Читать книгу Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder, Christian Friedrich Hebbel - Страница 166
V.
ОглавлениеStatt uns Homerische Betrachtungen mitzutheilen, schüttet Hr. Kl. einen locum communem aus seinem Collektaneenbuche: ob es uns frei stehe, heidnische Mythologien in Gedichten zu adoptiren?1 und, nach seinen Vorbereitungen zu achten, ist diese Abhandlung sehr wichtig.
Zu erst von der Mythologie in geistlichen Gedichten. Nonnus, Sannazaro, Claudian, (wie der nach Ordnung und Zusammenhang2 hieher kommt, wisse die allsehende Muse) Camoens, Dante, Petrarca, Ariosto, Marino, Tasso, Milton, Frischlin, Heinsius – welch Gemenge von Namen! – werden über der profanen Mythologie in ihren Gedichten scharf, und, nach der Reihe hin, getadelt. Ich glaube nicht, daß eine Kritik, die auf Dichter so verschiedner Zeiten und Gegenden mit einerlei Machtspruche fällt, so gründlich, so prüfend sey, als sie über Männer von so verschiedner Zeit, und so verschiednem Werthe seyn sollte.
Einige von diesen haben Lateinisch gedichtet: ein Punkt, der die Sache sehr verändert; denn wer kann genau ein Haar zwischen ziehen, wo die Lateinische Sprache aufhöre, und die Usurpation der Römischen Denkart anfange. Ich weiß, Hr. Kl. hat die Sache bei Gelegenheit der Recension eines gründlich Lateinischen Buches sehr leicht entschieden:3 eine spashafte Verwunderung über furcifer, ein paar Unterscheidungen, und einige Gegencitationen – so ist der Knoten gelöset, und Alexander ist Sieger des Orients. Aber nachdenkende Liebhaber der Lateinischen Sprache werden bei manchen Worten und Ausdrücken noch sehr zweifelhaft bleiben; sie werden mit einem Goldgewichte abwägen, wie weit manche nichts, als Lateinische Phrases, andere schon Vehikula der Römischen Denkart sind: sie werden also auf die jetzige Lateinische Poesie ein Mistrauen setzen, daß sie uns nicht, statt Römischgroßer Gedanken, einen Teppich von Römischen Wortblumen sticke, daß man also vielleicht von mehrern neulateinischen Versmachern das Urtheil fällen könne, was Hr. Kl. über Sannazaro fället:4 Præter sermonis Latini elegantiam, nihil in iis carminibus, qoud multa laude dignum sit, invenio. Parum aut nihil potius finxit: complures versus Horatio surripuit: similis Horatio, sed ut simia homini etc.
Und allerdings ist auch bei der Mythologie für mich der Unterschied oft zweifelhaft gnug, wo die Redart aufhöre, und ein Gedanke anfange? Es hat Hrn. Kl. gefallen5, bei Vida so gar zu billigen, daß das heilige Brot Ceres heißen könne, und daß, der poetischen Phrasis wegen, zu billigen, daß Christus dem Volke liba Cerealia ausgetheilet, bloß der Nachahmung Virgils wegen; und gilt das, was sollte nicht gelten? So wird mich immer die unmythologische Sprache platt, gemein, unpoetisch dünken können; und so wird endlich ein Lateinisches Gedicht eine Seifenblase, wo viel schöne Farben in der Sonne mir vorspielen; ich greife darnach, und sie sind nichts! – Es waren Lateinische Phrases.
Auch Hrn. Kl. so genannte Horazische Oden6 sind nicht ohne Mythologie: sie reden vom Gravidus, und von der Venus, von Musis und Camoenis, vom pater Lyaeus, dem ein ganzer Dithyrambe Mythologisch gesungen wird, von Faunen und Dryaden, von Nymphen und Najaden, von Pierinnen, von Diis und Deabus, vom Phoebus, und vom Pindus, von Mavors und Bellona, von Cynthia und Flora, ein ganzes Heer Allegorischer Personen ungerechnet. Fragt man mich, was alle diese Namen hier sollen? nach der Manier Hrn. Kl. in seinen Homerischen Briefen muß ich entweder sagen: unschicklich, eitle Gelehrsamkeit: verdrüßliches, fremdes Geschwätz: oder ich sage: schöne. Poetische Phrases! Nun danke, mein lieber Leser!
