Читать книгу Argots Schwert - Johanna Danneberg - Страница 11
Tag 10, Samstag
ОглавлениеSeit dem Morgen nach ihrem Abiball war ihr nicht mehr so schlecht gewesen. Caro verfluchte sich dafür, unvorsichtigerweise die Augen geöffnet zu haben. Dann verfluchte sie die Sonnenstrahlen, die durch das Fenster hereinschienen. Als sie gerade anfangen wollte, auch das Fenster zu verfluchen, kam ihr in den Sinn, dass da doch eigentlich Vorhänge sein sollten. Dunkle schwere Gardinen, die das Licht draußen hielten, notfalls auch den ganzen Tag.
Caro wagte einen weiteren Blick. Rasch erkannte sie, warum da keine Gardinen hingen. Sie befand sich gar nicht in ihrem Schlafzimmer.
Sie beschloss, zunächst nicht die Anstrengung zu unternehmen, sich darüber Sorgen zu machen und klappte ihre Augen wieder zu.
Ungeordnet tauchten Begebenheiten des vergangenen Abends aus ihren Erinnerungen auf, unter anderem, wie sie irgendwo in der Johannisstraße herumstand, einen Döner essend. Waren da Zwiebeln drauf gewesen? Sie hasste Zwiebeln! Falk war auch da, und dem fiel sein Döner gerade aus der Hand. Der Geschmack in ihrem Mund fiel ihr auf, der unangenehm war; außerdem hatte sie großen Durst.
Sie hatten in einem Taxi gesessen, erinnerte sich Caro weiter, nach der Sache mit dem Döner. Natürlich, sie war mit zu Falk nach Hause gefahren. Vorher hatten sie in der Rose noch einen giftgrünen Schnaps getrunken, der nach Zahnpasta geschmeckt hatte. Dann war die Barfrau urplötzlich total wütend auf Falk gewesen. Wo war ihr Geld? Hatte sie ihr Handy? Es musste im Rucksack sein! Wo war Falk?
Nach einem kurzen Moment des Zögerns entschied Caro, dass sie zumindest herausfinden musste, ob ihre Sachen da waren. Sie setzte sich auf. Als erstes registrierte sie, dass sie allein in dem Zimmer war. Außer ihr befanden sich in dem Raum noch die Couch, auf der sie unter einer fleckigen Steppdecke geschlafen hatte, und ein Fernseher an der Wand gegenüber. Außerdem stand noch ein Wäscheständer mit ein paar Klamotten in der Ecke, und neben der Couch auf dem Boden entdeckte sie einen Teller mit angetrockneten Spaghettiresten.
In den Sonnenstrahlen tanzten feine Staubkörnchen. Auf den Holzdielen, bei der Tür, lagen ihre Hose und ihre Schuhe. Und da war auch ihr Rucksack, erkannte Caro erleichtert.
Durch eine geöffnete Tür konnte sie in ein weiteres Zimmer sehen, wo ein leeres ungemachtes Bett stand. Sie lauschte. Es war sehr ruhig in der Wohnung, so ruhig, dass von draußen sogar Vogelgezwitscher zu hören war. Zu Hause, in ihrer kleinen Wohnung am Löbdergraben, rauschten ununterbrochen die Autos vorbei, oder die Straßenbahn, oder es rumpelte die Waschmaschine von der alten Frau unter ihr, und an den Wochenenden zogen nachts manchmal grölende Jugendliche direkt unter ihrem Schlafzimmerfenster vorbei in Richtung Stadtzentrum. Die Stille hier war ungewohnt.
Neben der Couch entdeckte sie ein Glas Wasser, welches sie sich wohl gestern Nacht noch eingeschenkt hatte. Sie griff, immer noch eingemummelt in die Decke, danach, und trank dankbar einige große Schlucke.
Langsam entwirrten sich Caros Gedanken und sie erinnerte sich, wie sie auf dem Markt gestanden hatte, gestern Abend, um elf, um auf Falk und dessen Kumpel zu warten, mit denen sie sich verabredet hatte. Sie hatte allein gewartet, weil Melanie überraschend abgesagt hatte.
Caro hatte gerade an ihre Lieblingsserie gedacht, die sie verpasste, als plötzlich singende Männerstimmen über den leeren Marktplatz gehallt waren. Aus einer Seitenstraße war Falk aufgetaucht, statt seiner ausgebeulten Wollmütze mit einem roten Bandana auf dem Kopf, so wie es diese Hiphop-Stars aus den USA immer in ihren Musikvideos trugen, und er hatte einen großen hageren Typen huckepack auf dem Rücken.
Falk, und sein Kumpel, Micha – Caro erinnerte sich dunkel, ihn neulich Abend im Paradies schon mal gesehen zu haben – hatten sich als ausgelassene Gesellschaft entpuppt. Falk hatte von einem russischen Obstschnaps und verlorenen Wetten gefaselt. Micha hatte ihr einen Piccolosekt mitgebracht.
Dann waren weitere Freunde von Falk aufgetaucht und gemeinsam waren sie die Johannisstraße hoch gelaufen. Vor dem Eingang zum Rosenkeller hatten sie noch eine ganze Weile herum gestanden, weil fast alle ein Getränk in der Hand hatten, das erst ausgetrunken werden musste. Caro erinnerte sich, dass eine Flasche Cola herumgereicht worden war und sie einige große Schlucke genommen hatte, wovon ihr ganz warm geworden war, da offensichtlich auch eine beträchtliche Menge Whiskey in der Flasche gewesen war.
Schließlich waren sie alle gemeinsam in den Club einmarschiert. Caro war dem Strom der Menschen die niedrige Steintreppe hinunter ins Gewölbe des Rosenkellers gefolgt, sie hatten die Tanzfläche gestürmt und irgendwer hatte ihr ein Bier in die Hand gedrückt und dann standen sie alle im Gedränge vor der Bar und tranken dieses grüne Zeug aus kleinen Schnapsgläsern.
