Читать книгу Ichsucht - Johannes Stockmayer - Страница 17

Die große Herausforderung

Оглавление

Wenn ich vom Sterben des alten Ichs rede, dann meine ich Folgendes damit:

1. Um Annahme zu erfahren, muss man sich loslassen.

Angenommen werden ist ein freiwilliges Geschenk, man kann es nur passiv zulassen. Sterben bedeutet, das Eigene loszulassen: die Beteuerungen der persönlichen Wichtigkeit aufzugeben, auf die Beweise zu verzichten, dass man die Gnade Gottes verdient hat. Es bleibt nichts übrig, es ist nichts Gutes da, was liebenswürdig wäre. Die Annahme eines Menschen ist ein grundsätzlicher Akt Gottes, der nicht von Verdienst und Würdigkeit abhängig ist. Zum Loslassen gehört auch, auf die eigenen Ansprüche zu verzichten, nicht mehr nur um sich und die eigene Bedürftigkeit zu kreisen, einfach das geschehen lassen, was geschehen soll. Zeit haben, nichts tun müssen, warten und empfangen. Das ist für einen Ichsüchtigen so gut wie unmöglich.

2. Um Geborgenheit zu erfahren, muss man vertrauen.

Vertrauen ist die Fähigkeit, das Gute zu sehen und das Negative zu übersehen. Das geht nur, indem man sich einlässt – auch auf die Gefahr hin, dass das Vertrauen missbraucht wird. Der Vertrauensvorschuss birgt ein hohes Risiko, aber ohne diesen Schritt ins Ungewisse kann man keine positiven Erfahrungen machen. Negative Erfahrungen und Vorbehalte sind hinderlich, sie werden beiseitegeschoben. Sicherheit ist also nur zu gewinnen, indem man auf Sicherheit verzichtet. Schutz erfährt nur der, der um Hilfe bittet und seine Schutzbedürftigkeit zugibt. Sterben bedeutet hier, dass man darauf verzichtet, alles kontrollieren zu wollen. Aber für einen Ichsüchtigen ist das kaum denkbar. Er will in jeder Situation die Kontrolle behalten.

3. Um Bedeutung zu erfahren, muss man bereit sein, konkret zu werden.

Wer sich nur vornehm zurückhält und die anderen machen lässt, wird nicht zu sich finden. Die Bereitschaft, sich einzubringen, ist nötig. Besser etwas Kleines tun als abzuwarten. Wer wichtig sein will, muss bereit sein, eine wichtige Aufgabe zu übernehmen – auch auf die Gefahr hin, dass man damit scheitern könnte. Dazu gehört, dass man sich berufen lässt. Man muss bereit sein, sich senden zu lassen – und das geht nur, indem man sich einem anderen unterstellt. Dazu gehört, auch Rechenschaft über das zu geben, was man tut. Sterben bedeutet hier, auf die eigene Wichtigkeit zu verzichten, um für eine größere Sache wichtig zu sein. Auch das wird einem Ichsüchtigen kaum gelingen. Er fühlt sich ja wichtig und versucht, seine Wichtigkeit aus sich heraus zu erzeugen.

4. Freiheit erhält man nur, wenn man ehrlich ist.

Die Wahrheit macht frei. Aber zur Wahrheit gehört, dass man sich stellt und zugibt, was im eigenen Leben falsch ist. Der in sich verkrümmte Mensch wird nur frei, wenn er bereit wird, seine Sündhaftigkeit zuzugeben. Durch die Vergebung Gottes entsteht Weite und Befreiung. Durch das Bekenntnis der Schuld wird der Mensch entlastet, er spürt eine neue Leichtigkeit und Freude. Bleibt er in sich verkrümmt, bleibt er im Gefängnis seines Ichs in sich verschlossen. Wer dagegen seine Fehlerhaftigkeit zugeben kann, kann über sich selbst lachen. Ein Ichsüchtiger vermag das nicht. Sterben bedeutet deshalb: Mit Humor seinem Stolz einen Stoß geben, den Mut gewinnen, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen, dass man nichts aus sich ist, sondern alles von Gott benötigt. Dazu gehört, die eigenen Fehler, Versäumnisse, das bittere Scheitern, die Verzagtheit und die Zweifel zu bekennen, all das vor Gott zu bringen, um es dort zu lassen. Der Ichsüchtige kann weder das eine noch das andere, denn er sucht seine eigene Rechtfertigung und wird immer wieder betonen, wie richtig es ist, was er tut.

5. Zugehörigkeit gibt es nur zu dem Preis der Verbindlichkeit.

Nur wer sich ausliefert, erfährt Nähe. Durch das Gegenüber des anderen wird der Mensch zum Ich. Er braucht das Du. Aber wirkliche Gemeinschaft und Beziehungen entstehen nicht durch kurze Kontakte und unverbindliches Geplänkel. Begegnung ist nur dadurch möglich, dass man mit seiner ganzen Person beteiligt ist, bis in die Tiefe des eigenen Wesens. Dazu gehört Treue, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Ausdauer, beharrliche Zuwendung. Man schaut von sich weg und versucht den anderen zu verstehen, man öffnet sein Herz und findet den Zugang zum Herzen des anderen. Man hält sich nicht zurück, sondern ist echt, glaubwürdig, unmittelbar und persönlich. All das sind Eigenschaften, über die der ichsüchtige Mensch nicht verfügt. Er müsste seine Distanz aufgeben und sich auf Nähe einlassen. Er müsste zugeben, dass er nur einer von vielen ist, zwar bedeutsam, aber nicht der Wichtigste. Sterben würde hier bedeuten, auf sein Ich zu verzichten, um das Du zu finden und zu einem Wir zu werden.

Ichsucht

Подняться наверх