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1.Kapitel: Abenddämmerung
ОглавлениеÜber den westlichen Gebirgshängen der Pyrenäen schimmerte der Abendhimmel in Gold, und gegen Osten zu, in gleitenden Übergängen bis hin zu dunklem Rot. Der Wind hatte sich schon schlafen gelegt.
Hoch umrahmt von den senkrecht in den Himmel ragenden kahlen Steinwänden, das weite Tal dazwischen. Am Nordende, da wo sich der Gebirgsbach rauschend aus der Klamm löst, um dann gemächlich den Talgrund nach Süden zu durcheilen, duckte sich die einfache Steinhütte an den westlichen Hang. Beidseits schlichte Stallungen. Alles einfache, geschichtete Mauern aus Gesteinsbrocken, mit Steinplatten abgedeckt, und von dünnen Lehmfugen zusammengehalten. Nebenan sofort der Weinberg. Ein Hain mit Apfelbäumen dahinter. Darüber dann der Kiefernwald. Der verdünnte sich nach oben, zur Baumgrenze hin, rasch in Buschwerk, das sich alsbald an den nackten Steilwänden verlor.
Der Mann saß lässig vor seinem Haus auf der Steinbank. Nicht sehr groß, aber von einer ausgesprochen kraftvollen Figur, wie alle Basken. Muskulöse Oberarme zeugten von hartem Arbeitstraining in Feld und Wald, auf dem Acker und mit dem Vieh. Das schwarze, wie ein Filz wirkendes Haardach zeigte weder eine Lücke noch ein erstes graues Haar. 30 Sommer mochte erzählen. Zufrieden lehnte er den müden Rücken an die Wand. Sein Blick streifte über die abgeernteten Felder und die abgeheuten Wiesen unter ihm, im Talgrund. Der Wein war im Fass. Das Korn schon gedroschen. Die Korntruhe voll gefüllt. Ein mächtiger Heuberg an der Stallwand würde bis weit ins nächste Jahr die Fütterung des Viehs sichern. Basajaun,der Gott des Ackerbaues und der Wälder, hatte ihn gesegnet.
Sein Blick wanderte nach oben, musterte den Himmel. Das Wetter wird halten, befand er mit sicherem Gespür. Auch Gott Botzi war auf seiner Seite. Morgen also wieder einer dieser wundervollen Herbsttage. Zeit, die beiden Esel vor den Pflug zu spannen. Der ausgedehnte Stoppelacker des Kornfeldes, halb-wegs zum Wiesengrün im Talgrund, musste noch für den Winter umgebrochen werden. Die kleine Schafsherde hatte bisher die Stoppeln abgegrast und gedüngt. Er würde das Pflügen Lauro allein übertragen. Das wird das Selbstwertgefühl des heranwachsenden Jungmannes sicher stärken, dachte er leise vor sich hin. Besonders, wenn er selbst im Wald Holz einhauen ging, als ob der Sohn keiner Aufsicht mehr bedürfe.
Mit leisem und sehr liebevollem Lächeln folgte sein Blick Sohn und Tochter, die seine kleine Schafherde zum Hause trieben. Hell klangen aufmunternde Rufe zu ihm herauf. Die beiden hatten es eiliger, als die satten Tiere. Die mussten jetzt noch gemolken werden! Danach erst wurde die Abendsuppe aufgetragen. Erst kam das Vieh, die Grundlage ihrer Existenz. Deren Nutznießer nahmen den zweiten Rang ein. Dies war der kategorische Imperativ einer autarken Familie des Bergvolkes, sofern sie, abgeschieden von der Sippe, auf sich allein gestellt überleben wollte. Sein Blick fiel auf die nebenan im Pferch grunzende Schweinesippe. Freude stieg in ihm auf. Jetzt, im späten Herbst, neigte sich ein ebenso arbeitsreiches wie gesegnetes Jahr. Der raue Gebirgswinter durfte kommen.
