Читать книгу Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder, Christian Friedrich Hebbel - Страница 173
I.
ОглавлениеDer Verfasser homerischer Briefe bietet nur seine Hand dar,1 mich von der Bildsäule des griechischen, zur Statue des römischen Homers zu führen, und mir denselben in aller Größe und Liebenswürdigkeit zu zeigen. Daß dies sein Zweck sey, bezeuget der lange Eingang2 von Klagen, daß man die Alten nicht recht lese, treibe; sie also auch nicht so lieben könne, als – als Hr. Kl. uns vermuthlich an Virgil zeigen will.
Dazu aber, dazu dünkt mich das klotzische Thema wohl nicht das gewählteste. Noch so genau ausgeführt, kann es uns Virgil, als einen schamhaften, keuschen, züchtigen Dichter, vorstellen, es kann ihn uns, als einen moralisch reinen Gesellschafter, empfehlen; ob aber deßwegen, als einen unterhaltenden, liebenswürdigen Gesellschafter? ob, als einen vortrefflichen Poeten, dessen Genie begeistern, dessen poetische Kunst lehren könne? Das sehe ich, im Thema, nicht unmittelbar enthalten. Anmerkungen hierüber werden Ausschweifungen seyn müssen, oder – kurz! die lange Klagenvorrede vom unwürdigen, genielosen, unpoetischen, unangenehmen Gebrauche der Alten, steht nicht an ihrem Orte. Auch das selbst ist ein unpoetischer Gebrauch Virgils, wenn ich in ihm darauf ausgehe, Zucht und Keuschheit aufzusuchen; nicht sein Genie, seine Kunst, seine poetische Ader. Statt die Schönheiten, die entzückenden Schönheiten seiner Muse, zu betrachten, ists wohl eine würdigere Ocularinspection, ob Virgils Muse auch – eine reine, keusche Jungfer sey? Würdige Bemühung, aber für fromme Großtanten, und für kunsterfahrne Hebammen würdig, nicht für den entzückten Liebhaber in der ersten Umarmung.
Um aller keuschen Musen und Gratien willen! will ich der Schaamlosigkeit der Dichter nicht das Wort reden, und die Schaamhaftigkeit der Schriftsteller überhaupt heruntersetzen. Ich wünsche, daß der Geist der feinern Lebensart, oder warum darf ich nicht sagen? des züchtigen Christenthums, sich auch in Schriften zeige, und daß man minder die Ehrfurcht verläugne, die man der Würde des Publicums schuldig ist – ein Name, der den Meß-Schriftstellern unsrer Zeit beinahe so fremde, utopisch und lächerlich geworden, als er, den Griechen, insonderheit die für Athen, für die Welt und Nachwelt schrieben, ehrwürdig war. Der moralische Geist, mit welchem unser Jahrhundert durchdrungen seyn könnte, sollte uns einen Moralischen Verderb, den unsre Schrift stiften könne, wichtiger und gewissenhafter machen, als zehn poetische Schönheiten. – – Dies gilt auch, und noch mehr von Poeten; denn ihr Gift ist süßer, fließt leichter ein, wirkt länger und stärker. – –
Auch will ich das nicht gesagt haben, daß man in Bildung der Jugend über die moralischen Beschaffenheiten eines Dichters völlig hinweg, und nur die poetischen Schönheiten ansehen solle: daß ein Virgil und Catull gleich gute Autoren der Jugend seyn, und die Priapea etwa die goldenen Sprüche Pythagoras abwechseln könnten. Vor wem soll man mehr Ehrfurcht haben, als vor einer unverdorbnen Jugendseele! Unter einer Menge beobachtender Jünglinge ist man vor den Schranken des schärfsten Publicums. – –
Dies alles an seinen Ort gestellt, ist hier die Frage: ob man bei Dichtern, als Dichtern, vorzüglich auf Bemerkung ihrer Scham und Reinigkeit ausgehen? ob der poetische Kunstrichter zuerst ein Zuchtrichter seyn solle? Und das, glaube ich, soll er, vermöge Poetischer Zwecke, und des poetischen Gefühls halben, nicht. Ich verstehe Hrn. Kl. nicht, wenn er sagt:3 quanta enim stultita est, ea de se commemorare facinora, quæ si quisquam alius a nobis patrata esse diceret, cœlum commoveremus & terram, injuriamque nobis fieri clamaremus, gravi pœna expiandam, maculamque omni modo delendam nostræ famæ inuri? Hujus tamen bonæ famæ cur ipsi negligentes sumus? Denn Hr. Kl. wird doch nicht die bona fama eines Poeten für den Inhalt halten, den er besinget? Er wird doch nicht Leßings dann fama darnach beurtheilen, wenn er singt:
Es donnert. Ja es donnert sehr.