Michail, der große Typ, mit dem Falk zusammen am Markt aufgetaucht war, hatte so breit gelacht, dass sich sein ganzes Gesicht in Falten gelegt hatte, außerdem hatte er die Angewohnheit gehabt, seine Augenbrauen unabhängig voneinander zu bewegen. Um sie herum war es voll und laut gewesen, schwitzende Körper, herum springende Gestalten. Am wildesten getobt hatte Falk, seine Haare schüttelnd und Bier durch die Gegend kippend. Irgendwann hatte er ihr in der Dunkelheit des Tanzkellers über den wummernden Gitarrenlärm hinweg brüllend zu verstehen gegeben, ihr zu folgen, und dankbar war sie einfach hinterher gestolpert, wobei sie hin und her geschleudert worden war wie in einer Waschmaschine im Schleudergang, und als sie sich aus der Menge heraus gekämpft hatten, war ihr schwarzes T-Shirt nass gewesen von verschüttetem Bier.
Caro musste kichern, was seltsam klang in dem leeren Raum. Neugierig fühlte sie in sich hinein: hatte sie etwa einen Kater?
Das erste Mal betrunken gewesen war sie beim Abschlussball nach dem Abitur. Dem feierlichen Anlass entsprechend hatte sie mit ihrer Mutter Sekt getrunken, mit dem Resultat, dass sie um halb sieben Uhr abends kotzend auf dem Klo des Festsaals gelandet war. Später an dem Abend hatte sie sich mit dem großen Bruder einer Klassenkameradin aus dem Deutsch-Leistungskurs herumgeknutscht. Danach hatte sie sich geschworen, nie wieder soviel Alkohol zu trinken, dass sie die Kontrolle verlor, und das auch konsequent durchgezogen.
Bis gestern Abend anscheinend, dachte Caro, und entschied, das ganze als soziale Recherche einzuordnen, für die studentische Feierkultur, und dass sie diesem Thema vielleicht ihre nächste Radiosendung widmen könnte. Schade, dachte sie, dass Melanie nicht dabei gewesen war. Schließlich hatte ihre Freundin schon des Öfteren bemängelt, dass Caro so wenig weggehen und ihre Abende meist vor dem Fernseher verbringen würde. Womit sie nicht Unrecht hatte.
Als Caro sich erhob und in ihre Hose schlüpfte, bemerkte sie erfreut, dass die Kopfschmerzen verschwunden waren. Tatsächlich stellte sie fest, dass sie schon lange nicht mehr so heiterer Stimmung gewesen war. Ganz entschieden gefiel ihr, was in den letzten Tagen alles geschehen war, seit sie Falk in dem kleinen Goldschmiedeladen in der Stadt kennen gelernt hatte. Zerstreut fragte sie sich, wo er wohl stecken mochte, und machte sich dann auf die Suche nach dem Bad.
In dem dämmrigen kleinen Flur wäre sie beinahe über die Schnur eines Staubsaugers gestolpert, dessen Kabel bis in die Küche reichte, wo offenbar die nächste Steckdose lag. Warum der Staubsauger ans Stromnetz angeschlossen war, erschloss sich Caro nicht – in dieser Wohnung war augenscheinlich schon seit geraumer Zeit nicht mehr gesaugt worden. Sie öffnete eine Tür im Halbdunkel und fand das Badezimmer, hell erleuchtet vom Sonnenlicht, dass durch ein rundes Fenster fiel. Erleichtert schloss sie die Tür hinter sich.
Nach einem Blick in den Spiegel stellte sie fest, dass sich verschmierte Wimperntusche auf ihrer Wange befand, und sie einen ihrer Ohrstecker verloren hatte. Außerdem benötigten ihre Haare dringend Shampoo. Sie inspizierte kurz die Dusche, sah in Ermangelung eines Handtuchs aber davon ab, sie zu benutzen, und begann stattdessen, sich am Waschbecken notdürftig frisch zu machen und mit Klopapier abzutrocknen. In ihrem Rucksack fand sie glücklicherweise eine kleine Reisezahnbürste, einen Kamm und einen schwarzen Kajalstift.
Wieder halbwegs hergerichtet öffnete sie das Fenster und steckte den Kopf hinaus. Die Sonnenstrahlen, die sie vorhin so unsanft geweckt hatten, prickelten jetzt warm und wohlwollend auf ihrem Gesicht.
Caro sah eine ruhige kleine Straße, mit ein paar parkenden Autos und aneinander gereihten unscheinbaren Häusern inmitten von holzzaungesäumten Vorgärten. Direkt gegenüber werkelte eine rundliche Frau mit herauswachsenden dunkel gefärbten Haaren an der Hecke vor ihrem Haus herum. Ein Pudel jagte den Bürgersteig entlang, ihm folgte ein kleiner Junge und in einiger Entfernung die Mutter, einen Kinderwagen schiebend.
Caro erinnerte sich, dass sie gestern Nacht, als Falk und sie aus dem Taxi ausgestiegen waren, gar nicht hatte glauben können, dass er in einem solchen Rentnerviertel wohnte. Als verfügte sie über einen Sensor für feindselige Gedanken hob die Frau gegenüber plötzlich den Kopf und starrte direkt zu Caro hinauf. Ungerührt erwiderte Caro den Blick und zog sich dann, betont träge, vom Fenster zurück, nicht ohne der Nachbarin noch einmal zuzuwinken. Die Frau wandte sich hastig ab.
Was eigentlich hatte sie dazu bewogen, mit Falk nach Hause zu gehen, überlegte Caro, während sie das Bad verließ und in den Flur trat. Nachdenklich betrachtete sie die Treppe, die rechts von ihr nach oben führte. Und dann, im selben Moment, als sie von oben ein leises aber vernehmliches Schnarchen hörte, fiel es ihr wieder ein.
Der Brief!
Caro beschloss, dass es dringend an der Zeit war, Falk zu wecken.
*
Als sie das Zimmer unterm Dach durch die angelehnte Tür betrat, schlug ihr ein durchdringender Geruch vorabendlichen Bieres entgegen. Auf der ausgezogenen Schlafcouch guckte ein Fuß aus einem Deckenberg hervor. Am Kopfende konnte sie ein paar blonde Haarsträhnen ausmachen. In der Mitte hob und senkte sich der Deckenberg im selben Rhythmus wie das Schnarchgeräusch.
Caro balancierte durch das Zimmer in Richtung Fenster, wobei sie sich konzentriert bemühte, nicht auf die herumliegenden Kleidungsstücke, Teller und CD-Hüllen zu treten.
