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Natureinfluss und Stammeslandschaften

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Arndt stand deutlich in der Tradition der antiken und spätfrühneuzeitlichen Klimatheorie, die vermeintlichen Prägungen der Völker durch Boden, Umwelt und Wetter nachgegangen war. Eine besonders wichtige Bezugsperson war in diesem Zusammenhang für ihn – wie für andere deutsche Denker des 19. Jahrhunderts – der französische Philosoph Charles-Louis de Montesquieu (1689–1755), der sich wiederum auf Schriften antiker Autoren berief.40 Dessen Hauptwerk De l’Esprit des Loix (1748) unterschied grundlegend zwischen einer kalten und einer heißen Klimazone, um dem Ideal einer europäischen Freiheit das Zerrbild einer asiatischen Despotie gegenüberzustellen. In diesem Zusammenhang postulierte Montesquieu außerdem unter Verweis auf römische Schriftsteller wie Tacitus, der Freiheitsgedanke des politischen Systems Englands sei in den Wäldern des Kontinents geboren worden.41

Auch Arndt unterschied gemäß dem Motto „der Mensch wird wie sein Land“42 zwischen kaltem Norden und heißem Süden, die in seinen Augen die moralischen und politischen Fähigkeiten der dort lebenden Völker entscheidend beeinflussten. Idealer Nährboden für die Kulturentwicklung sei die Mitte zwischen den geographischen Extremen von Arktis und Äquator, die sicher nicht ganz zufällig mit der ungefähren Lage von Arndts Heimat zusammenfiel. Interessanterweise räumte er innerhalb des deutschsprachigen Raumes kleinere klimabedingte Unterschiede ein, etwa zwischen Friesen und Bayern. Zudem waren ihm in vertikaler Hinsicht die zerklüfteten Hochgebirge mehr noch als Inseln oder Küsten natürliche Refugien der Stärke und Tapferkeit, während die einförmigen Tiefebenen als Räume der Kraftlosigkeit galten.43 In gleicher Weise bezeichnete er die deutschen und skandinavischen Wälder des Nordens als Landschaften der Freiheit, in denen ebenso stolze wie wehrhafte Völker lebten.44 Im Gegensatz zu Montesquieu verstand Arndt diese Freiheit unter Bäumen jedoch weniger im konstitutionell-parlamentarischen Sinne, sondern vor allem national und militärisch. Gegenbild zu den Wäldern war die in seinen Augen öde und immergleiche Steppe des Ostens, die einen ebensolchen Menschenschlag hervorbringe.45 Noch enger verband er die heiße und lebensfeindliche Landschaft der waldfernen Wüste mit menschlicher Kulturferne und Sklaverei.46

Ein weiteres Charakteristikum seiner „Naturgeschichte des Menschen“47 sah Arndt im stereotypen Gegensatz von sesshaften versus nomadischen Völkern. Die germanischen Völker bezeichnete er als in der Scholle verwurzelt, wohingegen den „über die weite Welt versprengten und verschüchterten Juden und Zigeunern“48 auf ewiger Wanderschaft eine feste Heimat fehle. Im gleichen Sinne beschrieb Arndt die bäuerliche deutsche Bevölkerung als bodenverbunden und demzufolge tugendhaft, während die Stadtmenschen ein „leichtfertiges, sittenloses, zuchtloses und üppiges Gesindel“49 zu werden drohten. Er propagierte pauschal eine angeborene nordische Naturliebe, der die südlichen Nationen nichts entgegenzuhalten hätten. Darüber hinaus setzte er einzelne Völker direkt mit exemplarischen Bäumen ihrer jeweiligen Lebenswelt in Beziehung, so etwa die Deutschen mit Eichen, die Skandinavier mit Fichten und die Inder mit Palmen.50

Überhaupt hatte Arndt wie auch die Brüder Grimm eine ausgesprochene Vorliebe für organische Metaphern zur Beschreibung der menschlichen Sphäre, wenn er etwa vom „grünen Wald der lebendigen Geschichte“ oder von der Jugend als „grünem Holz“ sprach.51 Mit Bäumen verglich er Wesen, Sprache und Staatsordnung des deutschen Volkes, das er als dominierende Eiche im europäischen Wald der Nationen verherrlichte.52 Weitergehend war die landschaftliche Umgebung von Völkern für ihn ein Spiegel der nationalen Geschichte im Negativen wie Positiven. Seinen persönlichen Hauptfeind Frankreich bezeichnete er als in Teilen südlich geprägtes Land der Genusssucht und Leidenschaft, was entsprechend negative Folgen für die dortige Natur zeitige.53 Aber auch den für ihn eigentlich stammesverwandten Engländern und Niederländern warf er mangelnde Naturnähe vor, da jene ihre vormals dichten Wälder in domestizierte Parks und Weiden umgewandelt hätten.54 Demgegenüber beschwor er wortreich die einstige germanische Größe und Unabhängigkeit angesichts der „Wälder und Täler, wo Hermann Varus’ Heer vernichtete und aus den Gebeinen der Erschlagenen einen Altar der Rache auftürmte“55.

Ein zentraler Bezugspunkt nationalen Naturverständnisses war für Arndt neben dem Wald der Rhein, den er im Titel einer viel gelesenen Schrift als Teutschlands Strom, aber nicht Teutschlands Grenze (1813) bezeichnete.56 In dieser patriotisch gesinnten Zeit unternahm er eine mehrmonatige Rheinreise zusammen mit seinem ehemaligen Greifswalder Studenten Friedrich Ludwig Jahn. Gerade in der Auseinandersetzung mit dem Nachbarland Frankreich reklamierte Arndt diesen Fluss unter Berufung auf die Geschichte als Symbol deutscher Einheit und Freiheit. Insbesondere wandte er sich gegen die Vorstellung von Flüssen als unveränderliche Naturgrenzen, denen er sprachlich definierte Kulturscheiden sowie natürliche Trennungen durch Gebirge und Meere entgegenhielt.57 Dabei waren aus Arndts Sicht beide Rheinufer einschließlich des Umlandes unter deutscher Kontrolle zu halten, um etwaige französische Expansionsgelüste von vornherein zu unterbinden. Sollten die Deutschen nicht zu einem „Volk jämmerlicher und äffischer Halbfranzosen“58 werden, müsse ein neuer Teutscher Orden die Verteidigung des Rheinlandes übernehmen. Allerdings war in Arndts Argumentation – wie generell in der politischen Rheinromantik – die Flussnatur als solche weit weniger wichtig als die geschichtliche Bedeutung der burgenbestandenen Kulturlandschaft. Demgegenüber erschien der vor allem eichenreiche Wald in seinem umfänglichen Werk wesentlich als eine Naturlandschaft der Freiheit und der Tradition.

Der deutsche Wald

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