Weg mit dem Weine! Was? nicht trinken?
Nein, Bruder! nein! der Heuchler Heer
Mag knechtisch auf die Kniee sinken u.s.w.
Nicht seine bona fama daraus beurtheilen, wenn er an seiner Angelika nichts auszusetzen findet, als – –
– – Einen Fehler treff' ich an,
Der alles nichtig macht.
Sie liebet ihren Mann.
Nicht seine bona fama daraus beurtheilen, wenn er mit dem Tode capituliret, ein und kein Türke sein möchte, Alexanders Wunsch nachahmet, der Faulheit Loblieder singet u.s.w. Denn sonst, wenn Lessing Klotz wäre, certe cœlum commoveret & terram, injuriamque sibi fieri clamaret, gravi pœna expiandam, maculamque omni modo delendam suæ famae inuri; quod quisquam alius a nobis patrata esse diceret, quæ de nibis facinora ipsi commemorabamus. Unglück gnug aber, daß Lessing, Gleim, Uz, Weiße, Gerstenberg, Wieland auf solche bonam famam nicht achteten.
Es wäre doch recht artig, wenn künftig ein Lobredner unsres Deutschen Anakreons der bonæ famæ desselben ein solches Ehrendenkmaal aus seinen anakreontischen Liederchen erbauen wollte, als Hr. Harles aus einigen sehr charakteristischen Stellen der klotzischen Gedichte, da er sich selbst, als Held, als Freund, als Gelehrter, als Weiser, als Dichter etc. mit dichterischer Offenherzigkeit preiset, sehr ernsthaft und bündig hat errichten wollen4 – – armer Gleim! wehe alsdenn deiner bonæ famæ!
»Schon in seiner Jugend, wird der Biograph desselben sehr avthentik erzälen: schon in seiner Jugend zeigte sich in Gleimen der üppige Hang zum weiblichen Geschlechte, der ihm seine meisten Gedichte nachher eingegeben. Als sein Vater ihn die edle Rechenkunst5 nach Pfunden und Thalern, und Winspeln und Centnern, und die güldene Regel-de-Tri lehren wollte, dachte der unartige Knabe schon an nichts, als Mädchen. Nichts sobald lernte er, als spielen, küssen, und war nachher schamlos gnug, andre in diese Schule einzuladen, und ihnen dies, als die erste Lection, anzupreisen.6 Seine Eltern wollten, nach christlicher Zucht und Ermahnung,7 ihn zu etwas Nützlichem anhalten: seine fromme und christliche Mutter bestimmte ihn zum ehrwürdigen Seelsorger: sein Vater zum Mediciner; aber nichts lernte der Knabe. Er bestimmte ihn zum Advocaten; auch da waren ihm nur die Händel der Verliebten sein Kram, und wer weiß, wie manche ungerechte Vertheidigung, um eines schnoben Lohnes willen – – doch ein Christ soll nicht lieblos urtheilen. Nur dauret mich das eigne Geständniß dessen, das er an sich selbst zu rühmen waget: Sein ganzes Geschäfte8 schlafend, träumend, wachend, ist an Mädchen denken; ja oft, bekennet er, habe das Rauschen der Küsse ihn zum Schlafe einwiegen müssen – wer weiß, was vorher gegangen? Selbst nicht die schönste Gegend, und die schöne Gesellschaft eines Kleists war dem Verwöhnten zum Vergnügen nicht gnug ohne seine Doris:9 denn an dieser, und am Weine hieng sein Herz und seine Seele. In solcher Denkart ist