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Den Weg finden

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Auf einer »Hanseboot« hatte ich den Bootsbauer und Knotenspezialisten Egmont Friedl kennengelernt, der sich gerade in den USA ein Schiff gekauft hatte. Nach einem Sommer in der Chesapeake Bay überlegte er nun, das Schiff nach Europa zu segeln, und suchte noch einen Mitsegler. Klar, dass ich da nicht lange überlegen musste. Also flogen wir Anfang Juni 2009 in die USA und übernahmen das Schiff in Deltaville, Virginia. Wir rüsteten die GAVDOS x aus, verproviantierten uns und machten dann noch einen Abstecher nach New York, um ein letztes amerikanisches Steak zu essen.

Der Weg über den Nordatlantik hatte es dann in sich. Wir segelten, wie laut Handbuch empfohlen, auf 40° Nord, waren aber immer zu weit nördlich und bekamen auf der nördlichen Seite der Tiefs immer Gegenwinde ab. Zwei Stürme wetterten wir mit dem schweren und breiten, aber nur 32 Fuß langen Colin-Archer-Nachbau ab. In einem Sturm drehten wir einen Tag lang bei und erlebten einen Knock-down in einer großen Welle. Der Mast lag flach auf dem Wasser und es ging viel kaputt. Doch nach drei Wochen erreichten wir die Azoren bei herrlichem Wetter.

Ich hatte geglaubt, ich hätte während der Überfahrt Gelegenheit, mir darüber klar zu werden, wohin mein Leben gehen sollte. Doch die ganze Überfahrt drückten mich Sorgen, die sogar Magenschmerzen verursachten. Einmal natürlich das Wetter, das rauer als erwartet war, dann vor allem auch Sorgen um meine Freundin Cati.

Diese hatte ich erst vor einem halben Jahr kennengelernt und wusste früh: »Die gehört zu mir.« Gesegelt war Cati noch nie richtig, aber meine Geschichten von fernen Inseln und dem blauen Ozean gefielen ihr, und wir hatten begonnen, gemeinsame Reisepläne zu schmieden.

Als ich Deutschland verließ, erzählte sie mir noch, dass sie sich gerade ständig komisch fühle, schwindelig, und ab und zu beim Fahrradfahren sogar mit dem Fuß vom Pedal abrutsche. »Du musst dringend zum Arzt«, sagte ich ihr. Doch dann ging mein Flieger, und ich war bereits in den USA, als sie sich endlich durchchecken ließ. Der Arzt schickte sie relativ schnell in eine Spezialklinik und dort ins MRT. Es waren einige helle Stellen in ihrem Gehirn zu sehen. Worum es sich dabei handelte, konnte man nicht sagen. Irgendwelche Entzündungen. Möglicherweise Multiple Sklerose? Diese Vermutung kam schnell, denn ihre Mutter hat diese Krankheit, und bei Familienmitgliedern ist die Chance, ebenfalls daran zu erkranken, zumindest minimal erhöht. Es tat mir weh, sie per Skype im Krankenhaus liegen zu sehen und zu erfahren, welche unangenehmen Untersuchungen sie über sich ergehen lassen musste. Dann kam die freudige Nachricht: »Der Arzt sagt, dass es ganz sicher keine MS ist«, verkündete sie. »Wahrscheinlich war es nur ein Zeckenbiss.« Eine Woche später, eine halbe Stunde, bevor wir in New York ablegten, dann die Korrektur: »Es ist doch MS.«

Während Cati relativ gelassen war, da sie die Krankheit seit vielen Jahren von ihrer Mutter kannte, brach für mich erst mal eine Welt zusammen. Ich dachte viel an sie und schrieb ihr täglich Mails. Und es zerriss mir das Herz, dass ich nicht bei ihr sein und sie im Krankenhaus besuchen konnte. Als ich vier Wochen später dann in Hannover landete, war ihr von dem Elend nichts anzusehen. Sie war etwas dünner geworden, aber lustig und munter wie immer.

Bereits im April hatte ich ein kleines Segelboot gekauft, denn ich wollte meiner neuen Freundin unbedingt das Segeln beibringen, hatte aber kein Boot. Also hatte ich mich schlaugemacht, was eine Charter über Ostern kosten würde. »Gut 650 €? Das ist viel für ein Wochenende.« Eines Morgens hatte ich dann aber zufällig eine alte Hurley 22 bei eBay entdeckt. Die Auktion sollte in acht Stunden enden und das Höchstgebot lag bei 650 €. »Für den Preis könnte ich also sogar ein Boot kaufen!« Verlockend. Ich schaute aufs Konto: 1.300 € übrig. Also bot ich 1.300 €.

