte es gedauert, dann war die Pyramide aus 60 Köpfen vollendet. Sie blieb über 4 Wochen an diesem Platz. Dazu eingeteilte Sklaven hatten fortlaufend die kopflosen Rümpfe auf Karren geladen und gleich vor die Stadtmauer gefahren, wo verwilderte Hunde und nächtliche Raubtiere rasch den reich gedeckten Tisch fanden.
Zwei Stunden hatten alle zugeschaut. Die einen fasziniert, die anderen von Grauen geschüttelt. Niemand war gegangen. Jeder wollte die Sensation bis zum letzten Kopf miterleben. Das war die einmalige, die beste Unterhaltungsshow seit langem. So, oder so ähnlich, war die Meinung aller Zuschauer. Das Ansehen des Emirs stieg beträchtlich höher.
Als sich die Menge verzogen hatte, eilten die Sklavenhändler herbei. Nun erst ereilte die Söhne und Töchter der Geschächteten ihr eigenes, aber doch leichteres Geschick: Die Stunde ihrer Verhökerung war gekommen! Hier erhielt der alte Finanz-Wesir voll sein Recht. Schmunzelnd beaufsichtigte er das Feilschen seiner Schreiber mit den Basaris. Einige besonders attraktive Exemplare der Beute konnten sogar meistbietend an die Händler versteigert werden. Es kam eine beachtliche Summe zusammen, die er freudig dem Staatsschatz zuführte.
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