Читать книгу Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder, Christian Friedrich Hebbel - Страница 165
IV.
ОглавлениеDoch ich sollte ernsthaft reden: wohlan also! wir wollen ernsthaftern Ueberschlag machen.
Kann die Epische Würde mit einem belachenswerthen Charakter bestehen, wenn dieser Hauptcharakter der Epopee seyn soll? Nein, und wenn er auch nur einige Unwürde in einzelnen Fällen hätte, noch nein! Aber kann ein würdiger Epischer Charakter auch lachen? Wenn am rechten Orte, wenn im gehörigen Maaße, wenn zu Erreichung des Epischen Zwecks – warum nicht? Der erste Unterschied, den Hr. Kl. nicht beobachtet: Lachen und Lächerlich seyn, d.i. zum Lachen da stehen – welch ein Unterschied!
Zweitens: die Würde der Epischen Hauptperson, gebührt die auch jeder Figur, die in der Epopee auftritt? Unmöglich! und eben bei keinen zwoen Personen muß diese Würde ganz gleich seyn. Einige müssen, eben um die Würde Epischer Helden ins Licht zu setzen, mit ihnen kontrastiren, und Unhelden seyn: Unkraut unter dem Weizen, und Satane um der Engel willen. Wenn es also Einen Achilles geben kann, den Tapfersten der Männer vor Troja, wenn mit ihm tausend Helden, die Stuffenweise an Tapferkeit herunter steigen; warum nicht auch Einen feigen Thersites. Wenn so viel edle, schöne, würdige Seelen; warum nicht auch Eine, die häßlichste unter allen, die vor Troja gekommen waren? Diese, das Bild der Unedlen unter den Griechen, kann mit der gehörigen Epischen Erhöhung so gut und zweckmäßig im Gedichte erscheinen, als unter den Griechen vor Troja die Unedlen. Wenn in einem Trauerspiele schon nicht lauter Helden seyn müssen; so konnte in der weit größern Welt von Menschen, die Homer in der Iliade schuff, auch ein Thersites seyn müssen. Wird seine Einwirkung mit den übrigen Gewichten der Iliade nur zusammen gewogen: erscheint er an Orte und Stelle: nicht ohne Nutzen, mit Zwecke: – vortreflich! – Dies ist der zweite versäumte Unterschied. Die Würde der Epopee fällt auf das Ganze des Gedichts, auf jede einzelne, insonderheit jede Nebenperson nur in dem Maaße, in welchem sie zum Ganzen beiträgt: so muß gravitas epici carminis berechnet werden.
Nun hat, und wer weiß das nicht? die Proprietät, die Eigenheit des Epischen Werks im Ganzen nichts weniger, als das Lächerliche, zum Haupttone; aber kann nicht ein Belachenswerthes in einem Theile zur Congruenz des Ganzen gehören, und ein Thersites, ein Dämon mit zur Harmonie des Werks einstimmen? Nichts ist hier so sonderbar, als eine Scene heraus zu heben; ohne zu betrachten, wie sie mitten im Verfolge sich ausnimmt, oder, besser zu sagen, sich fortdränget, sich aus andern entwickelt, und andere vorbringet, so, daß sie nichts als eine Tonreihe zur Symphonie des Ganzen bleibet. Ein Thersites an sich sey, was er wolle, was ist er zum Ganzen der Iliade? Was ist er in seinem Verfolge? Mischen sich in ihm Homers Successionen der Auftritte, daß ihre Farben schneidend werden, daß der Poetische Maler sie nicht verschmolzen, daß sie in ihrer Succession nicht Ton halten, daß das Auge des Lesers keine Ruhestatt finde, nicht weiter gehen wolle? Wer kann das sagen?