Abends waren wir zum Essen eingeladen, und ich hatte das Gebot längst vergessen. Da bimmelte mein Handy. »Herzlichen Glückwunsch«, schrieb mir eBay per SMS. »Sie haben ›Hurley 22 Segelboot‹ für 1.290 € ersteigert!« Unfassbar. Plötzlich hatten wir ein Boot.

Eine Woche später fuhren wir nach Fehmarn, um es zu begutachten. Länge: 6,60 Meter. Baujahr: 1968. Gewicht: 2,2 Tonnen! Cati fand es riesig groß, und ich war ebenfalls von dem vorhandenen Platz überrascht. Doch in der Kajüte gab es einiges zu tun, und irgendwas stank gewaltig. Die Teppiche und Wände waren verschimmelt, das Schott hatte Wasser gezogen, die Bordwände waren zerschrammt. Also kaufte ich im Bootsladen nebenan Essigreiniger, einen Eimer, zwei Töpfe Farbe, Rollen, Antifouling, Schleifpapier und Klebeband. Während Cati in der Kajüte mit Atemschutzmaske und Putzlappen eine erste Beziehung zum Schiff herstellte, ging ich mit Schleifpapier einmal 6,60 Meter bis zum Bug und 6,60 Meter bis zum Heck schleifend an der Bordwand entlang. Dann noch mal mit der Farbrolle und blauer Farbe. Am nächsten Tag strichen wir Antifouling und hatten nach zwei Tagen Arbeit ein tolles Anfängerschiff für die erste Saison.

Nach meiner Rückkehr aus den USA wollte Cati nun unbedingt mit mir segeln gehen. Sie hatte in meiner Abwesenheit im Krankenhaus einige Segelbücher gelesen und wollte unheimlich gern eine Nachtfahrt erleben. »Das klang alles so romantisch. Das rauschende Wasser, die Sterne, das Leuchten im Kielwasser …«, schwärmte sie. Also führte uns schon die dritte Ausfahrt über Nacht hinüber nach Dänemark. Bis dahin waren wir mangels Wind fast nur motort.

Mit der letzten Brückenöffnung verließen wir die Schlei und setzten Segel. Doch der Wind war viel stärker als angesagt. Etwa 5 Beaufort wehten aus Osten, und das Schiff preschte hoch am Wind nach Søby auf Ærø. Wir hatten uns ausgemalt, dass einer ja schlafen und einer segeln könne – aber Cati hatte so große Angst, dass ich nicht mal kurz aufs Vorschiff gehen konnte, um Segel zu wechseln. Dabei war der Mast kaum mehr als einen Meter vom Cockpit entfernt. Das Boot entpuppte sich als sehr frühe Version des Wavepiercer-Konzepts: Statt über die Wellen zu schweben, tauchte der schwere Langkieler immer brachial mitten durch sie durch. Viel Wasser ging über Deck und gelangte ins Cockpit. Und wir hatten kein Ölzeug dabei. Dazu gab es noch andere Probleme: »Öhm, ich müsste mal«, sagte Cati nach etwa der Hälfte der Überfahrt. »Dann musst du wohl auf den Eimer gehen«, erklärte ich ihr. Aber das war für sie bei dem Plexiglassteckschott keine Option. Also kniff sie zusammen und hielt an.

»Noch fünf Seemeilen, dann sind wir im Hafen«, sagte ich gegen 1 Uhr morgens und ergänzte: »Etwa eine Stunde.« Doch so sicher war ich mir nicht. Ich konnte nicht von der Pinne weg, und meine Navigation war sehr grob. Ich hatte gegen 23 Uhr schnell einen Wegpunkt ins GPS getickert, um dann eilig wieder nach oben zu kommen. Ich hoffte inständig, dass es die richtigen Koordinaten waren. Doch als wir dann bis auf eine halbe Seemeile an den Wegpunkt heran waren und noch keine Uferbeleuchtung sahen, wurde ich skeptisch und ging noch einmal zur Karte unter Deck. »Upps, hab mich vertan. Ab jetzt noch eine Stunde«, erklärte ich kleinlaut.