es nicht zu bewundern, daß ihm insonderheit die Diener Gottes im Wege sind:10 denn die werden zu seiner Uepigkeit nicht stille geschwiegen haben; aber der Wohllüstige suchte sich lieber zu verhärten. Sein böses Gewissen mag ihm wohl zuweilen zugesetzt, haben; aber er entschlägt sich dem Geschrei desselben; er spottet über Hölle und Teufel;11 er scherzt mit dem Tode,12 wird aber seinen Spott unter den Händen desselben theuer gnug haben bezahlen müssen. Er verlacht den Eifer der Gottesgelehrten, und. hat sich eine Moral von Lebenspflichten13 gezimmert, die atheistisch, gottlos, und der ganzen menschlichen Gesellschaft schädlich ist, und die wir anführen wollten, wenn wir es nicht für unsre Christenpflicht hielten, uns fremder Sünden nicht theilhaftig zu machen. Ja, wenn doch nur die blühenden Jahre unsers gefährlichen Schriftstellers mit solchen Tändeleien fort gegangen wären; nun aber wählt er sich noch u.s.w. – –«
BONÆ. FAMÆ. POETÆ
FRIDERICI. GUILIELMI. GLEIMI
HOC. MONVMENTVM
AD. REGVLAM. POETICO. CRITICAM
VIRI. PERILLVSTRIS
CHRISTIANI ADOLPHI KLOTZI
POSVIT, A.
Gewiß! so wenig sich Bruder Yorik auf die casuistischen Streitfragen seines Didius, und auf die Subtilitäten des alten Grüblers Shandy verstehen wollte: so unlieb will ich bei meinem Worte gehalten seyn, um jeder kleinen Schnurre von Gedichte ihre Moral und Keuschheit vorzuzeichnen, es bei dem frommen Wieland auszumessen und auszuwägen, wie viel Grade Christliche Zucht in seinen komischen Erzälungen, oder, wie viel Quentchen unschuldige Einfalt in Rosts Schäferstunden enthalten seyn mögen. Der Letzte ist gestorben, aber den bösen Wieland, Uz, Gleim und Lessing empfehle ich zur frühzeitigen Büßung und Bekehrung, bei Hrn. Klotz14 die Todesangst, und die reuige Palinodie eines Campans, den bußfertigen letzten Wunsch des La-Fontaine, das schreckliche Ende der lüderlichen Leute Regnier und Grecourt, und die scharfe Epanorthose des Beichtvaters Young zu lesen, und thränendwäßrige Bußlieder, oder bis zum Gähnen erbauliche Kirchengesänge, als Opfer – doch ich bin ja kein Casuiste.
Alle rührende Todesfälle und Bußgedanken übergangen, nehme ich bei Herr Klotzen nur Eins in Anspruch, daß die bona fama, ehrlicher Dichter nicht nach ihren Gesängen beurtheilt werden müsse, daß sie seit ewiger Zeit das Privilegium von ihrem Lügengott Apollo empfangen, Dinge von sich selbst sagen zu können, die ihnen kein andrer, der bonae famae wegen, nachsagen darf: und daß man ihnen, diesen leichtsinnigen Schleuderern von Einfällen, eben nicht durchaus den Rücksprung wehren dörfe, den Teurer hinter den Schild Ajax nahm: castum decet poetam, versus etc. daß es wenigstens immer einen wesentlichen Unterschied zwischen der Sittlichkeit der Verse und des Lebens gebe u.s.w. Wer mit diesen Rettungen nicht zufrieden ist, wende sich an das Archiv des Apollo, wo er das Original des Privilegiums findet.
