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DARTMOUTH

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Von Johannes

Die Sonne ist noch nicht zu sehen, als wir früh am nächsten Morgen lostuckern. Doch sie wird sich auch den ganzen Tag nicht blicken lassen. Es bleibt grau in grau. Typisch britisch. Dafür ist der Wind zurückgekehrt, und wir setzen gleich nach dem Passieren des Leuchtturms am Portland Bill die Segel. Für Inga ist das der erste Segeltörn überhaupt. Und sie weiß noch nicht so recht, ob er ihr gefällt oder ob sie langsam seekrank wird. Hoch am Wind preschen wir quer über die große Bucht hinüber auf die andere Seite, zur Grafschaft Devon. Unser Ziel ist Dartmouth. Ein langer Ritt. Daher ist es fast 21 Uhr, als wir im Dunkeln in den Mouth des River Dart einbiegen. Erst sind wir uns gar nicht so recht sicher, dass es da irgendwo hineingeht, denn bis kurz vor dem Eingang liegt das Land als dunkler Haufen in unserem Norden. »Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?«, fragt Cati. Der Fluss und die Stadt waren vor langer Zeit Ausgangshafen für zahlreiche Entdeckerfahren und außerdem Stützpunkt der Royal Navy. Deshalb vermutlich so gut getarnt. Wir motoren an gewaltigen Felswänden vorbei, biegen um die Ecke, und plötzlich sehen wir die gelb beleuchteten Häuser an den Berghängen kleben. Ein wahnsinnig schönes Bild. Auf der linken Seite erkennen wir schemenhaft die Umrisse des Dartmouth Castle, das um 1481 errichtet wurde, um die Flussmündung zu überwachen. Denn trotz der geschützten Lage war es den Franzosen im Hundertjährigen Krieg zweimal gelungen, die Stadt zu plündern.

Wir hingegeben bekommen nach Inga erneut willkommenen Besuch: Unser Kamerateam kommt an Bord. Schon bevor uns die drei morgens um 8:30 Uhr die Hand schütteln, haben sie aus den Bergen eine Totale des Yachthafens gedreht und ein paar Details der Dampflok im Kasten, die alle paar Stunden neben dem Yachthafen hält. Das ist die normale Zugverbindung hierher nach Dartmouth, wo die Zeit ohnehin stehen geblieben zu sein scheint. Wir beginnen mit Aufnahmen einer Frühstückssituation im Salon der MAVERICK TOO, verlassen das Schiff und fahren mit der Fähre hinüber in die Altstadt. Das bedeutet Kameraaufnahmen vom Umfeld der Fähre, Details von einer Seerobbe, die um die Fähre schwimmt, Aufnahmen, wie wir an der Fähre ankommen, wie wir die Gangway hinunterlaufen, wie wir an Deck der Fähre sitzen und bedächtig in die Ferne schauen … In Dartmouth schauen wir uns einen Andenkenladen an und spielen für die Kamera, dass Cati da gerne reinmöchte, ich aber lieber weiter. Wir besichtigen den Ort, an dem vor 400 Jahren die Pilgerväter mit der MAYFLOWER abgelegt haben, flüchten vor dem Regen in eine britische Telefonzelle und sitzen in einem Café und essen eine typische britische Pastries.

Kurz vor Feierabend will Arne dann noch unsere Abfahrt nachstellen. Also Maschine an, Ölzeug auch, Leinen los. Wir tuckern bis zum Castle und setzen die Segel, um sie dann gleich wieder zu bergen und zu unserem Liegeplatz zurückzukehren. Am Abend kehren wir dann erschöpft von dem langen Tag im Regen in eine Fish-and-Chips-Bude ein. Alle Aufnahmen sind im Kasten. Punktlandung, denn bei mir kündigt sich eine Erkältung an. Ich bin erleichtert, dass ich das Tagesprogramm mit sonorer Stimme, rotziger Nase und tierischen Gliederschmerzen noch hinbekommen habe. Jetzt zieht der Körper einen Schlussstrich und sucht nach dem Druckabfall durch den Stress der letzten Monate und Jahre ein Ventil. Es war einfach alles zu viel gewesen.

Mit dem Schiff in der Werft und einem alten Haus hatten wir über die vergangenen zwei Jahre zwei Baustellen: Das Haus sollte soweit hergerichtet werden, dass wir eine Wohnung vermieten könnten – und das Schiff bedurfte einer Grundüberholung, vor allem einer Osmosebehandlung. Es war eine Heidenarbeit.

Soziale Kontakte waren während der ganzen Zeit auf null heruntergeschraubt. Während Cati eher die groben Aufgaben erledigte und nach dem Spachteln sowohl das komplette Unterwasserschiff als auch das Deck schliff, ging ich später über zu Zimmermannsarbeiten und Elektrik. Es wurde ALLES getauscht. Einzig Rumpf und der hölzerne Innenausbau blieben. Ein Neubau gefangen in einem GFK-Klassiker.

Mein monatliches Gehalt hätte der Verlag auch direkt an die Ausrüster überweisen können. Aber selbst das hätte nicht ausgereicht, denn die Ausgaben waren immer viel höher als das Gehalt. Also musste ich mehr Geld verdienen. Noch eine Vortragstour über die Einhand-Atlantikreise. Inzwischen hatte ich über 170 Vorträge gehalten.