Als die schöne Lateinische Poesie nach jener langen Barbarei wieder erwachte: als die Sannazars und Vida's, und Bembo's und Fracastor's, geweckt vom Geiste der wieder aufgelebten Römer, sangen: welcher Phöbus Apollo hätte ihnen damals das Ohr zupfen können? »Dieser Ausdruck ist zu Mythologisch, dieses Römische Bild hat noch nicht gnug durch den Gebrauch, und durch die Gewohnheit seine Mythologische Natur abgelegt – weg damit! Aber hier mein lieber Vida! stehe Ceres statt panis; dort Musa statt poetica facultas: Neptunus pro mari: Vulcanus pro igne: Lyacus pro vino. In his licet originem suam superstitioni debeant, tamen amissa fere est, ut ita dicam, prima vis & abolita: carmini vero Latino non exiguam elegantiam eadem conciliant!«7 O der artige Phöbus Apollo! Wenn diese abergläubischen Wörter ihre erste Kraft verlohren haben, wenn sie ihre Natur ausgezogen, wenn ihr Gewicht weg ist; so mögen alle solche elegantiæ non exiguæ in den Orkus! Sie sind ein elender Flitterstaat, eine Poetische Sprache ohne Poetischen Sinn, ein Schulgeschwätz. Ist nur dann ein Mythologischer Ausdruck brauchbar, wenn ihm die Gewohnheit, der alltägliche Gebrauch seine ursprüngliche Bildvolle Bedeutung entnommen: so ist er ein Redezierrath ohne Wesen; und vor solcher Poesie behüt' uns liebe himmlische Muse!
Nein! für Schulmäßige Phrasesjäger will ich die Erwecker der Lateinischen Dichtkunst nicht nehmen; aber um so schwerer wird mir die Entscheidung: »wie weit kann eine wirklich Poetische, und in ihren Horaz und Virgil verzückte Seele, in ihrer Poetischen Begeisterung, auch gleichsam an seine Götter und geistigen Wesen gläubig werden? Wie weit kann sich die Horazische Laune, der Virgilianische Geist, insonderheit, wenn ich in ihrer Sprache singe, einstellen, daß ich Mythologie von ihrer Dichtungsart unabgetrennet und unabtrennlich erblicke, daß ich, indem ich, wie sie, singen will, auch mit ihrer Mythologie singe.« Wer kann hier aus dem Stegreife antworten? wer kann in der Seele derer, die wirklich mit Enthusiasmus dichteten, Grenzen ziehen, wie Römische Begeisterung, Begeisterung aus den Römern geschöpft, Begeisterung, die sich selbst in Römische Sprache ergoß, hie und da einen Schritt weiter im Ausdrucke zurück bleiben, hie und da etwas vorsichtiger in der Mythologie seyn sollten: denn sie dichteten doch heilig. Nun ja denn! immerhin heilig; aber Vida und seine Mitgefährten dichteten auch Lateinisch, und, zum Unglücke, wollten sie auch Römisch dichten; nun stehen wir vor einer dreifachen Wegescheidung – wer kann alle drei mit einmal gehen, ohne auf keiner zu weit hin zu wanken?
Ich sehe keinen andern Rath, als daß man über ein heiliges Sujet niemals Latein, ich meine Römisch Latein, gedichtet hätte! denn immer ist eine Mischung von Sprach- und Denkarten unvermeidlich. Der Orient soll sich in den Occident stürzen, Geist der Religion, und der Altrömischen Poesie sollen sich umarmen; ein seltnes Paar! aus Cicero soll ein Compendium der Theologie geschöpft, und doch kein Römischer Begriff dahin übertragen, und keinem Begriffe der Orthodoxie etwas von seiner systematischen Strenge benommen werden – schwere Verbindung! Sannazaro will de partu Virginis schreiben, und zugleich nie seinen Virgil verlassen: Buchanan einen Baptistes schreiben, und doch seine Juden Römisch sprechen lassen – widrige Vermischung! Ueberläßt sich der Dichter dem Geiste seiner Religion; so wird er Jüdisch- so wird er Christlichlatein zu sprechen in Gefahr kommen; folgt er dem Geiste der Römischen Poesie, Denkart und Sprache; wie weit von Judäa ab wird der ihn hinführen! Will er, als ein Helleniste, auf beiden Wegen gehen, und Gleichgewicht halten – unwürdige, ermattende Wachsamkeit! drückendes Joch des Geistes, der in der Poesie nichts so sehr, als Freiheit, liebet. Der furchtsame matte Dichter wird an der Erde kriechen, und nie sich aufschwingen können: denn er schrieb für die Censur zweier Inquisitionen, eine Christliche (oder Jüdische) und eine Römische! – Mein Rath also, daß man nie den Vogen der Römischen Poesie nach so weit von Rom entlegnen Gegenständen spannen wollte, wenn man auch Pindarische Pfeile hätte: man trift nicht!
