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Tag 1, Donnerstag

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Der Heimweg zog sich in die Länge wie geschmolzener Käse. Es war kühl, aber nicht so kalt, als dass Falk in seinem T-Shirt gefroren hätte, als er an einem Septemberabend, gegen zweiundzwanzig Uhr, auf einer schmalen Straße mitten durch den Wald trottete. Im Unterholz zirpten Grillen, ab und zu huschte eine Maus vorbei, und feuchte kühle Schwaden stiegen auf und waberten über die Straße vor ihm. Falk trank einen Schluck aus seiner Bierdose, während er darauf achtete, sich ein paar Meter vor den beiden anderen zu halten.

Die beiden anderen, das waren sein Kumpel und Mitbewohner Robert, sowie ein Mädel, deren Namen Falk beständig vergaß. Ohne, dass es ihn sonderlich interessierte, rätselte er vor sich hin: Tanja? Wendi? Dann fiel es ihm wieder ein: Fanni! Gerade beschwerte sie sich, warum keiner ein Taxi gerufen hätte. Als er sich umdrehte sah er, dass sie die Haare zurückwarf wie ein bockiges Pferd. Beschwichtigend hörte er Robs zu seiner Begleiterin sagen:

„Es ist nicht mehr weit. Falk kennt den Weg mit geschlossenen Augen. Stimmt’s Alter?“

„Noch etwa zwei bis zehn Kilometer.“, schätzte Falk. „Wir müssen quasi nur noch um diese Kurve da vorne, dann sind wir schon fast da.“

„Zwei bis zehn?“, quietschte Fanni. „Was denn nun? Und was für eine Kurve? Ich seh da vorne keine Kurve. Ich seh nämlich gar nichts! Es ist stockfinster, wir sind mitten im gottverdammten Dschungel, und um uns herum ist ein Haufen Viehzeug im Gebüsch, ich schwöre es!“

Womit sie vermutlich nicht Unrecht hatte, dachte Falk. In quengeligem Tonfall verkündete Fanni nun:

„Ich muss mal.“

Falk wechselte einen Blick mit Robs. Als dieser vorhin bei Konrad aufgetaucht war, die durchaus attraktive Mitstudentin mit den glänzenden hellbraunen Haaren im Schlepptau, hatte sie auf Falk zunächst noch einen ganz sympathischen Eindruck gemacht. Sie studierte irgendwas auf Lehramt; auf jeden Fall hatte sie so getan als ob sie sich ziemlich gut mit Fußball auskennen würde. Als Falk ihr daraufhin erzählt hatte, dass er zusammen mit ein paar Kumpels schon seit geraumer Zeit – mit eher mäßigem Fortschritt – ein kleines Fußballturnier plante, hatte sie in Aussicht gestellt, beim sportwissenschaftlichen Institut anzufragen, ob auf deren Gelände eine solche Veranstaltung stattfinden könne. Im Laufe des Abends hatte sich Fanni dann aber als arrogante Nervensäge entpuppt, die mit Sicherheit niemanden wegen des Fußballplatzes fragen würde. Falk war das Gefühl nicht losgeworden, dass sie in erster Linie Robs abschleppen wollte, wie eine Trophäe. Und Robs ging voll darauf ein, dachte Falk, während er beobachtete wie sein Freund nun Wache hielt neben irgendeinem Gebüsch, in welches Fanni verschwunden war.

Falk drehte sich um und ging langsam weiter. Er schüttelte vorsichtig seine Bierdose. Viel war nicht mehr drin. Gedämpft konnte er den Verkehr auf der Schnellstraße hören, die unterhalb des Hausbergs stadtauswärts führte. Der steile Bergkamm lag wie ein Sattel über dem östlichen Ausläufer von Jena. Vom Stadtzentrum aus führte ein Netz von Straßen zu den Wohnvierteln an den Hängen hinauf. In einem der großzügigen Stadthäuser im Hausbergviertel, mit den großen terrassenartigen Gartengrundstücken, wohnte Konrad Seiler noch bei seinen Eltern. Er hatte an diesem Donnerstagabend vor der Garage „den Grill angeschmissen“, was bei Konrad regelmäßig in ein mittelschweres Besäufnis ausartete.

Falk war froh, heute vergleichsweise zeitig den Absprung geschafft zu haben, auch wenn er nun, da Robs und Fanni sich ihm angeschlossen hatten, deutlich langsamer voran kam als geplant. Immerhin hatte er sich in weiser Voraussicht mit einem Bier versorgt. Er blieb stehen um auf die anderen zu warten, und wünschte, er hätte mehr Dosen mitgenommen.