Auf dem Schreibtisch entdeckte sie den Briefumschlag. Er lag geöffnet auf der Tastatur des Computers. Daneben befanden sich einige auseinandergefaltete Blätter neben einer heruntergebrannten Kerze und einer Schüssel Wasser. In einer Ecke sah sie den speckigen Lederbeutel. Deutlich konnte sie den Umriss des Schwertes darin ausmachen.
Sie nahm die Papiere vom Schreibtisch und öffnete mit einem Ruck das Fenster, so dass frische Luft herein strömte. Im hellen Sonnenlicht besah sie sich dann noch einmal das, was sie und Falk gestern Nacht dem Briefumschlag entnommen hatten.
Auf dem dicken cremefarbenen Papier des ersten Blattes war oben rechts als hervorgehobene Gravur ein Wappen eingeprägt. Es zeigte einen Schild mit einem Kreuz, darüber einen Helm, auf dem eine Taube saß, die einen Ring im Schnabel trug.
Caro erkannte das Wappen als das der Familie von Flotow, Maries Ehemann. Das erste Mal gesehen hatte sie es am Mittwoch Abend, als sie, aufgewühlt von dem Gespräch mit Tobi und der Diskussion mit Falk, noch bis tief in die Nacht das Internet nach möglichen Hinweisen auf eine Fehde zwischen den Leuchtenburgern und den Lobdeburgen durchforstet hatte. Dabei war sie auf den Internetauftritt der Praxis Dr. von Flotow in Leipzig gestoßen, mit dem Familienwappen oben rechts auf der Seite.
Caro wandte sich wieder dem Brief zu. Auf dem ersten Blatt waren nur wenige Zeilen geschrieben, in einer graziösen Schreibschrift. Da stand:
‚Mark,
Was Dir zusteht soll Dir gehören. Das Schwert ist der Schlüssel.
Es tut mir Leid.
Marie’
Die wenigen Worte klangen vertraulich und distanziert zugleich, fand Caro. Und es waren die Worte einer ziemlich theatralischen Frau.
Caro schaute sich das zweite Blatt aus dem Umschlag an. Es war ein Lageplan mit verschiedenen Gebäuden, die in einem länglichen Gelände von zwei parallelen Umrandungen umschlossen wurden. In die innere der beiden Umrandungen waren vier runde Türme eingelassen. Oben stand das Wort ‚Luchtynburg’ in verschnörkelten Buchstaben, wodurch es eindeutig war: auf dem Plan war die Leuchtenburg dargestellt, mitsamt ihren Burgmauern, dem Burggraben dazwischen, und vier Wachtürmen. Vom größten Gebäude, gelegen am oberen Ende der Anlage, gab es noch einen detaillierteren Grundriss sowohl des unteren als auch des oberen Stockwerks. Und in derselben dunkelblauen Tinte, in der auch der kurze Brief geschrieben war, war in eines der Zimmer im oberen Stockwerk der Burg das zweite Zeichen von dem Schwert gemalt worden.
Caro blickte auf. Wie konnte Falk nur immer noch schlafen?
Sie griff das Schälchen mit Wasser vom Schreibtisch, ging damit zum Bett und träufelte Falk einige Tröpfchen ins Gesicht, woraufhin er die Nase kräuselte, kurz sein Schnarchen einstellte und sich dann offenbar umdrehen wollte. Kurzentschlossen leerte Caro daraufhin das ganze Schälchen über Falks Kopf aus. Der erwachte mit einem Ruck, rappelte sich hoch und sagte mahnend:
„Die Luft ist raus. Wir brauchen die Pumpe!“
Dann starrte er Caro an und rieb sich verdutzt die Augen.
„Was machst du denn hier?“
„Moin! Du hättest dein Gesicht sehen sollen. Zu schön!“
Teilnahmsvoll erkundigte sie sich:
„Schlecht geträumt?“
Falk winkte ab, wischte sich eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht und lehnte sich an die Wand hinter seiner Schlafcouch. Dann sah er sich im Zimmer um und sein Blick fiel auf den Schreibtisch.
Er machte ein schmerzvolles Geräusch, deutete auf die Papiere, die Caro wieder zurück gelegt hatte.
„Betrunken bist du noch viel neugieriger als nüchtern, Fräulein Schubert.“, klagte er.
Caro kicherte und setzte sich zu Falk aufs Bett. Gemeinsam rekonstruierten sie dann, wie es dazu gekommen war, dass Caro bei Falk übernachtet hatte. Offenbar hatte Falk noch in der Rose, kurz nachdem sie jeder einen weiteren dieser widerlichen grünen Schnäpse gekippt hatten, fast ein ganzes Bier direkt bei der Bar verschüttet, so dass er und Caro den Club nicht ganz freiwillig und ziemlich überstürzt hatten verlassen müssen. Draußen hatten sie sich dann jeder einen Döner geholt.
„Den du leider fallen gelassen hast.“, erinnerte sie ihn.
„Das war bitter, stimmt.“, sagte Falk betrübt.
„Aber dafür hab ich dich netterweise dann noch nach Hause begleitet .Und sogar das Taxi bezahlt.“
„Doch nur, damit du endlich den Brief öffnen konntest!“
Caro ließ das unkommentiert, und ihrer beider Blicke wanderten zum Schreibtisch. Falk massierte sich den Schädel und gähnte ausgiebig. Caro sagte:
„Wie wärs, wenn ich uns einen Kaffee aufsetzte? Und dann sehen wir uns den Brief noch mal in Ruhe an. Und den Grundriss.“
Falk schaute sie trübe an.
„Grundriss?“
Caro seufzte, stand auf und machte sich auf den Weg nach unten. Sie würde ihm wohl noch etwas Zeit geben müssen, vollständig aufzuwachen.
Die Kaffeemaschine war schon fertig durchgelaufen, als Falk endlich die Treppe herunter rumpelte und im Bad verschwand. Caro hatte die Dachterrasse entdeckt, daraufhin die Küche durchforstet und Geschirr und Besteck, sowie Milch, Brot, Butter, Marmelade und ein großes Einmachglas mit undefinierbarem Inhalt nach draußen gebracht, und einen wackeligen Campingtisch gedeckt.
