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Waldgefühle und Waldfluchten

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Nur selten benannten Eichendorffs Gedichttitel bereits explizit das Thema wie etwa in dem von Tieck beeinflussten Poem Die Zauberin im Walde (1808), darüber hinaus bei Waldmädchen (1837), An die Waldvögel (1837), Im Walde (1835) oder Waldgespräch (wohl 1812).70 Vom Titel abgesehen, kam der Wald jedoch bei insgesamt fast der Hälfte der Gedichte in verschiedenen Funktionen vom Geschehensort bis zum Handlungsträger vor, wobei die emotionale Aufladung wie schon bei Tieck zwischen anziehend und bedrohlich changieren konnte. Während allein dieser quantitative Befund den Stellenwert des Waldes in Eichendorffs Dichtung eindrücklich belegt, sind die Waldmotive nun an ausgewählten Beispielen in qualitativer Hinsicht weiter zu differenzieren.71

In Der Jäger Abschied (wohl 1810) beschwor Eichendorff dem Vermächtnis deutscher Naturlyrik gemäß den Wald wortreich als Schöpfung Gottes. Es handelt sich um eines seiner bekanntesten Gedichte, knapp 30 Jahre später vertont von Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809–1847). Die Baumwelt erschien in diesen Versen als Buch der Natur, die jedenfalls der kundige Dichter zu lesen und zu loben verstand: „Wer hat dich, du schöner Wald,/Aufgebaut so hoch da droben?/Wohl den Meister will ich loben,/So lang noch mein’ Stimm’ erschallt./Lebe wohl,/Lebe wohl, du schöner Wald!“72 In anderen Gedichten erfolgten Rückgriffe auf den etablierten Topos vom Wald als zumindest temporären Ort für Jagdleidenschaft und Wandertrieb – einer Sphäre fernab des Alltages von Stadt und Residenz.73 Daneben finden sich in den Gedichten viele freundliche Naturidyllen unter Bäumen in der Konvention des silvanen locus amoenus: „Wir wandern wohl heut noch weit./Wie das Waldhorn schallt!/O grüner Wald,/O lustige, lustige Sommerzeit!“74

Solche positiven Waldbezüge prägen das populäre Eichendorff-Bild, stellten aber nur eine Seite seines silvapoetischen Schaffens dar. Eine konträre und zugleich komplementäre Doppeldeutigkeit des Naturgefühls zeigt sich beispielsweise in diesen emphatischen Verszeilen von Auf dem Schwedenberge (nicht nach 1810): „Du Wald, so dunkelschaurig,/Waldhorn, du Jägerlust!/Wie lustig und wie traurig/Rührst du mir an die Brust!“75 Im fast zeitgleich entstandenen Waldgespräch (wohl 1812) war ein einsamer Wald gar anstelle des ursprünglichen Rheines Aufenthaltsort einer männermordenden Schönheit, wofür sich Eichendorff unter anderem durch Brentanos Figur der Lore Lay inspirieren ließ. Die abschließenden Worte der so anziehenden wie gefährlichen Frau – „Es ist schon spät, es wird schon kalt/Kommst nimmermehr aus diesem Wald!“76 – vermochten und vermögen beim Leser keinerlei Vorstellungen von Waldidylle mehr hervorzurufen.

Überdies ergaben sich in vielen Gedichten normative Dichotomien von Natur versus Kultur, wie sie aus der europäischen Epik des Mittelalters vertraut sind. Bei Eichendorff diente der lockende Wald allerdings nicht mehr als Gegenbild zum Königshof, sondern ähnlich wie bei Tieck als Kontrast zur Welt des bürgerlichen Lebens und der domestizierten Gartennatur.77 Dieser wollte der sehnsüchtige Dichter dauerhaft entfliehen, konnte jedoch wegen beruflich-familiärer Verpflichtungen höchstens zeitweilig entkommen. Eindringlich kamen solche Fluchtphantasien in dem noch gegenwärtig äußerst populären Gedicht Abschied (1810) zum Ausdruck: „O Thäler weit, o Höhen,/O schöner, grüner Wald,/Du meiner Lust und Wehen/Andächt’ger Aufenthalt!/Da draußen, stets betrogen,/Saust die geschäft’ge Welt,/Schlag’ noch einmal die Bogen/Um mich, du grünes Zelt!“78 Sinnverwandt nahm die poetisierte Waldnatur etwa in den weniger bekannten Versen von Der Umkehrende (1837) die Funktion eines imaginierten Schutzraumes ein: „Waldeinsamkeit!/Du grünes Revier,/Wie liegt so weit/Die Welt von hier!“79

Im Gesamtwerk Eichendorffs finden sich noch weitere direkte Anspielungen auf die bekannte Formel der Waldeinsamkeit, ferner zahlreiche Verwendungen der grammatikalisch angemesseneren Variation Waldeseinsamkeit.80 Allerdings war deren Kontext wesentlich einer der ungebrochenen Idylle ohne die gefahrvollen beziehungsweise ironischen Momente, wie sie Tiecks Wortgebrauch noch inhärent gewesen waren. Daneben nutzte auch Eichendorff Abwandlungen des prominent gewordenen Begriffes, um andere Naturphänomene mit „Bergeseinsamkeit“, „Gebirgs-Einsamkeit“ oder „Meeres Einsamkeit“ emotional zu charakterisieren.81 Diese blieben ebenso der romantischen Tradition der Seelenlandschaft verhaftet, in der sich mannigfache menschliche Gefühlslagen literarisch spiegelten. Während solche weltflüchtigen Poetisierungen im Randbereich des Politischen lagen, schrieb der Dichter dem Wald in anderen Gedichten eine explizit politische Qualität zu.

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