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Waldwanderungen in Nord und Süd

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Neben poetischen und politischen Texten veröffentlichte Arndt im Laufe seines Lebens Werke über die Wanderungen, die er in einigen deutschsprachigen Territorien unternommen hatte. Ebenso fanden längere Reisen etwa durch Frankreich, Italien und Schweden um die Wende zum 19. Jahrhundert ihren Niederschlag in ausführlichen Reiseberichten. Dort standen – ganz in der Tradition dieser Textgattung – historische und nationalökonomische Ausführungen Seite an Seite mit touristischen und ethnographischen Betrachtungen, verbunden meist nur durch den vom Autor zurückgelegten Reiseweg. Abweichend von der Konvention legte Arndt jedoch besonderen Wert auf die Beschreibung von Landschaften, weil diese nach seinem deterministischen Verständnis der Klimatheorie die jeweiligen Volkscharaktere prägten. Grundlegend war die dichotome Unterscheidung zwischen den Kulturkreisen von germanisch und romanisch, die in der Natursphäre mit den Himmelsrichtungen von Nord und Süd korrespondierten. Indes zeigen die frühen Reiseberichte trotz vieler Waldbezüge noch vergleichsweise wenige naturgebundene Völkerstereotype, während spätere Texte zunehmend solche Engführungen von Volk und Land enthielten.115

Seine deutsche Heimat sah Arndt in diesem Sinne vor allem als ein Land ausgedehnter Wälder und Haine. Deutlich zeigt sich dies gleich zu Beginn des Werkes Reisen durch einen Theil Teutschlands, Ungarns, Italiens und Frankreichs in den Jahren 1798 und 1799 (1801–1803), das aus insgesamt sechs umfangreichen Bänden bestand – und hier nach der zweiten Auflage zitiert wird. Auf der Wanderung in einem dunklen Buchenwald bei Bayreuth fühlte er sich an einen altehrwürdigen Hain erinnert und beschrieb andächtig das „heilige Schattenreich, worin die alten Germanen sicher einmal gefeyert und geopfert haben“116. Gegen Ende der knapp anderthalbjährigen Reise freute sich Arndt in den Eichenwäldern vor Aachen, endlich wieder „ächtes teutsches Laub“117 als arboreales Heimatsymbol zu erblicken. In den bewaldeten Regionen von Odenwald und Spessart beobachtete er erstmals persönlich widerständiges Verhalten gegen die französische Vorherrschaft. Es finden sich aber auch nationale Zuschreibungen an die Flussnatur, etwa wenn er den Rhein bei der Rückkehr von der Frankreichreise als Inbegriff des „vaterländischen Stromes“118 begrüßte. Ähnlich hatte fast zeitgleich Friedrich Schlegel in einem Reisebericht diesen nationalen Gleichklang von Fluss- und Waldnatur beschworen: Während ihm der Rhein beim Übergang als das „treue Bild unsers Vaterlandes, unsrer Geschichte und unsers Charakters“ erschien, habe er in Frankreich schnell Sehnsucht nach „dem frischen Waldgeruch des vaterländischen Bodens“ empfunden.119

Den Wäldern in der näheren und weiteren Umgebung seines damaligen Arbeitsortes Bonn widmete sich Arndt in den Wanderungen aus und um Godesberg (1844), die mehr als vierzig Jahre nach dem Bericht von der großen Europareise erschienen. Vor allem die „dichtere Waldeinsamkeit“120 der Eifelgegenden bekam nun exemplarisch eine positive Wirkung auf die Tugendhaftigkeit der dort naturnah lebenden Menschen zugesprochen. So behauptete er, „oben in den einsamen Bergen und Wäldern findet man bei den meisten Menschen die altdeutschen Grundzüge, Einfalt Ehrlichkeit freundliche Gutmüthigkeit und Gastlichkeit“121. Gleichzeitig kritisierte er wie auch in seiner Forsten-Schrift die damals großflächig stattfindenden Holzeinschläge, die in baumfreien Kämmen und Kuppen resultierten: In einer solchen Umgebung seien Mensch und Tier „wüster schwächer und lebensmatter geworden, wie die Natur ärmer todter und einförmiger“122. Zwar finden sich in Arndts Ausführungen zur Erhaltung der Wälder einzelne Aspekte der Bodenfruchtbarkeit, des Erosionsschutzes und der Klimastabilität. Aber die hauptsächliche Sorge galt wie später bei Riehl doch der Frage, inwieweit die Kahlschläge die dort lebende Bevölkerung und deren sittlichen Charakter veränderten.