Sie genoss die frische Morgenluft. Ein Apfelbaum, der auf dem Nachbargrunstück wuchs, streckte seine Äste über die Brüstung der Terrasse. Über den Dächern der umliegenden Häuser war in einiger Entfernung ein bewaldeter Berghang erkennbar, der sich bis zum Horizont hinzog. Blinzelnd gegen das Sonnenlicht sah Caro an der steilen Kante des Hangs die Silhouette eines einzelnen runden Turms, mit einem flachen, zur Mitte hin spitz zulaufenden Kegeldach.
„Ach, du hast die eingeweckten Pflaumen von meinem Papa gefunden. Sind noch frisch, aus DDR-Zeiten.“
Falk hatte sich zu ihr gesellt, die dampfende Kaffeekanne in der Hand, mit tropfnassen Haaren und fahler Gesichtsfarbe. Caro betrachtete zweifelnd den Inhalt des Einmachglases. Falk hatte sich auf eine der Bierbänke, die neben dem Campingtisch standen, fallen gelassen. Er schenkte ihr Kaffee ein.
„Setz dich doch auch.“, sagte er liebenswürdig. „Und gönn dir nen Kaffee. Du siehst aus, als könntest du eh noch nichts essen.“
„Danke, du genauso.“, antwortete Caro, doch sie ließ sich ihm gegenüber nieder und trank einen Schluck des heißen Getränks. Herrlich stark.
„Dafür, dass du doch eigentlich keinen Alkohol trinkst, hast du gestern aber ganz schön zugelangt.“, stichelte Falk.
„Ich weiß jedenfalls wieder, warum ich normalerweise keinen trinke.“
Um das Thema zu wechseln, deutete sie auf den Turm im Wald und fragte:
„Da oben, unterhalb des Fuchsturms steht Maries Haus, oder?“
Falk nickte, und stand, offenbar ihre Gedanken erratend, seufzend auf.
„Und ich hole jetzt wohl mal Maries Brief.“
Während er weg war, starrte Caro gedankenverloren hinauf zum Fuchsturm. War das wirklich erst eine Woche her, dass sie Falk kennen gelernt hatte?
Seit sie hier in Jena ihr Studium angefangen hatte, hatte sie ein Seminar nach dem nächsten absolviert und sich nur gelegentlich, mehr beiläufig, gefragt, wo sie mit ihrem Leben eigentlich hinwollte. Ihr Vater überwies ihr monatlich die Miete und ein kleines Taschengeld, ab und zu jobbte sie in den Semesterferien, und ansonsten brauchte sie nicht viel.
Erst als sich diese Sache beim Radio ergeben hatte, war etwas Unruhe in ihren Alltag gekommen. Das Ganze war eigentlich auch eher zufällig passiert, bei einer Party in der Wohnung eines entfernten Bekannten von Melanie. Caro hatte, mit einem Plastikbecher zimmerwarmen Weißweins in der Hand, im Flur herumgestanden und sich angesichts angesäuselter Erstsemester-Studenten reichlich unwohl gefühlt.
Nach einer halben Stunde hatte sie den Heimweg angetreten, war vor der Haustür aber mit einem gewissen Kai ins Gespräch gekommen, der Mitte Vierzig und somit kein Erstsemestler war, und sich genau wie sie gerade von der Party abgesetzt hatte. Er hatte er ihr von seiner Arbeit beim Offenen Kanal Jena erzählt und ihr einige Tage später die Studioräume gezeigt. Daraus hatte sich ihre mittlerweile regelmäßige Sendung „Wie es euch gefällt“ entwickelt, in der sie einmal im Monat zu eine bestimmten Thema recherchierte, Interviews führte und dazwischen Musik einspielte. Es machte ihr mehr Spaß, als sie ursprünglich erwartet hatte. Gleich ihre erste Sendung über das Tierheim in Jena hatte ihr viel Lob von den Kollegen beim Offenen Kanal eingebracht. Es war sogar vorgeschlagen worden, das Material einzureichen beim diesjährigen Bürger-Medienpreis.
Caro seufzte tief und trank ihren Kaffee mit einem Zug aus. Falk trat durch die Terrassentür zu ihr heraus, die Papiere aus dem Briefumschlag in der einen, und ein kleines Radio in der anderen Hand. Während er im Rauschen der Frequenzen einen Sender suchte, sagte er:
„Diesen Trick mit der Kerze und dem Wasser, den hätte ich dir gar nicht zugetraut.“
„Ja, und das beste ist, mit dem Wasser hab ich dich heute Morgen endlich wach gekriegt.“, grinste Caro.
Sie hatte Falk am gestrigen Abend, nachdem sie erst aus der Rose geflogen waren, dann eine Weile bei dem Dönerstand auf die anderen gewartet und schließlich festgestellt hatten, dass die wohl noch weiter feiern wollten, wieder einmal damit genervt, das sie doch endlich diesen Brief von Marie an Mark lesen müssten. Falk hatte wie immer abgelehnt, doch dann hatte sie sich an diesen einfachen Trick erinnert: wenn man einen Briefumschlag ein wenig anfeuchtete und danach über eine Wärmequelle hielt, konnte man den Kleber lösen, ohne den Umschlag zu zerreißen. Das hatte schließlich den Ausschlag gegeben.
Ihn zu überreden, es sofort, noch in derselben Nacht zu tun, war jedoch nicht einfach gewesen. Erst als sie ein Taxi bestellt, sich hinein gesetzt und ihn gefragt hatte, ob er nun endlich käme, war er, sozusagen vor vollendete Tatsachen gestellt, endlich einverstanden gewesen, und das hatte sie nicht gewundert, denn der Taxifahrer hatte sie erst über die Brücke nach Jena Ost und dann durch ein düsteres Wohnviertel eine nicht enden wollende steile Straße hoch gefahren, und Caro war sich sicher gewesen, dass sie den Weg zu Fuß niemals hätte bewältigen können.
Gegen vier Uhr morgens hatten sie dann, in Falks Zimmer am Schreibtisch sitzend, den Lederbeutel hervorgekramt, den Umschlag mit etwas Wasser aus der Schüssel benetzt, über der Kerzenflamme geschwenkt, vorsichtig geöffnet und mit großen Augen den Inhalt bestaunt.
