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Tangenten an den Kreis der Ewigkeit
ОглавлениеHeute haben die meisten Menschen das ständige Gefühl, eine neue Zeit sei angebrochen. Digitalisierung. Alles geht rasanter, die Welt dreht sich schneller, alle sind im Stress, müssen hierhin und dorthin und posten und mailen und twittern und simsen und schauen, dass sie nicht auf der Strecke bleiben. Das Lebenstempo steigt und steigt durch die vom Menschen selbst für den Menschen geschaffenen Technologien, die Anforderungen wachsen. Nicht jeder kann da mit.
In hundert Jahren wird das Leben auf Erden noch einmal ganz anders aussehen. Laut dem Visionär Yuval Noah Harari könnten biotechnologische Innovationen bald eine neue Spezies entstehen lassen oder den alten Homo sapiens einem neuen Totalitarismus unterwerfen.
Diese düsteren Visionen sind mehr als Spekulationen. Wir sehen es am Beispiel China, wo gerade ein durch Hightech gesteuerter, totalitärer Staat entsteht, der seine Bürger anhand eines sozialen Punktesystems klassifiziert. Wer einmal auf der gesellschaftlichen Leiter abrutscht, kann nie wieder aufsteigen. Er verliert seinen Job, seine Wohnung, die Kinder dürfen keine gute Schule mehr besuchen, der Mensch wird zur Persona non grata.
Oder wird sich der neue Mensch mit Chips, Brain-Interfaces und Implantaten optimieren, um mit der Rasanz der Digitalisierung überhaupt mithalten zu können?
Das Rad des Zeitschicksals dreht sich weiter, und wir müssen alle entscheiden, ob wir uns von dem Strudel mitreißen lassen oder unseren eigenen Weg im Mahlstrom finden. Unsere eigene Zeitlinie, eine individualtemporäre Tangente, angelehnt an den Kreis der Ewigkeit. Wer sein Zeitschicksal erkennt, kann den Timer modulieren. Wie bei einem Marathon muss er wissen, wann man schneller läuft und wann langsamer. Einteilen heißt eingreifen. Wer nicht eingreift, wird umgeworfen, ganz einfach.
Und dennoch hat der Mensch immer wieder guten Grund, das Rad des Zeitschicksals schneller zu drehen, und noch schneller. Die Medizin bestätigt das Jahr um Jahr, Monat um Monat und fast schon Woche um Woche aufs Neue. Was ist, wenn ein Genabschnitt schicksalhaft für eine Erkrankung verantwortlich ist, für eine genetische Erkrankung, sagen wir, für den genetisch bedingten Brustkrebs?
Die Antwort lautet: Die Medizin hat in Zukunft Scheren für die Hardware und Software der Biologie, für das Genom und das Epigenom. Damit schneidet man mehr oder weniger das betreffende Stück Gen heraus, und eine auch schicksalhafte genetische Erkrankung, eine genetische Anfälligkeit für Brustkrebs, Eierstockkrebs und vieles andere, wird von ihrer Schicksalhaftigkeit befreit. Das ist eine Befreiung der Menschheit, nach Pest und Kindbettfieber, von einer weiteren Geißel.
Auf diese Weise stellt sich der Schicksalsbegriff bis zu einem gewissen Grad neu dar. Der schicksalhafte krankheitsbedingte Tod wird allmählich zur Vergangenheit und es entstehen andere Fragen. Es ist ein ewiger Kreislauf.
Wir verstehen: Das Kolorit des Schicksals verschiebt sich, sein Farbwert changiert, verändert sich. Und der Mensch kann es schaffen, wie in der Medizin, es zu seinen Gunsten zu wandeln, etwas Positives daraus zu machen. Das ist das Wunder des wandelbaren Schicksals. Es ist menschenmöglich.
Wenn sich das Schicksal vorbereiten kann, dann können wir das auch. Im Gegensatz zur Venus vor 750 Millionen Jahren.
Wir können uns wappnen.