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LA CORUÑA SUCKS
ОглавлениеVon Johannes
Weil in Viveiro kein Mietwagen aufzutreiben ist, ergoogle ich die nächste Basis, bei der ich ein gutes Schnäppchen mache: 77 € für drei Tage. Der einzige Nachteil: Das Auto steht in Lugo, etwa 100 Kilometer entfernt. Aber auch das ist kein Problem, denn von Viveiro fährt täglich ein Linienbus dorthin. Nach zweieinhalb Stunden Fahrt übernehme ich einen tollen Polo, mit dem wir uns ein wenig das galicische Hinterland ansehen möchten.
Die Berge sind fantastisch und die Straßen scheinen manchmal einfach zu enden, wenn die Abhänge am steilsten sind. Wir sehen viele leer stehende Häuser, alte verlassene Einkaufszentren, Rohbauten, die man nie fertiggestellt hat. Oft scheinen die Menschen nur den zweiten Stock eines Hauses zu bewohnen, während unten alles zugenagelt ist oder nicht mal Wände gezogen wurden. Für uns fremd, dennoch eine traumhafte Kulisse und faszinierende Orte!
Mit dem Mietwagen gelangen wir auch nach Santiago de Compostela, dem alten Ziel der Pilger. Die zugehörige Stadt ist viel größer als erwartet. Natürlich besichtigen wir auch die Kathedrale, in der angeblich die Überreste des Apostels Jakobus zu finden sind. Die Außenfassade wird gerade erneuert, aber der Innenraum ist sehr prunkvoll. Insbesondere der Altarbereich ist sehr opulent und mit Gold überzogen. In der Mitte der Kathedrale hängt sogar ein 1,60 Meter großes Weihrauchfass, das zu speziellen Gelegenheiten bis unter die Decke geschwenkt wird. Angeblich dient der Rauch nicht nur der Liturgie, sondern auch, um den Geruch der Pilger zu überdecken …
Auf dem Rückweg halten wir in La Coruña, essen bei IKEA einen Hotdog und fahren dann zum Hafen, um dort die Crew der LILLY-MARIE zu treffen. Deren Skipper Thomas hatte uns vor ein paar Tagen eine Mail mit dem Betreff »Zwei Blinde treffen sich nie« geschrieben:
»Liebe Cati, lieber Johannes,
wir wissen nicht, woran es liegt, dass wir uns noch immer nicht begegnet sind und uns haben kennenlernen können. Wir, also besser gesagt Thomas, Jola und Lilly von der LILLY-MARIE, sind seit zwei Monaten auf der gleichen Strecke und mit gleichem Ziel mit unserem Schiff unterwegs.
Es trennten uns bisher nie mehr als 50 Seemeilen. Wir waren euch stets einen Tag voraus. Bis auf die Biskaya, dort sind wir 24 Stunden später gestartet als ihr. Es ist für uns kaum zu glauben, dass ihr einen Schlepper auf der Biskaya habt rufen müssen, da wir keine 30 Seemeilen hinter euch waren und euch ohne Probleme nach La Coruña hätten schleppen können. Noch bizarrer ist, dass ich euren Klempner hätte ersetzen können, da ich auch noch Klempnermeister bin. Es ist doch beruhigend zu wissen, dass ein kostenloser, in der Nähe befindlicher Abschleppdienst für euch bereitsteht, oder?
