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Waldschlachten unter germanischen Eichen

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Fast drei Jahrhunderte nach den Humanisten fügte der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803) dem silvanen Denkbild eine neue Bedeutungsebene hinzu, indem er eine spezifische Baumart als Verkörperung germanisch-deutschen Wesens feierte.37 In Oden wie Der Hügel, und der Hain (1767) verherrlichte er die Eiche und ihre Blätter, die er zunehmend als authentischer für eine genuin vaterländische Poesie verstand als den traditionellen Lorbeer der griechischen Mythologie – ebenso, wie er den germanischen Gott Wodan und „Teutoniens Hain“38 dem Göttervater Zeus und dem Musenhügel Parnass vorzog. Die Haine hatten als Aufenthalt wie Inspiration der Barden, Quelle der Freiheit und Symbol des Vaterlandes zentrale Bedeutung in Klopstocks Mythenkonzeption, insofern sie die Sphären von Dichtung, Natur und Geschichte verbanden. Seine Ode Thuiskon (1764) etwa glorifizierte den mythischen Stammvater der Germanen im eichenbestandenen „Haine der Barden“39. Die Verse von Mein Vaterland (1768) verglichen die Heimat mit einem unvergänglichen Hain voller Kühle und Schatten.40 In dem Gedicht Mein Wäldchen (1778) griff der Dichter das silvane Thema erneut auf, als er einen ihm zum Geschenk gemachten Eichenbestand lobend beschrieb.41

Auch in seinem nichtlyrischen Werk nutzte Klopstock die hohe Symbolkraft der Eichen, etwa in seinem staatspolitischen Text Die deutsche Gelehrtenrepublik (1774). Angelegt als literarischer Entwurf einer mustergültigen Gemeinschaftsorganisation, diente in diesem Text das Laub des Baumes unter anderem als Auszeichnung für Entdecker und begabte Jünglinge sowie für freigelassene Knechte.42 Hingegen stehe das Freiheitszeichen des Eichenkranzes zum Beispiel den römischen Unterjochern nicht zu, weil dieser nur „den deutschen Charakter vorzüglich gut abbildet“43 – vergleichbar sollte später Arndt argumentieren. Eine solche Idee natürlicher altgermanischer Freiheit im Sinne Montesquieus konnte aber auch als versteckte Kritik an den deutschen Fürsten gelesen werden, zumal Klopstock später zeitweilig Ideen der Französischen Revolution vertrat.44

Die ständisch gegliederten Versammlungen des beratenden Landtages sollten im „Schatten deutscher Haine“45 als den ehemaligen Aufenthaltsorten der Götter stattfinden, wohingegen fremde Besucher dem Geschehen nur aus Ahornlauben folgen dürften. Unter die Zeichen vergangener Größe mit patriotischer Inspirationskraft für die Gegenwart rechnete er die deutsche Sprache, die nach ihren wilden Waldanfängen durch die wortmächtige luthersche Bibelübersetzung „zum Haine gemacht“46 worden sei. Als konkrete Gedenkorte nannte Klopstock neben dem hercynischen Wald vor allem die Teutoburg, wo der „Befreyer Deutschlands“47 in Gestalt Hermanns des Cheruskers gewirkt habe – bis hin zur Wortwahl ein direkter Verweis auf die Schriften des Tacitus mitsamt ihren Waldbezügen.

Eine zentrale Rolle für den teutonischen Eichen- und Hainkult Klopstocks spielte nicht nur in diesem Text die intensive Auseinandersetzung mit Arminius, der ihm als republikanischer Freiheitskämpfer und naturnaher Volksheld zugleich galt. Der Dichter hatte sich ab den 1750er-Jahren verstärkt mit Identitätsfragen beschäftigt und wiederholt die patriotisch nützliche Heldenfigur des Cheruskers aufgegriffen.48 So war schon seine frühe Ode Hermann und Thusnelda (1752) diesem historisch-literarischen Motiv gewidmet gewesen.49 Auch in Hermann (1767) bezeichnete Klopstock den Heroen bei fast wortgetreuer Anspielung auf Tacitus als „Befreyer des Vaterlands“50 vom römischen Joch.

