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Walderhalt und Waldordnung

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Riehl instrumentalisierte das Silvane wiederholt, um unter dem Motto „jede Revolution thut dem Wald weh“134 eindringlich vor den Folgen von Aufruhr und Unruhe für Baum wie Mensch zu warnen. In diesem Zusammenhang beklagte vor allem seine Nassauische Chronik des Jahres 1848 (1849), dass als Begleiterscheinung der teils gewaltsamen Unruhen größere Waldgebiete systematisch der Vernichtung anheimgefallen seien.135 Als erstes Gesetz der revolutionären Zeit habe der Landtag ausgerechnet eine Aufhebung des hoheitlichen Jagdprivileges beschlossen und zudem den sofort einsetzenden Wild- und Waldfrevel nachträglich straffrei gestellt. Daneben sei es zu der Vertreibung vieler Förster als Vertreter der Obrigkeit und einem rücksichtslosen Holzausverkauf zu billigsten Preisen gekommen – ein Befund, den die forstgeschichtliche Forschung grundsätzlich bestätigen konnte.136

Den Akteuren der Volkserhebung machte Riehl zum Vorwurf, die unmündige Bauernschaft in traditionsfeindlicher Absicht zum Erreichen ihrer eigenen viel weiter gehenden Ziele aufgehetzt zu haben, denn „sie wissen, daß man zuerst den Wald niederhauen muß, wenn man mit dem Mittelalter in Deutschland aufräumen will“137. Die Französische Revolution von 1789 etwa habe katastrophale Konsequenzen für die Bäume erst im Mutterland und schließlich in den von Frankreich beherrschten oder kontrollierten Gebieten gezeitigt. Diese Politik sei nach dem bonapartistischen Staatsstreich von 1851 fortgesetzt worden, als aus populistischen Gründen gleichzeitig „die Concession des Streulaubes und des allgemeinen Stimmrechts“138 erfolgt sei. Für Riehl verstießen demnach sowohl die zu großzügige Genehmigung forstlicher Nebennutzungen als auch die Aufgabe des besitzbasierten Wahlsystems gegen die vermeintlich miteinander verschränkten Interessen von Wald und Volk.

Der Zusammenhang zwischen revolutionären Ereignissen und dem arboreal-silvanen Feld konnte unter Riehls Zeitgenossen jedoch auch in konträrer Absicht Ausdruck finden. So nutzte etwa Ludwig Uhland (1787–1862) das etablierte Symbol des Eichbaumes, um im Parlament der Paulskirche ein demokratisch inspiriertes Plädoyer gegen die Fürstenallmacht zu halten.139 Bereits zur Julirevolution von 1830 hatte der württembergische Dichter und Literaturwissenschaftler einige Jahre zuvor retrospektiv mit Freude geäußert, „in der deutschen Eiche hob es wieder zu rauschen an“140. Ähnliche Zusammenhänge stellten um 1848 im deutschen „Volk der Eichen“141 mehrere politische Gedichte meist unbekannter Verfasser her: Während diese zu mehr Einheit und Brüderlichkeit aufriefen sowie deutliche Kritik am Adel und am preußischen Königshaus übten, rückten andere Autoren die militärischen und monarchischen Symbolpotenziale der Baumspezies in den Vordergrund. Beide Denkrichtungen übertrugen aber gleichermaßen politische Ansichten auf die eigentlich nicht in solchen Kategorien zu fassende Natursphäre, um aus ihr eine vermeintliche Bestätigung für ihre gesellschaftlichen Ziele ziehen zu können.

Schließlich näherten sich weitere Stimmen dem Thema unter dem Blickwinkel der sozialen Frage, die durch die Einschränkung forstlicher Nutzungsrechte zuungunsten der Nichteigentümer verschärft worden war.142 Karl Marx (1818–1883) beispielsweise hatte bereits 1842 in einer Artikelserie die um sich greifende wirtschaftliche Not als wichtigen Grund für die vielen Fälle von Holzdiebstahl und Wilderei ausgemacht. Daher verlangte er eine grundlegende politische und ökonomische Lösung des Problems, anstatt das Verhalten der armen Bevölkerungsteile juristisch im Sinne der Waldbesitzer zu ahnden.143 Neun Jahre später nannte die anonym erschienene Schrift eines Forstmannes als Gründe für den weitverbreiteten Holz- und Wildfrevel neben der Armut den Abfall vom Glauben und den Verfall der Sitten. Der Autor forderte aber doch legale Möglichkeiten, mit denen das Volk seinen Holzbedarf im Rahmen der forstlichen Kapazitäten decken könne.144