Seine Gedanken liefen unwillkürlich zurück ins Heimattal im fernen Osten. In das Dorf seines Clans der Euskara, und in die Vergangenheit. Dort, jenseits der unüberwindlich aufragenden Ostwand, war er in die Welt geholt worden. Dort war er aufgewachsen, in der uralten Kultur der Bergmenschen, der Freien, die von den römischen Herrschern Spaniens „Basken“ genannt wurden.
Sie erhielten sich ihre Freiheit. Die Römer wurden so wenig ihre Herren, wie vor ihnen die Phönizier samt Karthagos Hannibal. Ebenso nicht die ihnen folgenden Alemanieros: Vandalen, Sueben, Sarmaten, Westgoten, und nun auch die Moros nicht!
Sein Verhängnis war die Liebe zu seiner Base, die erwidert wurde, und somit die vorhersehbare Folge hatte. Die beiden kamen der ihnen nur zu gut bekannten Clanregel zuvor. Sie flohen rechtzeitig, bevor das Geschehene erkannt, und die Schwangere getötet wurde. Ehen unter nahen Verwandten waren tabu. Wer der Erzeuger eines neuen Lebens war, ließ sich in ihrer kleinen Gemeinschaft nicht verbergen.
Das erlaubte ihnen, des Nachts einige Schafe aus der elterlichen Herde wegzutreiben. Zwei Esel, beladen mit dem Nötigsten, kamen auch mit. Fünf Tage dauerte die Flucht. Sie wollten absolut sicher entkommen sein. Erst das heimatliche Tal hinunter. An fünf Talmündungen vorbei um 10 Meilen nach Westen. Dann von Urix aus das unwirtliche und bis dahin unbewohnte Flusstal nach Norden, bergauf ins Gebirge.
Aus der ersten Notunterkunft wurde später das Steinhaus.
Gemeinsam wurde der Sohn in die Welt geholt, 2 Jahre später die Tochter. Jahre harter Arbeit: roden, säen, ernten und das Vieh vermehren. Selbstzufrieden verbuchte er im Geiste den Erfolg. Sie hatten alles richtig gemacht. Längst war er in der Lage, in jedem Herbst Tiere und einen Teil der Ernte auf den Markt im fernen Taldorf im Süden, nahe der unmarkierten Grenze zum Reich der Mauren, zu verkaufen bzw. einzutauschen. Sie lebten glücklich und zufrieden in pastoraler Einsamkeit. Schon zu Lebzeiten in gefühlter Nähe zum bukolischer Arkadien, von dem sie als Heiden keine Ahnung hatten. Täglich dankten sie dankbar den Naturgöttern der Euskara für deren nachsichtigen Schutz.
Lautlos glitt seine Frau neben ihm auf die Bank. Jahre der harten Arbeit hatten sie nicht beschädigt. Mit fast 30 Sommern, für damalige Verhältnisse schon in der zweiten Lebenshälfte. Weder das, noch ihre beiden Geburten hatten ihrer Attraktivität etwas anhaben können. Abgesehen davon, dass sie ihrem Manne das Schönste auf Erden schien, hätte sie auch sonst sich jeder Konkurrenz stellen können. Eine schwarzhaarige Baskenschönheit, die sich ihres Selbstwertes sicher war.
Stumm folgte sie seinem Blick. Worte waren nicht nötig. Beide genossen in gleichem Einklang die erhabene Abendstimmung ihrer einsamen Abgeschiedenheit. Draußen vor dem Tal, fernab schlugen sich die Völker. Mochten sich die Mauren, Goten und Franken gegenseitig abschlachten – hier im Tal, da wohnte der Frieden. Philemon und Baucis wähnten sich in einem baskischen Arkadien.
Munter ging es zu bei der Abendsuppe. Wie immer spielten die beiden Geschwister Hund und Katze. Eine liebevolle Beziehung verband die beiden, aber dauerhaft geprägt durch ständiges maulendes Rangeln. Es ging um die Rollenordnung. Ernst nahm das keiner. Die arglosen Reibereien gehörten einfach zum ganz normalen Positionskampf im Familienleben.