Als wir dann um 4 Uhr morgens in den Hafen von Søby einliefen, konnte es Cati nicht mehr aushalten. Ungefähr zehn Meter vor der Box sprang sie auf, eilte unter Deck und setzte sich auf den Eimer, während ich die Leinen festmachte.

Die Kajüte war ein einziges Chaos. Dazu schien die Vorschiffsluke zu lecken. Alle Polster waren klitschnass, und eigentlich war mir klar, dass Cati nach diesem Erlebnis nie wieder auf ein Boot steigen würde. Doch als sie sich in der Koje, die ich zwischenzeitlich gegen die Nässe mit Mülltüten abgedeckt hatte, auf die andere Seite drehte, murmelte sie müde, aber zufrieden: »Das haben wir geschafft. Schlimmer gehts ja eigentlich nicht mehr. Dann kann es morgen nur besser werden.«

Mit Cati hatte ich also ein tolles Mädchen gefunden, das alle Segelabenteuer mitmachen würde. Aber eigentlich war das für mich gerade ein etwas blödes Timing, denn im Grunde war ich seit Winter 2008/09 dabei, ein neues Einhandabenteuer vorzubereiten und Unterstützer für eine eigene Nonstop-Reise zu finden. Ich machte mir große Hoffnungen, denn ich hatte ja bereits eine erfolgreiche große Reise hinter mir und darüber ein Buch geschrieben, das sich blendend verkaufte. Dazu war die Summe, verglichen mit einer großen Hochseeregatta wie der Vendée Globe, überschaubar. Statt mehreren Millionen war ich nur auf der Suche nach einem Schiff. Der Einsatz lag also etwa bei 100.000 €, die durch den anschließenden Bootsverkauf in etwa wieder reinkommen würden.

Also schrieb ich Briefe und verschickte Infomappen mit Zitaten diverser bekannter Segler über mich, mit denen ich Kontakt hatte. Es musste doch zumindest jemanden geben, der mir Geld für ein Schiff leihen und den Wertverlust ausgleichen würde. Die Reisekosten könnte ich vermutlich selbst aufbringen. Vor allem beim größten Arbeitgeber meiner Heimatstadt Wolfsburg hatte ich große Hoffnung, schlug vor, das Schiff BLUE MOTION zu nennen und mit Volkswagen eine tolle Werbekampagne für weite Reisen mit wenig Kraftstoffeinsatz zu machen. Doch ich bekam nur Textbausteinantworten zurück, dass man sich entschieden hätte, nur Golf- und Reitveranstaltungen zu sponsern.

Als die Yacht Wilfried Erdmann 2008 zum 40. Jubiläum seiner ersten Weltumsegelung bat, einmal aufzuschreiben, was sich in den 40 Jahren alles verändert hatte, schlug er vor, stattdessen einen Tag mit mir segeln zu gehen und sich mit mir über den Unterschied unserer Generationen zu unterhalten. Dabei fiel ihm der Name PATHFINDER meines damaligen Bootes auf. Dieser gefiel ihm. »Der Name passt«, schrieb er, »denn der junge Mann versucht, seinen Weg zu finden.«

Doch welcher Weg würde das sein? Einhand? Oder zu zweit? Das wusste ich immer noch nicht. Jetzt war ich jung, gesund und kräftig. Motiviert. Voller Hunger auf die See. Nonstop würde sich jetzt zu diesem Lebenszeitpunkt anbieten. Keine Kinder, keine Familie, keine Karriere im Job. Aber wie lang würde Cati noch so gesund sein, mit der schrecklichen Diagnose? Denn auch eine Reise mit ihr zusammen wäre unheimlich schön. Das alles mit ihr zusammen zu erleben. Ein ganz anderes Segeln als nonstop allein. Und vielleicht wäre so eine Reise auch genau das Richtige für sie, nach all den Jahren im Jurastudium, als Belohnung für all den Stress. Stressig würde das auch werden, das war klar. Aber selbst gewählter, »positiver« Stress.