Es versteht sich, daß die Dichtungsarten nicht alle gleiche Schwierigkeiten haben. Eine Hymne, ein Lehrgedicht, eine Cantate ist eher geistlich und doch Lateinisch zu liefern; als ein Trauerspiel, eine Dichtung, ein Lustspiel, eine Epopee. Buchanans Juden treten als Juden auf; Lateinische, Römische Juden in Galiläa! Frischlins Ismael in Mesopotamien, und daselbst mit Classenlatein! Sannazars Cerberus, Centauren, Hydern, Proteus, im Stalle zu Bethlehem! bei einem Trauerspiele, Lustspiele, Heldengedichte, welche Disharmonie, und doch fast wie unvermeidlich! Hr. Kl. also hätte über alle diese Dichter nicht bloß sein kritisches Urtheil vom Throne hinunter sprechen, das von andern schon so oft gesprochen ist, sondern lieber auf die Ursachen dringen sollen, die diesen Männern Zwang auflegten. Ohne dieses ist seine Kritik eine gute lange Classenlektion,8 und wem ist damit gedient?
Zweitens, auch die Zeiten und Länder muß man unterscheiden, in denen ein Dichter lebte, in denen und für welche er schrieb. Die meisten der gerügten Poeten sind Italiener, aus dem Lande der Alterthümer also, aus oder vor den Zeiten, da der Geschmack des alten Gräciens und Latiums wieder auflebte: Wer wird nun einen Dante, Petrarca, Sannazar, Vida, Ariosto, Tasso, Marino aus allen diesen Zeitverbindungen rücken, und so schlechthin vor das Gericht einer fremden Zeit, eines fremden Landes fodern; daß sie das Heilige mit dem Unheiligen vermischet? Der Geist der alten Griechischen Mythologie, aus seinem Vaterlande vertrieben, floh nach Italien: Italien gab er die Denkmaale seiner Größe in Poesie und Kunst und Weisheit: in Italien erwachte er wieder; erwachend aber fand er ein Land, mit einer fremden, der Christlichen Religion bedeckt. Indessen strebte er in die Höhe, schaffte sich Bewunderer, Anbeter und Nachahmer; Nachahmer, die in den Begriffen einer andern Religion, Denkart, und Sprache erzogen waren: was anders also, als eine Vermischung zweener fremder Ströme, die gegen einander brauseten, und endlich zusammen flossen. Der Christliche Künstler, dem Apollo profan war, fiel doch vor ihm, als vor dem höchsten Denkmaale der Kunst, nieder: die Statuen der Götter waren Geschöpfe des Aberglaubens, aber auch Geschöpfe der schönsten Griechischen Kunst: Horaz und Virgil waren Dichter einer fremden Religion; zugleich aber Dichter der edelsten Natur, der vortreflichsten Sprache: die Mythologie eine Sammlung von Fratzenmärchen; aber auch eine Welt voll sehr Poetischer Ideen. Unter solchen also lebten damals Dichter und Künstler: sie wandelten unter heidnischen Statuen, und heidnischen Dichtern, und heidnischen Sprachen: das Neue, die Morgenröthe des Geschmacks, hatte dreifach stärkere Wirkung auf sie: sie wurden selbst Römische Dichter, und neugriechische Künstler und Christliche Heiden. Der Cardinal der Römischen Kirche war ein heidnischer Bembo, der neue Horaz Vida Bischof von Cremona: das Kind mit Christlichem Wasser getauft, ward mit heidnischen Begriffen des Schönen genähret: die Vermischung ward Geschmack der Zeit und des Landes. Leo der zehnte vergab Christliche Sünden, und wandte die heiligen Summen auf das unheilige Schöne der Heiden: in die Tempel Italiens kam David und Apollo, Christus und Belial neben einander, und die Geschichte Jupiters und Leda auf die Thüre des heil. Römischkatholischen Peters.