Zu diesem Punkt vertrat Riehl entschieden die Perspektive der forstlichen Obrigkeit sowie der Waldeigentümer, da er revolutionäre Umwälzungen zulasten der etablierten Ordnung als naturfeindlich ablehnte. Für die breiten Kreise der Bevölkerung ohne Forsteigentum sah sein Konzept der Waldfreiheit lediglich ungehinderten Zugang vor, nicht aber die unautorisierte Nutzung etwa von Streulaub oder Totholz. Jedoch kamen bei gleicher Faktenlage Riehls silvapolitische Gegenspieler mit konträren gesellschaftlichen Wertvorstellungen auch zu gänzlich anderen Schlussfolgerungen. Obschon Riehl die Bedeutung von Holz- und Waldfragen für die Ereignisse von 1848/1849 richtig einschätzte, dominierte bei ihm doch die Übertragung vorgängiger politischer Ansichten auf das silvane Feld.

In der riehlschen Weltanschauung verknüpften sich wie bei Arndt zwei beharrende Elemente der Verwurzelung, die zusammen den Erhalt der traditionellen Ordnung sicherstellen sollten. Während Riehl das Bauerntum als „natürlichen Damm […] gegen das Ueberfluthen“ der revolutionären Werte Frankreichs auffasste, galt ihm der Wald in vergleichbarer Stabilitätssemantik als „mächtiger Schutzwall historischer Ueberlieferung“.145 Den angeblichen Gleichlauf von silvanem und menschlichem Schicksal formulierte der langjährige Journalist prägnant, indem er die Schreckensvision einer naturfernen proletarischen Herrschaft beschwor: „Haut den Wald nieder und ihr zertrümmert die historische bürgerliche Gesellschaft.“146

Zudem bezeichnete er die Waldwirtschaft als die traditionell adlige Form der Bodennutzung gegenüber einem bürgerlichen und gewinnorientierten Besitz von Agrarflächen.147 In diesem Zusammenhang postulierte Riehl, dass die Wertschätzung von Jagd und Wildnis unter den herrschenden Kreisen der Monarchien stärker ausgeprägt sei als unter den Bewohnern von Republiken. An anderer Stelle standen den „aristokratischen“ Hochwäldern aus Laubbäumen wie vor allem Buchen und Eichen „proletarische“ Nutzholzplantagen der Nadelbäume in ihrer Gleichförmigkeit negativ gegenüber.148 Demnach verband Riehl vielfach die eigentlich getrennten Sphären von Natur und Gesellschaft, um seine eigenen politischen Ideale als Ausdruck einer wahrhaft naturgemäßen Ordnung erscheinen zu lassen.

Überhaupt war die Verknüpfung naturaler und sozialer Kategorien während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Kontext des aufkommenden Darwinismus keine Seltenheit. So war auch bei dem damals bekannten Forstwissenschaftler und Zoologen Emil Adolf Roßmäßler (1806–1867) die Rede von „geselligen Vereinigungen“149 der Waldbäume. Mit allerdings ironischem Unterton folgte die Frage nach menschlichen Gegenstücken zu „dem sich selbst genügenden, heiteren Buchenwalde, dem niederes Volk schirmenden aristokratischen Eichenwalde oder dem plebejischen Weidendickicht“150. Angesichts der forstlichen Entwicklungen wandte er sich aber gegen Vorstellungen, die Wälder seiner Gegenwart seien „noch Erbstücke der alten Teutonen und ohne unser Zuthun von selbst gewachsen“151.

Der ehemalige Abgeordnete der Paulskirche und Vorkämpfer der Arbeiterbildung verband mit dem Silvanen in politischer Hinsicht liberal-demokratische Ziele, statt eine ständestaatliche Ordnung zu legitimieren. Auch war er ein ausgewiesener Fachmann für den Tierstamm der Mollusken – und ebendiese Weichtiere bildeten in Riehls Gesellschaftslehre das symbolische Gegenbild zum gegliederten Gemeinwesen.152 Vergleichbare Engführungen von Natur und Gesellschaft sollten sich später zum einflussreichen Denkbild vom Wald als Erzieher bündeln. Dort dominierten konservative und nationalistische Lesarten klar gegenüber liberalen und demokratischen Deutungen, ebenso vollzog sich ein Wandel von einem eher metaphorischen zu einem immer stärker biologistischen Naturverständnis.

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