Читать книгу Onettis Santa María(s): Machträumliche Spannungsfelder zwischen biologischer Reproduktion und künstlerischer Produktion - Johanna Vocht - Страница 12
Macht
ОглавлениеWie bereits in den Ausführungen über die Heterotopien angeklungen, ist jede gesellschaftliche Ordnung von spezifischen Machtstrukturen geprägt.127 So konstituiert sich nach Foucault ein Machtgefüge allein darüber, dass es Dinge gibt, die offen zirkulieren, und andere, die nicht offen zirkulieren, sondern vermittels der Diskursanalyse erst als Negation an die Oberfläche befördert werden müssen. Die Verknüpfung des Foucault’schen Diskursbegriffs mit seinem relationalen Machtbegriff verläuft jedoch nicht geradlinig, sondern geht mit einem radikalen Umbruch in seinem Denken einher, sprich: Foucault wird vom Archäologen zum Genealogen. Diese Ruptur lokalisiert Sarasin in einem Aufsatz, den Foucault 1971 über Friedrich Nietzsches programmatische Frage ‚Wer spricht?‘ verfasst hatte.128 Auch wenn Foucault einen normativen Subjektbegriff nach wie vor ablehnt und das Subjekt weiterhin als historisch Geformtes begreift, kommt er nicht umhin, die Machtfrage auf das Subjekt bezogen neu zu stellen.129 Er spricht dabei von einer Bühne, auf der dasselbe Stück immer wieder gespielt werde, „jenes Stück nämlich, das Herrscher und Beherrschte unablässig aufführen“130. „Die Regel“ dafür sei, „die kalkulierte Lust am Gemetzel und die Hoffnung auf Blut“.131 Letztendlich läuft diese Machtfrage auf ein Durchsetzen des Stärkeren hinaus:
Das große Spiel der Geschichte dreht sich um die Frage, wer sich der Regeln bemächtigt; wer an die Stelle derer tritt, die sie für sich nutzen; wer sie am Ende pervertiert, in ihr Gegenteil verkehrt und gegen jene wendet, die sich einst durchsetzten […].132
Macht stellt bei Foucault demnach ein historisch veränderbares, relationales Konstrukt dar, das nur innerhalb eines bestimmten Diskurses betrachtet werden kann. Macht-Raum-Relationen bildeten gesellschaftliche Hierarchien ab und vice versa. Foucaults Machtbegriff ist damit relational und deskriptiv.133 Anstatt nach Legitimierung, Ursprung oder Grenzen der Macht zu forschen, untersucht Foucault spezifische „Machttechniken“134. Er fragt also nach dem WIE der Macht. Der Foucault’sche Machtbegriff eignet sich damit sehr gut für die Untersuchung genderspezifischer Machtstrukturen, wie diese Arbeit in den Kapiteln 4 und 5 zeigen wird, insofern durch den relationalen Charakter von Macht nicht nur eindimensionale Strukturen, sondern auch machtbesetzte Wechselwirkungen innerhalb der Geschlechterverhältnisse bei Onetti herausgearbeitet werden. Ein weiterer Aspekt des Foucault’schen Machtverständnisses, der sich aus der Relationalität ergibt und eben dieses für die nachstehende Textanalyse so fruchtbar macht, ist die Frage nach der Verortung von Macht. So argumentiert Foucault aus einer historischen Perspektive, dass sich Macht im Laufe der Neuzeit von einem ausübenden Subjekt gelöst und zu einem komplexen gesellschaftlichen Konstrukt verändert hat. Demnach wird eine bis ins 17./18. Jahrhundert gültige subjektabhängige Machtposition von einer relationalen abgelöst:
Das Prinzip der Macht liegt weniger in einer Person als vielmehr in einer konzertierten Anordnung von Körpern, Oberflächen, Lichtern und Blicken; in einer Apparatur […] Folglich hat es wenig Bedeutung, wer die Macht ausübt.135
Die alles erfassende Beobachterposition könne folglich von jeder beliebigen Person eingenommen werden und ist nicht mehr an einen bestimmten Herrschaftskörper, wie etwa den des Königs gebunden.136 Analog dazu lässt sich bei Onetti eine „Erzählmacht“ herausarbeiten, die insbesondere in den späten Texten nicht mehr zwingend einer Figur zugeordnet werden kann, sondern sich aus dem Textgeflecht selbst ableitet. Im vierten Kapitel wird dieser Gedanke weiter ausgeführt.