Doch dann kam im Sommer 2012 ihr Erstes Staatsexamen und änderte alles. Der Stress machte Catis Gesundheit sehr zu schaffen. Doch sie hielt durch und schaffte jede Klausur, obwohl ihr während der letzten Klausur zunehmend schwindelig wurde. Am nächsten Morgen bekam sie die Quittung für all den Stress, den MS-Patienten tunlichst vermeiden sollten. Sie fiel im Bad um und konnte nichts mehr. Nicht reden, nicht sich bewegen, gar nichts. Der Krankenwagen kam und holte sie ab. Es dauerte Monate, bis sie sich wieder erholt hatte. Immer wieder fehlten ihr ganze Sequenzen ihres Lebens, die das Hirn einfach gelöscht hatte. Auch mitten im Gehen verlor das Gehirn zeitweise die Kontrolle über den Körper, sie stolperte und humpelte, bewegte sich in Zeitlupe. Dann war die Kontrolle plötzlich wieder da, so als wäre nichts gewesen.

Die Folgen des Examens machten mir Angst. Und dann war sie auch noch ganz knapp durchgefallen.

Schon beim monatelangen Lernen für den nächsten Versuch wurde klar, dass dieses Mal noch mehr Druck auf ihr lag, und ich legte ihr nahe, das Studium abzubrechen. »Abbrechen? Nach so vielen Jahren? Dann bin ich 25 und habe nur Abitur!« Das konnte und wollte sie nicht. Doch die Gesundheit war wichtiger, und so entschloss auch sie sich im Mai 2013 nach einiger Bedenkzeit, abzubrechen. Danach fiel sie in ein Loch, aus dem sie erst durch einige Praktika langsam wieder herausfand.

Damit fiel auch für mich eine Entscheidung: Erst möchte ich mit Cati auf Reisen gehen. Wenn jetzt die Zeit ist, zusammen zu segeln, dann segeln wir jetzt zusammen. Also setzte ich eine neue Website auf, was für mich der bislang größte Schritt meines Lebens war. Denn dadurch ging ich nicht nur eine feste öffentliche Bindung, sondern auch eine Verpflichtung ein. Ich hatte Cati zugeredet, das Studium aufzugeben, nun war ich auch für sie verantwortlich. Die alte Website hieß www.allein-auf-see.de, die neue folgerichtig www.zu-zweit-auf-see.de.

Das Boot für unsere gemeinsame Langfahrt hatten wir zufällig gerade gekauft: eine 42 Jahre alte Contest 33, die ich 2012 als OLGA in Holland gekauft und MAVERICK TOO getauft hatte. Das Schiff war optisch gar nicht so schlecht in Schuss. Doch unter Lack und Gelcoat verborgen saßen etliche Osmosenester, die ich glücklicherweise bereits vor dem Kauf gefunden hatte. So konnte ich den Preis enorm drücken. Nach dem Kauf im Januar fuhren wir alle paar Wochen nach Holland, schliefen bei Eis an Deck in der Kajüte, gewärmt von einem Heizlüfter, und begannen, das Schiff für die Überführung nach Deutschland vorzubereiten und erste Inventuren zu machen. Die Überführung durch die Staandemast-Route war toll. Mit mir an Bord waren meine Eltern, während Cati in Kiel fleißig für ihr erstes Staatsexamen lernte.

Zum Herbst 2012 ging MAVERICK TOO in Neuhaus an der Oste an Land. Nach zwei Jahren in einer Einzimmerwohnung in Hamburg hatte ich mir dort nämlich im Sommer ein riesengroßes altes Haus gekauft. Zu einem Preis, zu dem man in Hamburg höchstens eine Garage erwerben könnte. Ich hatte jeden Monat 570 € Miete für 40 Quadratmeter in Wandsbek gezahlt und zahlte nun monatlich dieselbe Summe an die Bank zurück. In 14 Jahren sollte das Haus mit seinen 200 Quadratmetern Wohnfläche abbezahlt sein. Und dazu eröffnete es mir bootsbautechnisch ganz neue Möglichkeiten, denn meine neue Werkstatt, die ans Haus angeschlossene Schmiedehalle, maß zehn mal sechs Meter und hatte dreieinhalb Meter hohe Decken. Nur das Tor war 15 Zentimeter zu schmal, sonst hätte sogar MAVERICK TOO hineingepasst. Zu allem Überfluss lag das Haus genau am Deich, auf dessen anderer Seite sich ein privater Bootssteg mit zehn Metern Länge befand. Ein perfekter Wohnort für jeden Segler.

Zu zweit auf See

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