Читать книгу Zu zweit auf See - Johannes Erdmann - Страница 14
MORGEN FRÜH
SITZEN WIR BEI
CAFÉ CON LECHE …
ОглавлениеVon Johannes
Als wir die Leinen loswerfen, ist es draußen noch stockdunkel. Das Wetter hat sich wie angekündigt beruhigt. Dafür sollen die 4 bis 5 Beaufort nun schon am Abend kommen, nicht erst morgen. Doch wir wollen es trotzdem wagen. Besser wird das Wetter in nächster Zeit eh nicht. Es ist immerhin schon Ende Oktober. Eine Jahreszeit, in der eine zehn Meter lange Yacht in diesem Seegebiet eigentlich nichts mehr zu suchen hat. »Jetzt erst mal zum Eingewöhnen hoch am Wind bei schwacher Brise«, erkläre ich Cati, »und dann wird es heute Abend ein bisschen schaukelig, wenn wir gegenan bolzen.«
Beim ersten Kaffee hole ich die Kamera heraus und nehme ein kurzes Statement auf. Cati gähnt in die Linse, sieht aber ziemlich angespannt aus. »Im Grunde mache ich mir ein bisschen Sorgen wegen der Biskaya«, sagt sie. Und ergänzt: »Ich find’s immer so doof, wenn nachts so viel Wind kommt. Aber ich freu mich auf Spanien. Heute Nacht hatten wir schon wieder eine Tropfsteinhöhle de luxe hier in der Kajüte.« Wir können es wirklich kaum abwarten, dass es endlich wärmer wird. Also legen wir bedrückt und voller Sorgen vor dem, was da kommen wird, ab. Doch wir sind zuversichtlich, dass das Ziel die Mühen wert sein wird.
Der Diesel schiebt uns munter gen Südwesten, genau auf La Coruña zu. Der Wind ist deutlich schwächer als erwartet. Aber das ist uns egal. Wir haben genug Diesel dabei, um notfalls bis La Coruña durchzumotoren. Kaum haben wir die Küste verlassen, begleitet uns eine Schule Delfine hinaus aufs offene Meer. Cati ist völlig aus dem Häuschen. »Guck mal, wie viele das sind!«, schreit sie und klettert mit Schwimmweste und angeleint aufs Vorschiff. Bisher hat sie sich noch nie auf See aufs Vorschiff getraut. Und nun sitzt sie auf dem Bug und schaut den Tieren dabei zu, wie sie mit der Bugwelle spielen und sich immer wieder auf die Seite drehen. »Die schauen mich an. Hast du gesehen, dass die mich immer anschauen?«, staunt sie. Ab und zu vollführt einer sogar einen hohen Sprung aus dem Wasser. Cati applaudiert und hat Tränen in den Augen. Sie jubelt: »Das ist der allerschönste Tag meines Lebens …«
Lange schwimmen die Tiere mit uns mit. Doch als die Sonne untergeht, machen sie sich wieder davon. Wir tuckern immer noch unter Diesel in die Nacht hinein, haben schon über 60 Seemeilen im Kielwasser. Sogar der Autopilot steuert ganz brauchbar, genau aufs Ziel zu. Doch dann frischt der Wind ganz plötzlich auf. Nicht so, wie angekündigt, sondern südlicher. Genau auf die Nase.
An Kreuzen denke ich nicht. Denn wenn der Wind auf 4 bis 5 Beaufort aufbrist, wird sich schnell eine hohe Welle aufbauen, die auf dem Kontinentalschelf verhängnisvoll werden kann. Also lasse ich den Diesel weiterlaufen und das Groß im zweiten Reff und dicht geschotet stehen, um das Schiff gegen das Rollen zu stabilisieren und noch einen halben Knoten mehr rauszuholen.
Nach 24 Stunden erreichen wir schließlich wie geplant das Kontinentalschelf. Keine Minute zu früh, denn der Wind legt schlagartig zu, und die Wellen beginnen, stetig zu wachsen. Natürlich setzt auch noch die Tide gegen die Wellen. Gewaltige Brecher, die das Schiff durch die Gegend werfen.
