Читать книгу Max und Moritz - Was wirklich geschah - Johannes Wilkes - Страница 16
Achtes Kapitel
ОглавлениеMütze wollte eine Weile für sich sein? Gut, in Ordnung, des Menschen Wille war sein Himmelreich! Verärgert marschierte Karl-Dieter los. Auch ihm war es sehr recht, ein Stündchen für sich allein zu haben. Was bildete sich Mütze ein? Ohne ihn zu fragen, den Koffer zu packen! Ging man so miteinander um? Stand man nicht zusammen in guten wie in schlechten Zeiten? Gut, man sollte nicht dramatisieren. Von einer schlechten Zeit zu sprechen, war stark übertrieben. Dennoch, ging es nicht darum, die Sorgen des anderen zu teilen, Anteil zu nehmen an dem, was den Partner beschäftigte? Karl-Dieter lief unwillkürlich schneller. Er konnte nicht anders, er machte sich nun mal Sorgen, Sorgen nicht nur um Max und Moritz, fast mehr Sorgen noch um Tante Dörte. Er konnte doch auch nichts dafür; die gute Tante in Nöten zu wissen, war für ihn unerträglich. Alles hatte Tante Dörte für ihn getan, immer ist sie für ihn da gewesen, und nun sollte er sie enttäuschen? Unmöglich!
Zum Dorf zog ihn nichts, stattdessen schlug er den Weg hinunter zu den Flussauen ein. Er liebte die schlichten Landschaften der Mark, er brauchte keine dramatischen Gebirgspanoramen, keine spektakulären Strände. Das weite grüne Land, die sanft sich wellenden Felder, die vielen versteckten Seen, die kleinen Wälder, die freundlichen Dörfer, all das wirkte wie Balsam auf sein Gemüt. Karl-Dieter spürte, wie sein Ärger nachließ. Nicht lange und er stieß auf einen kleinen Bach, dessen Ufer er folgte. Murmelnd flossen die munteren Wellen durch die Wiesen, bis sie sich hinter einer sanften Kurve entschlossen, sich schwungvoll in die größere Dosse zu ergießen.
Karl-Dieter blieb sinnierend stehen. Er hatte ein Faible für solch einen Ort. In Irland sind sie mal an so einer bezaubernden Stelle gewesen, bei Killarney. Meeting of the waters, hatten die Iren die Geburt des Avoca-Rivers genannt. Die Franzosen sprachen von Confluence, von einem Zusammenfließen. Der Ausdruck traf es nach Karl-Dieters Meinung gut. Dennoch blieben Fragen. Schluckte der größere Fluss den kleineren, ging der kleinere im größeren auf, oder war es nicht vielmehr so, dass beide zusammen einen völlig neuen Fluss bildeten, der mehr war als die schlichte Summe ihrer Wassermengen?
Nicht ohne Grund sprach man auch beim Menschen von Einflüssen und vom Beeinflussen. Immer dann, wenn zwei Menschen sich etwas bedeuteten, wenn sie miteinander in Kontakt traten, beeinflussten sie sich zwangsläufig. Wie war es mit ihnen, mit ihm und Mütze? Wer nahm Einfluss auf wen und in welcher Weise? Eine Freundschaft war nicht möglich, ohne sich von solchen Einflüssen freizumachen. Wichtig nur war es, nicht völlig im anderen aufzugehen. Das konnte nicht das Ziel sein. Karl-Dieter seufzte. Wie oft hatte er eine solche Selbstaufgabe in seinem Bekanntenkreis erleben müssen. Das ging nicht gut, das nahm ein trauriges Ende. Dann trennte man sich lieber rechtzeitig. Doch selbst, wenn man auseinanderging, war man doch nicht mehr der, der man vorher gewesen war. Die Einflüsse blieben, man trug sie mit sich herum, ob man wollte oder nicht, ob sie einem guttaten oder nicht, selbst, wenn man sie loswerden wollte, wirbelten sie einem weiter durch die Adern.
Karl-Dieter kniete sich nieder. Seine Augen folgten dem Fluss. Der kleinere Bach war heller als die Dosse. Karl-Dieter versuchte, den Ort auszumachen, wo die Wasser der beiden Bäche sich endgültig vermengten. Ihm war, als würde der kleine Bach noch ein Weilchen seinen eigenen Weg nehmen, bevor sich alles verwirbelte. Einflüsse aufzunehmen, selbst positiv Einfluss zu nehmen, ohne sich dabei zu verlieren, war eine schwierige Kunst. Bisher war es ihnen gelungen, aber eine Garantie gab es natürlich keine.