Langsam sehnte er sich wirklich nach seinem Bett. Falk wohnte zusammen mit Robs in einer kleinen Dachwohnung, die sich, von Konrad aus gesehen, auf der anderen Seite des Bergs befand. Die kürzeste Verbindung war daher die schmale gewundene Straße, die sich durch den Wald fast bis zur Kuppe des Hausbergs hinaufschlängelte und auf der anderen Seite wieder hinunter. Und auf dieser Straße stand Falk nun, während es immer später wurde, und das Weckerklingeln am nächsten Morgen näher rückte. Das Hausbergviertel hatten sie schon lange hinter sich zurückgelassen. Straßenlaternen gab es hier oben nicht, was ihm auf dem Hinweg vor einigen Stunden, als die warme Spätsommersonne noch geschienen hatte, gar nicht weiter aufgefallen war. Inzwischen hatte es sich nicht nur merklich abgekühlt, sondern mit der Nacht waren auch Wolken aufgezogen, die den Mond verdeckten. Fanni und Robs schlossen zu Falk auf.

„Mir ist voll kalt.“, jammerte Fanni.

„Ich könnte auch nen Schluck gebrauchen.“, sagte Robs.

„Alle.“, bedauerte Falk, die Dose austrinkend.

*

Da sie bereits seit geraumer Zeit wieder bergab unterwegs waren, wusste Falk, dass sie den Wald bald hinter sich lassen und das Wohnviertel diesseits des Hausbergs erreichen würden. In einigen hundert Metern Entfernung konnte er bereits die gelblichen Lichtkegel der Straßenlaternen erkennen, die einen Parkplatz mit einer Bushaltestelle beleuchteten.

Dann riss plötzlich die Wolkendecke auf. Dahinter kam der fast volle Mond zum Vorschein und tauchte die Straße vor ihnen für einen Moment in farbloses Licht. Zu ihrer Rechten verlief ein Drahtzaun, und das Mondlicht ließ den dichten verfilzten Wald dahinter umso schwärzer erscheinen. Ein paar Meter weiter vorne führten zwei krumme Treppenstufen zu einem Tor im Zaun. Es stand einen Spalt breit offen. Ein schmaler Pfad führte in das Gestrüpp dahinter und verlor sich in der Dunkelheit. Zwischen den Bäumen beleuchtete der Mond die Umrisse eines Hauses. Sie hielten an. Fanni sagte:

„Sieht aus wie ein Geisterhaus. Total verfallen.“

„Da wohnt schon seit Ewigkeiten niemand mehr.“, sagte Robs. „Falk, weißt du noch, wie wir mal reingeguckt haben?“

„Ihr wart doch da nicht wirklich drin?! Ihr seid ja bescheuert! Komm schon Robert, lass uns gehen.“

„Es war eigentlich vollkommen leer, bis auf einen alten Kachelofen.“, meinte Falk.

Er ließ die Bierdose in seinen geräumigen Wanderrucksack fallen und probierte, das Tor weiter aufzudrücken. Quietschend gab es nach.

„Hör auf!“, rief Fanni und kicherte nervös.

„Ich schau mal nach, ob jemand da ist.“, sagte Falk, öffnete das Tor und betrat das Grundstück. Als er sich umdrehte, bemerkte er, wie Fanni Robs einen scharfen Blick zuwarf. Sie zischte:

„Wenn du das tust, komme ich heute auf gar keinen Fall mehr mit zu dir!“

Robs schien kurz zu überlegen, dann grinste er sie an und meinte:

„Na gut, dann sehen wir uns an der Uni.“

„Aber du kannst mich doch nicht hier stehen lassen!“

Falk hatte sich schon einige Meter vorsichtig auf dem Pfad vorwärts bewegt. Er hörte Robs irgendwas zu Fanni sagen, und als er sich jetzt noch einmal umdrehte, konnte er zwischen den Zweigen kurz ihr Gesicht als hellen Fleck erkennen, bevor sie die Straße entlang verschwand. Dann tauchte Roberts kantiger Kopf vor ihm auf. Blonde Locken quollen unter seiner Mütze hervor. Er war kleiner als Falk, machte das aber wett, indem er eher zu hüpfen als zu gehen schien.

„Was das wieder werden soll, Alter.“, sagte sein Freund nun gedämpft. „Ich hätte schön mit Fanni nach Hause und ins warme Bettchen abdüsen können.“

„Die Frau tötet mir den letzten Nerv, Robs. Hast du sie zur Bushaltestelle geschickt?“

„Ja. Hab ihr gesagt, sie soll den Bus um 22:30 nehmen.“

Robs lachte meckernd.

„Du wolltest sie wohl loswerden?“, fragte er.

Falk zuckte grinsend die Achseln.