Drittens endlich: die sicherste Kritik eines Gedichts ist die Reihe meiner Empfindungen; und in Absicht auf diese ist das Lächerliche sehr verschieden. Entweder so, daß ich lache, und es der Endzweck des Dichters war, mein Lachen zu erregen, er thue es ernsthaft, oder scherzhaft; oder daß ich etwas Belachenswerthes erblicke, und verächtlich lache, mich ärgere. So sind mir die üppig lächelnden Zuschauer bei dem vorgedachten Austritte zwischen Ulysses und Irus zuwider: sie lachen; aber kaum lache ich mit ihnen. So wird der häßliche Thersites den Griechen belachenswerth; drum aber ist er nicht, um ihnen lächerlich zu seyn. So freuen sich die Götter im Olymp, und der sympathetische Leser soll sich mit ihnen freuen. – Auf die Art wechseln die Empfindungen unsrer Seele die Länge eines Gedichts herab, und nur der kann das Ganze beurtheilen, der die ganze Reihe dieser Successionen sich auf einmal anschauend machen könnte. Da dies aber unmöglich ist: so schwimme ich sanft den Strom herab, und folge dem Dichter, der Ein Gefühl nach dem andern in mir aufrufft, Jedes mit dem andern verschmelzet, und die Misklänge in einander auflöset: so wird der harmonische Einklang des Ganzen.
Ist diese Harmonie bei einer Epopee aber nicht Bewunderung? Freilich! Niemand aber denke, daß diese Hauptempfindung die Einzige, eine ganze Epopee hin, seyn müsse: denn wer kann einen langen starren Blick in die Höhe ertragen? Mitleiden und Schrecken, und Abscheu und Zorn, und Verdruß und Verachtung, alles kann nach einander, an seinem Orte, erreget werden, wenn sich nur jede Empfindung so aus einer andern, in eine dritte ergießet und verlieret, daß zu letzt ein Echo, wie die Stimme der Musen in meiner Seele, bleibe, das Bewunderung sey. Diesen Hauptunterschied hat Hr. Kl. nicht beobachtet: ob ich lache, oder mich über ein Lachen ärgere; freudig oder hönisch lache – ob ich etwas lächerlich oder belachenswerth fühle – alles ist ihm einerlei, wenn nur vom Lachen die Rede ist.
Und wer ists wohl, der die Empfindungen der Seele besser und natürlicher auf einander folgen lasse, als Homer? Kann denn ein Leser von Griechischem Gefühle, der Musik der Seele hat, es bei Homer unempfunden gelassen haben, wie er einen Ton der Seele aus dem andern entwickelt, und in einen andern auflöset – wie keine Stimmung bei ihm über die andern vorschreien, mehr als sie zum Ganzen Eindruck nachlassen soll. – Wer dies empfunden, wer dies als eine stetige Kraft der Homerischen Muse gefühlt: wie sollte der nicht zittern, den Tadel nieder zu schreiben; »Homer weicht oft aus der Gravität und Dignität des Epischen Gesanges: Homer wirds schwer, zurück zu halten, was Lachen erregen könnte, und bringts am ungeschicktesten Orte an: Homer hat, durch solche Unartigkeit, sein Gedicht nicht wenig entstellt: er macht den Leser unwillig, verdrüßlich: man muß Stellen, Seiten aus ihm wegwerfen, um im Tone seines Gedichts zu bleiben.« O Göttlicher Sänger! wenn du auflebest, so gieb doch erst deinen Lesern Ohr: gieb ihnen Musik der Seele!
Die Kritik über den ehrwürdig lächerlichen Pater Ceva mit seinem Jesuskindlein1 kann ich übergehen; sie gehört nicht hieher, denn Ceva wollte schon so ein Heroischkomisches Gedicht, oder lieber ein Narrengemische, schreiben: und welche Ehre! wenn ein Ceva zwischen Homer und Lope di Vega und Milton stehet! – So kann ich auch die lange Schuldeklamation wider die Geschmacklosen Kenner der Alten2 überschlagen: die Gelegenheit, die sie an diesen Ort gebracht, scheint sie – – doch wer will deuten? – Ein Glück ists, in einem Buche, wie die Homerischen Briefe, wieder zwölf Seiten weg schlagen können; und siehe! es war Nichts! Nichts für Homer; für Wissenschaft, für Geschmack Nichts! –
1 p. 36 etc.
2 p. 44–55.