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Оглавление9 | Die »Goldene Ära«des Wiener Kabaretts |
Bei Abendgesellschaften in der Reithlegasse oder Restaurantbesuchen etwa beim Eckel in der Sieveringer Straße, der bis heute mein Lieblingsrestaurant ist, mit »Onkel Julius« Kunz lernte ich schon im Kindesalter interessante Persönlichkeiten des Wiener Kulturlebens der Nachkriegszeit kennen. Darunter war Anton Karas, ein Zitherspieler und Heurigenbesitzer. Der gelernte Schlosser spielte als Autodidakt, ohne Noten lesen zu können. Weltbekannt wurde Karas 1948 durch das von ihm komponierte und vorgetragene »Harry-Lime-Thema« in Carol Reeds erfolgreichem Tonfilm »Der dritte Mann« (Drehbuch: Graham Greene). Auch Heinz Conrads, der beliebte Schauspieler und Conférencier, verkehrte im Kreise unserer Familie. Conrads, der zunächst im Wiener Kabarett Simpl und in mehreren Theatern auftrat, wurde ab 1946 durch seine sonntägliche Radiosendung »Was gibt es Neues?« bekannt und moderierte ab 1957 auch eine Fernsehsendung gleichen Titels. Auch den legendären Komiker Ernst Waldbrunn lernte ich früh persönlich kennen. Seine Doppelconférencen mit Karl Farkas im Simpl wurden zu Kabarettklassikern.
Apropos Kabarett: Schon als Jugendlicher besuchte ich mit meiner Mutter nicht nur das Kabarett Simpl, wo Karl Farkas das Publikum durch Jahrzehnte zu Begeisterungsstürmen hinriss. Farkas, der in der Ersten Republik mit dem genialen Fritz Grünbaum aufgetreten war, konnte aus dem Stegreif Pointen liefern, schrieb Revuen sowie Operettenlibretti und hatte regelmäßige Fernsehsendungen. Von Fritz Grünbaum (1880–1941) gibt es nur einige wenige Plattenaufnahmen. Er war zunächst Conférencier im Wiener Kabarett »Die Hölle«, wurde dann von Rudolf Nelson nach Berlin geholt und gehörte ab 1914 dem Simpl an, wo er nach Ende des Ersten Weltkrieges wieder arbeitete. 1921 wurde der junge Farkas, 13 Jahre jünger als Grünbaum, dort als Blitzdichter engagiert. Jetzt entstand die Doppelconférence. Leider gibt es keine gemeinsame Plattenaufnahme von Grünbaum und Farkas. Auch von Karl Farkas (1893–1971) gäbe es bloß 54 Plattenaufnahmen, wäre ihm nicht – im Gegensatz zu Fritz Grünbaum – die Flucht vor den Nazis geglückt. Übrigens hat Bruno Kreisky in seinen Memoiren berichtet, dass er gemeinsam mit Fritz Grünbaum seinerzeit in einem Gestapo-Notgefängnis in der Karajangasse den ganzen Tag im Kreis gehen musste, was den berühmten Kabarettisten zu der Bemerkung veranlasst habe: »Und die draußen glauben, wir sitzen.«
Beim Heurigen Anton Karas (1960).
Mehr noch als das Kabarett Simpl hat mich die Kabarett-Truppe im Theater am Kärntnertor begeistert. Hier boten Gerhard Bronner, Helmut Qualtinger, Louise Martini, Carl Merz und Georg Kreisler scharfes, politisch angriffiges Kabarett. »Der Papa wird’s schon richten«, »Der g’schupfte Ferdl«, »Der Bundesbahnblues« oder »Die alte Engelmacherin« gehörten zu den umjubelten Hits dieser begnadeten Truppe. Und »Der Herr Karl«, eine von Carl Merz für Helmut Qualtinger geschriebene Selbstdarstellung eines Wiener Opportunisten, die ich natürlich auch gesehen habe, wurde zu einem zeitlosen Monument der gesellschaftskritischen Kleinkunst. Qualtinger bin ich oft begegnet, weil er ganz in meiner Nähe in einer Siedlung in der Traklgasse wohnte. Und ich lauschte ein paar Mal des Nachts in seinem Lieblingslokal Falstaff bei der Volksoper seinen geistreichen Schrullen. Spiritus Rector war aber Gerhard Bronner, der mit 15 Jahren 1938 illegal emigriert war. Seine Familie starb im Holocaust. Auf abenteuerlichen Wegen floh er von Brünn nach Palästina, um nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich zu einer Kabarett-Institution zu werden. Mit Bronner verband mich viele Jahre später eine Freundschaft, und ich habe auch Kabarettabende mit ihm veranstaltet. Von Gerhard Bronner wird später wieder die Rede sein. Er war nicht nur ein toller Interpret, sondern auch ein genialer Texter, Komponist und Pianist. In seinen Urteilen über andere Künstler war er oft zu apodiktisch. Er verdammte etwa in den 1960er-Jahren die Beatles, denen er eine kurze Karriere vorhersagte. Ein großer Irrtum, wie wir heute wissen. Bronners Sohn Oscar tat sich durch erfolgreiche Mediengründungen hervor und ist heute Herausgeber des »Standard«.
Aufs Korn genommen wurde von Kabarettisten auch der populäre Bundeskanzler und dann – zur Zeit des Staatsvertragsabschlusses 1955 – Außenminister Leopold Figl. Er saß nahezu täglich ab 17.00 Uhr an seinem Stammtisch beim Heurigen Mayer am Pfarrplatz, wo er mit dem Seniorchef des Lokals Karten spielte und dem Wein zusprach. Er fiel mir immer auf, wenn wir von »Onkel Julius« Kunz zum Mayer am Pfarrplatz eingeladen wurden, etwa um einen frühen Abend mit dem Komponisten Robert Stolz und seiner Frau Einzi zu verbringen.
In Österreich gibt es heute tolle junge Kabarettisten, aber das klassische politische Kabarett scheint ausgestorben zu sein, sieht man von dem scharfzüngigen Werner Schneyder ab.
Frühreif wie ich war, hatte ich bald erste Flirts. Den ersten Kuss tauschte ich übrigens im Alter von zehn Jahren mit einer Schulkollegin namens Lily Behrmann aus. Lily heiratete später den viel zu früh verstorbenen Diplomaten Ernst Sucharipa, ebenfalls ein Schulkollege am Bundesgymnasium 19. Er erwarb sich große Verdienste in der Ära des Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel bei den Restitutionsverhandlungen über jüdischen Besitz.