„Was soll’s.“, sagte Robs. „Sie lässt mich eh noch ran. Wahrscheinlich will sie damit vor ihren Mädels angeben. Schauen wir lieber mal, was du uns hier eingebrockt hast.“

Beide wendeten sich nach vorne, dem Pfad durchs Unterholz zu. Vor sich sah Falk die Lichtung, wo sich das verfallene Holzhaus wie ein Betrunkener an einige Buchen lehnte. Obwohl die Bäume um diese Jahreszeit noch voller Blätter waren, wirkten sie kränklich und dünn, als würden sie sich gegenseitig das Licht zum Leben nehmen. Gestrüpp schien das Haus von allen Seiten anzufressen, so dass seine Umrisse mit dem Wald verschmolzen.

Von Nahem betrachtet war es gar nicht groß, mit einem spitzen Dach und vier zierlichen Türmen an den Ecken. Die Fenster schauten ihnen wie schwarze traurige Augen entgegen. Das Haus schien aus einer anderen Zeit zu stammen. Es war komplett aus Holz gebaut. Im Obergeschoss befand sich ein schmaler Balkon, wo sich die Zweige der umstehenden Bäume um die Holzlatten des Geländers schlangen. Eine Terrasse, vom Erdgeschoss aus zugänglich, verlor sich im Dickicht, von einem durchhängenden vermoosten Wellblechdach notdürftig vor Regen geschützt.

Das Mondlicht fiel von der Seite auf ein geschnitztes Zeichen unter der Dachspitze. Es erinnerte an ein Wagenrad, mit vier von einer zentralen Nabe ausgehenden Speichen, die sich nach außen hin verbreiterten, jedoch ohne den abschließenden Reifen.

Hier war es so ruhig, dass Falk Robert hinter sich atmen hörte. Plötzlich scheute er sich, aus dem Schutz des Waldes auf die Lichtung zu treten. Robs flüsterte:

„Was ist denn los, du Held?“

„Nichts. Auf geht’s!“

Die beiden huschten über die Lichtung und drückten sich an der Hauswand entlang um die Ecke. Die Eingangstür befand sich auf der Hinterseite und stand halb offen. Drei mit Unkraut bewachsene Steinstufen führten hinauf. Falk schlüpfte ins Innere und hielt inne. Robs blieb dicht hinter ihm. Nur die ersten paar Schritte weit fiel das Mondlicht in einen Flur, in dem Scherben und Laub in kleinen Häufchen hereingeweht verstreut lagen. Gleich rechts sah Falk den Ansatz einer Treppe, die nach unten führte. Er erinnerte sich an ihren letzten Besuch in dem alten Haus – damals war es heller Tag gewesen, aber trotzdem hatten sie sich erst nach einiger Überwindung getraut, die Treppe runter zu steigen. Mit ihren Handys leuchtend waren sie schließlich in einem Kellerraum gelandet, der leer gewesen war bis auf ein paar alte Zeitungen.

Im Moment wäre Falk um keinen Preis der Welt die Treppe hinunter gestiegen. Vorsichtig machte er einen Schritt in den Flur hinein. Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte er am Ende des Flurs ein Zimmer erkennen. Mondlicht schien durch die Fenster hinein. Als dunklen Fleck sah er den Kachelofen. Irgendetwas schien darauf zu liegen.

Wie von einem Stromschlag getroffen zuckte Falk zusammen, als Robs hinter ihm leise aber vernehmlich sagte:

„Alter, ich mach mir gleich in die Hose.“

Falk entließ zischend seinen angespannten Atem und flüsterte:

„Siehst du dieses Knäuel da vorne, auf dem Ofen? Ich will nur kurz gucken, was das ist. “

Sie traten in das Zimmer. Draußen, vor den großen Fenstern, lauerte das Dickicht. Ein weiterer Flur führte nach links in einen Raum, von dem aus, wie sie wussten, die Terrasse erreichbar war. Rechts hinter ihnen begann die Treppe ins Obergeschoss, wo es noch zwei oder drei weitere Zimmer gab, Falk erinnerte sich nicht mehr genau.

Der Kachelofen stand mitten im Raum, als könne er selbst nicht so ganz fassen, dass man nur ihn zurückgelassen und alles andere mitgenommen hatte. Dort, wo normalerweise das Ofenrohr steckte, klaffte ein Loch. Falk griff nach dem Bündel, das oben drauf lag. Es war ein Beutel, der, so fühlte es sich zumindest an, aus Leder gefertigt war. Die Öffnung war mit einem groben Strick zugezogen; hindurch lugte ein Knauf.

Als Falk den Beutel anhob, war er überrascht, wie schwer er war. Er lockerte den Strick und zog den länglichen Gegenstand heraus, der drin war.