Zehn Meter Schiffslänge sind wirklich nicht viel. Cati, die den ersten Tag der Reise seekrankheitstechnisch hervorragend hinter sich gebracht hat, wird es mulmig. Sie bekommt daher sicherheitshalber Bettruhe verordnet. Selbst mir wird angesichts der Wellenberge schlecht. Es ist ein Kampf, das Schiff trotzdem auf Kurs zu halten. Der Wind kommt schräg von vorn, wir segeln hoch am Wind, und immer wieder fühlt es sich an, als würde jemand mit einem C-Rohr auf dem Vorschiff stehen und mich bei jeder Kursänderung ins Visier nehmen. Nass, salzig, kalt. Zum Glück steuert die Windsteueranlage hervorragend, aber trotzdem muss ich immer wieder raus, um die Segelfläche zu verkleinern, zu vergrößern und den Kurs zu justieren. Der Wind raumt und schralt in den Böen. Zwischendurch verkrieche ich mich in meiner Koje, immer das AIS im Blick und jede Viertelstunde ein Rundumblick draußen. Cati ist zu schlapp, um mir eine Wache abzunehmen, und ich habe Angst, sie rauszulassen. Mittlerweile fegen 7 Beaufort über uns hinweg. Zwei Stunden lang drehen wir sogar bei, um Kräfte zu sammeln und ein bisschen Ruhe ins Schiff zu bringen. Dann geht es weiter, in die zweite Nacht hinein.
Erst am Mittwochmittag beginnt der Wind abzuflauen, und wir nähern uns der spanischen Küste. Die Sonne kommt heraus, und ich kann sogar das zweite Reff herausnehmen, wieder die volle Genua setzen. Mit 7 Knoten jagen wir dem Ziel entgegen. Cati sitzt an Deck in der Sonne und ich kann zwei Stunden in die Koje gehen.
Eine Nacht noch, dann liegt Spanien endlich vor unserem Bug. Die vergangenen fünfeinhalb Wochen seit dem Start in Deutschland waren wir permanent auf der Flucht vor dem Herbst und haben immerhin 1.100 Seemeilen zurückgelegt. Nun endlich sollen wir den ewigen Sommer erreichen. Tagestörns, Buchtenbummeln und kein Meilenreißen mehr. Und wir sind wieder im Zeitplan, um rechtzeitig zur Passatsaison über den Atlantik zu kommen.
Doch in der dritten und letzten Nacht auf See ist der Wind plötzlich weg, 30 Seemeilen vor La Coruña. »Kein Problem«, denke ich. »Wir haben ja vollgetankt.« Die Maschine startet sofort und ohne Probleme, ich kuppele den Gang ein, und schon laufen wir bei 5,5 Knoten Marschfahrt dem Ziel entgegen. »ETA 8 Uhr«, verkünde ich. »Morgen früh sitzen wir in La Coruña an der Promenade und trinken Café con leche.« Keine Minute später kommt Qualm aus dem Maschinenraum. Bevor ich den Motor stoppe, versuche ich noch schnell in den Nebelschwaden den Fehler zu finden. Ich kann es kaum fassen: Der Kühlwasserschlauch für das Seewasser liegt neben dem Stutzen am Getriebe. Also sind wir ohne Kühlwasser gefahren. Er muss kurz nach dem Start abgerutscht sein, denn zu Beginn kam das Kühlwasser noch wie gewöhnlich aus dem Auspuff gesprotzt. Ich montiere den Schlauch wieder, zweiter Versuch. Doch wieder Nebelschwaden. Dann erst wird mir das ganze Ausmaß des Unglücks bewusst: Die heißen Abgase haben den oberen Teil des Wassersammlers geschmolzen, sodass Kühlwasser und Abgase vom Motor ins Schiffsinnere gepumpt werden. Wir können die Maschine nicht mehr benutzen, ohne das Boot zu füllen und zu vernebeln.
Bis zum Ziel sind es nur noch 30 Seemeilen. Eine Tagesetappe für einen Ostseesegler. Aber zugleich eine Distanz, die bei fast null Wind Tage dauern würde. Ich setze wieder Segel und beginne, im Dunkeln zu kreuzen. Bis 4 Uhr morgens schaffe ich es, zwei Seemeilen zurückzulegen, dann überwältigt mich die Müdigkeit. Cati übernimmt das Steuer, kreuzt weiter. Doch sie hat mehr Pech. Die Tide schiebt uns zurück hinaus auf die Biskaya. Als ich eine Stunde später wieder wach werde, sind wir die Hälfte der mühselig erkämpften Distanz wieder zurückgetrieben. Das Schiff rollt in den immer noch hohen Wellen von einer Seite auf die andere, es scheppert und knarzt. Die Segel wollen gar nicht mehr stehen.
