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Waldgräber unter deutschen Eichen

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Der Wald findet sich bereits als Titelbestandteil in einigen Gedichten Arndts, die epigonale Anklänge an etablierte Motive der deutschen Naturlyrik aufweisen. Wie in der Poesie Tiecks oder Eichendorffs war der Wald auch bei Arndt vor allem eine Projektionsfläche, um menschlichen Emotionen wie Freude, Lust oder Trauer Ausdruck zu verleihen. So verkörperte die Baumnatur etwa in Waldluft (1841) den Inbegriff und Höhepunkt der blühenden und rauschenden Schöpfung Gottes, mit der der Dichter sehnsüchtig eins werden wollte.59 Der Waldgruß (1846) beschrieb korrespondierend ein dem Poeten zugängliches Buch der Natur als himmlische Offenbarung, aber ebenso als einen der gemeinen Welt entgegengesetzten Hort der Überlieferung: „Denn wie aus längst vergangnen Tagen,/[…] Haucht’s hier von Fabeln und von Sagen“60. Daneben konnte der Wald eine unschuldig erotische bis eindeutig sexuell konnotierte Landschaft der Liebe sein, wie es recht drastisch das Frühlingsgedicht Waldhochzeit (1808) zum Ausdruck brachte.61 In Der grüne Wald (1835) dienten die Bäume hingegen als Echoraum und Erinnerungsort des sensiblen Dichter-Ichs, mit deren Hilfe dieser den tragischen Tod seines geliebten Sohnes Willibald im Jahr zuvor zu verarbeiten suchte.62 Der Junge wurde dann auf dem Bonner Friedhof unter einer extra umgepflanzten Eiche aus Rügen begraben – wie später der Vater selbst, während Klopstock seine letzte Ruhe noch unter einer Linde gefunden hatte.63

Wesentlich mehr Gedichte Arndts waren von einem maskulin-militärisch konnotierten Eichenkult geprägt, den er während der Zeit der französischen Vorherrschaft entwickelte.64 Das Wortpaar Eichen und Leichen hatte auch bei dem ihm persönlich bekannten Theodor Körner ein viel gebrauchtes Reimschema gebildet, um die Sphären von Natur und Mensch untrennbar zu verbinden: „Wachse, du Freiheit der deutschen Eichen,/Wachse empor über unsere Leichen!“65 Eine ähnliche Engführung zeigte sich zum Beispiel in Arndts Aufruf an die Teutschen bei der Nachricht von Schills Tod (1809), der den Freikorpskämpfern um den gegen Frankreich gefallenen preußischen Offizier Ferdinand von Schill (1776–1809) zugeeignet war: „Dann, auf gethürmten Leichen/Der Schänder schreitend, pflücket/Den Schmuck der Freie schmücket,/Das Laub der teutschen Eichen.“66 Eine solche patriotisch-militante Semantik verwies deutlich auf die Eichenverehrung in den Werken Klopstocks aus dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts.

Weitergehend sollten Arndt zufolge deutsche Freiheitskämpfer über das Leben hinaus fortwirken, indem sie wie im frühen Gedicht Lied der Freien (1803) selbst mit ihrem Heldentod noch das Gedeihen neuer Eichenhaine ermöglichten: „Und Heldenbrüder senken ihn/Mit seiner Wehr hinab/Und pflanzen Eichen stolz und grün/Als Denkmal auf sein Grab.“67 Gleichen Sinnes forderte Arndt das Pflanzen einer heiligen „deutschen Freiheitseiche“68, die für alle Zukunft an den ehrenvollen Sieg über das revolutionäre Frankreich und dessen Freiheitsbäume erinnern sollte. Die Verse von Meine Helden (1816) versprachen, dass auf dem Grab des im Kampf gegen die „wälsche Rotte“ zum Märtyrer gewordenen preußischen Generals Gerhard von Scharnhorst (1755–1813) noch die Enkelgeneration „Freiheitseichen“ pflanzen und pflegen würde.69 In seinen politischen Publikationen dieser Zeit ging Arndt darüber erheblich hinaus, indem er die Anlage großflächiger Eichenhaine als Gedenkorte an gewonnene Schlachten und gefallene Helden postulierte. Sein Schüler Friedrich Ludwig Jahn propagierte nur leicht abweichend die Anlage von Ehrengräbern für verdiente Volkshelden „in einem Eichenhain, vaterländische Steine zur Decke“70.

Ganz im Geiste einer solchen deutschzentrierten Argumentation unternahm Arndt es, das zeitgenössisch populäre Nationalsymbol des Eichenlaubs als „Schmuck der Freien“71 national zu vereinnahmen – wie dies vorher schon Klopstock getan hatte. Der Eichenehre unwürdig seien in erster Linie die Franzosen als das „Volke wälscher Sünden“, die er mit „Deutschlands ächten Söhnen“ kontrastierte.72 Aber auch dem „Römling“73 als frankreichhörigem Deutschen sollte die Auszeichnung verwehrt bleiben, da dieser aus selbstbezogenen Motiven das eigene Kollektiv verraten habe – eine Anspielung auf das bei Tacitus beschriebene Verhalten von Hermanns Bruder Flavus. 1815 forderte Arndt in einer politischen Schrift, für deutsche Helden unabhängig von deren sozialem Stand einen undotierten „Orden der Eichenkrone“74 zu etablieren. Diese Baumspezies diente damit als organisches Zeichen für die gemeinsame Unvergänglichkeit des natürlichen und des nationalen Kollektivs, wie es anlässlich des Ersten Weltkrieges auch im Projekt der deutschen Heldenhaine der Fall sein sollte.

