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Waldfreiheit und Waldverfassung

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Eine überaus enge Verknüpfung der Sphären von Natur und Politik, von germanischer Baumgläubigkeit und deutscher Tugendhaftigkeit findet sich vor allem in Eichendorffs Spätschrift Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands (1857). Die literaturgeschichtliche Darstellung projizierte Ideen der Romantik zurück auf eine idealisierte Vorgeschichte, indem sie einen schlichten paganen Naturglauben ohne Priester oder Dogmen annahm. Der Wald war in diesem Verständnis vorhistorischer Ursprung sowie heilige Sphäre der Germanen – und damit zugleich der in unmittelbarer Kulturkontinuität gesehenen Deutschen. Gleich mehrere Textstellen zeugen von seiner vorhergegangenen intensiven Beschäftigung mit germanischer Geschichte im Rahmen der Arbeit an Hermann und Thusnelda, erinnern aber ebenso an die Ausführungen in Jacob Grimms einflussreichem Werk Deutsche Mythologie. So behauptete Eichendorff, anknüpfend an das lange eingeführte Denkbild vom Wald als Dom, über die alten Germanen, „ihr Tempel war der Wald mit seinen grünen Bögen und schlanken Säulenhallen“99.

Die bekannte tiecksche Wortprägung aufnehmend, findet sich die explizit politisch zu verstehende Formulierung vom „Hauch eines unverwüstlichen Freiheitsgefühles, der uns aus jener schönen Waldeinsamkeit entgegenweht“100. Im 16. Jahrhundert habe aber – so die katholische Perspektive Eichendorffs – die wort- und verstandesgläubige Reformation dafür gesorgt, die wilde und freiheitssichernde Natur gleich einem französischen Schlossgarten bis zur Unkenntlichkeit zu zähmen. Der endgültige Untergang germanischer Waldfreiheit sei schließlich im 18. Jahrhundert gekommen, als sich mit der Aufklärung eine rationale und sittenfremde Weltsicht auf Kosten der gesamten Natur und auch des Menschen durchgesetzt habe.101 Eine solche Bilanz hatte vergleichbar bereits Eichendorffs früher Roman Ahnung und Gegenwart eröffnet, womit eine Übereinstimmung zwischen nichtliterarischen und literarischen Waldbezügen zu konstatieren ist.

Auch der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) gestand an einer Stelle seines Werkes zu, dass in Europa ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem hohen Bewaldungsgrad und einer traditionsorientierten Gesellschaftsordnung bestehe: Denn „hätten die Wälder Germaniens noch existiert, so wäre freilich die Französische Revolution nicht ins Leben getreten“102. Während Hegel aber solche revolutionären Bestrebungen als welthistorische Notwendigkeit begriff, sollte Riehl diese dann im Kontext von 1848 zu einer existenziellen Bedrohung für Baum und Mensch zugleich erklären. Republikanische Entwicklungen in den deutschsprachigen Territorien erschienen demnach nicht nur Eichendorff als ein widernatürlicher Traditionsbruch nach französischem Vorbild, der unter Rückgriff auf silvane Argumente unbedingt verhindert werden müsse.

Ein vergleichbares Argument gegen die abstrakt-rationalen Prinzipien von Aufklärung und Revolution als waldvernichtende Bewegungen findet sich in Eichendorffs spätem autobiographischen Fragment Der Adel und die Revolution (1857). Demzufolge „reicht der Flug eines Vogels, der Schall eines Wortes hin, um, Felsen u. Wälder entwurzelnd, das Land zu verschütten; u. dieses Wort hieß: Freiheit u. Gleichheit“.103 Während der Literaturhistoriker Eichendorff diese silvanen wie kulturellen Rodungsprozesse erst in der Frühen Neuzeit beginnen ließ, hatte der Philosoph Johann Gottfried Herder (1744–1803) das Ende germanischer Urfreiheit wesentlich früher angesetzt: So habe bereits der römische Kultureinfluss auf Teile Germaniens verheerende Konsequenzen für die dortige Kultur, Moral und Politik gezeitigt.104 Ein solches Denken konstatierte eine fatale Gleichzeitigkeit von naturaler und kultureller Entwurzelung, die sowohl Bäumen als auch Menschen schade.

An anderer Stelle des nichtliterarischen Werkes Eichendorffs findet sich ein Verweis auf den Baum aus einer dezidiert patriotisch-politischen Perspektive. Der erst postum veröffentlichte Aufsatz Politische Abhandlung über preußische Verfassungsfragen (1831) beschrieb metaphorisch, wie Eichendorff sich eine gleichermaßen naturkonforme und nationalspezifische Verfassungsordnung vorstellte. Diese solle wenn möglich „organisch emporwachsen wie ein Baum, der, das innerste Mark in immergrünen Kronen dem Himmel zuwendend, sich selber stützt und hält, und den mütterlichen Boden beschirmt, in welchem er wurtzelt“105. Einem solchen Ideal gegenüber stand das Verfassungsdenken von Aufklärung und Revolution, das ihm zutiefst abstrakt und herkommensfeindlich erschien. Dementsprechend könne es lediglich einen schwach verwurzelten und austauschbaren „Allerwelts-Baum der konstitutionellen Freiheit“106 hervorbringen. Im Bereich arborealer Sinnstiftung kontrastierte Eichendorff daher menschlich intendierte Pflanzungen eines „dürren Freiheitsbaumes“107 mit einem naturgemäßen Wachstum, wie es später auch Riehl unternehmen sollte.

Zum Thema der revolutionären Baumsetzungen hatte ein anonymer Zeitgenosse bereits 1814 behauptet, es gebe klare nationale Unterschiede zwischen den Kriegsparteien: „Die Franzosen errichteten Freiheitsbäume. Die Deutschen hauen diese Bäume um, und machen Freiheitsfeuer daraus.“108 Auch für Eichendorff traten an die Stelle der abgelehnten Werte von liberté, égalité, fraternité die vermeintlich naturgegebenen Prinzipien von Heimatverbundenheit, Überlieferung, Stabilität und Verwurzelung. Indem er Natur und Verfassungsordnung derart zusammendachte, beabsichtigte er das politische System des nachrevolutionären Frankreich zu delegitimieren. Indes waren solche Parallelisierungen naturaler und sozialer Zustände bei Eichendorff noch überwiegend metaphorischer Art, während das bald nach Beginn des 20. Jahrhunderts aufkommende Denkbild vom Wald als Erzieher unter explizit biologistischen Vorzeichen stehen sollte.

Der deutsche Wald

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