Wer kann nun ohne Rücksicht auf Zeit, Land, und Sprache Sannazar und Vida, Dante und Petrarca, Ariosto und Tasso, und wen weiß ich mehr? tadeln9, ohne sie zu erklären, ohne uns auf ihre Jahrhunderte aufmerksam zu machen, da die scholastische Wortgrüblerei, und die Sprache der Mönchsandacht der Geist der Religion war, da das Land von dieser Seite unter Nacht und Dunkel lag, oder da der hellere Geschmack an den Antiken in Poesie, Kunst und Sprache überwand, sich in Alles hineindrängen, und dem Ganzen der schönen Litteratur seine neue Bildung geben mußte. Da also konnte Dante in seiner Göttlichen Komödie Christen Juden und Heiden, Götter, Engel und Teufel durch einander mischen: da konnte Ariost
le Donne, i Cavalier, l' arme, gli amori
le cortesie, l' audaci imprese – – –
che furo al tempo, che passaro i Mori
d' Africa il mare u.s.w.
besingen, und mitten inne auch des Styx und Acherons erwähnen. So unbillig die Brittischen Prose-Critiks dem Spenser seine Feen, und Shakespear seine Hexen vorgerückt: so unbillig alte Italiener und Portugiesen, und Engländer nach dem Zeitbegriffe meiner Religion und Wissenschaft beurtheilen – auf die Weise wird alles ein Chaos.
Klopstock (ich weiß keine höhere Instanz!) Klopstock sang dem Messias seinen ewigen Gesang im Geiste der Religion seiner Zeit, nach den Gesichtspunkten seines Horizonts, nach den Eindrücken seines Herzens; wer einerlei Natur, einerlei Mittel der Bildung, Seiten der Anschauung, Ein Herz und Eine Seele mit ihm hat, wird ihn aus ganzer Seele lesen. Einem Oest, z.E. werden schon viele Vorstellungsarten Talmudisch dünken; einem Christlichen Schüler des Korans werden manche aus Arabien entlehnt vorkommen: einem Foster oder Sterne in England, und auch das sind Christen! werden manche noch weit befremdender erscheinen; und endlich einem orthodoxen Christen des zwölften oder zwanzigsten Jahrhunderts? – dessen Urtheil über den Meßias möchte ich lesen. Wie? wenn nun ein solcher nach seiner Zeit fromm und selig urtheilte? Unbilliger Richter! er sollte sich in unsre Zeit zurücksetzen, aus ihr denken und sprechen: er sollte mehr als des Nikomachus Auge haben, um Helena anzuschauen. So wie der oberste Richter allwissend seyn muß, um gleichsam die eigenthümliche Moralität eines jeden Herzens zu kennen: so sey (man erlaube mir die kleine Blasphemie vom Gleichnisse!) so sey der Richter über Zeiten und Völker, auch des Geschmacks dieser Zeiten und Völker kundig, oder er greift blind in den Loostopf der Jahrhunderte, um nichts als ein mageres kritisches Regelchen herauszulangen.
Und Milton! – Wer Milton mit allen vorigen Mischern der Religionen in einen glühenden Ofen zusammen werfen will,10 hat nicht bedacht, daß bei ihm diese Mythologischen Vorstellungsarten nicht wesentlich zum Baue seines Gedichts, sondern nur zur Auszierung desselben gehören. Er bringt sie nicht (wenigstens nie offenbar!) in die Zeit, aus welcher, sondern in die Zeit, für welche er singet: und so werden sie Gleichnisse, Schmuck, Verzierung seiner Gegenstände; nicht eigentlich Gegenstände selbst. Er singt für seine Zeit; dieser schweben unter andern auch aus heidnischen Schriftstellern Vorstellungen im Gedächtnisse, die seine heilige Vorstellung zehnfach verstärken, und einprägen – einprägen, daß es kaum in seiner heiligen Geschichte solche starke und Nachdrucksvolle Hülfsvorstellungen gäbe – warum also sollte er jene wartende Ideen in der Seele seiner Leser nicht wecken? warum sie nicht aufruffen, um seinen heiligen Gedanken desto tiefer in die Seele zu prägen? Und das thut Milton!
