Читать книгу Schauderwelsch - Jochen Stüsser-Simpson - Страница 30
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Liebe Mama, deine Anna
Liebe Mama,
eigentlich geht es mir sehr gut, das Wasser im Mittelmeer ist schön warm und das Brot hier schmeckt cool. Jeden Morgen esse ich ein ganzes Baguette. Nur gestern hatte ich ein weniger schönes Erlebnis. Wir waren mit unserer Pfadfinder-Gruppe ja neu in St. Maries angekommen und kannten den Campingplatz noch nicht richtig. Ich musste dringend aufs Klo, aber habe es nicht richtig gefunden. Das mit den Waschräumen und Duschen war klar, aber wo waren die Klos? Nur so eine Art Bodenwaschbecken gab es, mit einem nicht allzu großen Loch in der Mitte. Ich habe eine Frau nach den Toiletten gefragt, das ist ja ein französisches Wort, und sie hat gelacht und auf diese Bodenwannen gezeigt. In der Mitte haben die solche Erhebungen, zwei waagerechte Flächen für die Füße. Auf die habe ich mich mit den Flipflops gestellt. Und habe mein Geschäft verrichtet. Wahrscheinlich hätte ich mehr in die Hocke gehen sollen. Jedenfalls ist es über die Füße gegangen – und ich habe einen Schrecken bekommen, weil es plötzlich so warm war. Nicht nur warm, auch feucht. Und ich hatte Angst, wegzurutschen.
Deshalb habe ich mit einer schnellen Bewegung nach Halt gesucht und den Griff zu fassen bekommen. Den Griff an der Kette des riesigen Wasserkastens irgendwo unter der Decke. Und dann kam das Wasser angerauscht, wie bei einem Wasserfall. Plötzlich wirbelten die Wassermassen um meine Füße und über das Bikiniteil zwischen meinen Schienbeinen. Ich habe mich so erschreckt, dass ich wirklich ausgerutscht bin und mit dem linken Fuß – er tut immer noch weh – in das Loch geglitscht. Da steckte ich dann fest und konnte mein Bein nicht mehr herausziehen – und die Wassermassen konnten nicht richtig abfließen. Einen Moment hatte ich Panik, zu ertrinken, weil ich inzwischen auf dem Beckenboden saß oder hockte und das Wasser bis über die Hüfte sprudelte. So laut ich konnte, habe ich um Hilfe geschrien.
Jean-Pierre, der Mann vom Campingplatz, hat mich nicht verstanden, aber er konnte ja sehen, was los war. Unter den Armen hat er mich abgestützt und mein Bein aus dem Loch vorsichtig herausgedreht und gehoben. Jetzt weiß ich auch, dass es ein normales südfranzösisches Klo ist.
Als wir nach dem Abendessen am Lagerfeuer saßen, hat mein lieber Bruder die Gitarre genommen und das Scheiße-Lied gespielt. Du weißt, das mit den Strophen wie Scheiße in der Lampenschale gibt gedämpftes Licht im Saale und so weiter – du magst es nicht und hast ihm zu Hause verboten, es zu singen. Und jetzt hat er es in der großen St. Georgs-Lagerfeuerrunde vorgetragen – und sogar noch eine neue Strophe dazugedichtet. Auf mein Missgeschick. Die ist so dumm, dumm, dumm, dass ich sie hier nicht schreiben will. Sag ihm bitte nicht, dass du das alles von mir hast. Dann nennt er mich wieder Petze.
Ansonsten ist es hier sehr warm und wir baden immer im Mittelmeer. Ich bin schon eine richtige Wasserratte.
Liebe Mama, viele Grüße, deine Anna