*
Genau das taten sie jetzt, im Tageslicht auf der Terrasse, erneut.
„Dir ist klar, was das bedeutet, Falk, oder?“, sagte Caro, und deutete auf den Grundriss. „Das ist eine Schatzkarte.“
„Ja, na klar, und ich bin Indiana Jones.“
„Komm schon, du weißt was ich meine: da ist irgendwas versteckt auf der Leuchtenburg, in dem markierten Zimmer. Das ist die einzige in Frage kommende Erklärung!“
Caro überlegte schon, wie sie am schnellsten zur Burg gelangen könnten. Nach Kahla waren es etwa 20 Kilometer, wusste sie, und von dort ging es noch einmal den ganzen Leuchtenberg hinauf, vorbei am Dorf Seitenroda, bis schließlich auf dem Gipfel die Burg thronte.
„Genau, die alte Marie hat da ihr Gebiss versteckt, mit ihren Goldkronen, und war dann aus irgendwelchen Gründen der Meinung, dass es ihrem Kumpel Mark zustehen würde.“, maulte Falk.
Caro beachtete ihn nicht. Am besten würde sie gleich Melanie anrufen, um sich deren Auto zu leihen. Sie wollte schon aufspringen und ihr Handy holen, als ihr einfiel, dass Melanie ja gestern Abend abgesagt hatte und vermutlich nach Nordhausen zu ihren Eltern gefahren war.
„Hast du eigentlich ein Auto?“, fragte sie Falk.
„Hab keinen Führerschein.“, antwortete der, gähnte und fuhr sich durch die Haare, die nun, da sie langsam trockneten, struppig aussahen wie bei einem in die Jahre gekommenen Schäferhund. „Hast du mir überhaupt zugehört?“
„Ja, schon, aber mal im Ernst, warum sollte Marie so ein Bohei um die ganze Sache machen, diesen Brief schreiben, die Karte dazu legen, das geheimnisvolle Zeichen, das Schwert! Überleg doch mal! Dort ist etwas versteckt, und ich denke, es ist wertvoll!“
„Also ich weiß nicht. In dem Hauptgebäude des Burggeländes ist, soweit ich weiß, ein Museum. Es gibt Führungen für Schulklassen, und auch sonst sind ständig Besucher dort. Wenn da was versteckt ist, wäre das doch längst gefunden worden.“
„Nicht, wenn man dafür das Schwert braucht.“, sagte Caro.
Falk seufzte.
„Na gut, dann erklär mir mal, wie ein Schwert ein Schlüssel sein soll für irgendwas?“
„Das Zeichen,“, meinte Caro. „Nicht Argots ‚A’, sondern das andere, das, was wir nicht zuordnen können. Ich denke, man braucht das Zeichen, um den Schatz zu finden. Wahrscheinlich ist es die Markierung für das Versteck.“
„Und was soll sie da versteckt haben?“
„Keine Ahnung.“, sagte Caro ungeduldig. „Das ist doch grade das aufregende! Es könnte alles Mögliche sein. Ich könnte mir auch vorstellen, dass nicht Marie selber es war, die dort etwas versteckt hat, sondern dass sie lediglich davon wusste, und diesen Mark nun darauf hinweisen wollte. Sie war die letzte Nachkommin der Erbauer dieser Burg! Das Schwert ist ganz schön alt, höchstwahrscheinlich aus dem Hochmittelalter. Vielleicht stammt der Schatz ja auch noch von damals.“
Caro begriff nicht, warum Falk so missmutig aussah. Das war doch eine Chance, wie sie sich einem nur einmal im Leben bot!
„Es könnten wertvolle Handschriften sein, Bücher waren damals ein Vermögen wert. Oder Schmuck. Oder Münzen... So wie der Mahlschatz von Tautenburg, ich weiß nicht, ob du davon gehört hast, vor ein paar Jahren wurde dort in einer alten Scheune eine Blechdose mit Goldmünzen gefunden. Ein sogenannter Mahlschatz, weil die Goldmünzen als Kette aufgefädelt waren, die als bäuerlicher Brautschmuck, also zur Vermählung, verwendet wurde. Die älteste Münze stammte aus dem Jahr 1415, es war damit der älteste...“
Falk unterbrach sie:
„Mal angenommen, du hast Recht. Da ist tatsächlich etwas versteckt. Vielleicht ist es sogar wertvoll. Nennen wir es von mir aus sogar Schatz. Aber du kannst mir nicht erzählen, dass derjenige, der einen solchen Schatz findet, diesen auch behalten darf. Dieser Mahlschatz, der verstaubt doch bestimmt auch in einem Museum, und hat dem Finder keinen Cent eingebracht.“
„Die Münzen sind tatsächlich in einem Museum ausgestellt, im Museum für Thüringer Volkskunde in Erfurt. Wir haben mal eine Exkursion dorthin unternommen, im ersten Semester. Ich glaube, der Schatz wurde von einem Bauarbeiter entdeckt, als die alte Scheune in Tautenburg abgerissen wurde. Und um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung, ob der Finder des Schatzes etwas dafür bekommen hat. Aber auf jeden Fall ist ein Museum ja wohl der richtige Ort, wenn es sich um eine Kostbarkeit aus dem Mittelalter handelt.“
„Für dich vielleicht.“, sagte Falk. „Du willst wahrscheinlich, wenn wir da auf der Burg tatsächlich was finden sollten, irgendeine wissenschaftliche Abhandlung schreiben und jede Menge Ruhm und Ehre bei deinen Historikerheinis einheimsen. Was weiß ich, vielleicht willst du auch nur deinem tollen Tobi endlich beweisen, dass du auch was drauf hast. Ist ja alles schön und gut, das verstehe ich vollkommen. Aber mir bringt das rein gar nichts.“
Caro dachte, dass er sie ziemlich gut durchschaute, dafür, dass sie sich noch nicht sehr lange kannten. Aber was der konnte, konnte sie auch.
„Und du würdest den Schatz wahrscheinlich auf Ebay verhökern!“, schoss sie ins Blaue.
