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Gibt es Ichsucht in christlichen Gemeinden?

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Darf es den egoistischen Menschen in der christlichen Gemeinde geben? Ist das nicht ein Widerspruch: Egoismus und christlicher Glaube? Gibt es tatsächlich ichsüchtige Menschen im christlichen Umfeld? Leider ja. Das Thema wird nur oft unter den Teppich gekehrt und nach dem Motto, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, ignoriert. Wir müssen darüber reden. Denn oft bestimmen diese Menschen die Gemeinde in einem erheblichen Maß, richten Schaden an durch ihre selbstsüchtige Art und verursachen bei anderen Gemeindegliedern meist auch erhebliche Verletzungen und Schmerzen. Aber die Frage ist: Warum wehrt sich niemand?

Meistens ist die Ichsucht als solche nicht sofort zu erkennen. Sie gibt sich harmlos, kleidet sich in Fürsorglichkeit. Es ist doch gut und hilfreich, wenn man dem anderen Entscheidungen abnimmt, Verantwortung für ihn übernimmt und dafür sorgt, dass es ihm gut geht. Was der andere möchte, spielt dabei keine so große Rolle. Hauptsache, man kann zeigen, dass man es gut meint.

Die Liebe erduldet alles. In der Gemeinde wird nicht gestritten und demjenigen, der sich über andere hinwegsetzt, wenig Einhalt geboten. Man erträgt einander und wo jemand über die Stränge schlägt, versucht man ihn mit Liebe und Barmherzigkeit zu korrigieren. Aber man zieht keine Konsequenzen. Wenn der andere von seinem schädlichen Verhalten nicht ablässt, zieht man sich eher zurück.

Die Gemeinde ist ein ideales Umfeld für einen ichsüchtigen Menschen. Er fühlt sich wie der Fuchs im Hühnerstall. Er findet die Bewunderung, die er braucht, kann sich ausleben und muss keine Rücksicht auf andere nehmen. Denn die sind ja devot und ordnen sich unter. Auch wenn es ihnen an den Kragen geht.

Vor allem in einer kleinen Gemeinde kann ein ichsüchtiger Mensch sein reiches Potenzial optimal entfalten. Hier benötigt man einen starken Menschen, der gern Verantwortung übernimmt. Man wünscht sich den charismatischen Leiter. Wenn man ihn jedoch hat, dann ist man ihm ausgeliefert.

Aber das größte Problem ist das Mäntelchen des Schweigens, das über ichsüchtiges Verhalten gehängt wird. Man redet nicht über das, was schiefläuft – auch wenn es schmerzt. Lieber leidet man und lässt es laufen. Wenn man es anspricht, dann könnte es ja noch schlimmer kommen. Aber dadurch haben ichsüchtige Menschen freie Bahn.

Es hilft alles nichts, wir müssen lernen, über unser Ich mit allen seinen Facetten zu reden. Wir müssen uns gegenseitig sagen können, wie wir uns empfinden und wie es uns miteinander geht. Fehlverhalten muss angesprochen werden können. Wo sich jemand in den Vordergrund spielt und dem anderen keinen Raum gibt, muss das zur Sprache kommen. Wir müssen dabei riskieren, dass Einzelne empfindlich reagieren. Wir können es nicht einfach so nur um des lieben Friedens willen laufen lassen. Der wirkliche Friede ist so nicht zu erreichen. Wir müssen den Mut aufbringen uns selbst anzuschauen, um uns zu reflektieren: Kreise ich nur um mich selbst oder gelingt es mir, den anderen wahrzunehmen und zu verstehen? Will ich nur etwas für mich oder habe ich die Gemeinschaft im Blick? In der Gemeinde geht es um ein dreifaches Gleichgewicht: Wir sollen Gott lieben und den Nächsten wie uns selbst. Alle drei Bereiche sollen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Gerät etwas aus der Balance, dann müssen wir dringend darüber reden.

Umso mehr müssen wir den Mut aufbringen, uns den ichsüchtigen Menschen in den Weg zu stellen, als wir in einer Gesellschaft leben, in der das Ich großgeschrieben wird und sich immer weiter aufbläst. Aber gleichzeitig müssen wir uns überlegen, wie ein „normales” starkes Ich aussieht und wie es sich auf gute Weise entfaltet und gelebt werden kann. Es kann nicht darum gehen, das „große Ich” allgemein zu verdammen: Wie wird es zu einem erlösten Ich, das sich eingliedern kann in ein gemeinsames „Wir”? Hier stellen sich für Christen wichtige Fragen, die gerade heute dringend nach Antwort verlangen.

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