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Das Wunder des wandelbaren Schicksals

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Wir sehen den Planeten von oben, aus dem Weltraum.

Ein blauer Ball, umgeben von der Schwärze des Kosmos. Alles wirkt vertraut. Der Ozean, die Kontinente, orangerote und ockerfarbene Erdmassive. Wolkenströme, die wie watteweiße Schlieren über das saphirblaue Meer ziehen. Deutlich erkennbare Wetterphänomene. Der Planet hat eine Atmosphäre. Das Klima ist angenehm mild. Jemand könnte hier wandern oder segeln, am Strand liegen und ein Buch lesen oder nachts hinaufschauen und die Sterne zählen. Dort glitzern Millionen Solitäre auf schwarzem Samt. Die Luft ist rein und frisch in dieser Welt. Fantastisch klar.

Der Planet ist nicht die Erde.

Es ist die Venus.

Vor zwei Milliarden Jahren.

Michael Way und seine Kollegen vom Goddard Institute of Space Studies bei der NASA rekonstruierten das Bild in einer Klimasimulation, ausgehend von den Daten der Pioneer-Sonde und der Magellan-Mission. Wasser, Berge, Seen, ein globaler Ozean. Die paradiesischen Bedingungen lassen vermuten, dass es damals auch Leben auf der Venus gegeben hat.

Und dann, vor 750 Millionen Jahren und ein paar Tagen, war es aus.

Die Venus verwandelte sich in einen Höllenplaneten mit extrem dichter Kohlendioxid-Atmosphäre und einer durchschnittlichen Temperatur von plus 460 Grad. Dort wandert, segelt oder liegt es sich nicht mehr so fein am Strand. Jemand würde verbrennen, er man erstickt oder auch nur einen Stern am Nachthimmel gezählt hat. Touristen verdampfen nicht gerne, wenn sie eine Woche all-inclusive gebucht haben.

Als interstellares Prachtexemplar musste die Venus ihre Vormachtstellung aufgeben, und ein anderer Stern in unserem Sonnensystem übernahm dieses Los. Die Erde.

Das zeigt, wie ausgeliefert wir kosmischen Entwicklungen, wie machtlos wir ihnen gegenüber sind. Das Schicksal hat so entschieden. Oder ein Weltenbaumeister, der sich architektonisch neu orientieren wollte. Der seinen Fokus auf etwas anderes gerichtet hat. Glück für uns, Pech für die Venus.

Nehmen wir die Dinosaurier. Millionen von Jahren herrschten sie über die Erde. Vor rund 65 Millionen Jahren kam ihr Schicksal in Form eines Asteroiden, der im Golf von Mexiko niederging. Sein Einschlag änderte das Klima weltweit, es wurde eiskalt auf der Erde, ein Massensterben unter Dinosauriern und zahlreichen anderen Arten begann.

Dinge entstehen, Dinge vergehen. Planeten wie auch Lebewesen. Der Kreislauf der Dinge. Das Schicksal, möchte man meinen, sei gnadenlos, willkürlich und unerbittlich. In Wahrheit gibt es zwei verschiedene Arten davon.

Entweder unabwendbar. Oder veränderbar.

Das heißt, es gibt Schicksalsschläge, vor denen können wir uns nicht schützen, die kommen wie eine Axt, krachen mitten ins Leben hinein, unausweichlich treffen sie uns, es gibt kein Entrinnen. Und es gibt hausgemachte Schicksale, die wir in die Hand nehmen können, die sich sehr wohl ändern lassen.

Schicksalhaft der Kategorie Unausweichlich war der Untergang der Venus. Einst blühender Planet, dann, am Ende ihres Lebenszyklus, hat sich alles verändert. Als Mensch bleibt einem nur der staunende Blick durchs Fernrohr.

Aber da ist auch dieses andere Schicksal, das wandelbare.

Es gibt Dinge, die können wir formen, die entwickeln sich, und sie lassen sich begleiten. Wir können sie im Voraus in die richtige Spur bringen, sie lenken und auf ein gutes Fundament stellen.

Das ist die gute Nachricht.

Eine tröstliche Erkenntnis.

Eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens.

Der Mensch kann das Ruder übernehmen, das Ziel neu definieren und die Reiseroute bestimmen. Es funktioniert, und dieses Buch wird zeigen, was dazu beitragen kann. Wie nicht nur das Schicksal uns einen Wink geben kann, sondern auch wir ihm.

Das ist der Unterschied zwischen Aktiv und Passiv. Warten auf bessere Zeiten oder einen Weg dorthin suchen und losgehen. Hoffen, dass alles gut geht, oder selbst etwas dazu tun. Das Wissen, das wir dazu brauchen, ist da, immer mehr davon bringt die moderne Wissenschaft ans Tageslicht. Der Damm ist bereits gebrochen, die Forschung arbeitet im Akkord. Je mehr Zusammenhänge sie versteht, desto öfter können wir dem Schicksal auf die Finger klopfen, ihm Schnippchen schlagen. Einfach nur, weil wir mehr wissen und früher eingreifen können. Sehr viel früher.

Schicksale sind keine Momentaufnahmen. Sie entwickeln sich stetig, laufend, langsam und schon lange vor unserer Zeugung. Mit Myriaden Möglichkeiten, hierhin abzuzweigen oder dorthin wegzudriften. Mehrdimensionale Verschiebungen, parallele Verwerfungen, unendlich viele Möglichkeiten, bis einem schummrig wird vor Augen. Weil jede Frage zehn weitere Fragen aufwirft. Wenn das passiert ist, muss dann nicht jenes eintreten? Und wenn jenes eintritt, muss dann nicht dieses stattfinden? Und wenn dieses stattfindet, ist dann nicht alles ganz anders? Ein Webteppich unendlicher Verknüpfungen.

Zeit ist eine Variable. Sie existiert für uns nur als Richtschnur. Während sich das Jetzt zum nächsten Jetzt wandelt. Und sich gleich wieder ein neues Jetzt materialisiert.

Die Anatomie des Schicksals

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