„Warum denn nicht? Ich bekomme ja auch mein Geld nicht von meinem Papa in den Hintern geschoben.“
Caro wollte etwas erwidern, aber ihr fiel nichts ein. Er hatte ja Recht. Falk hatte unterdessen begonnen, sich ein Brot mit Butter zu beschmieren. Beide hatten bisher noch keinen Bissen gegessen. Dann sah er abrupt auf, legte das Messer weg und stand auf.
„Wir sollten mal herausfinden, was eigentlich passiert, wenn man heutzutage einen Schatz findet. Komm mit, wir schauen im Netz.“
*
In dem Zimmer unterm Dach setzte Falk sich vor seinen Schreibtisch und schaltete den Rechner ein. Caro, die keinen zweiten Stuhl im Zimmer entdecken konnte, stellte sich hinter ihn und wartete, dass er ihr seinen Platz anbieten würde. Als dies nicht geschah, hockte sie sich auf die Bettkante.
„Machst du das nicht auch beruflich, irgendwas mit Computern?“, erkundigte sie sich pflichtbewusst.
Falk nickte lustlos, und Caro war froh, dass er nicht näher darauf einging. Stattdessen gab er ein paar Begriffe in die Suchmaschine ein. Schon kurz darauf hatten sie herausgefunden, dass Hunderte Hobbyarchäologen seit Ende des Zweiten Weltkrieges nach dem Bernsteinzimmer suchten und momentan eine heiße Spur irgendwo in die Nähe von Wuppertal führte, dass die Stasi jahrelang die DDR umgegraben hatte auf der Suche nach ein paar Goldbarren, die in den Wirren des Krieges aus der Reichsbank abhandengekommen waren, und dass Historiker davon ausgingen, dass noch etwa anderthalb Millionen Kilo Gold, Silber und Edelsteine in Deutschland versteckt seien.
Diese Information machte beide endgültig munter, mehr, als es die Kanne Kaffee, die sie schon getrunken hatten, bisher vermocht hatte. Längst war Caro wieder aufgestanden und hatte sich neben Falk gebannt über den Computerbildschirm gebeugt, seine intensive Bierfahne einatmend. Sie klickten sich durch zahlreiche Internetseiten, auf denen Ausrüstung für Schatzsucher angeboten wurde, darunter Spaten, Metallsonden, die bis zu 1000 Euro kosteten, und Schlapphüte. Endlich dann stießen sie auf einen Hinweis auf das Bürgerliche Gesetzbuch, Paragraf 984, in dem geregelt war, dass ein Schatz nach seiner Entdeckung zur Hälfte dem Finder, und zur Hälfte dem ursprünglichen Eigentümer gehörte.
„Das klingt doch schon mal nicht so schlecht.“, äußerte Falk sich optimistisch. „Die letzte Nachfahrin der Leuchtenburger ist tot, das heißt, was auch immer wir auf der Leuchtenburg finden, würde dann wohl zur Hälfte uns und zur Hälfte dem jetzigen Eigentümer der Burg, also dem Land Thüringen gehören.“
Caro hatte Bedenken.
„Ich fürchte, da gibt es noch weitere Regelungen in den einzelnen Bundesländern. Das hatten wir irgendwann mal im Studium. Geh mal bitte auf die Seite vom Thüringer Landesamt für Denkmalpflege.“
Sie fanden dort zunächst nur die Kontaktdaten einer Reihe von Ansprechpartnern in den Unteren Denkmalschutzbehörden der Kommunen, wo aber heute, am Samstag, natürlich niemand abnehmen würde, stießen dann aber auf einen Link zum Thüringer Gesetz zur Pflege und zum Schutz der Kulturdenkmale, und dort wurden sie dann endlich fündig, bezeichnenderweise unter einem Paragraph mit der Überschrift „Schatzregal“.
„Beweglichen Kulturdenkmäler,“, las Falk vor, „die herrenlos oder so lange verborgen gewesen sind, dass ihr Eigentümer nicht mehr zu ermitteln ist, werden mit der Entdeckung Eigentum den Landes.“ Er sah auf. „Und der Finder bekommt gar nichts, oder wie?“
„Scheint fast so.“, sagte Caro unglücklich. „Ich hab's befürchtet. Und schau mal in den nächsten Paragraph, da steht auch, dass man eine behördliche Genehmigung benötigt, um überhaupt Nachforschungen anstellen zu dürfen.“
Sie setzte sich zurück aufs Bett. Falk fasste zusammen:
„Erstens dürfen wir gar nicht erst nach dem Schatz auf der Leuchtenburg suchen, bevor wir nicht eine Genehmigung erhalten, und selbst wenn wir eine hätten und etwas finden würden, würde der Schatz dem Land Thüringen gehören.“
Caro sagte:
„Für jedes Museum wäre das natürlich spitzenmäßig, und auch für die Wissenschaft. Aber nicht...“
„... wenn man den Fund zu Geld machen will, schon klar.“, beendete Falk ihren Satz. Sie wechselten einen Blick und Falk sprach aus, was Caro dachte:
„Du kannst mir aber auch nicht erzählen, dass jeder Schatzgräber diese Genehmigung hat, und dass jeder Fund auch tatsächlich angezeigt wird.“
Sie stand auf und ging zum Fenster. Ohne Falk anzusehen, erzählte sie:
„Naja, du kennst vielleicht die Himmelsscheibe von Nebra? Die älteste Darstellung des Himmels weltweit. Sie ist von zwei Sondengängern entdeckt worden, in einem Kartoffelacker in Sachsen-Anhalt, und die haben ihren Fund nicht gemeldet. Stattdessen haben sie ihn verkauft, an einen Hehler. Jahre später sind die beiden aber verhaftet worden. Ein Kunstlehrer und eine Museumspädagogin waren das. Ich weiß nicht, ob sie ins Gefängnis mussten, oder nur eine Geldstrafe bekommen haben, aber auf jeden Fall war ihre Aktion illegal und sie sind damit aufgeflogen.“
Sie hörte, dass er ebenfalls aufstand und den Raum verließ. Caro fand ihn auf der Terrasse, wo sein Brot zuende geschmiert hatte, um es dann zu vertilgen. Caro spielte mit dem Gedanken, sich eine Zigarette anzuzünden.