Bereits zwei Jahre später erschien das Bühnenstück Hermanns Schlacht (1769), das über weite Teile in „Deutschen Hainen“51 spielte. Dort ließ Klopstock einen Hauptmann der Chatten die cheruskischen Krieger bewundernd als naturgleich „wie die Eiche eingewurzelt“52 beschreiben. Weitergehend verglich ein Chor gleich zweimal das geliebte Vaterland in einer einprägsamen Verknüpfung nationaler und naturaler Kategorien mit der „höchsten, ältesten, heiligsten Eiche“53 des Haines. Nach glücklichem Ende der Schlacht diente Eichenlaub als Schmuck für die tapferen Sieger, während die erbeuteten Feldzeichen an Eichenstämmen ihren Platz und die germanischen Gefallenen im Eichenschatten ihre letzte Ruhe fanden.54 Klopstock selbst sollte dann aber unter einer Linde begraben werden, obgleich er doch in so vielen Texten der Eiche dramatisch und lyrisch gehuldigt hatte.55

In seiner literarischen Eichenverehrung war Klopstock entscheidend durch die vorangegangenen Bemühungen Daniel Caspar von Lohensteins (1635–1683) geprägt. Dessen mehrtausendseitiges und viel gelesenes Werk Großmüthiger Feldherr Arminius (1689/1690) war postum erschienen und bezog sich wesentlich auf die Annales des Tacitus als historische Quelle.56 In seinen Anmerkungen erörterte der Dichter auch ausführlich die kultische Bedeutung einzelner Bäume und kam dabei zu dem Schluss, „nirgends aber wurden die Eichen heiliger verehret, als in Deutschland von den Druyden“57 – allerdings verstand er aus Unkenntnis das Druidentum fälschlicherweise als germanisches statt als keltisches Phänomen. Lohenstein unternahm aus tagespolitischen Interessen heraus einen Feindbildtransfer von den antiken Römern hin zu den zeitgenössischen Franzosen, von der externen Bedrohung durch den römischen Feldherrn Varus zu der internen durch Hermanns als abtrünnig beschriebenen Bruder Flavus.58 In dem Stück übertrugen seine Anhänger dem Fürsten Hermann unter heiligen Hainbäumen feierlich die Befehlshaberschaft, an anderer Stelle war eine Eiche von der folgenden patriotischen Inschrift geschmückt: „Ich vertrage keine Einpropfung. Wodurch nichts anders angedeutet ward; denn daß die deutsche Freyheit keiner frembden Herrschaft unterlegen wäre.“59

Klopstock hatte im Rahmen der Vorarbeiten für seine Version des Hermann-Stoffes neben Lohenstein die grundlegenden römischen Werke von Caesar, Plinius und Tacitus eingehend studiert. Letzterem erwies er die besondere Ehre, als einführendes Motto ein längeres Zitat aus den Annales über die fortgesetzte Erfolglosigkeit der Römer im Kampf gegen die Tapferkeit der Germanen zu wählen.60 Als Ort der Schlacht nahm der am Rande des Harzes geborene Dichter eine Stelle in der Nähe des dortigen Berges Roßtrappe an, nicht die lippische Gegend um Detmold.61 Das von Klopstock als Bardiet bezeichnete Bühnenstück kam zu seinen Lebzeiten nicht auf die Bühne, die Uraufführung sollte erst 1907, mehr als ein Jahrhundert nach seinem Tod, stattfinden. Als Lesestoff hingegen erfuhr es zeitgenössisch beim gebildeten Publikum wie vor allem bei Dichterkollegen großes Interesse.62