Zum Glück haben wir schon wieder Handyempfang, also schnell einen Wetterbericht abrufen. Sehr ernüchternd. Drei Tage Flaute werden vorhergesagt, die gleichen Bedingungen wie jetzt. Keine Chance, voranzukommen, und der Wassersammler ist irreparabel kaputt. Gefrustet sitzen wir im Cockpit. »Wir brauchen einen Schlepper«, ist unser Fazit. Doch woher nehmen? Google findet nichts. Einige per SMS kontaktierte Freunde wissen auch keinen Rat. Die Küstenwache? »Ich könnte das MRCC in Bremen anrufen«, schlage ich vor und erschrecke zugleich vor meiner Idee. Ich habe auf See noch nie Hilfe von außen in Anspruch nehmen müssen. Und ist das hier denn ein Notfall? Wir sind ein Segelschiff und könnten ja segeln. »Aber die nächsten drei Tage ist doch absolut kein Wind vorhergesagt«, wirft Cati ein. »Wie sollen wir da an Land kommen?« Guter Einwand. Außerdem treibt uns die Tide wieder raus. Jetzt haben wir gerade noch Handyempfang, später nur noch die EPIRB. Aber gleich ein Rettungsboot? Ein Schlepper würde doch reichen. Vielleicht können die Leute in Bremen auch Auskünfte erteilen und einen Schlepper vermitteln. Es gibt keine andere Wahl. Also wähle ich die Nummer, die ich sicherheitshalber im Handy gespeichert habe. Und ehe wir uns versehen, ist ein Rettungsboot verständigt. Schlepper gibt es hier laut Auskunft nicht.
»This is SALVAMAR SHAULA. Speaking spanish, eh?«, knarzt es aus dem UKW-Gerät. Der Empfang ist schlecht. Der Sender muss noch weit weg sein. »Buenos días«, antworte ich und ergänze gleich, »unfortunately not.« Der erste Kontakt mit den Spaniern – und es ist ein Rettungsboot. Ein mulmiges Gefühl im Magen. »We are coming«, rauscht es zurück. »One hour.«
Sie kommen. Cati und ich sitzen in der Kajüte und versuchen, uns festzuhalten. Cati in der Naviecke, ich über den Kartentisch gelehnt, während unser Schiff in den drei Meter hohen Wellen ruckartig von einer Seite auf die andere geworfen wird. Schapps fliegen auf, Dinge poltern durch die Gegend. Kein Wind, der das Schiff mit gesetztem Großsegel stabilisiert. Es herrscht absolute Flaute. Der Ozean ist genauso still wie wir, doch vom Atlantik rollt noch die alte, hohe Welle durch, die am Tag vorher vom starken Wind aufgebaut wurde. Keiner wagt, ein Wort zu sagen. »Es kann sein, dass die Reise hier schon zu Ende ist«, fange ich an und drücke aus, was uns beiden durch den Kopf geht. Cati nickt stumm, mit Tränen in den Augen. »Dann ist es halt so«, antwortet sie. »Es war die richtige Entscheidung.« Ich kann nur ein leichtes, gezwungenes Lächeln hervorbringen. Meine Augen sprechen eine deutliche Sprache. Ich bin niedergeschlagen.
30 Minuten später geht die Sonne auf. Das AIS läutet, Kollisionskurs. Die SALVAMAR SHAULA brettert mit 27 Knoten auf uns zu. Am Horizont ist sie wenige Minuten später zwischen den Wellenbergen zu erkennen. Und dann steht sie, die Schleppverbindung. Die Männer sind Profis, das merkt man. Vor allem der Skipper. Behutsam zieht er mit seinen 2.800 PS die 100 Meter lange Leine stramm. Ohne Rucken nimmt MAVERICK TOO Fahrt auf. Wir laufen gen Hafen.
Es wäre zu schön, wenn man uns nach La Coruña schleppen würde – doch das können wir nicht erwarten. Da die spanischen Seenotretter kaum Englisch sprechen, erfahren wir überhaupt nicht, wo es hingeht. Zweieinhalb Stunden lang werden wir mit 7 Knoten an der fantastischen Kulisse der spanischen Felsküste entlanggeschleppt. Felsen, denen wir ohne Maschine und Wind nicht zu nahe kommen möchten. Schließlich werden wir längsseits genommen, in den kleinen Fischerhafen Cariño gebracht und an der Berufs-schifffahrtspier festgemacht. Die Leiter hinauf ist vier Meter lang, und die Salinge schwingen immer wieder bedrohlich nah an die Kaimauer. Wir bringen unsere vier Fender aus, um MAVERICK TOO so gut wie möglich zu sichern. Aber bei dem Schwell durch die Fischerboote rutschen sie immer wieder weg.