Ich rede als Privatleser fort. Dichter, als Dichter, macht sich anheischig, uns auf eine oder die andre Art mit einer Fiction zu täuschen, täuschend zu vergnügen, dies ist sein Gesetz: Und dahin streben auch seine Zwecke, er mag Charaktere schildern, oder die Fabel dichten, oder die Rede bestimmen, oder selbst reden: Und da hinaus soll er auch beurtheilet und gelesen worden. Nehmet ihr denn, kann er sagen, mein Gedicht zur Hand, um Beichtväter meines Lebens abzugeben, um meine Zucht und Ehrenwärter, oder um meine Poetischen Leser zu seyn? Wie, wenn ihr das erste wollet, warum blättert ihr lieber nicht in Henkels letzten Stunden, und traget dahin, außer andern Beispielen, auch das Ende bußfertiger Schriftsteller; eines an Leib und Seele kranken Campanus, eines Fontaine, aus dem seine Pflegerin, geschweige sein letzter Gewissensrath, machen konnte, was er wollte? Woher, daß ich euer Erbauungsstifter seyn soll, da ich mich gegen euch zu nichts verstanden, als euch durch meine Fabel, durch mein Drama, durch die Sitten meiner Personen, durch meine eigne Reden, zu – täuschen? Wollet ihr eure Seele diesem illusorischen Reize nicht öffnen; so schlaget mein Buch zu; wir sind keine Leute für einander; an mich habt ihr kein mehreres Recht, als ich euch gebe, nämlich daß ich euch mit Dichtungen in Traum setzen, nicht daß ich euch wachend lehren wollte. Auf unmittelbare Moralen, trocken und schläfrig, wie ihr selbst, kommt bei mir nicht zu Tische: wenn ihr euch meine lasterhaften Charaktere, meine Tändeleien moralisch merken wollt, so thuts nicht um darnach zu handeln, sondern um sie zu erkennen. Gewöhnet euch, aus meinem leichtsinnigen und scherzhaftem Geschwätze nur immer dazu, auch in schwatzhaften Auftritten dieser Art, wo sie euch wirklich im Leben erscheinen, Geschmack zu beweisen, sie auch hinter ihren Masken nicht zu verkennen, und euer Urtheil schon längsther darüber sicher zu haben – Nutzen gnug von meinem Geschwätze. In meinem Buche könnt ihr immer ohne Kosten der Unschuld lachen; nur müsset ihr mich weder im Bösen noch im Guten, zuerst und vorzüglich für Etwas nehmen wollen, was ich nicht bin – Sittenlehrer durch Vorschrift oder Beispiele. Virgil ist ein Epischer Dichter, kein Custos des sechsten Gebots.
Ich will nicht sagen, daß ich die Sorgfalt der Dichter für Ehrbarkeit und Zucht etwa verspotten, oder geringschätzig machen wollte: sie bleibt schätzbar und nachahmenswürdig. Aber auf sie, als auf Hauptaugenmerk ausgehen, kann keine Poetische Leser desselben bilden, zeigt keinen poetischen Leser desselben an, verrückt vielmehr die Sphäre eines blos poetischen Lesens völlig. Fromm mag sie seyn, aber auch nichts weiter; ich will das Auge meines Jünglings nicht verwöhnen, bei Dichtern dergestalt einen Kundschafter der Ehrbarkeit abzugeben, sonst wird er kein poetischer Jüngling. Ein tugendhafter Jüngling aber? Recht gut! »Die Tugend, sagt der Landpriester von Wakefield, die immer und immer eine Schildwache nöthig hat, ist kaum der Schildwache werth!« – –
1 De verecundia Virgilii. v. Klotz. opusc. var. argum. p. 242. etc.
2 p. 242–44.
3 p. 249.
4 Quod ad animum quidem attinet, aliquoties illius imaginem carminibus intexuit. Nam & in Opusc. poet. Humana inquit fortis subjiciam mihi etc. p. 172. 73. 74. 75. 76. 77. 78.
5 Gleims Lieder Th. 1. p. 2.
6 p. 23.
7 p. 29.
8 p. 16.
9 p. 3.
10 p. 3.
11 p. 3.
12 p. 19.
13 p. 39. Im Ernste weiß ich, daß ein sehr erbaulicher Schriftsteller sich über die Worte:
Soll ich mir den Himmel wünschen?
Nein! dann wünscht' ich ja zu sterben!
recht fromm geärgert, und sich gegen die Neckereien mit dem Tode auch in seinen bloßen Todesschriften oft gnug erkläret.
14 p. 151–152.