Er thuts an weit mehr Stellen, als mein Lateinischer Autor anführet; doppelt aber ärgerts mich, daß er eben die süßesten im ganzen Milton tadelt, aus einem Buche,11 das die größesten Gegner desselben mit Lobsprüchen haben überhäufen müssen; nämlich »die selige Liebe der Stammväter des Menschengeschlechts in Eden.« Auch Winkelmann, der in Griechische Schönheiten entzückt, die Miltonischen Beschreibungen für schöngemalte Gorgonen erklärte, nimmt diese Scene von seinem zu Griechischen Urtheil aus,12 und in der Sprache Miltons insonderheit selbst herrschet hier eine Süßigkeit, eine Anmuth, die uns in das Paradies selbst versetzet – und siehe! in diesem Paradiese eben zeigt sich eine kalte Hand des Critikus, um uns einige der schönsten Früchte Todbringend zu berühren.
Milton hat sein Eden mit aller Pracht und Schönheit geschildert: Bäume, Flüsse, Quellen, Lustwälder, murmelnde Wasserfälle, das Chor der Vögel, der Hauch der Frühlingslüfte, der Geruch der Wiesen und Wälder – eins nach dem andern fließt wie Balsam in unsre Seele: meine Phantasie ist erfüllet: mein Auge, Ohr, und alle Sinne gesättigt: ich schwimme im Traume der Wollust. Und Milton will mich in diesem Traum erhalten! Da meine Sinne gesättigt sind; so spricht er zu meiner Seele: er rufft alle Ideen schöner Gegenden und Lustörter, die in meiner Einbildungskraft schlafen, auf: und wo giebt es mehr, als aus Griechenland und seinen Dichtern des Vergnügens? Diese sollen mich in meinem Traume fortwiegen, ich soll die Freude der Wiedersehung genießen, und so nachdem auf sanften und unmerklichen Stuffen meine Seele von dem Leblosen sich immer lebender hin, aufgeschwungen, und jetzt in dem Musikalischen Chore der Vögel und der Lüfte, und der zitternden Wälder schwebet: so fängt sie, wie aus einem sanften Schlaf erwacht, an, die holden Bilder voriger Zeiten, die Erinnerungen der Jugend zu sammlen:13
– – while universal Pan
Knit with the Graces and the Hours in dance
Led on th' eternal spring. Not that fair field
Of Enna, where Proserpin gathering flowers
Herself a fairer flowr etc. – – –
– – – – – nor that sweet grove
Of Daphne by Orontes, and th' inspir'd
Castalian spring, might with this Paradise
Of Eden strive; nor that Nyscian ile
Girt with the river Triton etc. – –
So schwebt unsre berauschte Einbildungskraft weiter, und kommt endlich vom Berge Amara aus Aethiopien zurück, um im Paradiese unendlich mehr, als in allen diesen Zaubergegenden zu finden. Ist dies eine Entheiligung des Gedichts? so ists eine Entheiligung des Höchsten unter den Propheten, des Poetischen Jesaias, Jehovah einen Gott der Götter zu nennen, und ihn Gesänge lang mit diesen heidnischen Klötzen zu vergleichen! aber wie erhaben!
