Читать книгу Verräter an Bord - Johannes Anders - Страница 15
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Queen Anne verließ den inneren Zirkel der Piratenflotte. Ihr Speedster rauschte am letzten funktionstüchtigen Schiff vorbei und erreichte die Zone, in der viertel-, halb, und fast fertige Schiffe nebeneinander dümpelten. Überall sah man die Funken der Schweißgeräte, mit denen Löcher in den Hüllen geflickt oder zusätzliche Waffen angeflanscht wurden. Sie entschloss sich, im Hangar der BACHELOR´S DELIGHT zu landen. Das Schiff schien fast fertiggestellt. Arbeiter wiesen ihr den Weg zum Leiter des Bautrupps. Sie fand ihn auf der Brücke.
„Queen Anne!“, wurde sie von Henrik Morgan begrüßt. „Willkommen an Bord!“
„Danke, Henrik. Wir müssen reden. Habt ihr schon einen Konferenzraum fertig, wo wir ungestört sind?“
„Nein, erst kommen die Waffen dran. Wir haben gerade den ersten Werfer installiert.“
„Funktioniert er schon?“
„Bald. Wir sind dran.“
„Wo können wir dann reden?“
„Gehen wir in meine Kabine.“
Henrik Morgan gehörte zum Widerstand. Er bot Queen Anne einen Rum an.
„Danke“, sagte sie.
„Die BACHELOR´S DELIGHT hat Tradition“, erzählte er. „Sie wurde vor vielen Jahren von John Guck aufgebracht. John wechselte damals auf die BACHELOR und verkaufte sein eigenes Schiff auf Tinged im Austausch gegen 60 weibliche Sklaveninnen.“ Er grinste breit. Anscheinend gefiel ihm die Geschichte.
Wahrscheinlich stellt er sich vor, wie ich mich als Nummer 61 machen würde, dachte Anne. Aber sie war nicht in der Position, ihn zurechtzuweisen.
„Noch einen Drink?“, fragte er.
„Nein, danke. Wir müssen klaren Kopf behalten. Es ist etwas vorgefallen.“
Sie erzählte ihm, wie es ihr und Oliver ergangen war und dass ein psychopathischer Halbroboter namens Omega die DELIVERY übernommen hatte. „Wie weit seid ihr mit der BACHELOR?“, fragte sie.
„Du willst sie doch nicht gegen die DELIVERY führen? Dieses schöne Schiff?“
„Nein, aber wir sollten uns verteidigen können. Omega hat den Widerstand gespalten. Das ist eine gefährliche Situation.“
Henrik kratzte sich am Bart. Wahrscheinlich dachte er darüber nach, auf welche Seite er sich schlagen sollte. Von der Piratenaristokratie hatte er sich lange losgesagt. Also blieb ihm die Wahl zwischen Queen Anne und Omega, wobei Omega die besseren Karten auf der Hand zu halten schien. Anne konnte es ihm nicht verdenken, dass er ins Grübeln kam.
Eine Frau aus dem Bauteam klopfte und kam herein. War sie eine von Henriks 60 weiblichen Sklavinnen? Er gab ihr ein Zeichen zu sprechen.
„Chef, es sind Flüchtlinge von der DELIVERY angekommen. Sie sind mit einem Shuttle gelandet.“
„Flüchtlinge? Danke, Izzy, ich bin gleich oben.“ Er sah Queen Anne tief in die Augen. „Was ist da los?“
„Omega errichtet ein Schreckensregime“, erklärte sie in dem Bewusstsein, dass sich das Verhältnis seiner Abwägungen ein wenig zu ihren Gunsten verschoben hatte.
Unter den Flüchtlingen erkannte sie Cooper Derdrake, die Astrogatorin der DELIVERY. Sie fielen sich in die Arme.
„Omega bereitet die Eroberung der LIBERTY vor“, berichtete Cooper. „Viele haben Angst, das Flaggschiff anzugreifen. Manche verdrängen ihre Angst und stehen hinter dem Plan. Alle, die nicht mitziehen oder sich querstellen, werden von Omega beseitigt. Mir blieb nichts übrig, als das Shuttle zu organisieren und mit den elf Leuten abzuhauen, sonst wären wir nicht mehr am Leben.“
„Einer von beiden wird also bald Geschichte sein: Omega oder Admiral La Buse“, überlegte Henrik.
Und bis dahin würde Henrik sich auf keine Seite schlagen, das war Queen Anne klar. „Omega wird der nächste La Buse“, versuchte sie, ihn zu überzeugen. „Er verkörpert jetzt schon das, wogegen wir die ganze Zeit gekämpft haben!“
Aber Henrik brummte nur etwas Unverständliches in seinen Bart.
Das Montageteam arbeitete fieberhaft an der Inbetriebnahme des Lasers, während Queen Anne, Cooper und Henrik an der Astroscheibe warteten.
„Da! Es gibt vermehrt Verkehr zur LIBERTY“, beobachtete Queen Anne. „Es wird bald losgehen!“
Eine halbe Stunde später zeigten die Sensoren erste Schusswechsel auf der LIBERTY an. Die Garde schien die Eindringlinge aufzuhalten. Gebannt verfolgten sie die Entwicklung.
„Achtung, Gefahr!“, meldete sich der Bordcomputer der BACHELOR.
Queen Anne schreckte hoch. Ließ Omega gleichzeitig mit der LIBERTY auch die BACHELOR angreifen? Das war höchst unwahrscheinlich. „Was ist mit dem Bordcomputer, kann er die Gefahr nicht benennen?“, fragte sie.
„Seine KI wird noch trainiert“, erklärte Henrik. „Deshalb hat er auch noch keinen Namen.“
„Computer, wo ist die Gefahr?“
„Fokus erweitern!“, schlug die jugendliche KI vor.