Seit sie das Schwert das erste Mal gesehen hatte, war ihr bewusst gewesen, dass sie hier etwas Besonderes in der Hand hielt, dachte sie, während sie gedankenverloren die Kippenschachtel in den Händen drehte. Es war wie mit einem dicken roten Filzstift umrandet. Eigentlich wunderte es sie gar nicht, dass in dem Brief eine solche Sensation geschlummert hatte. Falk riss sie aus ihren Gedanken und sagte kauend:
„Hätten wir bloß diesen Scheißbrief nicht geöffnet.“
*
Mehrere Sekunden sahen sie sich reglos an. Falks helle Augen, umrahmt von dichten Wimpern und tiefen Augenringen, waren von einem farblosen Blaugrau, wie ein bewölkter Himmel. Caro zündete sich eine Zigarette an. Falk beobachtete sie.
„Du frisst die Dinger ja regelrecht.“, bemerkte er.
Sie atmete den Rauch ein, genoss den leichten Schwindel, und zuckte die Achseln.
„Und du säufst wie ein Loch.“
Sie schwiegen wieder. Aus dem Radio dudelte leise Musik. Dann sagte Falk:
„Die müssen sich echt bescheuert angestellt haben.“
„Wer?“
„Na dieser Lehrer und seine Tussi, als sie die Himmelsscheibe verkauft haben. Ich meine, man kann so was sicherlich auch machen, ohne dass einem die Polizei auf die Schliche kommt. Wenn man über das Internet verkauft, kann man seine Spuren so verwischen, dass kein Mensch das zurückverfolgen kann.“
Ausdruckslos sah Caro ihn an.
„Was ist, wenn wir halbe halbe machen.“, schlug sie dann langsam vor. „Die eine Hälfte vom Schatz bekommst du, und kannst damit machen, was du willst. Und den anderen Teil bekomme ich, ich melde den Fund, sage, ich habe ihn zufällig auf der Leuchtenburg gefunden, weswegen ich keine Genehmigung hatte, und alles geht seinen geregelten Gang.“
Falk antwortete erst, nachdem er eine Weile nachgedacht hatte.
„Wir wissen doch gar nicht, was es ist, dieser Schatz. Was, wenn es wirklich bloß ein Buch ist. Das kann man schwer teilen.“
„Das stimmt natürlich. Ein gewisses Risiko ist dabei.“
Caro konnte förmlich sehen, wie Falk grübelte. Würde er darauf eingehen? Auf die Suche gehen konnte sie nur mit Falk gemeinsam. Er hatte schließlich das Schwert.
„Es könnten ja auch Goldmünzen sein. Sehr viele alte Goldmünzen.“, murmelte Falk unterdessen. „Was ist so etwas wohl wert, heutzutage?“ Dann plötzlich unterbrach er sich. „Mensch, Scheiße!“
„Was ist los?“, fragte Caro alarmiert.
„Was, wenn diese Karte das Versteck eines wirklich wertvollen Schatzes markiert?“
„Na, das wäre doch super!“
„Verstehst du denn nicht?“, rief Falk. „Denk an Mark!“
Caro begann zu begreifen.
„Du meinst, wenn es um viel Geld geht…“
„Wird’s gefährlich, genau! Wir haben absolut keine Ahnung, was dieser Mark eigentlich mit der Sache zu tun hat. Wer ist der Kerl? Was, wenn er schon hinter dem Lederbeutel und seinem Inhalt her ist?“
„Also aufpassen, wenn dir ein schlecht gelaunter Kerl über den Weg läuft und er zufällig ‚Mark’ heißt.“, scherzte Caro. Sie wurde aber gleich wieder ernst.
„Falk, überleg doch mal: er hat den Brief doch gar nicht erhalten. Also kann er die Schatzkarte auch nicht vermissen, oder?“
„Und warum hat Marie geschrieben, dass es ihr Leid tut? Ich wette, dieser Mark, wusste, was ihm ‚zusteht’. Er hat Marie erpresst und sich an dem Abend in dem alten Haus mit ihr verabredet, um an das Schwert und die Schatzkarte zu gelangen. Und jetzt ist er stinksauer.“
Er hielt inne, dann raunte er düster:
„Was, wenn er sie umgebracht hat?“
„Du machst mich ganz unruhig mit deinem Mark! Maries Tod war ein Unfall!“
„Wir müssen endlich zur Polizei.“, sagte Falk plötzlich entschlossen. „Egal ob da nun eine Fehde mit den Lobdeburgern dahinter steckt oder nicht: hier geht es um irgendwas, und diese Sache ist zu groß für uns!“
Er war aufgestanden und hatte begonnen, auf und ab zu gehen. Caro folgte ihm mit ihren Blicken.
„...den ganzen Mist in die Saale schmeißen...“, murmelte er gerade, doch es klang halbherzig, als würde er es nur noch aus alter Gewohnheit sagen. Herausfordernd blickte Caro ihn an.
„Falk, ich hab ja auch Schiss, keine Frage…“
Sie ließ den Satz unvollendet und wendete sie sich den vorbeitreibenden Wolken zu.
„Wer hat denn gesagt, dass ich Schiss habe.“, hörte sie Falk sagen.
Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie er einen Ball aus einer Ecke der Terrasse klaubte und ihn geistesabwesend mit den Füßen jonglierte. Auf der Straße hörte sie ein Auto vorbeifahren. Dann war es wieder still, bis auf das Rauschen in den Blättern des Apfelbaumes, Vogelgezwitscher und das gleichmäßige Klatschen des Balls auf Falks nackten Füßen.
„Schiss hab ich ja gar nicht….“, brummelte er. „Aber keine Zeit für diesen Unsinn.“
Mit dem Ball unter dem Arm trat er zu ihr an den Tisch.
„Und dir scheint die Sache doch auch über den Kopf zu wachsen. Was ist eigentlich mit diesem Interview? Mit Meister Argot? War das nicht heute Nachmittag? Das hast du wohl vergessen, oder was! Du brauchst wirklich einen Produktionsleiter!“
Caro schreckte in die Höhe.
„Wieso? Wie spät ist es?“
„Gleich zwei.“, sagte Falk, nach einem Blick auf sein Handy.