Der Schlepperkapitän steht kurz darauf an der Pier und möchte mit mir den Papierkram erledigen. Die Versicherungsnummer braucht er. Ein wunder Punkt, denn ich weiß nicht, ob MAVERICK TOO hier noch versichert ist. Ich habe etwas von »nicht südlicher als La Rochelle« aus den Kaskovereinbarungen in Erinnerung. Die Kommunikation ist nicht einfach, denn der Kapitän versteht ja kein Englisch, ich kein Spanisch.
Was denn eigentlich kaputt sei, will er wissen. »Was heißt denn Wassersammler auf Spanisch?«, überlege ich und versuche, mit Händen und Füßen die Verbindung zwischen der Maschine und der Abgasanlage darzustellen. »Agua« ist klar. Mit einer Fließbewegung mache ich den Lauf des Kühlwassers durch die Maschine klar. »Fumar« verbindet sich mit dem »Agua«. Er scheint zu verstehen. »Un momento!«, winkt er und greift zum Handy. »Maquinista!« Fünf Minuten später stehen die beiden Mechaniker seines Rettungsbootes vor MAVERICK TOO und halten unseren geschmolzenen Wassersammler in den Händen, wenden ihn und schauen in das verkohlte Ende. Dann hat der eine Idee. »Fontanero!«, ruft er. Ich verstehe nicht. Er macht Schraubbewegungen, formt Rohre. »Ehh … you know Super Mario?«, fragt er. Der ist Klempner. Ein Klempner! Das ist die Idee! Handys werden gezückt. Während der Wartezeit unterhalten wir uns über den kleinen Fischerort, das Leben dort und unsere Reise. Keiner spricht die Sprache des anderen, aber mit viel Lachen, Händen und Füßen ist die Sprachbarriere verschwunden. Einige Zeit später rollt ein Lieferwagen heran, den Laderaum voll mit PVC-Rohren. Schnell haben wir ein Rohr gefunden, das die richtigen Maße hat. Mit einem Gasbrenner wird es weich gemacht und in den Wassersammler eingepasst. Das sollte funktionieren. Die Wasserrohre müssen schließlich auch kochendes Nudelwasser abkönnen.
»Was schulde ich euch?«, versuche ich mit dem internationalen Zeichen zweier sich reibender Finger zu fragen. »Testing«, kommt als Antwort, und kurz darauf probieren wir tatsächlich, wie viele Crewmitglieder des Rettungskreuzers in MAVERICK TOOS Maschinenraum passen. Es wird wieder gefummelt, heiß gemacht und angepasst. Sogar der Kapitän bleibt da, will zuschauen, ob die Lösung funktioniert. Schließlich ist unser Provisorium gebaut. »Nicht für ewig, nur zur Überführung«, erklärt man mir. Klar, ich will ja nur in die nächste Marina. Hier an der Pier müsste ich in der Nacht jede Stunde die Leinen verlängern, damit wir uns nicht aufhängen. »Fünf Meter Tidenhub«, hat mir die Crew erklärt. Die nächste Marina in der Zivilisation liegt 17 Seemeilen entfernt im Osten, in Viveiro. Das sollte doch zu schaffen sein.
Aber da wäre noch die Bezahlung der Rettungsaktion. »¿Cuánto cuesta?«, versuche ich, die Summe in Erfahrung zu bringen. »1.443 €!« Und die Versicherungsnummer braucht er immer noch. »Das zahle ich selber«, sage ich und schlucke. Der Kapitän ist verblüfft, nimmt mich mit in sein Büro und kontaktiert erst mal das Hauptquartier, denn er hat vergessen, wie das Kreditkartengerät funktioniert. Privatzahlung, das kam lange nicht mehr vor. Schließlich spuckt der Drucker die Quittung aus. »For insurance«, sagt der Kapitän. Na ja, mal sehen. Wir schütteln uns die Hände, man klopft mir auf die Schulter und sagt, ich solle gut aufpassen. Dann laufe ich zurück zur MAVERICK TOO. Schnell weiter, endlich zu einem richtigen Hafen, in dem wir sicher liegen. Endlich schlafen.
