Читать книгу Der deutsche Wald - Johannes Zechner - Страница 36

Waldbauern und Waldretter

Оглавление

Für den Stadtbewohner Arndt waren fest verwurzelte Wälder auch ein Mittel, um eine seiner Wahrnehmung nach von tief greifenden Veränderungen bedrohte Gesellschaft zu stabilisieren. Eine unvergängliche silvane Natur erklärte er zum Traditionsgaranten wie Zukunftsversprechen des deutschen Volkes. Besonders eindringlich geschah dies mit der zweiteiligen Artikelfolge Ein Wort über die Pflegung und Erhaltung der Forsten und der Bauern im Sinne einer höheren, d.h. menschlichen Gesetzgebung (1815/1816), erschienen in Arndts kurzlebiger Zeitschrift Der Wächter. Diesbezüglich müssen bisherige Bewertungen in der Literatur korrigiert werden, denen zufolge eine Rezeption dieser Schrift praktisch nicht stattgefunden hat.135 Ganz im Gegenteil sollte diese Schrift Arndts häufig zitiert werden, von ersten positiven Bezugnahmen in Nachrufen über spätere Erwähnungen in der Forstliteratur bis hin zu Veröffentlichungen aus dem Heimatschutz und Naturschutz.

Bereits der Titel verband zwei für ihn gleichermaßen naturnahe wie wurzelhafte Elemente, der Text selbst bezeichnete den Bauernstand dann explizit als „zweite[n] Forst“136. Landschaftsräumlich waren den Bauern hauptsächlich die weiten Ebenen vorbehalten, wohingegen die Forsten auf den Hügeln dominieren sollten. Interessanterweise hatte Arndt zu beiden genannten Themen einen direkten biographischen Bezug, den er in seine Schriften einfließen ließ. Zum einen war er der Sohn eines früheren Leibeigenen und forthin Gutspächters, weshalb er zeitlebens ein unerschrockener Streiter für die Rechte der Bauern blieb.137 Zum anderen trug sich einer seiner Söhne mit dem später verwirklichten Gedanken, vom baumbegeisterten Vater unterstützt, die ehrenwerte Laufbahn eines Försters einzuschlagen.138

Wie in vielen anderen Veröffentlichungen bezog Arndt sich auch in Forsten und Bauern wiederholt zustimmend auf die taciteische Germania. Das frühgeschichtliche Land beschrieb er als „mit dichten und zum Theil undurchdringlichen Wäldern bedeckt“139, in denen, wie schon von Caesar geschildert, Auerochsen und Elche herumgestreift seien. Zugleich wollte Arndt unter Bezug auf diese römischen Autoren etwaige Vorwürfe germanischer Unzivilisiertheit abwehren, denn „jenes Germanien war freilich kein wildes Land mehr noch waren jene Germanen, welche sie schilderten, Wilde“140. An einer weiteren Stelle zeigen sich Parallelen zum Denken Jacob Grimms: Auch für Arndt hatten die Römer ihre Gottesdienste in kalten steinernen „Mauern“ gefeiert, während die Germanen ihren uralten Göttern „im Athem der Natur und im Dunkel der Haine“ nahegekommen seien.141 Diese Naturtempel hätten die christlichen Missionare in der Folge als Stätten paganen Götzendienstes erbarmungslos gefällt oder kirchlich umgewidmet.

Für Arndt war also „Germaniens alte Freiheit“ unter Bäumen geboren, wohingegen die „sogenannte französische Freiheit“ als abstrakt-rationales Prinzip keinerlei Naturbezug aufweise – wie es ähnlich Eichendorff postulieren würde.142 In der deutschen Gegenwart sah er die umfänglichen Waldgebiete als nationalen Wurzelgrund, den es für den Erhalt des Volkes unbedingt zu verteidigen gelte. Diese Argumentation fand eine klimatheoretische Begründung, denn es wohne „in den Wäldern und Waldbergen ein frischeres und stärkeres, auf und an den abgehorsteten und kahlen Höhen ein trüberes und schwächeres Geschlecht“143. Jedoch seien die Freiheitswälder zunehmend den materiellen Bedürfnissen von Industrie und Landwirtschaft unterworfen, was zu rücksichtslosen Kahlschlägen führe. Die größte Gefahr für den Stabilitätsfaktor Wald sah er in „waldverwüstenden Fabrikanten“, für den Bauernstand spezifischer in „Juden und Judengenossen“.144 In diesem klaren Feindbild der Naturgegnerschaft zeigt sich eine frühe Verbindung der Denkmuster von Judenfeindschaft und (Proto-)Kapitalismuskritik, wie sie in der Folge mehrfach aufgegriffen werden sollte.

