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Altdeutscher Waldcultus.
ОглавлениеDie Vergangenheitswälder der Brüder Grimm
Die drei Männlein im Walde.
Hermann Vogel, aus: Kinder- und Hausmärchen, gesammelt durch die Brüder Grimm, 1894.
„Wir sind Germanen, gemüthlich und brav,
Wir schlafen gesunden Pflanzenschlaf,
Und wenn wir erwachen pflegt uns zu dürsten,
Doch nicht nach dem Blute unserer Fürsten.
Wir sind so treu wie Eichenholz,
Auch Lindenholz, drauf sind wir stolz;
Im Land der Eichen und der Linden
Wird niemals sich ein Brutus finden.“
(Heinrich Heine 1844)1
Jacob (1785–1863) und Wilhelm Grimm (1786–1859) zählten zu den Mitbegründern einer historisch ausgerichteten Germanistik.2 Als Professoren in Göttingen und später in Berlin entwickelten und prägten die beiden Philologen mit ihren „bahnbrechenden Forschungen“3 mehrere Wissenschaftszweige. Ihre akademischen Werke und populären Textausgaben sollten über Kultur und Sprache einen Zusammenhalt vermitteln und festigen, den sie angesichts konfessioneller Spaltung, politischer Uneinigkeit und territorialer Zersplitterung gefährdet sahen. Eine „gewaltige Rezeptions- und Wirkungsgeschichte“4 erlebten beispielsweise ihre national orientierten Beiträge zur Editionskunde, Märchen- und Sagenphilologie, Mythenforschung oder Sprachgeschichte. Daneben äußerten sie sich mit der Autorität der Fachgelehrten zu außerwissenschaftlichen Fragen, etwa in Aufrufen, Briefen oder Zeitungsartikeln. Solche die Sphären von Politik und Wissenschaft verknüpfenden Wortmeldungen bezogen sich in patriotisch aufgeladenen Zeiten vorrangig auf zeitgenössisch aktuelle Fragen von Identität und Einheit.5
Dem Wald gebührt als Natursymbol für Stabilität, Tradition und Zusammenhalt ein bedeutender Stellenwert im umfangreichen Gesamtwerk der Brüder. Weil jedoch dieses Thema in der Forschungsliteratur bisher kaum Beachtung fand, kommen hier vor allem die Quellenbelege ausführlich zur Sprache.6 Zunächst finden als Werkkontext die politischen und nationalen Ansichten der Grimms Darstellung, bevor auf ihre allgemeinen Vorstellungen von Natur und Landschaft als kulturbewahrende Elemente einzugehen ist. Die ersten beiden Teile der Quellenanalyse untersuchen die vielfältigen Rollen des Waldes als Überlieferungs- und Handlungsraum ihrer bis in die Gegenwart viel gelesenen Kinder- und Hausmärchen. Danach werden am Beispiel der wissenschaftlichen Werke der Brüder die wiederkehrenden Baum-, Wald- und Wurzelmetaphern thematisiert, mithilfe derer Volk und Volkskultur als organisch gewachsene Phänomene erschienen. Abschließend geht es um die von ihnen imaginierten Altdeutschen Wälder, die sie sowohl als Verkörperung der germanischen Vorgeschichte wie als Gegenbild zur zeitgenössischen Zivilisation verstanden.