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8 Erste Bekanntschaftmit dem Jazz

Bis zur Unterzeichnung des Staatsvertrages 1955 (ich erinnere mich an den großen Jubel der Menschen in den Straßen Wiens) – Österreich war nach der Befreiung durch die Alliierten seit dem Kriegsende 1945 besetzt – war die Bundeshauptstadt in vier Zonen unterteilt, in denen Amerikaner, Sowjets, Franzosen und Briten residierten. Döbling war amerikanische Besatzungszone. Kinder wie ich kamen in den Genuss von Kaugummi, den uns die GIs aus ihren Jeeps zuwarfen. Überhaupt war der American Way of Life nach den Jahren der Naziunterdrückung sehr populär. Dazu gehörten Blue Jeans, Kaugummi, Coca-Cola, Seifenkistenrennen in der Peter-Jordan-Straße und amerikanische Musik.

Ich kam nun erstmals mit dem Medium Radio in Kontakt, in dem ich viele Jahre später beruflich tätig sein sollte. Vor allem hörte ich einen amerikanischen Soldatensender (Blue Danube Network), der rund um die Uhr Jazz spielte. Jazz war für die Österreicher Unterhaltungsmusik, und dieser Sender brachte Schallplatten und Liveaufnahmen mit Louis Armstrong, Duke Ellington, Ella Fitzgerald, Benny Goodman und Glenn Miller – kurzum: mit den populärsten Stars der amerikanischen Jazz- und Tanzmusik. Die modernen Klänge des Bebop wurden offenbar ausgespart, um das Publikum nicht zu überfordern.

Von älteren Freunden weiß ich, dass sie, die sie die Gräuel der Naziherrschaft und des Zweiten Weltkrieges schon bewusst miterlebt hatten, in dieser Musik, die sie gegen Kriegsende trotz strikten Verbots durch das Hitler-Regime illegal in ausländischen Sendern gehört hatten, den künstlerischen Vorboten der ersehnten Freiheit sahen. Und tatsächlich kann Jazz als Musik der Freiheit definiert werden. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts im amerikanischen Süden aus der Verschmelzung europäischer und afrikanischer Musiktradition entstanden, bietet der Jazz den ausübenden Musikern durch das Mittel der Improvisation (das der abendländischen Musik seit der Zeit des Barock weitgehend verlorengegangen ist) die Möglichkeit des individuellen Artikulierens. Jazz kann also von niemandem, auch von keiner politischen Instanz, kontrolliert werden. Und so war es nur logisch, dass die Nazis diese Musik als »entartet« verboten hatten. Schon in meiner Kindheit begann ich mich für die politische Dimension des Jazz zu interessieren. In der Nazizeit setzten in Wien die sogenannten »Schlurfs« der Uniformierung in der Hitlerjugend und dem Bund Deutscher Mädchen eine eigenwillige Kleidung entgegen, begeisterten sich für die verbotene Jazzmusik und setzten dem Gruß »Sieg Heil!« ein »Swing-Heil!« entgegen. Ähnliche Erscheinungen gab es auch in Deutschland, Frankreich oder der Tschechoslowakei. Manche dieser »Schlurfs« oder »Swingheinis« mussten diese Art von Widerstand mit der Einlieferung in ein Jugend-KZ, dem Kriegseinsatz oder gar dem Leben bezahlen. In einem typischen NS-Propagandaartikel unter dem Titel »Was ist Niggerjazz? (Musik, die im Rundfunk verboten ist)«, konnte man lesen: »Was den undeutschen Jazz von zeitgemäßer deutscher Tanzmusik unterscheidet, sind die gleichen Merkmale, die auf dem ganzen Gebiete der Musik sich als zersetzend eingenistet haben. Es entspricht unserer rassischen Bedingtheit, daß wir eine Musik dann als schön und angenehm empfinden, wenn sie erstens eine Melodie enthält, zweitens harmonisch klingt und drittens klar und sauber instrumentiert ist.«

Es hieße die Realität verdrehen, würde ich behaupten, meine Familie hätte damals mein Interesse am Jazz, das sich in stundenlangem Radiohören manifestierte, besonders geschätzt. Aber sie hat es mehr oder weniger freiwillig toleriert. Jahre später – die GIs waren aus Österreich längst abgezogen – überredete ich meine Mutter zu einem gemeinsamen Besuch eines viel umjubelten Konzertes von Louis Armstrong mit seinen All Stars in der neu erbauten Wiener Stadthalle. Das war am 22. Februar 1959. Genau genommen handelte es sich um zwei Konzerte, eines am Nachmittag und eines am Abend. Bei der Ankunft des King of Jazz am Vormittag auf dem Wiener Westbahnhof waren 4000 Fans in der Bahnhofshalle. Bis ins hohe Alter erinnerte sich meine Mutter mit großer Freude an diesen Abend, was beweist, dass steter Tropfen den Stein durchaus höhlen kann. Übrigens erzählte mir Herbert von Karajan in den 1970er-Jahren, dass er ebenfalls – wie viele andere Prominente, so etwa Helmuth Lohner – dieses Armstrong-Konzert besucht habe. Er sei sehr beeindruckt gewesen und habe dies auch den Wiener Philharmonikern vermittelt. Die Lebensgeschichte von Louis Armstrong ist typisch für die Pioniere des Jazz: Er wurde am 4. August 1901 in New Orleans in ärmlichsten Verhältnissen geboren, lernte in einem Heim für obdachlose schwarze Kinder das Kornettspiel. Mit seinen Hot Five und Hot Seven hatte er in den 1920er-Jahren viele legendäre Aufnahmen gemacht. Später führten ihn zahlreiche Welttourneen durch alle Kontinente. In den 1950er-Jahren wurde Louis Armstrong als Sänger und Entertainer zum Weltstar. Bei erwähntem Doppelkonzert am 22. Februar 1959 in der Wiener Stadthalle lauschten 22.000 Besucher den Louis Armstrong All Stars. Armstrong, der am 6. Juli 1971 einem Herzinfarkt erlag, war später noch mehrmals in der Wiener Stadthalle, zuletzt am 10. April 1962.

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