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DIE NEUE KÜCHE

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Schon in den »Schweizer Stuben« wurde ein enormer Aufwand betrieben, um Johann Lafers Kreationen gebührend zu präsentieren. »Da gab es einen edlen Dessertwagen«, blickt er zurück. »Von dem durften sich die Gäste etwas aussuchen.« Im »Aubergine« erreichte das Perfektionsdenken für ihn jedoch ein völlig neues Niveau: Statt auf einem Wagen serviert, was in dem Münchner Gourmetlokal allein schon wegen der baulichen Gegebenheiten nicht möglich gewesen wäre, wurde das Dessert hier in zwei Gängen auf Tellern serviert und war fester Bestandteil des Menüs. Anschließend gab es noch selbst gemachte Pralinen und Petits Fours auf kleinen Etageren, die als Aufmerksamkeit des Hauses auf dem Tisch platziert und auf Wunsch auch für daheim eingepackt wurden. Nicht zu vergessen das erfrischende Sorbet im Silberbecher, meist aus Passionsfrucht. Es sollte zum einen den Gaumen zwischen Fisch- und Fleischgang, bei dem auch von Weiß- auf Rotwein gewechselt wurde, neutralisieren, zum anderen wollte man mit ihm etwas Platz im Magen schaffen. In Frankreich reichte man dazu gern Grüner-Apfel-Sorbet und ein Glas Calvados, besser bekannt als »trou normand« oder »normannisches Loch«.

»Das war die Weiterentwicklung der deutschen Dessertwelt, die ich bereits im ›Tantris‹ eingeleitet hatte«, sagt Eckart Witzigmann, »und die nun zusammen mit Johanns Kreationen ungeahnte Dimensionen erreichte.« Gefüllte Datteln mit Mokkasauce, weiße und braune Schokoladenmousse mit Rumpflaumen, Ananascrêpe mit Orangenragout, Cassis-Feige mit Vanilleeis, Topfensoufflé mit Marillensauce, Rhabarberschaum mit Erdbeeren: So lauteten unter anderem die Nachspeisen aus dieser Zeit, die die Geschmacksnerven der Feinschmeckerszene Breakdance und Walzer zugleich tanzen ließen. Die Kombination von heimischen Süßspeisen mit exotischen Früchten wie Kiwi oder Ananas und orientalischen Gewürzen wie Zimt, Kardamom, Ingwer war eine völlig neue Geschmackswelt, die man bis dahin höchstens aus der Weihnachtsbäckerei kannte.

Die Messlatte in Deutschlands erstem Drei-Sterne-Lokal konnte nie hoch genug hängen. Die Köche hier wollten jeden Tag – mittags wie abends – die Besten sein. »Das waren absolut ausgefallene Ideen. Wir haben zum Beispiel Weintrauben mit einer Sicherheitsnadel ausgehöhlt und dann mit Champagnerschaum gefüllt«, greift sich Johann Lafer lachend an die Stirn. »So bekloppt waren wir damals.«

Auf den anderen Posten füllte man ähnlich akribisch hohl ausgelöste Entenflügel mit Steinpilzfüllung oder Artischockenböden mit Zuckererbsenpüree und Entenherzen.

Das »Aubergine« war eine Ideenmanufaktur mit ungeheurem Output. Die komplette Mannschaft war motiviert bis in die Messerspitzen und befruchtete sich gegenseitig mit ihrer übersprudelnden Kreativität. Man spielte sich gegenseitig die Bälle zu. Gleichzeitig wollte jeder zeigen, was er konnte.

Es herrschte ein harter, aber fairer Konkurrenzkampf, denn letztendlich wollte jeder selbst den Ball im Tor versenken, um die Anerkennung Eckart Witzigmanns zu bekommen, der mittendrin auf dem Spielfeld stand. Als sogenannter Chef-Patron war er in seinem Betrieb Präsident, Manager, Trainer und Libero in Personalunion. Er liebte es, seine Mannschaft aus deutschen, österreichischen, französischen, Schweizer und Südtiroler Vollprofis zu Höchstleistungen am Herd anzuspornen, um am Ende eines langen Tages das Küchenmatch abgekämpft, aber meist brillant gewonnen zu haben. Diese Momente schweißte die Truppe zusammen. Einer für alle, alle für einen!