Doch ich war weiterhin ein schlechter Geschäftsmann, dankbar für jeden Euro. Später bekam ich in vielen Fällen heraus, dass andere Segler das doppelte Honorar herausgeschlagen hatten, weil sie sich besser verkaufen konnten. Leute, die viel langweiligere Reisen im Kielwasser hatten. Neben dieser Lebenserfahrung sammelte ich also eine Menge Autobahnkilometer. Einige Male nahm ich mir einen Tag frei, um abends einen Vortrag in München zu halten und verbrachte den ganzen Tag auf der Autobahn zu einem Land-Rover-Autohaus. Nach dem Vortrag war ich um 22:30 Uhr wieder auf der Autobahn nach Norden, um 8 Uhr in Hamburg und um 9 Uhr im Büro. Jeder Euro zählte und war die kräftezehrende Tour wert. Es ist immer alles gut gegangen. Aber oft war die Klimaanlage auf dem Rückweg eiskalt eingestellt, damit ich nicht einschlafe.

Die Abende in den Autohäusern, Dorfgemeinschaftshäusern, Kinos und bei Buchhändlern waren toll. Doch die Kohle reichte immer noch nicht. Also suchte ich mir noch mehr Nebenjobs und begann nachts für Profi-Segler Boris Herrmann zu arbeiten. Boris segelte damals zusammen mit einem Amerikaner ein Rennen nonstop um die Welt, das Barcelona World Race. Eigentlich sollte ich als Webmaster nur dafür verantwortlich sein, Pressebilder in seine Website einzupflegen, ab und zu mal eine Meldung zu posten, die Boris während des Rennens an Bord seines Open 60 schrieb. Doch am Ende postete ich täglich eine Rennzusammenfassung mit Hintergrundinformationen, Wetterberichten, Aussichten, gepaart mit den Berichten direkt von Bord. Boris’ Tastatur war im Southern Ocean kaputtgegangen und viele Tasten lösten mehrfach aus. Eine Heidenarbeit, überflüssige Buchstaben auszumisten und daraus als Ghostwriter einen veröffentlichungsfähigen Text zu machen. Die Leser der Website und Fans von Boris waren begeistert von den täglichen Posts, bezeichneten mich als »dritten Mitsegler« an Bord. Und ich arbeitete doppelt: Nachts, üblicherweise bis 3 Uhr, schrieb ich neue Meldungen auf Boris’ Seite, tags darauf dann Online-Meldungen darüber für die Yacht. Für 500 € im Monat.»Deine Entlohnung steht in keinem Verhältnis zur Leistung«, entschuldigte Boris sich wiederholt, »aber das Budget ist zu knapp.« Boris und sein Manager versprachen mir, mich später wieder zu engagieren und »vernünftig zu bezahlen«, sollte es eine Vendée Globe Kampagne geben. Mit dieser Aussicht gab ich mein Bestes. Doch als es Jahre später zu einem Vendée Globe Rennen kam, war Boris nicht dabei.

Ich suchte mir weitere Nebenjobs, übersetzte nachts Bücher, Schiffs-Exposés und Pressetexte. Der Körper wehrte sich schon damals immer mehr gegen all den Stress und Schlafmangel. Zweimal war ich wegen rasendem Herzen beim Arzt. Ich war aufgebraucht, überarbeitet. Und dann forderte auch noch überraschend das Finanzamt Steuern für die Vorträge nach – ein Großteil des beiseite gelegten Geldes war wieder weg. Es schien immer hoffnungsloser, je wieder lossegeln zu können. Während vieler Mittagspausen saß ich in der Redaktion vor dem Rechner, las Blauwasserblogs und betete »Herr, lass mich so was nur noch einmal erleben.«

Während der Pendelei im Zug schaffte ich es manchmal, ein Buch zu lesen. Eines fesselte mich: Adrift. Autor Tristan Jones sprach mir aus der Seele: Er ist gerade von einer tollen Reise zum Titicaca-See, die wegen politischer Unruhen viel Kraft gekostet hatte, nach England zurückgekommen. Seine kleine, 7 Meter lange SEA DART hat er per Frachter nach England geschickt Dort möchte er eigentlich nur das Schiff abladen und etwas Frieden unter Segeln finden. Doch der Zoll verlangt Einfuhrsteuern. Geld, dass der Mann nicht mehr hat. Also bleibt das Schiff im Zollhafen an der Kette, während Jones über den Winter als Kohleschipper bei Harrod’s Geld verdient.

»Der hatte es wenigstens warm«, dachte ich. Denn wenn ich nach Hause kam, war das Haus kalt. Ich sparte Geld, schaltete im Winter die Dieselheizung tagsüber ab. Wenn ich um 20 Uhr nach Hause kam, dauerte es immer 1,5 Stunden, bis die Wohnung langsam durch den Holzofen aufgewärmt worden war. Um 23 Uhr ging ich ins Bett, weil ich um 6:45 Uhr schon wieder das Haus verlassen musste. Sinnlose, einsame Winter auf dem Land.

Jones gelingt es irgendwann, mit Gelegenheitsjobs genug Geld aufzubringen, um sein Schiff zurückzubekommen und endlich wieder die Segel zu setzen. Für mich hoffte ich ebenfalls auf ein Happy-End. Ich wollte so gern los, aber war im Leben an Land mit all seinen Verbindlichkeiten gefangen. Deshalb wechselte ich oft das Thema, wenn wieder einmal jemand auf einer Bootsmesse oder nach einem Vortrag die immer gleiche Frage stellte: »Und, wann geht’s wieder los?« – Was sollte ich antworten? Die Wahrheit war: »Ich weiß es nicht.«

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