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Zwischenbilanz

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Wilhelm Heinrich Riehl nahm silvane Ideallandschaften nicht nur – wie vor ihm Eichendorff, Arndt oder die Brüder Grimm – in Anspruch, um eine eigene kollektive Identität zu konstruieren. Sie dienten ihm darüber hinaus als Gegenbild zum traditionslosen und demzufolge zugleich naturfernen Anderen, das sich ebenso im Inneren wie bei anderen europäischen Nationen äußern konnte. Wie sein Vorbild Arndt verband Riehl dafür klimatheoretisch die eigentlich getrennten Sphären von Naturalem und Sozialem, um den Wald und das Bauerntum als Verkörperungen des Beständigen zu definieren. Den Erhalt beider erklärte er zur Existenzgarantie für die etablierten sozialen und politischen Strukturen, die gegen die Werte der Französischen Revolution verteidigt werden müssten.

Der Wald war für Riehl nach dem vorläufigen Scheitern der Einheitshoffnungen 1848/1849 ein verbindendes Element der deutschsprachigen Territorien, das den erstrebten Nationalstaat auf der Naturebene vorwegnehmen sollte. Verglichen mit den bisher untersuchten Akteuren, zeigt sich eine weitere Verschiebung von der Silvapoesie hin zur Silvapolitik, sodass Riehls belletristische Texte die Denkmuster seiner wissenschaftlichen und publizistischen Werke nur mehr bekräftigten. Jedoch beteiligte er sich anders als viele zeitgenössische Denker nicht am Germanenkult um die Baumspezies der Eiche und die Schlacht im Teutoburger Wald. Im Spannungsverhältnis von Natur und Kultur nahm das Silvane als Kombination von Idealwald und Realforst eine Mittelstellung ein: Deren äußere Extreme bildeten die ursprüngliche Berglandschaft der Alpen und die gezähmte Burgenlandschaft des Rheines.

Entscheidend für eine breite Rezeption war nicht eine etwaige Originalität solcher Denkmuster, sondern vielmehr Riehls Fähigkeit zur eingängigen Formulierung und polemischen Zuspitzung. Sein renommierter Status als Universitätsprofessor und die zeitweise außerordentliche Beliebtheit seiner Schriften im Bildungsbürgertum sorgten dafür, dass seine konservativen und nationalistischen Anschauungen in einer so autoritäts- und wissenschaftsgläubigen wie verunsicherten Gesellschaft Verbreitung fanden. In einer Übergangszeit tief greifender demographischer und sozialer Veränderungen gelang es ihm, dem Kontinuitätssymbol des deutschen Waldes eine bis dahin ungekannte Popularität als Kriterium nationaler Definition und Exklusion zu verschaffen. Während die politischen Waldvorstellungen liberaler bis linker politischer Spielart wesentlich Episode blieben, geriet die Silvasphäre in den Jahren des Kaiserreiches und der Weimarer Republik immer mehr epigonalen Dichtern und Denkern der zweiten Reihe zur Grundlage nationaler Identität.

Der deutsche Wald

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