„Locker zu schaffen, der Termin ist erst um vier. Und außerdem,“, sie begann, die Teller und Tassen zusammen zu räumen „kann dir das doch egal sein. Du schmeißt den Beutel in die Saale und brauchst dich um mein Interview mit Argot überhaupt nicht mehr zu kümmern. Und ich konzentriere mich wieder aufs Thema meiner Sendung.“
Sie trug das Geschirr in die Küche und spülte es flüchtig im Waschbecken ab. Als sie wieder heraustrat, stand Falk immer noch genauso da wie eben.
„Bist du im Stehen eingeschlafen?“
„Wenn wir nur herausfinden könnten, wer dieser Mark ist. Dann wär mir schon viel wohler.“, sagte er, und sah dabei unschlüssig hoch, in den Wald unterhalb des Fuchsturms.
„Meister Argot,“, überlegte er dann, „der könnte doch theoretisch nicht nur Marie kennen, sondern vielleicht sogar wissen, wer mit ‚Mark’ gemeint ist, oder?“
„Wenn seine Familie tatsächlich immer noch den Kontakt zu den Leuchtenburgern gehalten hat, wie vor Jahrhunderten, dann vielleicht. Dann hat er Marie wahrscheinlich gekannt und weiß vielleicht auch, wen sie gemeint haben könnte.“, antwortete Caro vorsichtig.
Falk seufzte tief, dann grinste er.
„Na gut, Fräulein Schubert. Dann versuch es. Mach dieses Interview. Ich bin ja selber gespannt, was dabei herauskommt! Auch was diese Fehde angeht. Natürlich ohne...“
„...das Schwert oder den Brief zu erwähnen, natürlich!“
Caro sprang auf.
„Heißt das, wir behalten das Schwert?!“ Sie stürzte auf ihn zu und drückte ihn an sich. „Du bist der eigentliche Schatz, Falk!“
*
Der Wind frischte auf und beinahe wäre der Grundriss über die Brüstung geweht. Im letzten Moment erwischte Falk das Blatt. Er werde jetzt erst mal alles wieder sicher in seinem Zimmer verstauen, verkündete er. Caro nickte, in Gedanken schon bei dem Interview, und begann, ihre Sachen zusammen zu suchen. Erst als Falk nach ein paar Minuten immer noch nicht wieder aufgetaucht war, ging sie nach oben, wo sie ihn in die Betrachtung des Planes der Leuchtenburg versunken vorfand.
„Ich war vor Jahren mal mit meiner Klasse auf der Leuchtenburg.“, sagte er, als sie ins Zimmer trat. „In diesem Gebäude hier war damals das Museum. Das Zimmer im zweiten Stock, das hier markiert ist, vielleicht ist es ja ein ganz normaler, öffentlich zugänglicher Raum von dem Museum.“
„Ich hab mich schon gefragt, wann du auf die Idee kommst. Ich meine, wenn wir nun schon eine Schatzkarte haben, können wir ja auch gleich richtig auf Schatzsuche gehen.“
„Also erst mal ist das ein Grundriss. Nix weiter.“
Caro sah zu, wie er die Papiere zu dem Schwert in den Beutel steckte, und die Sachen in dem Bettkasten unter seinem Schlafsofa verstaute. Sie machte sich auf den Weg nach unten und schlug dabei beiläufig vor, dass sich, egal wie sie den Plan nun nannten, der morgige Sonntag doch wunderbar eignen würde, um der Leuchtenburg mal einen Besuch abzustatten. Da sie kein Auto hätten, könnten sie mit dem Zug nach Kahla fahren. Falk, der ihr gefolgt war, hatte sich in den Türrahmen zur Küche gelehnt, die Arme vor der Brust verschränkt. Caro zog sich ihre Schuhe an.
„Ich könnte dich morgen früh hier abholen.“, sagte sie, im Kopf schon eine Einkaufsliste mit Proviant zusammenstellend. „Und bevor wir zum Bahnhof gehen, zeigst du mir noch das alte Holzhaus, in dem du das Schwert gefunden hast! Wie klingt das?“
„Du gibst nicht auf oder? Aber das kannst du vergessen, ich gehe keinesfalls noch mal in die Nähe dieses Hauses! Außer natürlich…“
Caro bemerkte einen hinterlistigen Ausdruck in Falks Augen, als sie sich im Halbdunkel des Flurs aufrichtete. Ihre Kopfschmerzen hatten plötzlich wieder eingesetzt und sie überlegte, ob sie noch Aspirin zu Hause hatte. Falk fuhr unterdessen fort:
„Außer natürlich, wir fahren mit dem Rad zur Burg. Da kommen wir praktisch an dem Haus vorbei.“
Caro sah ihn entgeistert an.
„Mit dem Fahrrad? Bis zur Leuchtenburg? Das ist doch viel zu weit!“, rief sie entsetzt.
„Etwa 20 Kilometer. Das ist locker zu schaffen.“
„Ich hab aber gar kein Rad.“, quengelte sie.
Da solle sie sich mal keine Sorgen machen, versicherte Falk. Bis morgen hätte er ihr ein Spitzenfahrrad organisiert. Und für den Rückweg könnten sie ja immer noch mit dem Zug fahren.
Könne er nicht lieber ein Auto statt eines Fahrrades organisieren?, rief Caro verzweifelt. Sie könne auch fahren!
„Keine Widerrede, Fräulein Schubert. Wenn du das Holzhaus sehen und auf der Leuchtenburg auf Schatzsuche gehen willst, fährst du mit mir mit dem Fahrrad hin! Und rauchst bis dahin besser keine Zigaretten mehr, damit du überhaupt Luft kriegst.“
Als Caro kurz darauf die Straße vor Falks Haus hinunter zur Bushaltestelle eilte, wusste sie immerhin, dass sie dem Geheimnis des alten Schwertes nach wie vor auf der Spur waren. Ihr schien es, als würde sich eine nahtlose Kette an Ereignissen abspulen, die schon vorher untrennbar miteinander verbunden gewesen waren. Momentan wirkte es zwar, als stolperten sie und Falk diesen Ereignissen nur hinterher, aber sie hatte das Gefühl, dass sie so langsam begannen, Einfluss auf das Geschehen zu nehmen. Und was war da schon eine lächerliche Anstrengung wie eine Radtour, wenn es galt, einen Schatz zu finden!