Milton hat uns das erste Paar bis zum Entzücken geschildert, den Bau ihrer Glieder, und ihre vergnügte Mahlzeit, und ihre Liebkosungen, und die holde Umarmung der Eva und – das Lieblächeln Adams.14
– – as Jupiter
On Juno smiles, when he impregns the clouds
That shed May flow'rs – –
Welch ein Bild! Ists Erniedrigung für Adam, in ihm den küssenden Jupiter zu sehen? Adam führt Eva zur Brautlaube, und da unsre Seele durch den sichtbaren Anblick derselben mit Freude und Ehrfurcht gleichsam erfüllet worden; da das Auge nicht mehr sprechen kann: siehe! so spricht die Phantasie, gleichsam in einen Traum voriger Zeiten versenket:15
– – – in shadier bower
More sacred and sequester'd, though but feign'd
Pan or Sylvanus never slept, nor Nymph
Nor Faunus haunted. – –
So dichtet Milton: seine profanen Gleichnisse sind nichts als Hülfsvorstellungen zum Dienste seiner heiligen Vorstellungen: er nimmt zu ihnen seine Zuflucht, wenn Worte innerhalb dem Kreise seiner Religion nicht Triebfedern geben, seine Idee so hoch zu spielen, als er sie haben will: und nur dann irret seine Phantasie in diese Zaubergegenden der Griechischen Dichtung, wenn er schon unsre Sinne erfüllet, und jetzt der Seele Zeit läßt, die Bilder ihrer Jugend zu sammlen. Konnte er dies nicht thun, als Dichter? Eben dadurch schlägt er ja an unsern Geist, daß er gleichsam sich selbst dichte. Oder etwa nicht als Dichter der Religion? Was ist der Religion würdiger, als solche Vergleichungen zu ihrer Erhöhung? Die Bibel, ja Jehovah selbst in ihr spricht also.
Nichts, nichts wundert mich so sehr, als daß ein compilirter Tadel, der in Britannien längst verlacht, und verachtet ist, den nur die Lauder's und Magni's und Voltaire's gegen Milton haben aufbringen können, und längst damit zur Ruhe gegangen, daß dieser, ohne Gründe und Ursachen, wieder aufgewärmt, in Deutschland angehört werden könne! Einem Critikus, der Milton blos aus ausgerissenen Allegationen kennen mag, kann so etwas erwartet kommen, dem aber mag ich keinen bessern Lohn für seinen Tadel wünschen, als daß er ihn nie im Zusammenhange kennen lerne!16 – –
Schade, daß unserm Lateinischen Homeristen die Biblischen Epopeen, die wir in unsrer Sprache haben, z.E. ein Noah, Jakob, u.s.f. unbekannt oder nicht in seiner Compilation angeführt gewesen: welch ein gelehrtes Register Mythologischer Herrlichkeiten würde er da excerpirt haben, zur Freude aller frommen Christen, und zur Lehre der Männer in Zürich!
1 p. 55.
2 Ich weiß, ohne die allsehende Muse nöthig zu haben, daß Hr. Klotz Parenthesen liebt, in Einer wieder Eine, und in dieser noch eine, und in der dritten zur Noth noch eine vierte machen kann; ist das aber Anordnung? – Zu dem, damit ich auch eine Parenthese mache, gebe ich dem seligen Geßner vor Hrn. Klotz, wenigstens bei mir, Recht, daß Ovids Proserpine zu nahe dem Kindischen sey (nimis puella), ohne daß darüber ein überladnes Gericht Claudianscher Mythologie gelobt werde.
3 Act. liter. Vol. I.P. III. p. 250. etc. Funccii de lectione auctor. classicor. P. II.
4 Epist. Hom. p. 58.
5 ibid. p. 83. 84.
6 Klotz Opusc. Poet. – Carmina omnia, und bei welchem Titel ihrer Titel man sie sonst, nennen will.
7 Epist. Hom. p. 82. 83.
8 Epist. Hom. p. 58–86.
9 Epist. Hom. p. 73–75. etc.
10 Epist. Homer. p.79.
11 Parad. lost. B. IV.
12 Gesch. d. Kunst, p. 28.
13 Parad. lost. Book IV. v. 266.
14 B. IV. v. 499.
15 B. IV. v. 705.
16 Daß Hr. Kl. ihn schwerlich so gekannt, könnte ich aus der offenbar ungerechten Anschuldigung beweisen: Milton sage hier nicht einmal sein Salva Venia: ut est in fabulis, ut poetae aiunt, aut alia einsmodi, quibus excusari illa possunt. Zwar, wenn ers auch nicht sagte? Nun aber muß ja Hr. Kl. v. 705. das though but feign'd nicht gelesen haben, und wer wird eine Stelle anführen, die man nicht gelesen hat?