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Waldgermanen und Walddeutsche

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Grundlegend für das Walddenken Arndts war das in seinen politischen Texten erkennbare Verständnis von den Deutschen als den „Enkeln der Germanen“87. Für die Wichtigkeit dieser Verwandtschaftsthese spricht, dass sich an zahlreichen anderen Stellen vergleichbare Formulierungen finden. Seine Zeitgenossen sah nicht nur er als „Hermanns und Luthers Volk“88, das sich in einer ununterbrochenen kulturellen und ethnischen Kontinuität seit der Vorgeschichte befinde. Ganz in diesem nationalen Sinne gebrauchte er Germanien zum einen im Titel eines frühen Textes als komplementäres Gegenbild zu Europa, zum anderen als fiktiven Publikationsort einer patriotischen Schrift aus der Zeit der antinapoleonischen Kriege.89 Arndts „uraltes und heiliges Germanien“90 war zutiefst geprägt von seiner Lektüre der taciteischen Germania, die ihm zum historischen Grundlagentext wurde und zahlreiche selektive Verweise im Werk hinterlassen hat. So appellierte er an sein Publikum: „Leset Tacitus und Plinius und schämet euch! Eure Väter in den Tierfellen waren viel klügere Männer als ihr.“91 Dem solchermaßen interessengeleiteten Idealbild gemäß musste dieses vergangene „Land der herrlichsten Freiheit“92 ständiger Ansporn sein, um die weiter in Unfreiheit lebenden Deutschen seiner Zeit aufzurütteln.

Als ebenso vorbildlich galt Arndt die ethnische Beschaffenheit der Germanen, die er wie schon der römische Autor als „reines, mit keinen andern Völkern gemischtes und ihnen selbst nur gleiches Volk“93 bezeichnete. Ein weiteres lobenswertes Kriterium war für ihn der prägende Einfluss der ursprünglichen Natur von „Germaniens Wäldern und Sümpfen“94 auf den angenommenen Volkscharakter. Dieser Landschaftskontext habe zu der fortdauernden tiefgründigen und unvergleichlichen Waldliebe der Deutschen geführt, in der sich „ein stilles Verständnis, eine innige Freundschaft und ein zarter Umgang mit der Natur“95 zeige. In diesem Sinne zitierte Arndt die Verweise des Tacitus auf eine germanische Naturreligion, deren Kultstätten neben Bergen und Quellen vor allem zahlreiche heilige Haine inmitten der „dichtverwachsenen Wälder“96 gewesen seien – diesen silvaspirituellen Aspekten sollte auch Jacob Grimm besondere Aufmerksamkeit widmen.

Bereits in Arndts Jugendgedicht Hermanns Siegeslied (1787) waren „Thuiskons Söhne“97 für ihren heroischen Kampf gegen römische Tyrannen mit Kränzen aus Eichenlaub prämiert worden. Zahlreich waren die weiteren Bezugnahmen in seinem Werk auf die Heldenfigur Arminius als „Fürsten des Volkes“ und „Vaterlandsretter“, dem er wie fast zeitgleich Eichendorff ein unveröffentlicht gebliebenes Dramenfragment widmete.98 In Arndts Trauerspiel Hermann (nicht nach 1808) fungierte der legendäre Sieg gegen die römische Weltmacht im Jahr 9 primär als historisches wie militärisches Exemplum. Er hoffte auf eine mobilisierende Wirkung des Geschichtsstoffes, auf dass die Deutschen seiner Gegenwart gestärkt den Kampf gegen den Weltenbezwinger Napoleon aufnähmen.99 Den von Tacitus zwar beschriebenen, aber nicht eindeutig lokalisierten saltus Teutoburgiensis nannte er ehrfurchtsvoll „das heilige Land, das freie Land, wo Hermann mit Römerleichen bedeckte das Feld“100. Arndt hatte 1814 persönlich das vermeintliche Schlachtfeld in den Wäldern zwischen Detmold und Paderborn besucht, wohin sich 1817 auf der Suche nach vergangener Größe auch Wilhelm Grimm begeben würde – und wo 1875 wenige Jahre nach der Reichsgründung das Hermannsdenkmal eingeweiht werden sollte.

