Читать книгу Onettis Santa María(s): Machträumliche Spannungsfelder zwischen biologischer Reproduktion und künstlerischer Produktion - Johanna Vocht - Страница 8
2.1 Die Macht der öffentlichen Rede
ОглавлениеBezogen auf eben beschriebene räumliche Aufteilung in öffentlichen und privaten Bereich liegt ein wichtiger Machtaspekt in der (Un)Möglichkeit sich zu äußern und öffentlich Gehör zu finden. So analysiert die britische Historikerin Mary Beard unter dem Titel Women and Power (2018), wie sich die räumliche Dichotomie von öffentlichem und privatem Bereich auf das Sprechverhalten von Männern und Frauen auswirkt. Beard weist nach, dass Frauen einem seit der Antike immer wieder reproduzierten öffentlichen, d.h. außerhäuslichen Sprechverbot unterliegen, und wie dadurch ein Machtgefälle zwischen Männern und Frauen entsteht. Diese öffentliche Sprach- und damit Machtlosigkeit von Frauen beruhe, so Beard, auf der Tatsache, dass öffentliche Rede und öffentlich Gehör finden Macht bedeuteten – und diese im Umkehrschluss durch Sprechverbote beschnitten werden könne. Als historisches Beispiel für ihre Untersuchungen wählt Beard eine emblematische Episode aus der Homer’schen Odyssee (und liefert damit nebenbei auch ein eindrucksvolles Beispiel feministischen Gegen-den-Strich-Lesens). Sie schildert eine Szene zwischen Penelope, der Frau des Odysseus, und ihrem Sohn Telemachos, in der Penelope einen Barden, der vor ihr und einer Schar Freier traurige Lieder singt, bittet, etwas Fröhlicheres anzustimmen. Ihr Sohn verbietet ihr daraufhin den Mund:
‘Mother’, he says, ‘go back up into your quarters, and take up your own work, the loom and the distaff … speech will be the business of men, all men, and of me most of all; for mine is the power in this household.’94
Penelope fügt sich dem Verbot ihres Sohnes und zieht sich zurück. Diese kurze Episode zeigt nicht nur, welche Macht sich Männer seit der Antike Frauen gegenüber herausnehmen, wenn sie ihnen Sprechverbot erteilen, sondern auch die räumlichen Parameter, die starke Dichotomie zwischen öffentlichem und privatem Raum, die mit diesem Verbot verbunden und deren vielfältige sozioökonomische Auswirkungen bis heute sichtbar sind. So verweist Telemachos seine Mutter ins Innere des Hauses (zur Erledigung ihrer eigenen Geschäfte vulgo Hausarbeiten), reklamiert also den öffentlichen Raum für sich und die anderen Männer. Eine Stimme zu haben (im wörtlichen, nicht nur im übertragenen, politischen Sinn) und damit öffentlich Gehör zu finden, bedeutet damit Macht. Keine Stimme zu haben bzw. öffentlich kein Gehör zu finden, bedeutet hingegen Machtlosigkeit. Diese Macht respektive Machtlosigkeit sei, so Beard, klar geschlechterspezifisch organisiert, d.h. Frauen erhielten nicht nur klare Sprechverbote, sondern es galt schlichtweg als ‚unweiblich‘ öffentlich die Stimme zu erheben:95
[P]ublic speaking and oratory were not merely things that ancient women didn’t do: they were exclusive practices and skills that defined masculinity as a gender. As we saw with Telemachus, to become a man (or at least an elite man) was to claim the right to speak. Public speech was a – if not the – defining attribute of maleness.96
Das öffentliche Ergreifen des Wortes wurde somit zu einem kulturell konstruierten ‚männlichen Geschlechtsmerkmal‘ einer männlichen Elite.