„Lauro“, hob sein Vater an, „morgen ist es an der Zeit. Der Acker muss umgepflügt werden. Wir müssen die Saat für das Korn vorbereiten. Brennholz muss auch noch einschlagen werden, solange das Wetter noch gut dafür ist. Ich werde morgen ins Holz gehen. Du Seline nimmst morgen wieder die Schafe auf den Stoppelacker und hältst sie in den nächsten Tagen aus dem Pflugbereich. Und du Lauro, du spannst die beiden Esel vor den neuen Pflug mit der eisernen Schar und pflügst die Stoppeln unter. In drei Tagen müsstest du die Fläche umgebrochen haben.“
Staunen und Schweigen. Seline fing sich als erste: „Aita! Du wirst doch diesen halbstarken Brutalo nicht den teuren neuen Pflug ruinieren lassen! Du hast mal eben einen Esel für das Schareisen eingetauscht! So viele Esel hast du doch nicht, um diesem Brutalo ein neues kaufen zu können! Es sei denn, du tauschst diesen Esel neben mir für das nächste Eisen ein!“
Lauro neigte sich zu seinem Schwesterchen. Den entblößten rechte Arm beugend, den Bizeps schwellen lassend: „Riech mal dran! Ein Schlag, und du stehst im Hemd da!“
„Pff, pff“ war die geringschätzige und einzige Antwort.
„Und schau dir die an! Ein Schlag damit, und das Hemd steht allein da!“ Er hielt ihr die linke Faust vor die Nase. Der Bizeps hoch geschwollen. Beide von harter Arbeit voll ausgeformt. Beide flößten Seline nicht den geringsten Respekt ein.
„Pff, pff, halbstarker Angeber!“ war ihre Reaktion.
Die Ama machte dem altbekannten Spiel ein Ende. „Da ist die Seife. Raus mit euch in den Teich. In 10 Minuten will ich zwei saubere Ableger wieder sehen!“
In Sekundenschnelle sausten beide nackt aus der Hütte, stoben zum Teich und bombten nacheinander mit Riesengeplätscher ins Wasser des Baches. Der hatte zwei Becken, von jeweils einer Steinmauer 10 Schritte hintereinander aufgestaut. Das ober war der Trinkwasserspeicher für Mensch und Tier; der untere die Badewanne, nur für Menschen. Toben, Spritzen, Geschrei. Danach schrubbten sie einander den Rücken, tauchten unter, sprangen hinaus und jagten sich fünf Minuten um die Obstbäume. Trockenlaufen. Und ab ins Bett.
Handtücher gab es noch nicht. Seife aber sehr wohl. Ein Vorläufer des heutigen Pflegemittels nahm schon die Neandertalerin in Gebrauch. Eine Mischung aus feiner Holzasche, und je zur Hälfte Schweineschmalz plus Schafstalg. Gut durchgeknetet, bis die Masse sich wie Plastielin anfühlte. In eine hölzerne Form gedrückt, 4 Wochen in der Sonne getrocknet, und die Wäsche konnte in Angriff genommen werden. Zur Körperpflege wurde noch allerfeinster Gletscherabrieb untergeknetet, so fein, dass er nicht kratzte und schrammte, aber immer noch Schmirgelwirkung in die Seife einbrachte. Das war übrigens bis zum vorläufig letzten Weltkrieg die noch immer übliche Seife in diesem unserem Lande. Sie säuberte genau so zuverlässig, und genau so gut wie alles, was die Moderne uns heute zu bieten hat. Allerdings roch sie nicht so gut. Charlotte hätte sie angewidert weggeworfen, darf man nach einschlägiger Lektüre vermuten. Schnuppern sie mal an einem Stück Kernseife. Sie bekommen eine entfernte Ahnung davon, wie eine Baskenbraut im Hochzeitsbett duftete. Und dennoch vermehrten sie sich. Sie sind nicht ausgestorben!
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