„Ein Schwert!“, stellte er fest.

Es war etwa einen Meter lang und steckte in einer Lederscheide. Falk reichte es an Robs weiter, der vorsichtig an dem Knauf ruckelte. Ohne Mühe konnte er den oberen Teil einer glänzenden dunklen Klinge aus der Scheide ziehen, während Falk den Lederbeutel schüttelte und fühlte, dass noch etwas darin war. Er wollte gerade hineingreifen, als Robs sagte:

„Ich wette, du traust dich nicht, den Beutel mit zu nehmen.“

Falk sah auf und überlegte nicht lange.

„Wenn du mir hoch und heilig versprichst, dass du, solange wir beide unter einem Dach wohnen, niemals etwas mit dieser Fanni anfängst. Dann mach ich's.“

Einen Moment lang starrten sie sich an, dann zuckte Robs mit den Schultern und schlug ein. Falk stopfte den gesamten Beutel mitsamt dem Schwert in seinen Wanderrucksack, der gerade groß genug war, dass er ihn oben noch verschließen konnte. Danach hatten beide es auf einmal recht eilig.

Robs war schon mit drei langen Schritten in Richtung Flur aufgebrochen, und Falk schickte sich an, ihm zu folgen, als er meinte, ein Geräusch zu hören: ein Knarzen, es kam aus dem Obergeschoss! Prickelndes Adrenalin schoss ihm durch die Adern, und ohne noch einen Moment zu vergeuden machte er, dass er Robs hinterherkam, der schon mit einem Sprung die Treppenstufen vor der Haustür herunter gesetzt war.

Gemeinsam bogen sie um die Hausecke, überquerten die Lichtung und duckten sich auf den Pfad durchs Unterholz. Falk lief nun voran und während ihm die Zweige ins Gesicht schlugen, hatte er unbändige Lust zu rennen. Er sah das Tor vor sich, sprang auch diese Stufen herunter, landete mit einem klatschenden Geräusch auf der Straße und joggte los, die Straße herunter bis zu dem Parkplatz mit der Bushaltestelle, und dann, langsamer werdend, weiter entlang kleiner Häuser und parkender Autos. An der Kreuzung zu ihrer Straße holte Robs ihn ein. Schwer atmend hielten sie inne.

„Hast du das gehört? Da eben in dem Haus?“, fragte Falk.

„Gehört? Nee, was denn?“

„So ein Knarren im Gebälk. Als ob da jemand gewesen wäre, im zweiten Stock.“

Nebeneinander gingen sie, nun gemächlicher, weiter entlang der nächtlichen Straße. Das Wohnviertel bestand aus Doppelhäusern mit mickrigen umzäunten Gärtchen; hier wohnten vornehmlich Rentner und Familien. Es war ganz still, bis Robs plötzlich sagte:

„Ich glaub, wenn ich da was gehört hätte, dann hätt ich mir wirklich eingekackt.“

Beide kicherten unbändig, wie früher, als sie noch kleine Jungs gewesen waren.

„Der Bus mit Fanni war schon weg.“, stellte Robs dann fest.

„Mann, bin ich froh dass wir die los sind.“, antwortete Falk.

„Wir? Ich bin doch derjenige, der fortan auf die süße Maus verzichten muss.“

„Eben nicht! Du wärst doch morgen gleich früh zu deinem Sportkurs aufgebrochen, und die Tante hätte bei uns zu Hause das Bad blockiert, wenn ich zur Arbeit muss. So wie neulich, wer was das noch gleich?“

„Meike hieß die. Mensch Falk, gut dass du mich an den verdammten Kurs erinnerst. Ich muss morgen schon um sechs am Institut sein.“

Sie erreichten die Eingangstür zu der Doppelhaushälfte, in deren Dachgeschoss sich ihre kleine Wohnung befand. Robs fummelte in seinen Taschen nach dem Schlüssel, dann schlichen sie die enge Treppe hinauf, so leise wie möglich, um Roberts Onkel Peter, der unten mit seiner Familie wohnte, nicht zu wecken. Falk drängte hinter seinem Freund in die Wohnung, zog die Tür zu und ließ den Rucksack in der Küche auf einen Stuhl fallen.

Beide starrten eine Weile darauf.

„Meinst du echt, da war jemand? In dem Haus?“, fragte Robs.

Falk zögerte.

„Irgendwer muss diesen komischen Beutel ja dahingelegt haben.“

„Ich bin mir nicht sicher, ob das so eine gute Idee war, den mitzunehmen.“, sagte Robs unvermittelt, und Falk ahnte, dass er Recht haben könnte.

Argots Schwert

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