Kurz hinter der Hafeneinfahrt wird die Maschine jedoch wieder zu heiß. Wir kehren um, lassen uns treiben, bis die Maschine wieder abgekühlt ist, und laufen erneut in Cariño ein. Als wir in der Abenddämmerung an der hohen Kaimauer anlegen, kommt uns die Crew des Rettungsbootes samt Skipper schon entgegen, in Ausgehuniform. »¿Problema?«, fragen sie. Ich erkläre die Lage und dass wir noch eine Nacht bleiben müssen. Der Kapitän überlegt kurz, telefoniert und hat dann eine Lösung: »Geht doch an meinem Schiff längsseits. Wenn wir heute Nacht nicht rausmüssen, könnt ihr endlich mal durchschlafen und braucht keine Leinen zu verändern.« Was für ein unheimlich nettes Angebot! Wir verholen und fallen nach dem Abendessen sofort todmüde in die Koje.
Doch eine Sorge drückt noch: Morgen früh landet das Kamerateam vom ZDF und will mit uns drehen. Ich habe ihnen zwar schon geschrieben, dass wir hier bei den Seenotrettern längsseits liegen und es ziemlich blöd wäre, wenn sie hier auftauchten. »Kein Problem«, meinte der Regisseur. »Dann können wir die gleich interviewen. Der Kameramann kann hervorragend Spanisch!« Doch uns ist das unangenehm. Vor allem kommen wir dann nicht weiter mit dem Schiff und dem Motorproblem. Deshalb sage ich dem Filmteam, dass wir uns morgen um 11 Uhr in Viveiro treffen.
Am nächsten Morgen klingelt der Wecker um 6:30 Uhr. Um 7 Uhr schalte ich das Handy ab und baue bei einer Tasse Kaffee den gesamten Kühlkreislauf der Maschine auseinander. Impellerpumpe, Wärmetauscher, alle Schläuche. Sogar das Seeventil. Alles in Ordnung. Eigentlich fiele bei einer Überhitzung ja sofort der Verdacht auf das Thermostat, aber da der Wassersammler im Seewasserkreislauf zu heiß geworden ist, muss es ja an der Seewasserzufuhr liegen. Oder war es eine Kettenreaktion? Inzwischen wird es hell. Ich versuche es, baue das Thermostat aus und werfe es in einen Topf mit kochendem Wasser. Bei 74 °C sollte es öffnen, das Wasser hat 100 °C. Keine Reaktion. Ich kann es kaum fassen. Das Thermostat ist tatsächlich kaputt. Das ist die Lösung!
Als ich die Maschine angemacht habe und sie auf Temperatur kam, hat das Thermostat den großen Kühlkreislauf nicht geöffnet. Dadurch ist die Maschine zu heiß geworden, der Kühlwasserschlauch des Seewassers ist weich geworden und dann vom Anschlussstutzen gerutscht. Das Abgas wurde nicht mehr gekühlt, und der Wassersammler ist geschmolzen. Völlig logisch. Ein Testlauf von über einer Stunde lässt die Motortemperatur bis auf 70 °C steigen. Kein Grad wärmer. Es funktioniert. Wir verabschieden uns bei unseren Seenotrettern mit drei Dosen Bier und einer Flasche Osteland-Aquavit aus unserem Heimatdorf und schauen in freudige Gesichter. Dann geht es los. Mit offener Motorluke und zehnminütlichen Temperaturkontrollen tuckern wir durch die bleierne Flaute hinaus aus der Bucht, vorbei an der pittoresken Felsküste. 4,5 Knoten Fahrt, mehr möchte ich dem Provisorium nicht zumuten. Doch die Abgasanlage aus Regenrohren hält stand, und nach vier Stunden Fahrt erreichen wir die Marina in Viveiro. Das Kamerateam hat uns auf halber Strecke aus den Bergen heraus entdeckt und mit dem Teleobjektiv gefilmt. Dabei entstehen fantastische Aufnahmen.
Die windige Biskaya ist längst vergessen, doch erst mit der Ankunft fällt die Last der vergangenen Tage wirklich ab. Es ist gut, an einem sicheren Steg zu liegen. Nur die Belastung der Kreditkarte liegt noch schwer im Magen. Wieder solch eine große Summe. Doch beim Archivieren der Hafenquittung fällt mir die Pantaenius-Police in die Hand, und ich kippe fast aus den Latschen: Ich habe mich geirrt. Der Versicherungsschutz schließt die gesamte europäische Küste ein, mit Ausnahme des Seegebiets nördlich von Bergen. Ist das tatsächlich wahr? Zwei Stunden nach meiner Mail an die Versicherung kommt bereits eine Antwort: »In Deutschland ist ›Hanseboot‹, deshalb finde ich die Mail erst jetzt. Das Abschleppen zahlen wir. War genau richtig, was ihr gemacht habt. Können wir sonst noch was tun?« Eine kurze Mail, die so viel ausmacht: Unsere Reise kann weitergehen!