In der Hoffnung, doch noch mit euch ein Bier zusammen zu trinken, grüßen wir ganz herzlich und wünschen weiterhin gute Fahrt
Thomas, Jola und Lilly-Marie«
Sofort war uns klar: Die müssen wir kennenlernen. Mit dem Schiff kommen wir im Moment ja eh nicht weg. Noch sind die Ersatzteile auf dem Weg, liegen schon seit Tagen auf der Post in Madrid herum. Aber der Wetterbericht sieht ohnehin schlecht aus. Nachdem wir die letzten zehn Tage Flaute hatten, ist für die nächsten zehn Tage starker Westwind angesagt. Immer genau auf die Nase. Also wollen wir nun zumindest per Auto bei den LILLY-MARIES vorbeischauen. Auf meine »Seid ihr noch da?«-Mail hin hat Thomas mit dem Betreff »In Hamburg geboren, in La Coruña verstorben« Folgendes geantwortet:
»Ja, wir sind noch immer in La Coruña und werden hier wohl auch beerdigt werden, wenn sich das Wetter nicht ändern sollte. Von wegen 22 °C und Blauwasserfeeling. Ich hatte sogar schon Hagelkörner auf dem Schiff. Das Wetter ist echt mies, wir schieben hier jedenfalls Langeweile.«
Also ab nach La Coruña, zu dem Ort, den wir schon seit zwei Wochen so sehnlichst erreichen möchten. Die Hallberg Rassy 352 liegt im Stadthafen, und Thomas erkennt uns auch direkt an der Pier. Seine Frau Jola hat leckeren Apfelkuchen gebacken, und die beiden laden uns zum Kaffee im Cockpit ein. Sogar die Sonne scheint. Ihre Tochter Lilly-Marie ist fünf Jahre alt und Namensgeberin des Bootes. »Ich bin Lilly«, stellt sie sich vor. »Und das ist mein Boot.« Aber Lilly macht sich gleich wieder aus dem Staub, denn gerade vor einer halben Stunde hat sie sich endlich getraut, Kontakt zu den zwei Mädchen auf dem Nachbarboot aufzubauen, einem zwölf Meter langen Katamaran unter französischer Flagge.
Thomas und Jola sind wirklich klasse Menschen und haben einen unglaublichen Humor. Viel zu schnell ist das Kaffeetrinken vorbei, und wir machen uns auf den Rückweg nach Viveiro. Aber nicht ohne das Versprechen, uns auf dem weiteren Weg nach Süden wiederzusehen. »Vielleicht in Muros? Einem der Rías«, schlägt Thomas vor. »Dann haben wir das elendige Kap endlich hinter uns.«
Ein paar Tage später sind endlich unsere Ersatzteile da und können eingebaut werden. Tag um Tag war Cati zum Hafenmeister gelaufen und hatte sich mit ihm per Google-Translator über unsere Ersatzteillage unterhalten. Aber nun kann es weitergehen. Doch das Wetter spielt immer noch nicht mit. Nicht nur Gegenwind, auch die Wellen sind nun zwischen fünf und sechs Meter hoch. Mittlerweile ist es Mitte November. Um die Zeit wollten wir längst in Lissabon sein, vielleicht sogar auf Madeira. Aber wie sollen wir gegen den Wind ankommen? Doch dann öffnet sich ein kleines Fenster: Morgens soll es nur mit 4 Beaufort von vorn wehen. Wir legen im Morgengrauen ab.
Die Fahrt wird ein Desaster. Die alte Welle rollt immer noch gigantisch hoch von Westen an und lässt die MAVERICK TOO extrem schaukeln und rollen. Cati hat zu allem Überfluss auch noch ihre Mercalm-Tablette vergessen und ist sofort seekrank. Angeleint hängt sie über dem Süll und opfert ihr Frühstück der See. »Halt dich gut fest«, rufe ich. Sie nickt nur. Und übergibt sich weiter. Da hebt uns eine unerwartet hohe Welle von der Seite an und rollt das Schiff nach steuerbord, 30, 40 °C auf die Seite. Catis Kopf ist kurzzeitig im Wasser verschwunden. Erschrocken schaut sie mich mit nassem Kopf an, sieht aus wie ein nasser Pudel. »Ich hab unter Wasser gekotzt«, staunt sie. Eine halbe Stunde später tut sie etwas, was sie noch nie getan hat und auch nie wieder machen wird: Sie bittet mich inständig, einen Hafen anzulaufen. »Die Lage ist ernst«, erkenne ich und setze Kurs auf Cariño, den Ort, an den wir vor vier Wochen geschleppt worden sind.