Wie die deutsche Heimat war für Arndt – 1769 auf Rügen noch als Untertan des schwedischen Königs geboren – das Nordland Schweden mit seinen ausgedehnten Wäldern und Bergen der Garant eines starken und überlebensfähigen Volkes. In seiner vierteiligen Reise durch Schweden im Jahr 1804 (1806) schwärmte er von den dortigen Eichen, ungeachtet ihres geographischen Standortes, als „ächt teutsche Bäume“123. Die weiten nordischen Wälder erschienen dabei wie die Berge als ewige Sitze tugendhafter Freiheit und die „alte Einfalt und Unschuld und Kraft“124 lediglich durch mögliche Abwanderung in dichter bevölkerte Gebiete gefährdet. Den skandinavischen Völkern bescheinigte er vor dem angenommenen Hintergrund eines gemeinsamen germanischen Erbes eine ethnisch bedingte Naturliebe, während die samischen Halbnomaden Lapplands wurzellose „Waldverderber“125 seien. Demzufolge waren die Schweden für Arndt als so freiheitsliebendes wie verteidigungsbereites Volk das Vorbild, an dem sich die Deutschen seiner Zeit ein Beispiel zu nehmen hätten.

Der klare Negativkontrast zum nordischen Wald- und Menschenideal waren in den Reisen die romanische Natur und Bevölkerung. Besonders unmissverständlich geschah dies anhand von Italien, das Arndt als „Land der Citronen und der Banditen“126 herabsetzte. Eine solche Formulierung verwies auf die lange literarische Tradition deutscher Italienbesucher, die ihrem Idealbild einstiger römischer Größe ein gegenwärtiges Szenario von Schmutz, Verwahrlosung und Verschlagenheit gegenüberstellten. In einer anderen Publikation behauptete Arndt in ebenfalls pejorativer Absicht, „der Italiäner hat mit seinen Zitronen und Orangen […] einige Aehnlichkeit“127. Eine solche frugale Nationalmetaphorik verwendete zeitnah auch Friedrich Rückert (1788–1866), wenn er „die fremde Pomeranze“ negativ mit dem Reichsapfel kontrastierte und rhetorisch fragte: „Willst in Wäldern von Zitronen/deutscher Eichenadler, wohnen?“128

Solche Formulierungen bezogen sich offensichtlich in ironischer Anspielung auf Johann Wolfgang von Goethes Werk Wilhelm Meister (1795/1796). In dem damals viel gelesenen und leidenschaftlich diskutierten Bildungs- und Entwicklungsroman hatte dieser sein persönliches Arkadien so farbenprächtig wie fruchtreich beschrieben – gipfelnd im Lied des jungen Mädchens Mignon mit den einprägsamen Verszeilen „Kennst du das Land? wo die Citronen blühn,/Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn“129. Arndt hingegen konstatierte an anderer Stelle seines Reiseberichtes für fast ganz Italien einen eklatanten „Mangel an großen Wäldern“130, von dem er nur die Gebirgsregionen ausnahm. Das in seinen Augen ungepflegte Erscheinungsbild des Landes wie der entsprechende Charakter der Menschen resultierte für ihn hauptsächlich aus dem dort herrschenden Klima. Während Arndts normative Entgegensetzungen von Nord und Süd demnach ethnischen Kategorien folgten, enthielt sich sein Zeitgenosse Jacob Grimm beim gleichen Thema weitgehend abwertender Äußerungen.

Ebenfalls deutlich negativ gegenüber einer deutschen Waldlandschaft zeichnete Arndt die Natur des romanisch geprägten Frankreich, die in seiner Perspektive wesentlich aus gezähmten Parks oder gepflegten Stadtwäldern bestand und ungünstige Auswirkungen auf die Tugendhaftigkeit der Bewohner haben musste. Anstelle der geliebten deutschen Eichen stünden im Nachbarland die weit weniger monumentalen Ulmen, denen als „den Bäumen Frankreichs“131 symbolische Aussagekraft für den französischen Volkscharakter zukomme – in einem ähnlichen Sinne sollte Riehl später die von ihm verachtete Pappel verstehen. Wie auch im Falle Italiens setzte Arndt dabei Natur und Mensch in einen engen klimatheoretischen Bezug, wenn er als Kontrast zum deutschen Bauerntum in sittenerhaltender Waldumgebung kurz und knapp feststellte: „Weinländer zeigen immer kümmerliche Hütten und zerlumpte Menschen.“132

Der neuen politischen Ordnung der Republik warf Arndt neben einer Zerrüttung der Sitten- und Geschlechterverhältnisse vor allem vor, eine naturgesetzliche Ordnung der Unveränderlichkeit zu beseitigen. Trotz allen revolutionären Hochmutes seien indes nur Naturgebilde wie Gebirge unzerstörbar, im Gegensatz zu den vergänglichen menschengemachten Festungswerken.133 Darüber hinaus argumentierte er mit einer solchen Naturferne, um jeden französischen Anspruch auf den deutschen Nationalstrom des Rheines kategorisch zu verneinen: „Was soll der Franzose damit? Er kann ihn nur brauchen, darauf zu schiffen und Festungen daran anzulegen.“134 Einer rein nutzenorientierten Einstellung der romanischen Völker zu Wald und Wasser stand Arndt zufolge eine tiefe germanische Naturliebe gegenüber, die als politisches Argument über Grenzstreitigkeiten hinaus Verwendung finden konnte – etwa zur Legitimation der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung.

Der deutsche Wald

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