In Arndts Gedichten stand die fast immer ausdrücklich als deutsch apostrophierte Eiche vor allem für die Tugenden und Hoffnungen einer weiterhin uneinigen und ungeeinten Nation.75 Militärische Stärke verband mit der Eiche exemplarisch das Gedicht Die Feier des 18. des Weinmonds 1814 bei den Freudenfeuern auf dem Taunus (1814), das den ersten Jahrestag der Leipziger Völkerschlacht zelebrierte und im Titel poetisch auf den Monat Oktober anspielte. Arndt sah in diesem Geschichtsereignis den Wendepunkt des Krieges gegen das als „giftige Schlange“76 verunglimpfte Frankreich und den Beginn deutscher Wiedergeburt. Eine sprachlich noch deutlich radikalere Instrumentalisierung arborealer Symbolnatur findet sich in einem fast zeitgleich verfassten Gedicht eines weit weniger bekannten Autors, in dem die Eiche sogar zum aktiven Mitkämpfer der antifranzösischen Sache geriet.77

Die Verse von Arndts Mimerung unter deutschen Eichen (1846) zeigten das lyrische Ich, wie es auf der Suche nach hoffnungsvollen Zeichen „im Schatten deutschesten Hains“78 wandelte. Darüber hinaus konnte diese Baumspezies enttäuschten nationalen Aspirationen Ausdruck verleihen wie im Nachklang aus 1848–49 (1853). Neben dem preußischen Adler ließ Arndt dort auch dem „deutschen Eichenhain“79 alle Hoffnung vergehen, nachdem die von ihm unterstützten Einheitspläne des Paulskirchenparlamentes endgültig am Widerstand der Fürsten gescheitert waren. Mit anderer Gewichtung hatte Körner schon knapp 40 Jahre vorher die Schicksale von Menschen und Bäumen in einem Gedicht verknüpft, in dem er das Überleben der Eichen trotz französischer Vorherrschaft und deutscher Niederlage konstatierte.80

Weitere Gedichte Arndts versuchten, im Zeichen der Eiche die Bereiche von arborealer Botanik und nationaler Identität miteinander zu verbinden. Während einer Zeit tief empfundener kollektiver Schmach betrauerte seine Klage um Liebe und Freiheit (1801) das daniederliegende „Land der Eichen“81, um danach verzweifelt zum letzten nationalen Gefecht aufzurufen. In Willkommen (1812) verkörperten die rauschenden „deutschen Eichen“82 die Heimat der wahren Freiheit. Diese ernannte Arndt ein Jahr später in Scharnhorst der Ehrenbote (1813) zum wieder stolzen „Vaterlande grüner Eichen“83, das es mit allen Mitteln zu verteidigen gelte. Solche Charakterisierungen schlossen wiederum an Formulierungen Körners an und sollten auch in einem späten Gedicht Eichendorffs Ausdruck finden. Ebenso wie die nationale verlief bei Arndt die regionale Identifikation weiterhin über Charakteristika der Baumnatur, wenn er etwa in Heimweh nach Rügen (1842) seiner Geburtsinsel als dem „Land der dunkeln Haine“84 huldigte.

Ein spätes Gedicht des Titels Rausche durch den Wald (1853) verlieh der innigen Hoffnung Ausdruck, dass der Deutsche endlich wieder gedeihen möge „wie seines Walds grünstes Eichenholz“85. Im Gegensatz zu den untergegangenen Weltreichen von Babylon und Rom traute Arndt den Deutschen zu, nach ernsthafter Besinnung doch wieder einen kollektiven Frühling zu erleben. Der zu Lebzeiten unveröffentlichte Nachruf auf den Freiherrn vom Stein (1831) ergänzte schließlich die nationale Kraft des Waldes um diejenige des Rheines, wie es zuvor schon ein Gedicht Eichendorffs getan hatte. Arndt widmete den Text seinem Freund Karl vom und zum Stein (1757–1831), für den er während des Kampfes gegen Frankreich mehrere Jahre propagandistisch tätig gewesen war. Dessen ehrendes Andenken hielt Arndt für unvergänglich, so lange die deutsche Nationalnatur weiter bestehe: „Nein, Deutschland, nie wird dieser reinste Strahl/In deiner lichten Heldenkrone bleichen/Solang’ aus Alpen braust Dein Rhein zu Thal/Und grünen Deine Eichen.“86 Demnach erschienen Wald und Wasser als vermeintlich natürliche Garanten für Fortbestand, Regeneration und Verteidigungsfähigkeit eines organisch verstandenen Volkes seit germanischen Urzeiten.

Der deutsche Wald

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