Weniger erfolgreich waren indes die Folgestücke der Trilogie, in denen Klopstock seine Barden wieder ausgiebig Kriegs- und Trauerlieder unter Eichenhainen singen ließ.63 Hermann und die Fürsten (1784) handelte von den Anstrengungen des Heerführers, gegen Widerstand in den eigenen Reihen die Römer zu einer „Waldschlacht“64 zu zwingen und letztendlich mithilfe der Naturverhältnisse zu besiegen. Erst nach der erfolgreichen Vertreibung der römischen Besatzungsmacht aus „Deutschlands Wäldern“65 könnten die Eichen von Neuem in harmonischem Einklang mit den Menschen wachsen und gedeihen. Noch weit stärker als im ersten Stück erschienen die freiheitsliebenden Cherusker nun – von einem Chor besungen – als „der Haine Volk“66, das nur durch diesen Naturrückhalt anders als etwa die Gallier noch nicht unterjocht sei. In Hermanns Tod (1787) ließ der Dichter den Helden selbst kurz vor dessen Tod noch einmal wehmütig „die Haine Deutschlands“ und „Thuiskons Eiche“ beschwören.67

Historisch beruhten beide Stoffe wesentlich auf den Annales des „unpartheyischen edlen Tacitus“68, worauf Klopstock in den Anmerkungen eigens hinwies.

Eine ganz besondere Rezeption sollten dieses Eichen- und Haindenken in der Dichtergemeinschaft des Göttinger Hainbundes zeitigen.69 Gemeinsam war den jungen Bündlern und dem älteren Klopstock die weitgehend deckungsgleiche Verwendung von Hain und Wald, wie sie bis Ende des 18. Jahrhunderts der literarischen Konvention entsprach. Aber während noch die Renaissancedichter die Naturlandschaft Wald als Synonym für den Kultort Hain benutzt hatten, zeigte sich nun schon die umgekehrte Bedeutungsbeziehung. Der Bund hatte sich 1772 in einer Hermannsnacht unter alten Eichen zusammengeschlossen, bekränzt mit Eichenlaub und verweisend auf seinen geistigen Schirmherrn Klopstock. Diesem gegenüber beschrieben die Teilnehmer rückblickend eine Gründungsszene, „da die Eichen rauschten, die Herzen zitterten, der Mond uns strahlender ward, und Bund für Gott, Freiheit und Vaterland in unserm Kuß, und Handschlag glühte“70 – in einem solchen Pathos des Freundschaftskultes schienen Baumwelt und Heimatland nahtlos ineinander überzugehen.

Demnach existierten im ideengeschichtlichen Gedankenhaushalt bereits verschiedene Verknüpfungen zwischen natürlichen Wäldern und nationaler Identität, als einige der Romantik zugerechnete Dichter und Denker um 1800 ihr Werk begannen. Da die zeitgenössischen Wälder der musikalischen und visuellen Imagination bereits vergleichsweise ausführliche Beachtung in der Forschung fanden, konzentrieren sich die nächsten vier Kapitel auf die textliche Sphäre.71 Alle imaginierten Baumlandschaften dieser Zeit waren weit weniger von den forstlichen Realitäten geprägt als von den historischen und politischen Kontexten der Französischen Revolution von 1789, in deren Konsequenz sich auch östlich des Rheines die politischen, staatlichen und territorialen Verhältnisse teils grundlegend veränderten.72 Bestimmende Ereignisse waren vor allem das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation 1806, die französische Besetzung oder Beeinflussung der meisten deutschsprachigen Gebiete sowie die antinapoleonischen Kriege von 1813 bis 1815, die die Souveränität dieser Territorien wiederherstellten.73 Einmal angestoßene Debatten über Fragen kollektiver Identität blieben freilich nach Ende der militärischen Auseinandersetzungen noch über Jahrzehnte virulent, was den weltanschaulichen Werdegang des deutschen Waldes überhaupt erst begründete und in der Folge wesentlich begünstigte.

Der deutsche Wald

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