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Naturherkunft und Stimmungslandschaften
ОглавлениеIn Eichendorffs literarischem Gesamtwerk spielten die Motive Natur und Landschaft eine so bedeutende wie vielfältige Rolle.28 Besonders häufiges Objekt gefühlvoller Idealisierungen war neben der imaginierten Naturlandschaft Wald die burgenreiche Kulturlandschaft des deutschen Rheines. Damit leistete der Dichter ebenso wie Achim von Arnim, Clemens Brentano oder Friedrich Schlegel seinen Beitrag zur entstehenden Rheinromantik.29 In einem geringeren Ausmaß betraf eine solche idealisierende Naturdarstellung Eichendorffs die Flüsse Donau, Neckar und Saale – darüber hinaus bewaldete Berglandschaften wie beispielsweise den Harz. Idealbild der paradiesischen Natur waren die vielfach dargestellten, oft amourös aufgeladenen und entsprechend verwilderten (Schloss-)Gärten – vor allem als künstliches Gegenbild zur Imagination einer wirklich wilden Waldlandschaft.30 Interessanterweise zeigt sich auch in den französischen, italienischen und spanischen Landschaften Eichendorffs die Beharrungskraft des am deutschen Beispiel gewonnenen Naturbildes.
Wenngleich Eichendorff in einer ländlichen und bewaldeten Gegend Oberschlesiens aufwuchs, findet sich kaum ein entsprechender Niederschlag tatsächlicher Naturerfahrungen in Egodokumenten wie Briefen oder Tagebüchern.31 Zu den Ausnahmen gehören einige Stellen seiner 1797 bis 1812 geführten Journale, die noch deutlich konkretere Naturschilderungen enthielten als die späteren literarischen Verarbeitungen. Einträge aus dem Jahr 1806 etwa beschrieben „die blauen alten Wälder“32 um den Kindheitsort Lubowitz als für ausgedehnte Spaziergänge bestens geeignet. Demgegenüber hinterließ die waldlose Lüneburger Heidelandschaft der „lungensüchtigen Steppen“33 bei ihm einen äußerst negativen Eindruck. In einer Briefstelle aus Eichendorffs Zeit bei den Lützower Jägern wurde 1814 wieder die erhabene Natur zum Thema, wenn die Rede war von seinem ehrfürchtigen Schweigen „beim tiefen Rauschen der Wälder und rasender Gebirgsströme“34. Der Verfasser zahlreicher emphatischer Wandergedichte und Schöpfer von unsteten Figuren wie dem Taugenichts selbst sollte allerdings die bequeme Kutsche oder später die Eisenbahn den harten Wanderstiefeln vorziehen.35
Germanistische Forschungen haben herausgearbeitet, dass Eichendorffs literarische Natur- und Landschaftsdarstellungen kaum Abbildungen erfahrungsgesättigter Wirklichkeit darstellen. Wie generell üblich bei romantischen Darstellungen von Natur und Landschaft finden sich kaum konkrete Angaben etwa zu den einzelnen Bäumen oder der geographischen Lage der poetisierten Wälder.36 Somit sind diese in erster Linie als komplexe und religiös codierte Symbole zu verstehen, die leitmotivisch fungierten. Dies führte zu einer weitgehenden Abstraktion, weshalb im Ergebnis unbestimmte Stimmungslandschaften dominierten. Ein solcher Abstraktionsprozess lässt sich exemplarisch an dem mittlerweile als Abschied bekannten Gedicht verfolgen, das laut der ursprünglichen Handschrift An den Hasengarten betitelt war. In den ersten Veröffentlichungen 1826 trug es die Titel Im Walde bei L.[ubowitz] respektive Im Walde der Heimath, woraufhin das Poem 1836 als Im Walde erschien.37 Derlei von konkreter Naturerfahrung weitgehend abgelöste Seelenlandschaften dienten bei Eichendorff als Chiffre für dichotome menschliche Gefühlszustände wie Sehnsucht und Erfüllung oder Bedrohung und Erlösung.
Ungeachtet dieses Quellen- und Forschungsbefundes, behauptete insbesondere die lange Zeit vorherrschende unkritische Literatur zu Eichendorff, dessen Kindheit und Jugend unter Bäumen sei bestimmend für seine späteren Naturschilderungen gewesen.38 Weitergehend findet sich im Bezug auf die Waldpoesie Eichendorffs eine schon an Hagiographie grenzende Verklärung, die gemäß dem Leitsatz „Eichendorff und der Wald sind ja eins“39 kaum noch Unterschiede mehr zwischen Dichter und Motiv machte. So hielt ein Biograph ihm kurz nach 1900 als genuine Leistung die „Beseelung unserer deutschen Berg- und Waldlandschaft“ zugute und postulierte pauschal, „in allen seinen Dichtungen […] rauschen seine heimatlichen Wälder“.40 Ein anderer Autor steigerte in der NS-Zeit das emphatische Sentiment noch, um eine Resonanz dieser Poesie außerhalb des Waldes kategorisch zu bestreiten und diesen zum einzig möglichen Ort der Lektüre zu erklären: „Nur im deutschen Walde wecken Eichendorffs Lieder ein reines Echo, nur im deutschen Walde lebt der deutsche Eichendorff.“41 Lange Zeit war die dem Dichter gewidmete Literatur von solchen Anhängern und Verehrern dominiert, die sich vor allem in der 1913 gegründeten Eichendorff-Gesellschaft organisierten. Erst, seit in den 1960er-Jahren die Sozialgeschichte der Literatur an Bedeutung gewann, beleuchtete die germanistische Forschung solche Verklärungen zunehmend kritisch.42
So notwendig die Kritik am schwärmerischen Bild eines unvergänglichen Walddichters Eichendorff ist, kann doch die Bedeutung des Waldes innerhalb des vielfältigen poetischen Naturpanoramas nicht ernsthaft bestritten werden.43 Literarische Inspirationen boten neben der Dichtung und den Märchen Tiecks zahlreiche Volkslieder, während die Textgattung der Volksmärchen weit weniger einflussreich war. Eichendorffs Wälder waren im Gegensatz zu jenen der tieckschen Waldeinsamkeit nur selten stille Resonanzräume des romantischen Ichs, stattdessen „rauschet der Wald“44 vernehmlich als Lockruf der Natur. Daneben kam visuell insbesondere einer Farbe eine herausgehobene Bedeutung zu, wenn etwa die Rede war von den „grünen Hallen“, dem „grünen Dom“ oder dem „grünen Revier“.45 Ebenso verband Eichendorff den Farbton mit stimmungsgenerierenden Substantiven, beispielsweise in Formulierungen wie „grüne Abgeschiedenheit“ oder „grüne Gewalt“.46 Wiederholt waren die poetischen Wälder Eichendorffs mit weiteren Adjektiven konnotiert, wie schon bei Tieck vorzugsweise im Bedeutungsfeld dunkel, geheimnisvoll oder unendlich.47 Den darin deutlich werdenden Aufladungen des silvanen Naturphänomens gehen die folgenden Ausführungen zunächst am Beispiel von Eichendorffs erzählenden Werken im Detail nach.