Henrik erweiterte den Fokus der Astroscheibe, und jetzt sah man es: Sechs kleine Schiffe unbekannter Herkunft rückten in einer Phalanx auf die Flotte vor und schossen auf alles, was ihnen in die Quere kam. Sie hatten bereits die Bergungszone auf der anderen Seite der Flotte durchquert und zerstörten die Schiffe in der dortigen Bauzone.
„Himmel! Was sind das für Schiffe?“, fragte Henrik.
Sie sahen aus wie Oktaeder mit abgeflachten Ecken. „Solche Schiffe wurden schon vor einigen Wochen in der Nähe der Flotte gesichtet“, berichtete Anne. „Aber wir wussten nicht, was sie vorhaben.“
„Jetzt wissen wir es“, stellte Henrik fest. Anne vermutete, dass sein unbewegtes Gesicht den Schrecken verbarg, der sie alle erfasste.
In der Bauzone regte sich Widerstand. Werferforts beschossen die Eindringlinge. Diese schlugen zurück und zerstörten die Forts nacheinander. Schon näherten sie sich dem inneren Zirkel.
Die Piratenschiffe des inneren Zirkels wehrten sich, aber ihre Verteidigung wirkte unkoordiniert. Sie konzentrierten ihr Feuer nicht. Queen Anne schlug die Hände vor das Gesicht, als die BLACK JOKE unter dem Feuer der aggressiven Angreifer zerbarst.
Sie hatten sie gerade zur Witwe gemacht.
Cooper legte einen Arm um ihre Schulter.
„Verdammt, warum baut La Buse soviel Mist?“, schimpfte Henrik. „Die wehren sich ja gar nicht richtig!“
„Sein Schiff wird gerade von Omega erobert“, erinnerte ihn Cooper tonlos. „Ihm brennt das Hemd.“
Endlich drehte sich die LIBERTY in Position und feuerte zurück. Auch die SNAP DRAGON und die MOST HOLY TRINITY warfen sich den Angreifern entgegen. Und plötzlich tauchte noch ein weiterer Ortungspunkt auf der Astroscheibe auf: Es war die REVENGE. Mari Ried! Für eine Sekunde schöpfte Queen Anne Hoffnung. Aber auch die drei stärksten Schiffe der Piraten wurden nacheinander zusammengeschossen. Als letzte explodierte die LIBERTY in einem großen Feuerball.
Die REVENGE drehte ab.
Die Angreifer machten danach nicht halt. Sie durchquerten den inneren Zirkel und kamen direkt auf die BACHELOR´S DELIGHT zu.
„Wir müssen abhauen!“, schrie Cooper erschrocken.
„Unser Antrieb ist noch nicht fertig!“ Henrik tippte auf seinen Armcomputer. „Izzy, was ist nun mit dem Werfer?“
„Gerade angeschlossen, aber ohne Garantie.“
„Fertig machen! Volle Energie!“
„Bist du verrückt, wir haben ihn noch nicht getestet! Das Ding kann uns um die Ohren fliegen, wenn du gleich volle Energie gibst!“
„Müssen wir riskieren. Sonst fliegt uns gleich noch viel mehr um die Ohren!“
„Das bringt doch nichts!“, versuchte Queen Anne ihn zu stoppen. „Du kannst mit einem einzigen mickrigen Werfer keinen Gegner besiegen, der die LIBERTY plattgemacht hat. Lass uns lieber mit den Pick-ups und dem Shuttle abhauen!“
„Und wohin? Zu den Rattenfressern in der Bergungszone? Oder in den Leerraum? Wie weit kommst du mit den Pick-ups im Leerraum? Ich will lieber in Würde sterben, hier auf der schönen BACHELOR´S DELIGHT!“
Und dabei von den 60 Sklavinnen träumen, dachte Queen Anne. Viel Spaß und einen süßen Tod!
Sie verließ die Brücke und sprintete zum Shuttle. Aber einige Flüchtlinge waren in Panik geraten und starteten schon, ohne auf die anderen zu warten. Die zu spät gekommenen krallten sich an der geschlossenen Tür fest und rutschten ab, als das Shuttle startete. Anne machte kehrt und rannte zu ihrem Speedster. Sekunden nach ihr saß auch Cooper auf. Die beiden Frauen nickten sich zu und zogen ihr Helmvisier herunter. Kaum hatten sie den Hangar verlassen, begann der Werfer der BACHELOR zu feuern. Immerhin flog er Henrik nicht gleich um die Ohren. Er feuerte aber nicht lange, denn kurz darauf explodierte die BACHELOR hinter Queen Anne. Brennende Wrackteile überholten sie, trafen sie aber glücklicherweise nicht.
Vor ihnen floh das Shuttle in Richtung Bergungszone. Plötzlich wurde es von einem Energiestrahl getroffen und flog auseinander. Anne schlug einen Haken, um nicht von Trümmern erwischt zu werden, und erreichte die Bergungszone. Aber die grausamen Verfolger machten nicht Halt und folgten. Die sechs Alienschiffe pulverisierten alles, was ihnen vor die Flinte kam. Schon sah Anne den äußeren Rand der Bergungszone auf sich zukommen und schoss in den Leerraum hinaus. Sie drehte sich um. Würde der Feind ihr folgen?
Nein. Die Oktaeder des Grauens kamen nicht hinterher. Sie hatten angehalten.
Queen Anne und Cooper Derdrake flogen nicht weiter in den Leerraum hinaus, es hätte auch keinerlei Sinn gehabt. Der Speedster hatte keinen Überlichtantrieb. Da draußen wartete nur der Tod durch Ersticken, sobald der Sauerstoff ausging.