Bei Arndt hatten derartige Anknüpfungen an Ereignisse und Heldengestalten der Vorgeschichte immer eine explizit tagespolitische Funktion. Für seine eigene Zeit ersehnte er als politischen und militärischen Führer einen neuen Hermann, der das deutsche Volk wieder aus nationaler Gefangenschaft in das Reich der Freiheit leite.101 Mit dem kämpferischen Cherusker verglich er im Laufe der Zeit verschiedene preußische Persönlichkeiten, zum Beispiel gleich mehrere Generale sowie einen Minister. Unter anderem war für Arndt der Militärreformer Scharnhorst in diesem Sinne „Germaniens bester Mann“ und ein „Biedermann aus alter deutscher Zeit“.102 Die Leipziger Völkerschlacht von 1813 nannte er dementsprechend „unsere Hermannsschlacht“103, was wieder eine vermeintlich ununterbrochene Generationenfolge zwischen Germanen und Deutschen hervorhob. Dabei wollte Arndt seine Zeitgenossen auffordern, sich vor allem in militärischer Hinsicht ein Vorbild an den siegreichen Cheruskern zu nehmen. Ebenso hatte das Vaterlandslied (1812) den Krieg gegen Rom mit dem damals aktuellen Konflikt gleichgesetzt, um den anstehenden Kampf gegen Frankreich historisch zu legitimieren – es sollte mit der bald einsetzenden Rezeption eines seiner bekanntesten Gedichte werden.104

Für die von Arndt propagierten nationalen Gedenkfeierlichkeiten war es ihm wichtig, vor allem an die von ihm so titulierte Varusschlacht zu erinnern und stets Hermann den Cherusker als ersten deutschen Freiheitshelden ehrend hervorzuheben.105 In diesem Zusammenhang plädierte er wie einige Jahrzehnte vor ihm schon Klopstock für naturnahe Insignien des Nationalen. Diese bezogen sich – in Abgrenzung von den Griechen – auf die traditionelle Symbolik einer ganz bestimmten Baumspezies, denn „Eichenlaub war weiland der Lorbeerkranz der freien Teutschen“106. Wie Arndt ohne weitere Begründung behauptete, „ist die Eiche ein rechter teutscher Baum, und wachsen wohl in keinem Lande so viele Eichen, als in Teutschland“107. Letzteres war aber wesentlich national inspiriertes Wunschdenken, da sich Unterschiede in der forstbotanischen Realität gemeinhin an Klima- und Bodenbedingungen orientieren und jene kaum von Staats- oder Siedlungsgebieten beeinflusst werden.

Dessen ungeachtet, sah Arndts Memorialsentwurf vor, zum Gedenken an die Leipziger Völkerschlacht von 1813 umfangreiche Eichenhaine anzulegen. Diese verstand er in aktualisierender Absicht als „deutsche Irminsul des neunzehnten Jahrhunderts“108, womit er auf ein arboreales Kultsymbol der germanisch-paganen Zeit Bezug nahm. Inmitten der Bäume wollte er auf einem Hügel ein weithin erkennbares Eisenkreuz errichtet sehen, um mit der Kombination von Holz und Metall „ein echt germanisches und ein echt christliches Denkmal“109 zugleich zu schaffen – zwischen diesen beiden Polen sollten sich die religiösen Baumbezüge in Kaiserreich und Weimarer Republik weiterhin bewegen. Solchen Baumsetzungen im vermeintlichen Einklang mit der Natur stellte Arndt die abstrakt motivierte und künstlich ausgeführte „Pflanzung der französischen Freiheitsbäume“110 gegenüber, wie es knapp zwei Jahrzehnte später ebenso Eichendorff unternehmen würde.

Besondere Erwähnung fand bei Arndt schließlich eine verschworene Kampfgemeinschaft von Natur und Nation, die ähnlich ein emphatisches Gedicht Tiecks behauptete. Unter fremder Besatzung litten nämlich nach Arndt neben der menschlichen Gemeinschaft immer auch die naturalen Landschaften, wenn „auf den höchsten Alpen, in den tiefsten Sümpfen“111 Unterdrückung herrsche. Dabei seien die Germanen ein Vorbild für die Deutschen, denn bereits Hermann der Cherusker habe im Kampf gegen Rom „jeden Berg und Hügel, jeden Baum und Strauch“112 militärisch zu nutzen verstanden. Der als Volksmiliz propagierte Landsturm sollte deswegen dieser behaupteten germanischen Taktik folgen, indem er landschaftliche Aspekte in die Kampfstrategie einbezog.

Mehr noch als Berge, Flüsse und Sümpfe komme die vielgestaltige Baumnatur als natürliche Verteidigungsressource infrage, denn „dichteste Wälder“113 seien am besten als Aufmarschplatz und Rückzugsraum für die erfolgreiche Sicherung des Vaterlandes geeignet. In diesem Sinne propagierte auch Arndts ehemaliger Student Friedrich Ludwig Jahn die Anlage von Hammen als undurchdringliche Grenzbarrieren aus Wald und Wasser – was dann bis in die NS-Zeit ähnliche Überlegungen inspirieren sollte.114 Damit wurde eine imaginierte germanische Waldvergangenheit mobilisiert, um politische und militärische Erfordernisse einer weit weniger glorreichen deutschen Gegenwart zu bedienen. Über solche silvanen Identitätsbeschwörungen hinaus nahm Arndt Abwertungen anderer Völker wegen deren vermeintlicher Waldferne vor, wie es besonders deutlich in seinen Reiseberichten zu beobachten ist.

Der deutsche Wald

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