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Naturemphase und Traumlandschaften

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Literaturwissenschaftliche Arbeiten widmeten sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts der Rolle von Natur und Landschaft im Werke Tiecks, derweil die für die vorliegende Arbeit relevanten historischen und politischen Hintergründe werkimmanent ausgeblendet blieben.22 In diesem Zusammenhang wurde auf die lange Tradition vor allem deutschsprachiger Natur- und Landschaftsdarstellungen verwiesen, welcher der Schriftsteller neue und vertiefende Sichtweisen hinzugefügt habe. Als wichtige literarische Einflüsse sind für das Frühwerk Tiecks in erster Linie der Eichenkult Friedrich Gottlieb Klopstocks und des Hainbundes sowie die sentimentalerhabenen Landschaften des Ossianismus zu nennen. Daneben zeigen sich Spuren intensiver Lektüre von Schäferdichtung, Schauerromanen und Shakespeare-Dramen.23 Tiecks schwärmerisch-pantheistische Naturdarstellungen folgen dem Gestus subjektiver Seelenlandschaften, etwa in der Beschreibung des Gebirges oder des Himmels als mit Traum und Unterbewusstsein konnotierte Gegenwelten.24

Der Naturhintergrund war bei Tieck – wie generell in der romantischen Tradition – eine Projektionsfläche ohne jeglichen Eigenwert, um menschliche Leidenschaften wie Einsamkeit, Liebesschmerz, Sehnsucht und Unrast zu illustrieren. Zudem lassen sich dessen literarische Landschaften als Sphäre der Verführung und Verzauberung lesen, wobei das emphatische Naturgefühl gegenüber der empirischen Naturbeschreibung klar überwog. Vor allem in der Lyrik manifestierte sich ein deutliches Unbehagen an der Gesellschaft, gegen das Tieck die Natur und das ihr innewohnende Erlösungspotenzial hervorhob. Ergänzend dazu war die Natur in vielen seiner Märchen und Novellen nicht positiv aufgeladen, sondern eindeutig negativ-dämonisch konnotiert.

Als Inspiration dienten Tieck vor allem die meist bewaldeten deutschen Mittelgebirge, während er die preußischen Flachlandschaften seiner Heimat kaum poetisch interpretierte.25 Daneben bestand bei aller Präferenz für die Weite der freien Natur ein reges Interesse an der domestizierten Natur des Gartens. Hierbei wandte er sich gegen die in seinen Augen übertriebene Naturnachahmung im damals populären Ideal des Englischen Gartens.26 Tiecks Landschaftsdarstellungen enthielten einen Tatsachenkern selbst erlebter Heimatnatur, der sich vor allem aus seiner wanderseligen Studentenzeit speiste und den er später literarisch ins Unkonkrete verfremdete.27 Deutlich wird ein solcher ursprünglicher Realitätsbezug zum Beispiel in der Beschreibung eines nächtlichen Ausflugs auf die Burg Giebichenstein, die nahe seines zeitweiligen Studienorts Halle gelegen ist:

[…] die Felsen gegenüber, die Felsen über mir, die wankenden Bäume, das Hundebellen, alles war so schauerlich, alles stimmte die Phantasie so rein, so hoch. […] Kurz, diese Nacht gehört zu den schönsten Stunden meines Lebens, sie wird mir unvergeßlich sein, ich habe hier manches gelernt, manches empfunden, was ich vorher nicht wußte, nicht empfand.28

Die wichtigste literarische Landschaft in Tiecks Werken ist der Wald, wobei detaillierte Auseinandersetzungen in der germanistischen Forschung bisher noch Ausnahmen darstellen.29 Diese meist werkimmanent verfahrenden Arbeiten sind sich einig in der Bewertung des Waldes bei Tieck als stadtferne Sehnsuchtslandschaft individueller Freiheit.30 Eine solche Idealisierung widersprach bereits damals mehr und mehr der Nutzenorientierung in den zunehmend gepflanzten Nadelholzmonokulturen – und kann als eine erste literarische Gegenreaktion auf die forstliche Modernisierung gelten.

Ganz im Sinne frühromantischen Denkens wurde der idealisierte Wald vor allem dazu eingesetzt, jenseits rationaler Maßstäbe abhängig vom Handlungskontext positive oder negative Stimmungen hervorzurufen. Diese sollten entweder die Korrespondenz oder alternativ den Kontrast zwischen Waldnatur und Menschenseele zum Ausdruck bringen.31 Im Einklang mit der Tradition deutscher Dichtung waren die etablierten Symbole von Eiche und Linde die bevorzugt idealisierten Bäume, an wenigen Stellen auch Birken und Tannen. Bis auf eine später zitierte Ausnahme fehlten freilich im Gegensatz beispielsweise zu Klopstock oder Arndt eindeutig nationale Bedeutungszuweisungen an die poetisierte Eiche.32

Es findet sich sogar eine satirische Anspielung auf den weitverbreiteten zeitgenössischen Kult um die Eiche: Diese sei zwar unbestritten der „Baum der deutschen Freiheit“, aber man könne mit ihren Zweigen bei der körperlichen Züchtigung „nicht viel […] ausrichten“.33 In den stereotypen Naturdarstellungen wurden Bäche, Bäume und Lichtungen allerdings weitgehend reduziert zu Ausstattungsstücken eines fast stets dichten, dunklen, einsamen, wilden und undurchdringlichen Waldes.34 Diese generellen Befunde der germanistischen Forschung gilt es zunächst an zwei literarischen Werken Tiecks genauer auszuführen: dem frühen Märchen Der blonde Eckbert und der sich darauf beziehenden späten Novelle Waldeinsamkeit.

Der deutsche Wald

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