Nach Foucault wird Macht also nicht mehr von einer bestimmten Person auf ein Objekt ausgeübt, wie etwa die Macht, die ein mittelalterlicher Herrscher durch das System der Leibeigenschaft auf einzelne Untertanen ausübte, sondern besteht aus einem Geflecht zwischen Personen und Institutionen. Grundlegend sei dabei die Freiheit aller Beteiligten sowie der Körper als (neben dem Raum) wichtigster Referenzpunkt der Macht. Da sie den Körper durchdringe, sei Macht ohne Körper grundsätzlich nicht denkbar. Sämtliche Maßnahmen zur Disziplinierung einer Gesellschaft oder Normierung von Subjekten adressierten den Körper. Dies wiederum führt Foucault auf Machttechniken zurück, die ab dem 17./18. Jahrhundert „Produktion und Leistung“ durch den Einsatz des Körpers zum Ziel hatten.137 Diese Machttechniken beruhten, wie er weiter ausführt, auf einer Ansammlung von Wissen über den Körper. Eine entscheidende Verbindungsachse in der Foucault’schen Terminologie verläuft folglich zwischen den beiden Polen Macht und Wissen und verweist damit auch auf die von ihm stets als positiv herausgestellte Produktivität von Macht.138 Das produktive Wechselspiel von Wissen und Macht fasst er folgendermaßen:
Seit Plato weiß man, dass das Wissen nicht völlig unabhängig von der Macht existieren kann. […] Man kann den wissenschaftlichen Fortschritt nicht denken, ohne die Mechanismen der Macht zu denken.139
Damit grenzt er sich deutlich von einem negativen (paramarxistischen) Machtbegriff ab, der allein über Methoden der Unterdrückung, „der Zensur, der Ausschließung, der Absperrung, der Verdrängung“, gefasst wird:140
Dass die Macht Bestand hat, dass man sie annimmt, wird ganz einfach dadurch bewirkt, dass sie nicht bloß wie eine Macht lastet, die Nein sagt, sondern dass sie in Wirklichkeit die Dinge durchläuft und hervorbringt, Lust verursacht, Wissen formt und einen Diskurs produziert; man muss sie als ein produktives Netz ansehen, das weit stärker durch den ganzen Gesellschaftskörper hindurchgeht als eine negative Instanz, die die Funktion hat zu unterdrücken.141
Er betont damit das hervorbringende, stabilisierende Wirkpotential von Macht. Denn je produktiver, d.h. je stärker gesellschaftlich vernetzt, desto beständiger sei Macht. Über die Betonung der Produktivität von Macht, die wiederum auf einem umfassenden Wissen über den Körper basiere, gelangt Foucault schließlich auch zur Ausarbeitung der Begriffe Biomacht, Biopolitik und Gouvernementalität, vermittels derer zum einen die Geschlechterverhältnisse innerhalb des Analysekorpus diskutiert und zum anderen im Schlusskapitel der vorliegenden Arbeit der dargestellte Reproduktionsdiskurs in Onettis Texten in einem außerliterarischen gesellschaftspolitischen Kontext verorten werden soll. Nach Foucault materialisierte sich Wissen an spezifischen institutionellen Orten einer Gesellschaft – und konstituiert damit kulturelle Hegemonien:142
Ein Wissen über den Körper hat man erst über ein komplexes Ganzes von militärischen und schulischen Disziplinen ausbilden können. Erst von einer Macht über den Körper aus war ein physiologisches, organisches Wissen möglich.143
Diese enge Beziehung zwischen Wissen über den Körper und Macht über den Körper wird in Onettis Erzählwerk insbesondere auf Frauenkörper bezogen dargestellt. Durch die Figur des Arztes in Verbindung mit der Thematisierung von Schwangerschaftsabbrüchen rückt der weibliche Körper als potentielles Reproduktionsinstrument in den Fokus. Der wissende medizinische Blick auf den weiblichen Körper konkurriert dabei mit einem christlichen Reproduktionsdogma, das die Figur des Pfarrers pars pro toto durch institutionelle Disziplinierung des weiblichen Körpers und weiblicher Sexualität durchzusetzen versucht. Die Wirkweise dieser Maßnahmen und entsprechende weibliche Gegenstrategien werden im fünften Kapitel näher analysiert.