In Cariño gibt es nur diese lange Betonpier mit herausstehenden Steinen, an der wir fast jede Stunde aufgrund von Schwell und Tidenhub unsere Leinen und Fender justieren müssten. Deshalb peile ich den Ort Ortigueira im Süden an. Dieser liegt etwa eine Dreiviertelmeile einen Fluss hinauf und besitzt laut Internet eine Marina, in der auch viele große Yachten liegen. In der Realität sieht die Flussmündung dann aber viel gefährlicher aus als auf dem Satellitenfoto, denn das Fahrwasser läuft zunächst auf den Strand zu und dann hinter einer Sandbank parallel zum Strand an der Küste entlang. Die Wellen aus dem Atlantik laufen zwar nicht direkt aus dem Ozean auf den Strand, aber doch »über Bande« der Felsen und brechen sich gewaltig. Und Brandungsseen sind gefährlich.
Ich habe mal einen Artikel über die gefährlichsten Ansteuerungen der Welt geschrieben und dabei gelernt, dass ein Schiff bereits durch eine Welle kentern kann, deren Höhe 30 Prozent der Schiffslänge erreicht. Also sind wir gefährdet, denn drei Meter hoch sind diese Wellen allemal. »Steckschotten rein«, sage ich Cati und nehme Kurs auf die Betonnung. Doch schon als das Wasser etwas flacher wird und die MAVERICK TOO Tendenzen zum Surfen entwickelt, stelle ich meine Entscheidung infrage. Die zweite Welle hebt unser Heck an, und das Schiff beschleunigt. Das Wasser um uns herum scheint zu kochen. »Kacke!«, rufe ich. »Wir drehen um!« Ich warte eine kleinere Welle ab, gebe Vollgas und lege das Ruder. Der Motor qualmt und röhrt, schiebt uns aber gegen Wind und Wellen an. Einige brechen übers Deck und landen im Cockpit. Aber wenige Minuten später sind wir wieder zurück im tiefen Wasser und auf dem Weg nach Cariño. »Das ist noch mal gut gegangen«, sage ich und Cati nickt nur. 22 Seemeilen sind geschafft. Von 63 Seemeilen bis La Coruña.
Während der Wartezeit in Viveiro hatte ich endlich Zeit, die Kabel für die Ankerwinsch von achtern zum Bug zu verlegen, sodass wir jetzt ganz bequem in Sichtweite des Rettungskreuzers zwischen den Fischern den Anker werfen können. Beim Aufschießen der Reffleine für die Genua lehne ich mich mit der Ölzeughose gegen die Schotwinsch und höre es knirschen. »Och nö«, ärgere ich mich, als ich nach meinem iPhone in der Hosentasche greife. »Jetzt habe ich eine Spider-App.« Ich habe das Display genau gegen die Winsch gedrückt. Anrufe und Wetterberichte abfragen sind nicht mehr möglich, nichts reagiert mehr.
Nach dem Abendessen fallen wir erschöpft in die Koje. Doch ohne Heizlüfter ist es lausig kalt. 10 °C zeigt das Thermometer. Wir haben jeder eine Mütze auf und kuscheln uns ins Bett. Doch wir frieren trotzdem. »Können wir den Heizlüfter nicht über den Inverter betreiben?«, fragt Cati. »Nur, wenn wir dazu den Diesel anschmeißen. Und selbst dann ist die Batterie bald leer«, antworte ich. Aber jetzt bin ich selber neugierig und schließe den Lüfter an die Steckdose an. Unser Victron-Energy-Inverter kann schließlich einiges ab. Und ja, tatsächlich, warme Luft! Herrlich. Doch dann fällt mein Blick auf den Batteriemonitor, der gerade einen zweistelligen Verbrauch anzeigt: 99 Ampere. Auweia! Schnell wieder aus mit dem Ding.
Am nächsten Morgen haben sich Wind und Wellen etwas beruhigt, kommen aber immer noch genau von vorn. Nach einem leichten Frühstück und einer Mercalm-Tablette für Cati holen wir den Anker auf und tuckern hinaus auf die See. Die 41 Seemeilen bis La Coruña verlaufen langweilig, da ereignislos. Aber das ist zur Abwechslung ja auch nicht schlecht. Trotzdem achte ich ständig angespannt auf das Geräusch des Auspuffs, ob noch Kühlwasser kommt. Und dann liegt der Hafen schließlich vor dem Bug: La Coruña. Fast genau mit einem Monat Verspätung.
