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Waldbilder und Baummetaphern

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Die wissenschaftlichen Veröffentlichungen von Jacob und Wilhelm Grimm verwendeten dem Geiste der Zeit gemäß eine Vielzahl biologischer und organologischer Sprachbilder aus Botanik, Gartenbau und Landwirtschaft. Solche Metaphern sind aber keineswegs reine Textornamente ohne inhaltliche Relevanz, sondern dienen gerade in ihrer Häufung als aussagekräftige Indikatoren für dahinterstehende Geisteshaltungen und sollen daher ausführlich behandelt werden.105 Je ursprünglicher und unveränderter die Volkskultur in den Augen der Brüder Grimm noch erschien, desto mehr Natursymbole organischer Stabilität und kollektiven Charakters benutzten sie zu deren Kennzeichnung. Allerdings dominierte noch die Ebene des Sprachbildes, während gegen Ende des 19. Jahrhunderts mehr und mehr biologistische Lesarten von Naturmetaphern in den Vordergrund drängen sollten.

Als idealisierter Ausgangspunkt galt ein Ursprungszeitalter, in dem die komplementären Sphären von Natur und Kultur, von Baum und Mensch noch kaum voneinander geschieden gewesen waren. Die Brüder erklärten demnach vermeintliche Naturgesetzlichkeiten für wirkmächtiger als menschliches Handeln, sozioökonomische Entwicklungen oder politische Ordnungsmodelle. Indes wollten sie ihre deutschen Zeitgenossen mitnichten wieder zu paganen Germanen machen, sondern vielmehr möglichst viele der traditionellen Charakterzüge erhalten und erneut zu Bewusstsein bringen. Grundlage dafür bildete ein in den Schriften der Brüder Grimm fast allgegenwärtiges Verwurzelungsdenken, dem zufolge Literatur, Mythologie und Sprache aus der germanischen Vorgeschichte in mehr oder weniger erhaltener Form bis in die deutsche Gegenwart ragten.

So verglich Wilhelm Grimm die deutsche Sprache mit einem botanischen Wesen und konnte so behaupten, sie „reinigt sich selbst, erfrischt sich und zieht Nahrung aus dem Boden, in dem sie wurzelt“106. Die in seinen Augen den nationalen Geist ausdrückende Volksdichtung und neben den Märchen vor allem das Nibelungenlied sah er als natürlich wildes „Grün, das sättigt und sänftigt“107, womit eine künstliche Wiederbelebung der Volksüberlieferungen von vornherein zum Scheitern verurteilt sei. Darüber hinaus war ihm daran gelegen, herauszustellen, dass nur in den deutschen Varianten des Stoffes Siegfried den Tod im wilden Wald finde. In einem anderen Text analogisierte er die Poesie mit einer „Pflanze, die grünend zwischen Steinen und Felsen durchbricht“108. Demgegenüber ähnele die Sprache späterer Zeitalter eher einem gepflegten Garten einheimischer wie fremder Arten. In diesem habe der Sprachforscher dafür zu sorgen, dass das Unkraut „nicht weiter hinauf wuchere und der edlen Pflanze Sonne und Luft raube“109.

Sein Bruder Jacob verwendete im Vergleich noch deutlich mehr Naturmetaphern zur Beschreibung der menschlichen Lebenssphäre, wenn er etwa seine geliebte Muttersprache mit einem „großen gewaltigen baum“110 identifizierte. Deren naturwüchsiges Wortgut sei allerdings immer wieder vom „Unkraut“111 überflüssiger Fremdwörter in seiner Existenz bedroht. In diesem Zusammenhang warnte der selbst äußerst polyglotte Philologe dringend davor, die eigene Muttersprache als Ausdruck kollektiver Identität zu vernachlässigen: „jedes volk das die sprache seiner vorfahren aufgibt ist entartet und ohne festen halt.“112 Aber er gestand zumindest zu, dass einige ältere Lehnwörter „im boden unsrer sprache längst wurzel gefaßt“113 hätten und daher nicht mehr zu bereinigen seien. In der Fremdwortfrage nahm er demzufolge trotz aller organischen Metaphorik eine gemäßigte Position ein, während Sprachpuristen wie die Autoren des zeitgenössischen Periodikums Die deutsche Eiche unter Verwendung ähnlicher arborealer Symbolik das weit radikalere Ideal einer Reinsprache verfochten.114

Der Gebrauch botanischer Sprachbilder ging bei Jacob Grimm aber über das Bedeutungsfeld der Sprache hinaus und umfasste alle Bereiche der Volkskultur, wie er sie definierte. Für ihn war eine autochthone Tradition der Freiheit seit germanischer Zeit als „keim“ angelegt, aus dem bei richtiger Pflege wieder eine „edle pflanze“ werde.115 Analog bezeichnete er die altehrwürdige Sagenüberlieferung als „grünes holz“116, das gerade in national schwieriger Zeit die Hoffnung auf kollektive Regeneration berge. Sie verkörpere „etwas angebornes und aus dem eignen boden steigendes“117, das anderenorts schnell Prägekraft und Stärke verliere. Daher sei die jeweilige Überlieferung nicht einfach aus ihrem Ursprungszusammenhang in eine neue Umgebung ohne vergleichbare Naturbasis zu verbringen, denn „alles borgen und verpflanzen tödtet die poesie und verleiht ihr keine wurzeln“118.

Die ältere Geschichte verstand Jacob Grimm metaphorisch als einen sich selbst erhaltenden Wald, dem er das zunehmend gerodete Feld der neueren Epochen entgegenstellte. Hinsichtlich seines Idealbildes der germanischen Zeit konstatierte er, damals „wurzelte unter dem volk der baumcultus“119 der heiligen Haine und heiligen Eichen. Eine Perspektive jenseits enger Deutschzentriertheit zeigt sich im Gegensatz zu späteren Walddenkern darin, dass er auch bezogen auf die italienische Märchenüberlieferung das dort herrschende „tiefe dunkel der waldesschatten“120 lobend hervorhob. Noch mehr schwärmte er jedoch vom „germanischen waldgeruch“ der vermeintlich von Jägern und Hirten tradierten Tierfabeln, deren Natursinn er für „nicht aus der fremde geborgt“ hielt.121 Infolge einer solchen organischen Definition der Volkskultur dienten die grimmschen Metaphernwälder als wichtiges Traditionssymbol, womit sie auch zum mythischen Wurzelgrund germanischer wie altdeutscher Identität gerieten.

Der deutsche Wald

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