»Der Erfolg des ›Aubergine‹ war stets eine Leistung des gesamten Teams«, betont Eckart Witzigmann, der wie kein zweiter Küchenchef in Deutschland die Talente und Stärken seiner Köche erkannte und unterstützte. Er übertrug ihnen jede Menge Verantwortung und suchte ständig den gegenseitigen Austausch. »Der Eckart hat mich stark gefördert, aber auch gefordert«, bestätigt Johann Lafer. »Er hat immer gesagt: ›Johann, wenn du mir was vorschlägst, was anderes, dann zeig’s mir und ich sag dir, was ich davon halte.‹ Diese ehrliche Kritik hat mich wirklich weitergebracht. Ich konnte das immer nachvollziehen. Und das macht den wahren Meister aus. Wenn einer sagt, pass auf, mir schmeckt das zu sehr nach Zimt oder die Nelken sind zu vordergründig, dann kann ich damit was anfangen.« »Ohne ehrliches Feedback kommst du in der Gastronomie eben nicht weiter«, bekräftigt Eckart Witzigmann.

Ehrliches Feedback bekommen die beiden Freunde auch sofort, als sie über den Viktualienmarkt laufen. »Vielen Dank für die ›Küchenschlacht‹, Herr Lafer«, sagt zum Beispiel ein Passant. Handys werden gezückt, Autogramme geschrieben. »Grüß Gott, Herr Witzigmann«, begrüßt die Marktfrau Renate Zollner freudestrahlend den Jahrhundertkoch und zeigt ihm ihre Ware. Im Angebot hat sie knallgelbe Pfifferlinge, in Bayern auch Eierschwammerl genannt, und Morcheln, so groß wie Tannenzapfen. Sofort hat sie seine Aufmerksamkeit. Der gebürtige Hohenemser, der in Bad Gastein aufwuchs, liebt Pilze über alles. Genauso wie Johann Lafer, der als Bauernbub oft in die Schwammerl ging, um diese Bodenschätze gewinnbringend zu verkaufen. Damit sie noch etwas schwerer wurden, tauchte er sie heimlich ins Wasser, bevor der fliegende Händler, den alle nur den »Eiermann« nannten, sie wog. Eigentlich eine Todsünde, weil die Pilze dadurch ihr unnachahmliches Aroma verlieren. Seitdem prüft Johann Lafer Pilze immer besonders intensiv, so wie sein ehemaliger Chef.

»Das Lachen ist dort am lautesten, wo das Essen am besten ist.«

Irisches Sprichwort


Es ist ein Bild wie vor knapp 40 Jahren. Bereits damals war der regelmäßige Gang über den Münchner Viktualienmarkt für die beiden so selbstverständlich wie das Zähneputzen. »Der Viktualienmarkt war die Quelle der Inspiration«, erzählt Johann Lafer mit einem Leuchten in den Augen. »Was es da alles gab! Herrliches Obst, frische Wildkräuter, aber auch selbst gekochte Marmeladen. Am liebsten schaute ich zur Standlbesitzerin meines Vertrauens, der Franzi Rottler. Die war dann ab und zu auch Gast im ›Aubergine‹.« Manchmal ging Johann Lafer frühmorgens sogar allein hierher, obwohl er als Chef-Patissier im Küchenbetrieb immer der letzte Mann war und so lange bleiben musste, bis auch der letzte Gast sein Dessert bekommen hatte. Und das konnte durchaus länger dauern. Vor allem wenn die Gäste über genug Sitzfleisch verfügten oder erst spät zum Essen kamen, wie die prominenten Fußballer Andreas Brehme oder Lothar Matthäus, die sich hier für ihre nächtlichen »Trainingseinheiten« auf der Tanzfläche des »P1« oder »Maximilians« stärkten. Er hätte daher wie alle Patissiers das Privileg gehabt, am nächsten Tag erst eine Stunde später zur Arbeit zu kommen. Doch stattdessen schaute er lieber, dass er Erste auf dem Markt war, auch wenn er noch den Abdruck des Kopfkissens im Gesicht hatte. Er wollte wie sein großes Vorbild und Mentor Eckart Witzigmann nur die frischeste und beste Ware der Saison für seine Dessertkreationen.

Eine Freundschaft - 100 Rezepte

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