»Endlich eine Großstadt, zurück in der Zivilisation«, freut sich Cati. Die LILLY-MARIE ist leider schon weitergesegelt. Aber der französische Kat liegt noch dort. Wir machen die Leinen fest und starten das Laptop. »Hier gibts bestimmt hervorragendes Internet«, freuen wir uns. Von wegen, hier gibt es gar kein Internet. »Das Hafennetz ist zurzeit tot«, erklärt uns der Hafenmeister am nächsten Morgen und zuckt die Schultern. »Schon seit Monaten.« Thomas erzählt uns später, dass er über das Netz der Bar neben der Marina ins Internet gekommen ist. Aber mittlerweile ist auch die Bar geschlossen. Saisonende. Das nervt uns. Und es kommt noch schlimmer: Der Supermarkt ist irre weit weg, während wir in Viveiro in nur fünf Gehminuten Entfernung zwei hatten. Dazu sind die Duschen kalt und die Waschmaschinen machen die Wäsche eher schmutziger als sauber.
Cati hat einen ganzen Tag lang damit zu tun, alle Schapps zu leeren. Wir haben voll gebunkert und aller Proviant hat Pappumverpackungen, die in der hohen Luftfeuchtigkeit unter Deck gern schimmeln. Pappe um Pappe reißt sie auseinander und entsorgt Mülltüte um Mülltüte. Endlich mal hat es einen Vorteil, dass Nahrungsmittel oft in Pappe verpackt und innen noch mal zusätzlich eingeschweißt und damit luftdicht sind.
Am nächsten Morgen laufe ich hinauf in die Stadt zu einem Handyreparaturladen, dessen Adresse ich mir vorher im Internet herausgesucht habe. Ohne Google Maps kann ich mich jedoch nur auf meine Notizen verlassen und verlaufe mich völlig, da Straßenschilder nur selten zu sehen sind. Und für ein Taxi bin ich zu geizig. Nach fast zweieinhalb Stunden stehe ich endlich vor dem Laden, leider gerade zur Mittagspause. Und die ist in Spanien großzügig bemessen. Als der Ladenbesitzer zwei Stunden später seine Rollläden hochzieht, schaue ich bereits durch die Glasscheibe und erschrecke ihn. »Die Reparatur ist kein Problem«, macht er mir verständlich. »Kostet 80 €.« Okay. Super. »Los geht’s«, bedeute ich ihm. »Nein, ich muss das Glas doch erst bestellen«, sagt er. »Komm mal morgen Nachmittag wieder.«
Am Abend schreibe ich an einem Blogeintrag und denke: »Hier stinkt doch was.« Schnüffelnd krabbele ich in jede Ecke. Bilge, Schapps, unter die Kojenbretter. Nichts. Ich bin mir sicher, dass da was müffelt. Doch was? Schließlich drehe ich mich um und stecke den Kopf in die Hundekoje, die wir eigentlich nur als Lagerraum benutzen. Sie ist randvoll, und tatsächlich, da kommt es her. Schimmel ohne Ende. Wir sind echt baff, wie das so schnell gehen konnte. Haben wohl zu eng gestaut. Die Luftfeuchtigkeit hat sich an der Decke abgesetzt und ein sumpfiges Klima erzeugt. Die Gitarrentasche ist nicht zu retten, die müssen wir wegwerfen. Das ärgert mich. Auch ein paar alte Seekarten von meiner ersten Atlantikreise. Zum Glück alles alte Kopien aus den 1950er-Jahren. Wieder ist Cati einige Stunden am Schrubben und am Sprühen. Sagrotan, du rettest Leben.
Am nächsten Tag finde ich den Laden nach einer Stunde Fußmarsch auf Anhieb. Drei Stunden später funktioniert auch mein Telefon wieder, und ich laufe zurück zum Boot. Zwei Tage verloren, nur weil ich mein Handy gegen die Winsch gedrückt habe, so ein Mist. Aber nun sind wir startklar, und in La Coruña hält uns nichts länger. Das Wetter sieht brauchbar aus. Also tauschen wir zum ersten Mal die große Genua gegen die Rollfock und legen am nächsten Morgen ab.