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Waldburgen und Waldbanner

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Über das Poetische hinausgehende Bedeutungsebenen enthielten vor allem Eichendorffs Zeitlieder aus den Jahren der französischen Vorherrschaft und der anschließenden antinapoleonischen Kriege. Die dortigen Naturzuschreibungen gingen weit über allgemein gehaltene Gesellschaftskritik und seelisches Unbehagen an einer bürgerlichen Existenz hinaus. Mehrere Gedichte bezogen sich auf seine kurze Zeit im Freikorps, die er etwa in An die Lützowschen Jäger (wohl 1836 oder 1837) als zeitlebens prägende (Natur-)Erfahrung beschrieb: „Wo wir ruhen, wo wir wohnen:/Jener Waldeshort/Rauscht mit seinen grünen Kronen/Durch mein Leben fort.“82 Symbolisch stand der Wald auch für die vermeintlichen Natureigenschaften der Beständigkeit, Unveränderlichkeit und Zeitlosigkeit, die Eichendorff auf das noch ungeeinte deutsche Volk übertragen sehen wollte. Dies macht etwa das Gedicht Der Tyroler Nachtwache (1810) deutlich, das den Widerstand um den Tiroler Andreas Hofer (1767–1810) als heroisches Vorbild für die Zeitgenossen pries: „Gleichwie die Stämme in dem Wald/Woll’n wir zusammenhalten,/Ein’ feste Burg, Trutz der Gewalt,/Verbleiben treu die alten.“83

Mit dieser Formulierung bezog sich der gläubige Katholik Eichendorff augenscheinlich auf das evangelische Kirchenlied Eine feste Burg ist unser Gott nach dem biblischen Psalm 46 – erstmals 1529 veröffentlicht und eines der bekanntesten aus der Feder des Reformators Martin Luther (1483–1546). Einst primär als Ausdruck religiösen Gottvertrauens geschrieben, wurde das Lied um 1813 zunehmend im nationalprotestantischen Sinne verstanden.84 Bei Eichendorff findet sich das Motiv naturgegebenen Zusammenhalts noch an weiteren Stellen, etwa wenn der Wald „zum Schutz und Trutz als Veste“85 bestimmt war. Damit stellte er der zeitgenössischen Bilanz territorialer Zersplitterung und politischer Uneinigkeit eine überwölbende Vision gegenüber, die von harmonischer Einheit und brüderlicher Gemeinschaft geprägt war. So sollten sich die Deutschen in An die Meisten (1810) ein Beispiel nehmen an den Bäumen des Waldes, um ihre Wiedergeburt als „Stämme brüderlich verwoben“86 im schützenden Kollektiv zu erleben.

Neben Harmonie und Stärke assoziierte der Dichter mit dem Wald – und zu einem geringeren Grade mit den Bergen – die letzten Reste einer urtümlichen Freiheit, die dort seit germanischer Zeit überlebt habe.87 Wie vermeintlich schon bei den Germanen unter Hermann dem Cherusker sollte diese Freiheit im Schutze der Bäume wiedererkämpft und erhalten werden, was an vergleichbare Äußerungen bei Arndt erinnert. Dazu forderte Eichendorff die Deutschen etwa im Gedicht Mahnung (1810) explizit auf, wobei er aber die Bäume des Waldes an seiner Stelle sprechen ließ.88 Es zeigen sich deutliche Parallelen zu Caspar David Friedrichs (1774–1840) fast zeitgleich entstandenem Gemälde Der Chasseur im Walde, das 1814 im Rahmen einer patriotischen Kunstausstellung erstmals öffentlich zu sehen war. Dort stand ein einsamer französischer Soldat dem bedrohlich-dunklen deutschen Nadelwald verloren gegenüber, während auf einem Baumstumpf bereits der Rabe als althergebrachtes Todessymbol Platz genommen hatte.89

Auf einer zusätzlichen Bedeutungsebene ergaben sich im bereits zitierten Der Jäger Abschied explizit patriotische Funktionalisierungen des Waldes zum „Deutsch Panier, das rauschend wallt“90 – mithin zum symbolischen Wehr- und Nationalbanner. Eine noch stärkere nationale Interpretation erfolgte, als das einmal vertonte Gedicht bald breite Rezeption erfuhr. Während die letzte Verszeile im Original noch „Schirm’ dich Gott, du schöner Wald!“ gelautet hatte, fand sich schon zu Eichendorffs Lebzeiten in Liederbüchern auch „Schirm’ dich Gott! du deutscher Wald!“ als deutlich nationalpolitischerer Schluss.91 Die Baumwelt figurierte in solchen Versen als ehrfurchtgebietende Geschichtssphäre voll „frommer Sagen“ sowie „alter Ehre und Pracht“.92 Einem nationalen Jungbrunnen gleich könnten sich seine Landsleute dort immer wieder ihrer selbst vergewissern, denn „ein neu Geschlecht wird stärken dieser Wald zu deutschen Werken“93. Die silvane Sphäre sollte in diesem Sinne als literarische Traditionsressource wirken und die Kampfstimmung vor allem gegen Frankreich fördern, wie es trotz gewandelter Zeitumstände auch 1871 und 1914 der Fall sein würde.

Aber obgleich Eichendorff wie dargestellt mehrfach enge Beziehungen zwischen dem Wald und der deutschen Überlieferung konstatierte, sprach er nur in Libertas Klage (1849) explizit vom „deutschen Wald“94: Nach den gescheiterten Einheitsplänen sei dieser ebenso wie das deutsche Volk bedroht durch politische Uneinigkeit und territorialen Partikularismus. Die Eiche fand ebenfalls nur einmal – und zwar in demselben späten Gedicht – mit einer derartigen Konnotation Erwähnung, wenn er seine Heimat als „schönes Land der Eichen“95 bezeichnete. Fast wortgleich hatte schon kurz nach der Jahrhundertwende Arndt sein Vaterland deklariert – ein knappes Jahrzehnt später gefolgt von Theodor Körner während der Kriege gegen Napoleon.96 Die Linde hingegen blieb bei Eichendorff von patriotischen Zuschreibungen gänzlich unberührt, sie fungierte vielmehr ganz in der Konvention deutscher Naturlyrik als feminin konnotierter Baum der Liebe und des Frühlings.97

In dem an seine Mitkämpfer gerichteten Kriegsgedicht An die Freunde (1814) erweiterte Eichendorff die nationale Natursymbolik noch über die Silvasphäre hinaus. Er beschrieb die lang ersehnte Freiheit in der eingängigen Metapher des Frühlingsanfangs, der neben den deutschen Menschen ihre Bäume, Berge und Flüsse erfasst habe: „Es löste Gott das lang verhaltne Brausen/Der Ströme rings – und unser ist der Rhein!/Auf freien Bergen darf der Deutsche hausen/Und seine Wälder nennt er wieder sein.“98 Demgemäß erschien das Ende der napoleonischen Vorherrschaft als Wiedergewinn naturaler wie nationaler Souveränität, die es auch künftig wachsam gegen Frankreich zu verteidigen galt. Eine Inanspruchnahme von Baum und Wald für patriotische Zwecke erfolgte ebenso in einigen von Eichendorffs literaturhistorischen und politischen Schriften.

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