Arndt entwickelte sich immer mehr zum engagierten Befürworter von forstlichen Schutzmaßnahmen, die neben dem Staatswald ebenso den Privatwald einbeziehen sollten und infolgedessen das uneingeschränkte Eigentumsrecht tangierten. Als Mittel nachhaltiger Waldpflege propagierte er unter dem Motto „teutschen Menschen müssen nirgends Bäume fehlen“ großflächige Aufforstungen, wofür er auf die wildnishafte Bewaldung der Vorvergangenheit sowie die „alten germanischen Haine“ verwies.145 In diesem Sinne forderte er in detaillierten Ausführungen zum Beispiel, überall auf deutschem Gebiet in regelmäßigem Abstand geordnete Hochforsten neu zu pflanzen. Sein Hauptanliegen war ausweislich der radikalen Nationalrhetorik keineswegs der Schutz der Waldnatur um ihrer selbst willen, obschon er auch Aspekte wie Boden und Mikroklima anführte.

Vielmehr befürchtete Arndt wie später Riehl vor allem klimatheoretische Konsequenzen für die moralische Substanz der Bevölkerung, denn „wo die Natur schlecht ist oder schlecht wird, da ist oder wird der Mensch auch schlecht“146. Der Walderhalt war für Arndt auch in dieser Schrift primär Garantie für die Erhaltung des nationalen Kollektivs, das er in seinen Werken durchgängig idealisierte. Ohne den Schutz der Bäume könnten die Deutschen nämlich einem Vergleich mit den ehrwürdigen germanischen Ahnen oder den skandinavischen Verwandten nicht mehr standhalten. Er befürchtete für die Kulturvölker Europas insgesamt, es gerate „die Axt, die an den Baum gelegt wird, häufig zu einer Axt, die an das ganze Volk gelegt wird“147. Wie keine andere Formulierung aus der Forsten-Schrift wurde diese drastische Wendung rezipiert, allerdings meist beschränkt auf die deutsche Perspektive.

Noch im Alter von 83 Jahren versuchte Arndt 1852, ein gefährdetes Waldstück im südlichen Rheinland zu erhalten. Ein persönlich gehaltener Zeitungsbeitrag beklagte die drohende „Zerfeilschung und Zerstückelung“ des „großen herrlichen Flamersheimer Waldes“, der ihm von seinen früheren Wanderungen her vertraut war.148 Auch bekannte Arndt nochmals explizit, welche politischen Themen ihm zeitlebens besonders wichtig gewesen waren: „Ich habe, so lange ich schreiben kann, für die beiden Urstützen der Erde und des Staates gekämpft: für die Wälder und die Bauern.“149 Als abschreckende Beispiele für die Folgen weitgehender Entwaldung dienten ihm die kahlen und unfruchtbaren Mittelmeerregionen Siziliens und Syriens. Dieser mediterranen Ödnis setzte er die germanische Baumliebe der Vorzeit und die deutschen Forstordnungen seit dem späten Mittelalter als positives Beispiel entgegen. Verwandte silvanationale Argumentationsmuster sollten sich mit Beginn des 20. Jahrhunderts zum Denkbild des deutschen Waldvolkes bündeln, dem infolge des aufkommenden Rassenparadigmas zunehmend antislawische und antisemitische Vorurteile eingeschrieben waren.

Der deutsche Wald

Подняться наверх